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London - 15. März 2000
Оглавление»Und wann wollen Sie mit der Projektarbeit endlich beginnen?«
Der Secretary der United Grand Lodge sah Jules missbilligend an. Er hatte sich von ihm eben die ersten Schritte erklären lassen und schien davon wenig beeindruckt. Und so fügte er etwas spitz hinzu: »Immerhin sind bereits zwei Monate vergangen, seit Sie den Auftrag von uns erhalten haben und in vier Wochen müssen Sie dem Ausschuss das erste Mal Rede und Antwort stehen.«
Jules entging die Wortwahl des Secretary keineswegs, der von Auftrag erhalten und nicht etwa von Auftrag angenommen sprach. So etwas Ähnliches hatte sich Jules allerdings schon gedacht, als ihn John Brown vor zwei Tagen anrief und um eine dringende Unterredung bat.
Der gute John nimmt sich wohl für äußert wichtig, will sich vielleicht sogar zwischen mich und den Projektausschuss schieben, mir sozusagen die Arbeit und die Risiken des Projekts überlassen und für sich selbst den Ruhm beanspruchen, falls ich den Auftrag erfüllen kann. Ach, John, du weißt nicht, wie oft ich bereits in ähnlichen Situationen steckte, wie oft sich jemand mit meinen Federn schmücken wollte. Henry hat mich von Anfang an vor dir gewarnt, dass du ein falscher Hund sein kannst. Er wusste auch, dass dein heimlicher Favorit für den Job des Projektleiters Sinclair St. James ist und du recht wenig von mir hältst, mich vielleicht sogar gerne scheitern sehen willst? Doch dass du derart ungeduldig bist und es kaum erwarten kannst, mir auf den Zehen herum zu trampeln, hätte ich trotzdem nicht erwartet.
Jules lächelte den Grand Secretary entgegen seinem Gedankengang gewinnend an: »Die Vorbereitungsarbeiten laufen auf Hochtouren, John. Doch alles braucht seine Zeit, bis ein so großes Projekt wirklich in die Gänge kommt.«
Der Logensekretär blickte den Schweizer säuerlich an. Im Gegensatz zu seinem ersten Besuch bei dem Sekretär der Vereinigten Freimaurerlogen Großbritanniens hatte der in diesmal direkt mit dem Vornamen begrüßt.
»Fühlen Sie sich der Aufgabe und der großen Verantwortung überhaupt gewachsen, Jules? Ich will Ihnen nicht zu nahetreten, doch die Loge investiert beträchtliche Mittel in diese Dekadenprojekte. Bitte erzählen Sie mir frei heraus, wenn ich Sie auf irgendwelche Weise zusätzlich unterstützen kann?«
Das wird immer besser, dachte sich Jules grimmig, jetzt willst du auch noch gleich die Federführung im Projekt übernehmen? Das verlangt nach einem gehörigen Denkzettel, mein lieber John.
Äußerst liebenswürdig antwortete Jules: »Das ist sehr freundlich von Ihnen, John, und ich komme gerne auf Ihr Angebot zurück, sobald ich mir selbst einen Überblick über die Aufgabe verschafft habe. Derzeit versuche ich bloß, mich in die Materie ganz allgemein einzulesen, damit ich ja keinen Fehler bei der Organisation des Projekts begehe. Es steht auch für mich viel auf dem Spiel. Ich will meine Logenbrüder nicht enttäuschen.«
Der Grand Secretary schaute ihn etwas unschlüssig an. Jules wirkte auf ihn recht unbedarft. Doch John Brown hatte über den Schweizer viel Gutes gehört und einige Mitglieder des Ausschusses hatten an ihrer letzten Sitzung dessen Entschlusskraft und Durchsetzungsvermögen gelobt. Nun aber wirkte dieser neue Dekaden-Projektleiter völlig verunsichert. Hatten ihn die anderen Mitglieder falsch eingeschätzt oder spielte der Schweizer ihm etwas vor?
Jules las aus der wechselnden Mine von John Brown einige seiner Gedanken ab.
Soll er doch über mich denken, was er will. Umso leichter wird er mir später in die Falle tappen. Danach wirst du mich zwar hassen, doch unsere Grenzen werden klar und hoffentlich für alle Zeiten abgesteckt sein. Besser gleich zu Anfang Klarheit zwischen uns schaffen als später, wenn du dem Projekt wirklich schaden kannst.
Und so fuhr Jules treuherzig fort: »Im Moment weiß ich zwar kaum, wo mir der Kopf steht, doch ich werde in den nächsten vier Wochen bestimmt etwas Brauchbares in Gang setzen, was den Ausschuss zufriedenstellen wird.«
Jules machte auch bei diesen Worten keinen souveränen Eindruck, schien als Leiter des Dekadenprojekts völlig überfordert zu sein.
»Dann halten Sie mich also auf dem Laufenden?«, meinte John Brown knapp und versuchte erst gar nicht, die Überheblichkeit in seiner Stimme zu unterdrücken.
»Aber selbstverständlich, John. Und ich bin Ihnen sehr verbunden, wenn Sie dem Ausschuss gegenüber keine Andeutungen machen, ich meine bezüglich meiner derzeitigen Unsicherheit. Wir beide müssen doch zusammenhalten?«
*
Es war vier Wochen und drei Tage später, als Jules vor dem Ausschuss des Dekadenprojekts der United Grand Lodge in London das erste Mal die Fortschritte erklären musste. Im Vorfeld hatte er dem Grand Secretary eine kurze Präsentation über seine bisherige Arbeit zukommen lassen. Die darin aufgeführten Ideen zum Aufbau und Ablauf des Projekts hätten sich vielleicht für die Einführung einer neuen betriebswirtschaftlichen Standardsoftware in einem mittelgroßen Unternehmen geeignet, zielten jedoch völlig an der wissenschaftlichen Aufgabenstellung des Projekts vorbei. Doch als ihn der Grand Secretary vor einigen Tagen aufforderte, ihm die Präsentation für den Ausschuss vorgängig zur Prüfung und Bewertung zuzustellen, hatte Jules unter der Bitte eingewilligt, dass sie im Vorfeld der Sitzung niemand anderem gezeigt wurde, da sie sich ja noch ändern konnte.
Wie von Jules erwartet hatte ihm John Brown ein positives Feedback zu seiner bisherigen Arbeit zukommen lassen, gleichzeitig die Folien aber umgehend kopiert und mit vor Spott triefenden Kommentaren versehen den Mitgliedern des Projektausschusses ausgehändigt. Entsprechend geladen war die Atmosphäre im großen Konferenzsaal, als Jules Lederer mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht eintrat, die Männer einzeln mit Handschlag kurz begrüßte und sich dann auf dem einzigen freien Stuhl im Raum setzte.
Die Lokalität war von John Brown ausgesucht worden und Jules war von der Einrichtung des Raumes weniger überrascht als vielmehr amüsiert. Der Ausschuss saß mit dem Grand Secretary zusammen hinter einer Reihe von Tischen, während er als Projektleiter vor ihnen und mitten im Raum auf einem einsamen Stuhl Platz nehmen musste, als sei er der Angeklagte und stünde vor einem Gericht. Neben den Stuhl hatte man noch einen schmalen Tisch für seinen Laptop und für den bereitstehenden Projektor gestellt.
Während Jules noch an den Kabeln hantierte und das Hochfahren seines Laptops abwartete, begann der Vorsitzende auch schon mit der förmlichen Einleitung der Ausschusssitzung. Doch in seiner Stimme klang von Anfang an ein gewisser Ärger mit.
»Bruder Jules, Sie haben vor drei Monaten die Leitung des neuen Dekadenprojekts übernommen und sollen uns heute das erste Mal Bericht über die Fortschritte abgeben. Bitte beginnen Sie.«
Jules wunderte sich nicht weiter darüber, dass er nun auch vom Vorsitzenden gesiezt wurde, wie vom Sekretär zuvor. Als Projektleiter schien er in den Augen des Ausschusses nicht mehr gleichwertig zu sein, sondern zu einer untergeordneten Charge zu gehören. Trotzdem erhob sich der Schweizer immer noch freundlich lächelnd, wirkte dabei verunsichert, begann vor dem Ausschuss langsam auf und ab zu gehen, während er offenbar seine Gedanken sammeln musste und noch nach den richtigen Worten suchte.
Das Hin- und Hergehen erfüllte für Jules jedoch einen sehr wichtigen Zweck. Denn die Anwesenden blickten ihm unweigerlich nach, drehten ihre Köpfe von links nach rechts und wieder zurück, warteten immer ungeduldiger auf seine ersten Worte. Doch Jules hatte sie auf diese Weise in die Rolle der Geführten gedrängt und die Mitglieder des Ausschusses marschierten hinter ihm her, wie Schafe hinter dem Leithammel. Das war zwar eine kleine, jedoch sehr nützliche List für jeden, der sich einer feindlich gesinnten Gruppe von Leuten gegenüberstand und sich gegen sie durchsetzen musste.
»Sehr verehrte Brüder. Bei meiner Wahl vor drei Monaten hatte sich meine Begeisterung für das Projekt 32 in engen Grenzen gehalten und ich hätte am liebsten unverzüglich abgelehnt.«
Die Minen der Anwesenden versteinerten sich bei dieser unerwarteten Einleitung und die Augen des Vorsitzenden blitzten ein erstes Mal gefährlich auf. Sir Geoffrey war es gewohnt, dass sich ihm gegenüber alle Menschen opportunistisch verhielten. Er bevorzugte in seinem Umfeld Leute ohne eigene Meinung. Sie mussten seine Weisungen und Aufträge ohne Widerspruch umsetzten und sollten Nichts in Frage stellen.
Jules fuhr fort, in einem an Schärfe noch gewinnenden Tonfall.
»Doch meine Zurückhaltung betraf weniger die eigentliche Aufgabe, sondern das Umfeld, in dem ich sie zu erledigen habe.«
Nun blickten ihn auch alle anderen Mitglieder des Ausschusses zornig an. Sie bezogen seine unverhohlene Schelte auf sich selbst. Als Aufsichtsorgan über das Projekt der Loge fühlten sie sich jedoch mitverantwortlich und den Angriff von Jules empfanden sie darum als ausgesprochen frech. Doch der Schweizer schien nichts vom Ärger zu spüren, als er unbeirrt fortfuhr.
»Ich habe in den vergangenen Wochen die verfügbaren Akten zu den letzten zehn Dekadenprojekten etwas genauer unter die Lupe genommen, vor allem die wenig erfolgreichen, beziehungsweise die kläglich gescheiterten. Dabei ist mir eines aufgefallen. In den meisten Fällen standen sehr fähige Männer an deren Spitze und sie fällten auch die richtigen Entscheide bezüglich der Organisation, den hinzugezogenen Fachleuten oder der Vorgehensweise. Trotzdem gelang keinem von ihnen eine konsequente Umsetzung seiner Pläne und Vorgaben. Warum dies so war, konnte ich eine ganze Zeit lang nicht herausfinden. Doch unser Grand Secretary John hat mich vor ein paar Wochen glücklicherweise darauf gestoßen.«
Die Köpfe der Ausschussmitglieder ruckten bei diesen Worten unwillkürlich und mit fragendem Blick zu John Brown hinüber, der nun etwas verunsichert auf seinem Stuhl herumrutschte und unwissend, stumm und bedauernd seine Schultern kurz hob.
»Wie meinen Sie das, Jules?«, fragte darum der Vorsitzende Sir Geoffrey misstrauisch, aber durchaus auch interessiert.
»John hat mir unmissverständlich erklärt, dass der Grand Secretary der Loge in diesen Dekadenprojekten ein gewichtiges Wort mitreden will, vielleicht sogar die alles entscheidende Rolle zu spielen beabsichtigt.«
Jules kniff bei diesem Satz sein rechtes Augenlid zu und blinzelte John Brown beinahe anzüglich zu.
»Ich habe darum die gesamte Projektkorrespondenz durchgearbeitet und rasch herausgefunden, dass den Projektleitern oft genug Steine in den Weg gelegt wurden, wenn sie nicht auf Forderungen und Vorschläge des Grand-Secretary hören wollten. In vielen Dekadenprojekten fanden richtige Machtkämpfe statt, die dem Gelingen der Unternehmungen höchst abträglich waren.«
Jules machte bewusst eine kurze Pause, damit die Mitglieder des Ausschusses Zeit bekamen, seine Worte richtig einzuordnen und vor allem zu erkennen, dass Jules sie mit dieser Klarstellung völlig aus der Schusslinie seiner Kritik genommen hatte. Sein Angriff hatte also keineswegs auf sie im Ausschuss, sondern bloß auf den Sekretär gezielt.
Denn die wirklichen Entscheidungsträger in einem Projekt sollten sich möglichst unbelastet fühlen. Nur dann hörten sie ihrem Projektleiter auch unvoreingenommen zu und unterstützten ihn bei Bedarf. Spürten sie dagegen eine große Mitverantwortung oder gar eine Mitschuld bei Schwierigkeiten, dann verweigerten sie erfahrungsgemäß beides.
Doch nach jedem Angriff zog man sich vernünftigerweise etwas zurück, um Platz für Kompromisse zu schaffen. Und so fuhr Jules Lederer in seinen Ausführungen fort.
»John Brown ist erst seit gut zwei Jahren unser Grand Secretary und er kann darum mit dem Scheitern der letzten Dekadenaufgaben rein gar nichts zu tun haben. Ihn trifft meiner Meinung nach also keinerlei Schuld an den wenig befriedigenden Ergebnissen von Projekt 31 und seinen Vorgängern. Umso erstaunter war ich allerdings, als ich bei einem Treffen mit ihm, das war vor vier Wochen, feststellen musste, dass auch er beabsichtigt, ähnlich wie seine Vorgänger, starken Einfluss auf das neue Projekt und die Art seiner Führung zu nehmen.«
Jules Stimme hatte einen festen, ja harten Klang angenommen, um den Anwesenden seine innere Wut über das Vorgefallene deutlich spüren zu lassen, ohne dass er auf Einzelheiten eingehen musste. Damit wollte der Schweizer vor allem ein Gefühl der Solidarität zwischen ihm und den Mitgliedern des Ausschusses erzeugen.
»Aus diesem Grund habe ich vor einigen Tagen dem Grand Secretary unter der Bedingung der absoluten Verschwiegenheit einige falsche Informationen über den Stand des Projekts übergeben. Ich bat ihn ausdrücklich darum, die Unterlagen streng vertraulich zu behandeln. Doch schon beim Eintreten in diesen Saal hier konnte ich in Ihren miesepetrigen Gesichtern lesen, meine verehrten Logenbrüder, dass Sie von unserem lieben John bereits ausführlich über meine so offenkundige Unfähigkeit informiert wurden.«
Wieder ruckten die Köpfe der Ausschussmitglieder zum Grand Secretary hinüber, diesmal jedoch mit einem meist wütenden oder höchst erstaunten Ausdruck darin. John Brown lief unter den Blicken und der eigenen aufkeimenden inneren Wut rot an. Jules fuhr jedoch unbeirrt weiter.
»Ich bin der gewählte Leiter für das aktuelle Dekadenprojekt. Eine große Mehrheit der Meister unserer Vollversammlung hat mir ihr Vertrauen ausgesprochen. Und so fordere ich heute auch Ihr Vertrauen ein, verehrte Brüder. Ich bin einzig Ihnen gegenüber verantwortlich, niemand anderem. John Brown mag ein äußerst fähiger Secretary für unsere United Grand Lodge sein. Doch er ist nicht der gewählte Leiter von Projekt 32. Darum möchte ich hier und heute und für alle Zeiten folgendes klarstellen. Ich werde dem Grand Secretary über jeden ausgegebenen Penny genauestens Bericht erstatten. Er wird jegliche Informationen zu den Einnahmen und Ausgaben dieses Unternehmens erhalten. Doch ich werde ihm niemals gestatten, Einfluss auf das Projekt selbst zu nehmen, sei es bezüglich Organisation, dem geplanten Vorgehen oder der Auswahl der Teammitglieder. Alles, was über die Freigabe und Überwachung der reservierten Gelder hinausgeht, ist Gegenstand von Verhandlungen zwischen Ihnen, liebe Logenbrüder und mir, Ihrem Projektleiter. Habe ich dafür Ihre uneingeschränkte Zustimmung?«
Die Mitglieder des Ausschusses blickten sich kurz gegenseitig an, hielten stumm Zwiesprache, dann nickte der Vorsitzende zustimmend.
»Im Weiteren benötige ich einen direkten Draht zu diesem Ausschuss, einen engen Vertrauten, der heikle Anträge ins Gremium hineinträgt und dort in meinem Namen vertritt. Ich würde mich sehr geehrt fühlen, wenn Sie, Sir Benedict, das Sponsoring für das aktuelle Dekadenprojekt übernehmen könnten?«
Der Angesprochene sah Jules amüsiert an. Er hatte längst verstanden, was ihr neuer Projektleiter erreichen wollte, nämlich das völlige Ausschalten des Grand-Secretary als ein möglicher Bremsklotz. Seine Kollegen hatten dies ebenfalls erkannt, blickten ihren Kollegen darum fragend und aufmunternd zugleich an. Dieser ergriff nun das Wort.
»In Ordnung, Jules, ich werde Ihr Sponsor sein. Im Gegenzug erwarte ich allerdings völlige Offenheit von Ihnen über das Vorgehen und den jeweiligen Projektstand.«
Jules nickte zustimmend.
»Ich danke Ihnen, Benedict, und es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, dass Sie als Sponsor jederzeit über sämtliche Vorgänge im Projekt von mir persönlich informiert werden.«
Jules hatte die erste Schlacht endgültig gewonnen und entsprechend entspannt fuhr er fort.
»Nun habe ich Sie aber schon viel zu lange mit kleinlichen Organisationsfragen gelangweilt. Kommen wir also zum derzeitigen Projektstand.«
Er blieb nun hinter seinem Stuhl stehen und stützt seine Hände auf die Rückenlehne. Damit markierte er gleichzeitig Festigkeit und Sicherheit, zwei wesentliche Voraussetzungen, um Vertrauen zu gewinnen. Denn Vertrauen schaffen, das war sein zweites und eigentliches Ziel für diese erste Sitzung mit dem Projektausschuss.
»Im Gegensatz zu den manipulierten Unterlagen, die Sie von John erhalten haben, waren wir in den vergangenen drei Monaten alles anderes als untätig. Ich sage wir, denn unser Projektbüro besteht derzeit aus der Leiterin, eine ausgewiesene Fachfrau in Sachen Rechnungswesen und Organisation, und einem technikbegeisterten jungen Mann, der für uns im Internet eine elektronische Plattform für den gegenseitigen Datenaustausch aufgebaut hat.«
Jules hatte nun seine echte Präsentation auf dem Laptop gestartet und der Projektor warf die ersten Bilder an die Wand. Sie würden seine Worte mit einigen Grafiken unterstreichen, waren jedoch alles andere als selbsterklärend, zeigten Bilder aber kaum Text, würden also seine Worte bloß unterstützen und nicht etwa ersetzen. Denn der gewichtigste Fehler vieler Präsentationen vor einem Publikum lag darin, zu viele Informationen auf eine einzige Folie zu packen und damit die Aufmerksamkeit der Zuhörer zwischen dem Vortragenden und den toten Bildern an der Wand zu teilen. Sprachen die Folien dagegen nicht für sich selbst, sondern mussten erklärt werden, dann hingen die Ohren und die Augen der Anwesenden ausschließlich am Präsentator.
»In den nächsten Tagen versenden wir ein Schreiben an unsere über siebentausend Logen in Großbritannien. Darin werden alle dreihunderttausend Logenmitglieder über die Datenplattform von Projekt 32 in Kenntnis gesetzt. Wir wollen nämlich in einem ersten Schritt sämtliches Wissen und vor allem auch alle Vermutungen über das Leben und Wirken von Zheng He aufspüren und in unserer Datenbanken sammeln. Ich erhoffe mir davon Tausende von Anregungen für unsere Expertenteams, auf die ich gleich zu sprechen komme.«
Jules erkannte bei seinen forschen Worten, dass ihm die Mitglieder des Ausschusses nicht nur interessiert zuhörten, sondern von seinem Elan bereits ein wenig mitgerissen wurden. Denn dass sich alle Mitglieder Großbritanniens in das Dekadenprojekt mit einbringen konnten, schuf eine neue Qualität für die gesamte Freimaurer-Bewegung. So saßen sie mit gestrafftem Oberkörper vor dem Schweizer und sahen ihm offen und erfreut in die Augen. Nur John Brown hockte griesgrämig auf seinem Stuhl und blickte ihn finster an. Jules lächelte ihm darum aufmunternd zu, bevor er weiterfuhr.
»Ich hab mich selbstverständlich gefragt, wie man ein solch großes, wissenschaftliches Projekt aufsetzen muss, um Erfolge zu erzielen. Wie Sie wissen, sind die Unterlagen zu den sieben Schatzfahrten von Zheng He verloren gegangen, wahrscheinlich sogar gezielt von späteren chinesischen Kaisern vernichtet worden. Überhaupt war es im alten China etwas völlig Normales, die Geschichtsschreibung nach eigenem Gutdünken zu verändern. Ich erinnere daran, dass Kaiser Yung-Lo die drei Jahre dauernde Regierungszeit seines von ihm im Jahre 1402 gestürzten Neffen in der offiziellen Geschichtsschreibung der Ming Dynastie einfach streichen ließ, so als hätte sein 1398 verstorbener Vater das Land bis zur Machtergreifung von Yung-Lo im Jahre 1402 geführt.«
Das Interesse des Direktoriums begann über diesen geschichtlichen Exkurs bereits ein wenig einzuschlafen, was Jules nicht erstaunte und weshalb er rasch fortfuhr.
»Die heutige, offizielle chinesische Geschichte wurde erst ab 1648, also mehr als zweihundert Jahre nach der letzten der sieben Schatzfahrten, systematisch erforscht und im Ming Shi niedergeschrieben. Doch in diesem Werk sind die beiden Steintafeln nicht einmal erwähnt, die Zheng He im Jahre 1431 in Liunjian und in Changle aufstellen ließ und auf denen die sieben Fahrten in den Westen recht detailliert beschrieben sind. Wir müssen also davon ausgehen, dass diese Tafeln den damaligen Historikern unbekannt waren. Dementsprechend können wir unsere Arbeit also kaum auf die Daten im Ming Shi abstützen. Anders ist aus meiner Sicht auch kaum zu erklären, warum das Grab von Zheng He bis heute nicht gefunden wurde, obwohl die chinesische Regierung in den 1970er und 1980er Jahre intensiv nach ihm suchen ließ.«
Der Vorsitzende des Ausschusses unterbrach Jules etwas unwirsch: »Viele der von Ihnen geschilderten Fakten sind uns hinlänglich bekannt, Bruder Jules. Sie interessieren uns auch nur am Rande. Für uns Ausschussmitglieder ist es weit wichtiger, zu erfahren, wie Sie an die Aufgabe heranzugehen gedenken.«
Er sprach den kleinen Tadel allerdings recht wohlwollend aus. Denn dass sich ihr gewählter Projektleiter bereits intensiv in die Materie eingearbeitet hatte und dabei wohl Feuer fing, ließ Sir Geoffrey sich gerne gefallen. Und exakt dieser Eindruck sollte die etwas umständlichen, langatmigen und vor allem wenig nützlichen Erklärungen von Jules bewirken. Denn nur wenn ein Ausschuss spürte, wie stark sich ihr Projektleiter mit der Aufgabe identifizierte, konnte sich wirkliches Vertrauen zwischen ihnen aufbauen. Jules nickte dem Vorsitzenden darum zweifach dankbar zu.
»Wir sammeln als erstes alle in China vorhandenen historischen Basisdaten. Dies erledigt ein Team aus drei chinesischen Historikern, wobei Professor Hei Li aus Shanghai den Vorsitz hält. Ein zweites Team informiert sich parallel dazu über alle Forschungsergebnisse neueren Datums. Außerhalb von China und wirft auch einen Blick auf all die oft skurrilen Spekulationen, die sich um die sieben Reisen der Flotte bis heute entwickelt haben. Es gibt ja Forscher, die vermuten, die Flotte von Zheng He könnte den gesamten Erdball umrundet haben. Gerade in diesem spekulativen Bereich hoffen wir auf viele Informationen von unseren dreihunderttausend Mitgliedern in Großbritannien. Gut möglich, dass der eine oder andere uns einen völlig neuen Blickwinkel zu öffnen vermag.«
Sir Benedict Reiffle, der neue Projektsponsor, meldete sich zu Wort: »Jules, das ist aber noch nicht sehr viel, ich meine, zwei kleine Projektteams, die ein paar Daten sammeln. Wie soll es Ihrer Meinung nach anschließend weitergehen? Haben Sie darüber bereits konkrete Vorstellungen?«
Jules musste ohne es zu wollen breit grinsen. Man traf in Projekten doch immer wieder dieselbe Entwicklung an. So lange jemand bloß als Mitglied in einem größeren Gremium saß und sich dort informieren ließ, hielt sich sein Interesse in engen Grenzen. Doch, sobald derselbe Mensch eine direkte Mitverantwortung für das Gelingen des Vorhabens übernahm, begann er sich sogleich Sorgen über das Gelingen zu machen. Und sich sorgen hatte noch keinem Projekt geschadet, wie Jules aus Erfahrung wusste.
»Die geschichtlich gesicherten Quellen werden uns kaum den wahren Umfang der Reisen von Zheng He offenbaren. Auch können wir so seine Grabstätte nicht finden, sonst wäre sie wohl längst entdeckt worden. Gleichzeitig nutzen uns aber auch die vielen Spekulationen zu seinem Leben und Tod herzlich wenig. Denn sie dürften äußerst vielschichtig und vor allem sehr weitläufig und breit ausfallen. Um letztendlich Erfolge zu erzielen, müssen wir dennoch allen Möglichkeiten nachgehen, selbst wenn sie auf den ersten Blick völlig unwahrscheinlich klingen. Ich rechne damit, dass wir die beiden kleinen Projektteams bereits in sechs bis zwölf Monaten auflösen können, wenn die ersten Basisarbeiten abgeschlossen sind. Wir ersetzten sie durch fünf neue, um die unterschiedlichen Forschungsbereiche kompetent abzudecken. Folgende Themenkreise sind angedacht: Die Seefahrt in China und in Europa zwischen dem zwölften und sechzehnten Jahrhundert. Seltsame Funde an Flora und Fauna vom vierzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert aus Sicht der Europäer. Die Entwicklung der Kartografie und der Navigation von 1300 bis 1500. Die Religionen und Philosophien im alten China des fünfzehnten Jahrhunderts. Und nicht zu vergessen die Psychologie.«
»Die Psychologie?«, fragte der Vorsitzende Sir Geoffrey reichlich überrascht zurück.
»Ja. Denn wir sollten versuchen zu ergründen, in welchen Parametern ein so ungewöhnlicher Mensch wie Zheng He dachte und handelte. Denn entweder ist er tatsächlich auf seiner letzten Fahrt verstorben und vielleicht sogar auf See bestattet worden, was allerdings jeglichen fehlenden Bericht darüber nicht zu erklären vermag, oder er hatte seine guten Gründe, warum er nicht in seinem Mausoleum bei Nanjing liegen wollte.«
»Sein Mausoleum wurde doch erst nach seinem Tod errichtet«, warf da John Brown gehässig ein und der innere Zorn über die vorhin erlittene Niederlage war deutlich herauszuhören. Jules wandte sich ihm darum lächelnd zu und meinte süffisant: »Ich wollte damit bloß sagen, dass ein Mann wie Zheng He wohl seine guten Gründe besaß, wenn er lieber unerkannt irgendwo auf dieser Welt seine letzten Jahre verbracht hatte, statt sein Ende allseits geehrt und umsorgt in China zu erwarten und in allen Ehren bestattet zu werden.«
Die Anwesenden sahen, wie der Grand Secretary von Neuem rot anlief und der Vorsitzende räusperte sich vernehmlich, um die nächste sich abzeichnende verbale Auseinandersetzung zwischen dem Sekretär der Loge und ihrem Projektleiter gleich im Keim zu ersticken.
»Das alles tönt nicht gerade nach erheblichen Kosten, Bruder Jules. Wie sieht denn Ihr Projektbudget im Detail aus?«
»Der Aufbau der Infrastruktur in Lausanne kostete bislang siebzigtausend Pfund. Für das zentrale Projektoffice fallen jährliche Kosten von zweihundertzwanzig tausend Pfund an. Die beiden ersten Projektteams operieren mit eigenen Budgets von jeweils einhundert tausend Pfund für die nächsten sechs Monate. Die später aufzusetzenden fünf Teams werden jeweils zweihunderttausend Pfund pro Jahr zur Verfügung gestellt erhalten. Sie können über die Verwendung des Geldes selbstständig entscheiden. Falls die Summe nicht ausreichen sollte, müssen sie frühzeitig begründete Kreditanträge an mich stellen.«
»Und wie überwachen Sie die Projektteams in qualitativer Hinsicht?«, meldete sich Sir Benedict Reiffle wieder zu Wort.
»Sämtliche Ergebnisse der Forschungsarbeiten werden laufend in unsere Datenbanken eingetragen, so dass nicht nur alle anderen Projektteams, sondern auch ich mich laufend über den Stand informieren kann. Mit den beiden Leitern der aktuellen Projektteams habe ich zudem monatliche Telefonkonferenzen vereinbart. Die Teammitglieder arbeiten nicht ausschließlich für unsere Belange. Sie sind Wissenschaftler mit Lehrstühlen an Universitäten und haben auch noch andere berufliche Verpflichtungen. Sie werden sich in der Regel einmal pro Monat für einen Tag treffen und die Ergebnisse ihrer individuellen Untersuchungen zusammentragen, bewerten und danach in unserer Datenbank ablegen. Mindestens alle drei Monate werde ich die einzelnen Teams aber auch persönlich besuchen. Denn ich will den Daumen am Puls des Projekts halten. Später wird es mit Sicherheit auch interdisziplinäre Sitzungen zwischen den einzelnen Teams geben müssen, denn nicht alles kann über schriftliche Aufzeichnungen ausgetauscht werden.«
»Sie scheinen zu wissen, was Sie wollen und wie Sie zum Ziel kommen?«
Der Vorsitzende sprach die Frage eher als Feststellung aus und Jules nickte sogleich zustimmend.
»Ich gewinne nun mal gerne, das ist auch schon alles«, meinte er wenig bescheiden, »und eine nutzbringende Organisation mit klaren Aufgaben, Abläufen und Verantwortlichkeiten ist die Voraussetzung für jedes erfolgversprechende Handeln. Der Erdball ist zu groß und zehn Jahre sind zu kurz, um mit Hacken und Schaufeln blindlings los zu rennen und nach einem sechshundert Jahre alten Gerippe zu suchen.«
Jules hatte seine Stuhllehne längst losgelassen und blickte jedem Mitglied des Projektausschusses kurz in die Augen, erkannte darin Wohlwollen und beginnendes Vertrauen.
»Sie können mir allerdings glauben, dass ich die Aufgabe mit wenig Begeisterung übernommen habe, denn sie bindet einen erheblichen Teil meiner Arbeitszeit. Doch mittlerweile wurde ich, wie ich genauso gerne zugebe, vom Virus dieser Suche angesteckt. Sie wissen sicher, dass ich mein Geld in der Vergangenheit öfters mit Geheimnissen und deren Aufklärung verdiente. Allerdings lagen sie in der Regel nicht so weit in der Vergangenheit.«
»Wenn ich Ihre Zahlen über den Daumen schlage, so sollten die Kosten für das gesamte Projekt mit gut zwölf Million Pfund gedeckt sein?«, meldete sich John Brown wieder zu Wort. Er hatte sich die von Jules genannten Summen auf einem Block notiert und hochgerechnet.
»Ja, so lange alle Beteiligten bloß in den Bibliotheken von China und Europa recherchieren und sich danach periodisch zusammensetzen, um ihre Erkenntnisse zu besprechen und aufeinander abzustimmen, reicht der Betrag sicher problemlos aus«, antwortete ihm Jules offen, »doch ich rechne nicht damit, dass wir ohne Forschungsarbeiten vor Ort auskommen werden. Mit Sicherheit hat Zheng He während seines Lebens ganz Südostasien, Indien, Sri Lanka, die arabische Halbinsel, sowie Ostafrika besucht. Jedenfalls sagen dies seine Steintafeln bei Liunjian und Changle aus. Und da in China ganz offensichtlich das meiste Material über seine Fahrten verloren ging oder geplant vernichtet wurde, müssen wir wohl oder übel anderswo und damit direkt in den von ihm besuchten Ländern nach neuem Material suchen und dort eventuell sogar Grabungen finanzieren.«
Der Vorsitzende Sir Geoffrey verzog seinen Mund und der Unwille war deutlich in seinem Gesicht abzulesen, denn er sah eine Schwemme von zusätzlichen Kreditbegehren auf den Ausschuss zukommen.
»Unser Grand Secretary hat Ihnen sicher erklärt, wie Sie vorzugehen haben, wenn das Projekt zusätzliches Geld benötigen sollte. Bitte halten Sie sich daran, Jules. Vor allem müssen Sie uns für das gewissenhafte Abwägen der Begehren genügend Zeit einräumen.«
»Selbstverständlich.«
»Dann danke ich Ihnen und wünsche weiterhin viel Erfolg. Wir sehen uns in sechs Monaten zu Ihrem zweiten Bericht wieder.«
»Auch ich bedanke mich für die Zeit, die Sie dem Projekt widmen. Sein Erfolg wird nicht zuletzt von Ihnen abhängen, denn nur mit genügender Unterstützung aller Beteiligten«, und damit wandte sich Jules noch einmal direkt dem Grand Secretary zu, »kann das Vorhaben gelingen.«
*
Zurück in Lausanne setzte sich Jules mit Ruth Schnetzler zusammen.
»Hast du die gesamte Million auf unser neues Konto überweisen lassen?«
»Ja, Jules. Der restliche Betrag wurde uns heute Morgen gutgeschrieben.«
»Dann verfügen wir derzeit über etwa siebenhundert tausend Pfund?«
»693’420, um exakt zu sein.«
»Bis Ende Jahr werden wir davon nur etwa die Hälfte benötigen. Den Rest sollten wir darum sinnvoll anlegen. Was schlägst du vor, Ruth?«
»Am Geldmarkt gibt’s vier Prozent im Moment.«
Jules musste lächeln.
»Vier Prozent? Das ist eindeutig zu wenig. Lass bitte die englischen Pfund in Schweizer Franken umtauschen. Und dann kaufst du Put Optionen auf einige große SMI Titel aus der Finanzbranche, also von Banken und Versicherungen. Was du kaufen willst, überlasse ich dir. Die Optionen sollten aber mindestens bis Ende 2003 laufen und sie sollten bereits ein wenig im Geld stehen.«
Ruth sah ihn fragend an.
»In den nächsten zwölf bis achtzehn Monaten wird die Wirtschaft mit Sicherheit abkühlen, denn die Nationalbanken werden irgendwann einmal mit der Inflationsbekämpfung beginnen müssen und darum ihre Zinssätze erhöhen. Darunter wird die Börse und vorrangig die Finanzwerte leiden und da sollten wir unbedingt dabei sein.«
»Okay, das habe ich soweit verstanden. Und wann verkaufen wir wieder?«
»Unser Gewinnziel legen wir erst in einem Jahr fest. So lange halten wir die Optionen auf jeden Fall.«
Ruth nickte und notierte sich alles. Dann sah sie Jules offen an und in ihren Blick schlich sich einige Besorgnisse: »Ist es nicht gefährlich, mit dem Geld der Loge zu spekulieren?«
Jules lächelte immer noch.
»Das ist keine Spekulation, Ruth. Irgendwann muss die amerikanische Notenbank die Zinssätze erhöhen und dann korrigieren die Aktenbörsen weltweit um zwanzig bis dreißig Prozent nach unten. Das wird dann der Augenblick für den Verkauf sein.«
»Und du denkst nicht, dass du Probleme mit der Loge bekommen wirst? Ich muss die Optionen doch in der Bilanz offen ausweisen. Und dann wird doch zumindest dieser John Brown auf uns losgehen.«
»Um ihn kümmern wir uns, wenn es soweit ist. Doch so, wie du klingst, hattest du bereits das Vergnügen mit ihm?«
»Was heißt hier Vergnügen? Heute Morgen hat mich der Kerl angerufen und versucht, mir auf den Zahn zu fühlen. Hat dieser John Brown vielleicht etwas gegen dich, Jules?«
»Ach, nur das ganz normale Gerangel in einem bedeutenden Projekt. Es ist doch meist das Gleiche: Sobald irgendwo einiges Geld fließt oder ein gewisses Ansehen verteilt wird, schleichen die Hyänen um die Beute herum und versuchen einen Happen davon abzubeißen. Du kennst doch Hyänen, Ruth?«
»Du meinst die gefleckten Scheusale in den Steppen Afrikas? Diese Raubtiere mit ihrem überaus kräftigen Körperbau und dem mörderischen Gebiss? Sie sollen mit Vorliebe den Geparden nachschleichen und ihnen die Beute streitig machen. Ich habe auch schon einmal im Fernsehen gesehen, dass ein großes Rudel von Hyänen sogar eine Gruppe von Löwinnen mit ihren Jungen von einem getöteten Gnu verjagen konnte.«
»Ich sehe, du kennst dich aus.«
Jules immer noch lächelnder Mund wurde plötzlich hart und seine Augen gefroren.
»Ja, die Hyänen bedienen sich gerne am Futternapf anderer. Sie arbeiten als Rudel perfekt zusammen und kennen darum kaum Furcht. Doch man darf nie die Löwenmännchen außer Acht lassen. Die haben nämlich auch keine Angst, selbst nicht vor einem ganzen Rudel Hyänen. Mit Vorliebe holen sie sich ihre Anführerin mitten aus dem Rudel heraus, töten sie mit einem einzigen Hieb ihrer Pranke und stellen so die Rangordnung zwischen Löwen und Hyänen wieder her. Genauso kann es in Projekten laufen. Immer mehr Leute versuchen sich bequem dran zu hängen und am Erfolg Teil zu nehmen. Und wenn dies nicht funktioniert, dann legen sie dir Steine in den Weg, nur damit auch du keinen Erfolg erzielen kannst. Solche Leute muss man möglichst rasch identifizieren und zu gegebener Zeit ausschalten, um in Ruhe arbeiten zu können.«
»Und John Brown ist so eine Hyäne?«
»Ich bin mir noch nicht ganz sicher, Ruth. Gestern habe ich ihm eine empfindliche Niederlage zugefügt. Dass er dir bereits heute Morgen die Hölle heiß machen will, zeigt nur, dass er längst noch nicht aufgegeben hat. Wir müssen also wachsam bleiben.«
»Dann sind die Put-Optionen also bloß ein weiterer Köder, ähnlich deiner fingierten Präsentation?«
Die Lippen von Jules verzogen sich zu einem dünnen Strich.
»Ich hab deinen Durchblick, ob bei Zahlen oder bei Menschen, schon immer bewundert.«