Читать книгу Moskau und zurück - Kendran Brooks - Страница 7
Montag, 23. Juni 2008
ОглавлениеSie hatten die Einreiseformalitäten am Domodedovo Airport in Moskau gerade hinter sich gebracht, als zwei junge Männer direkt auf sie zusteuerten. Sie waren augenscheinlich Zwillinge, Mitte bis Ende zwanzig, mit kurzen, blonden Haaren und hart blickenden Gesichtern. Einer von ihnen sprach Sie auf Englisch an: »Jules Iwanowitsch? Ich bin Aleksej Barissawitsch Dnjepr und das ist mein Bruder Alexandr. Wir wurden von unserem Arbeitgeber, Wladimir Michajlowitsch Sokolow, beauftragt, Sie abzuholen und zu ihm zu begleiten. Bitte folgen Sie uns.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, drehten sich die beiden Russen um und schlugen die Richtung zu den Kofferlaufbändern ein. Alabima und Chufu schauten Jules überrascht an und Chufu fragte: »Jules Iwanowitsch Lederer? Wusste gar nicht, dass du einen zweiten Vornamen hast?«
»Hab ich auch nicht offiziell«, meinte Jules lächelnd, »doch in Russland wird der Vorname des Vaters immer als Zweitname geführt. Die Sokolows wissen, dass mein Vater Jean hieß, also Iwan auf Russisch und darum lautet hier mein vollständiger Name Jules Iwanowitsch Lederer.«
»Dann heiße ich hier in Russland also Chufu Julesowitsch Lederer? Kommt schwer über die Lippen. Wer denkt sich bloß so einen Nonsens aus?«
»Niemand. So ist es hier halt Brauch, seit Urzeiten. Es heißt jedoch Julesiwitsch, nicht Julesowitsch«, meinte Jules leichthin, »aber nun kommt, sonst verlieren wir noch den Anschluss an die Zwillinge.«
Sie gingen hinter den beiden Russen her und Alabima meinte nach ein paar Sekunden anerkennend und neckisch zugleich: »Auf jeden Fall nicht schlecht gebaut, dieses Empfangskomitee. Groß, breitschultrig und überaus sportlich. Propere Jungs in italienischen Maßanzügen. Bestimmt Leibwächter, oder? Und du behauptest, wir reisen hier in Russland als ganz normale Touristen? Wieso können die beiden uns bereits hier abfangen, noch vor der Zollabfertigung?«
»Wladimir Sokolow ist kein gewöhnlicher Mann und sein Name scheint hier in Moskau immer noch einige Türen zu öffnen.«
»Sind die eigentlich vom KGB?«, fragte Chufu interessiert, »ich meine, so wie die beiden aussehen.«
»Du siehst zu viele schlechte Hollywood-Schinken und hinkst deiner Zeit hoffnungslos hinterher, mein lieber Sohnemann. Der KGB ist seit vielen Jahren aufgelöst. Der neue russische Inlandsgeheimdienst nennt sich FSB. Doch das hier sind bestimmt keine Leute vom Geheimdienst, denn die werden nicht an Privatpersonen ausgeliehen.«
Diesmal trug Jules ihre Tochter Alina im Hängebeutel vor seiner Brust und hatte seinen rechten Arm um Alabimas Hüfte geschlungen. Sie hielten mit den beiden Leibwächtern mehr schlecht als recht Schritt, während Chufu ihnen vorauseilte und dabei den zackigen Gang der Zwillinge nachäffte. Das wiederum passte Jules nicht in den Kram, denn der wollte die beiden Russen nicht unnötig verärgern.
»Nicht schlecht, Sohnemann«, rief er ihm deshalb laut nach, »jetzt noch drei, vier Jahre hartes Training in einer Spezialeinheit in Sibirien und du kannst bei den Sokolows als Bodyguard anfangen. Soll ich ihn fragen, ob er noch Bedarf an einem jungen, eingebildeten Dummschwätzer hat?«
Chufu hatte nur ein »Witzbold« für ihn übrig. Doch er ließ sich zurückfallen und hörte auch mit dem Nachahmen der Leibwächter auf.
Die Zwillinge ließen sich von ihnen ihre Koffer und Taschen auf dem rotierenden Band zeigen und luden das Gepäck schweigend auf zwei Kulis, die sie in Richtung Ausgang vor ihnen herschoben. An der Einfuhrkontrolle wurden sie ohne Überprüfung durchgewunken und wenig später standen sie vor dem Flughafengebäude, wo ein schwarzer Zil 41047 im Halteverbot auf sie wartete.
Dass Wladimir sie mit dieser russischen Version einer Strechlimousine abholen ließ, erstaunte Jules. Das Auto wurde seit zwanzig Jahren technisch kaum mehr weiterentwickelt und wäre mit seinem fehlenden Katalysator nirgendwo in Europa mehr zugelassen worden. Doch der Wagen war brandneu, wie sie feststellen konnten, als sie sich hineinsetzten, denn der Neuwagengeruch haftete an den Ledersitzen. Wladimir musste wohl eine neue Liebe zu russischen Produkten entwickelt haben, denn früher gab es für ihn nur deutsche oder englische Nobelmarken.
Die Federung des Zil schwamm wie erwartet in jeder Kurve, ähnlich den amerikanischen Limousinen aus den sechziger Jahren. Und bei größeren Bodenwellen schlugen sie wegen den bis zum Anschlag durchgedrückten Stoßdämpfern immer wieder hart auf. Jules wusste, dass das Zuladegewicht des drei Tonnen Monsters bei lediglich vierhundert Kilogramm lag, was sie zu sechst plus Fahrer problemlos übertrafen.
Doch die Passagiere hatten als Ausgleich zu der eher ruppigen Fahrt großzügig Platz in seinem Innern und selbst der Gepäckstapel war problemlos in den Tiefen des riesigen Kofferraums verschwunden. Nach vorn, zum Fahrerraum hin, war eine Wand ohne Fenster hochgezogen, was leider die Sicht durch die Frontscheibe verunmöglichte. Auf der anderen Seite genossen die Fahrgäste eine einzigartig private Atmosphäre. Man konnte sich fast wie in einem Wohnzimmer fühlen. Der Eindruck wurde durch die japanische Reispapiertapete an den Seitenwänden und die breiten Sofas aus dunklem Rindsleder noch verstärkt. Ein kleiner Fernseher lieferte Bilder eines russischen Senders. Der Ton war allerdings abgedreht.
Die beiden Leibwächter wiesen sie auf den kleinen Kühlschrank vorne links hin und baten die Lederers, sich nach Belieben mit Getränken zu versorgen.
Alabima und Chufu saßen nebeneinander auf einer Lederbank und schienen durch die Anwesenheit der Zwillinge ein wenig gehemmt. So schwiegen sie auf der Fahrt durch die Stadt mehrheitlich, tauschten Worte höchstens flüsternd miteinander aus, schauten aber interessiert durch die Scheiben nach draußen, erst mit freudiger Erwartung auf die ihnen unbekannte Metropole an der Moskwa, wenig später jedoch bereits mit einiger Enttäuschung in ihren Gesichtern. Die russische Hauptstadt bot wohl doch weniger Ungewöhnliches als sie erwartet hatten.
Vor der Geburt von Alina waren sie einige Male zu dritt in den großen Städten Europas unterwegs gewesen, so dass sich beide längst an moderne Steinwüsten gewöhnt hatten. Und Moskau bildete leider keine Ausnahme, selbst wenn die Kirchen mit ihren Zwiebeltürmen immer wieder für exotische Farbtupfer sorgten.
Der Himmel war mit einem grauen Wolkenschleier bedeckt und es hatte wohl vor kurzem noch geregnet. Kein schöner Ausblick für ihren Urlaub. Doch der Wetterbericht sah für die nächsten Tage Besserung vor, wie Chufu schon zu Hause über das Internet abgeklärt und ihnen mitgeteilt hatte.
Jules plauderte derweil mit ihren beiden Begleitern. Sie erzählten ihm bereitwillig, dass sie ehemalige SpezNas Agenten seien und seit zwei Jahren für die Sokolows arbeiteten. Dieser Umstand verriet Jules, wie hoch der Milliardär in der Gunst von Putin stehen musste. Männer dieser Sondereinheit waren normalerweise ihr Leben lang dem russischen Staat verpflichtet und konnten nicht einfach kündigen und in der Privatwirtschaft eine Tätigkeit aufnehmen.
»Armesyskiy SpezNas?«, fragte Jules geradeheraus, denn er wollte wissen, ob die beiden Begleiter in erster Linie militärisch oder nachrichtendienstlich ausgebildet waren.
»Smarsunsk«, antwortete Aleksej, den Jules als den abgeklärteren und darum wohl auch älteren der beiden empfand. Wie bei vielen eineiigen Zwillingen hatte sich die Reihenfolge ihrer Geburt in ihre Gesichter und in ihr Verhalten geprägt. Aufgrund der Antwort von Aleksej wusste Jules nun auch, dass sie als Angehörige des Armeeteils der SpezNas schwergewichtig in der Terrorbekämpfung ausgebildet wurden. Sie wirkten also nicht nur wie harte Brocken, sie waren es ganz bestimmt auch.
Die beiden Leibwächter tauten aufgrund seines flüssigen Russisch mehr und mehr auf und der Jüngere fragte ihn, nach einem Seitenblick auf seinen älteren Bruder, der um Einwilligung bat: »Dürfen wir wissen, woher Sie Wladimir Michajlowitsch Sokolow kennen?«
»Aber natürlich. Das ist kein Geheimnis. Ich habe für Ihren Arbeitgeber vor etwa zehn Jahren ein delikates Problem übernommen und zu seiner Zufriedenheit gelöst. Seither sind wir befreundet.«
»Vor zehn Jahren?«
Die beiden dachten kurz nach und versuchten sich an Ereignisse zu erinnern, die sie mit den Sokolows in Verbindung bringen konnten und so weit zurücklagen.
»Hatten Sie vielleicht mit den Gebrüdern Koshia zu tun?«, fragte dann der ältere der beiden vorsichtig.
»Ja«, antwortete Jules knapp, wollte nicht mehr dazu sagen. Die beiden Russen nickten anerkennend. Sie hatten von älteren Kameraden schon während ihrer SpezNas Ausbildung von der Vernichtung der Koshia Bande gehört und hatten nun Jules als den Drahtzieher hinter dieser Problemlösung kennengelernt. Dass er in ihrer Achtung weiter gestiegen war und sie darum noch etwas mehr Vertrauen zu ihm fassten, merkte Jules vor allem an ihrer wachsenden Bereitschaft, auf seine Fragen direkt und ohne nachzudenken zu antworten.
»Ja, wir leben auf dem Anwesen der Sokolows.«
»Wir sind insgesamt sechzehn Bewacher.«
»Rund um die Uhr in drei Schichten von acht Stunden mit jeweils vier Mann.«
»Vier bis acht Männer stehen für die Familienmitglieder ständig zur Verfügung.«
Alexandr war tatsächlich der Zweitgeborene, wie die beiden versicherten, genau eine Viertelstunde jünger als sein Bruder Aleksej. Sie waren im Waisenhaus aufgewachsen, wo sie von ihren Eltern einige Wochen nach ihrer Geburt anonym abgegeben worden waren. Ihren Vaternamen Barissawitsch hatten sie vom Direktor des Waisenhauses übernommen. Und ihr Nachname Dnjepr entstammte einem Geographiebuch, das sie dort seit Jahren für die Namensgebung anonymer Waisenkinder verwendeten.
Vielleicht lag es an ihrer nicht leichten Kindheit im Heim, dass sie auch heute noch, als erwachsene Männer, einen äußerst engen Zusammenhalt pflegten und sich gegenseitig ohne Worte verstanden. Wenn Jules den jüngeren Alexandr etwas fragte, blickte dieser meist kurz in Aleksejs Gesicht und holte sich dort das Einverständnis für die Antwort ab. Jules beobachtete dabei mehr als einmal die Mimik von Aleksej während ihrer stummen Zwiesprache, konnte jedoch keinerlei Regung im Gesicht des Älteren entdecken. Es schien, als verständigten sich die Brüder mittels Telepathie. Umgekehrt passierte diese Rücksprache allerdings nicht. Aleksej holte kein Einverständnis bei seinem jüngeren Bruder ein und Jules war damit klar geworden, dass der Ältere und irgendwie besonnener wirkende Aleksej auch der Anführer in ihrem Zweimann-Team war.
Sie hatten die Vororte von Moskau längst verlassen und fuhren seit einiger Zeit durch endlos scheinende Birkenwälder, die rasch zu einer ausgeprägten Langeweile bei Alabima und Chufu führten. Erst gähnt Chufu herzhaft, dann schloss sich Alabima etwas diskreter an. Die beiden blickten sich daraufhin lächelnd und sich gegenseitig entschuldigend an. Zeit für eine kleine Lektion in russischen Umgangsformen, dachte sich Jules.
»Übrigens, auf was ich euch noch vorbereiten muss, sind die gebräuchlichen Anreden hier in Russland. Solange ihr unsere Gastgeber nicht besonders gut kennt, beziehungsweise die beiden euch nichts anderes anbieten, heißen die Sokolows für euch beide Wladimir Michajlowitsch und Irina Pitrowna. Ihr solltet euch diese Namen einprägen und sie aus Höflichkeit immer vollständig nennen, wenn ihr sie ansprecht. Euch beide werde ich wiederum als Alabima Effrediwitsch Lederer und Chufu Julesiwitsch Lederer vorstellen.«
»Das nenn ich ein wirklich verschärftes Ferienprogramm«, meinte Chufu achselzuckend, »ist das alles, was wir wissen müssen? Wladimir Michajlowitsch und Irina Pitrowna?«
»Nein, nicht ganz. Da ich die beiden sehr gut kenne, verwenden wir untereinander die Kurzform unserer Vornamen. Wladimir ist für mich darum Wolodja, Irina heißt Ira und ich bin für die beiden Julja.«
»Das wird ja immer schlimmer«, stöhnte Chufu auf und rieb sich seine Nase, die über die russischen Verniedlichungsformen wohl zu kitzeln begonnen hatte, »kein Wunder ging die Sowjetunion unter.«
Ein Seitenblick auf die beiden Leibwächter zeigte Jules, dass die Zwillinge über Chufus flapsige Worte in keiner Weise beleidigt waren, sondern weiterhin freundlich und interessiert lächelten.
»Wladimir Michajlowitsch und Irina Pitrowna«, wiederholte Jules sicherheitshalber und sah, wie Alabima und Chufu die Namen im Geiste noch einmal aufsagten, um sie sich zu merken.
»Und wie lautet die russische Kurzform von Alabima und mir?«, fragte Chufu neugierig.
Jules sah Aleksej auffordernd an. Der antwortete erst mit einem Schulterzucken und meinte dann: »Labi und Chufu wohl. Was schon kurz ist, kann man nicht weiter abkürzen.«
»He, ich bin eins fünfundsiebzig«, meckerte Chufu sofort los, »das kann man wohl kaum als kurz geraten bezeichnen?«, worauf alle fünf herzlich lachten.
»Labi und Julja«, ergänzte Chufu dann grinsend, »wer von den beiden hat wohl die Hosen in dieser Ehe an? Also ich tippe auf Labi, das tönt wesentlich männlicher.«
Alabima unterdrückte ihren Lacher so gut sie konnte, während Jules nur den Kopf gespielt verständnislos schüttelte. Die beiden Leibwächter sahen sich allerdings völlig neutral an. Sie hatten Chufus Witz nicht wirklich verstanden, wohl weil Julja in ihren Ohren alles anderes als weiblich klang.
»Unsere Tochter heißt Alina«, meinte Alabima nun und wandte sich damit das erste Mal direkt an die Zwillinge. Sie schien gegenüber ihren russischen Begleitern ihre Zurückhaltung langsam abzulegen. Das kleine Mädchen saß auf ihrem Schoss und hatte die beiden fremden Männer die ganze Zeit über nachdenklich, aber interessiert angeblickt. Die Augen der beiden Leibwächter hatten bei der Namensnennung kurz aufgeblitzt, so als wenn sie eine Erklärung von Alabima erhalten hätten. Dann nickte der jüngere Alexandr und meinte: »Ein sehr treffender Name, wenn ich das sagen darf.«
»Warum denn?«, fragte Alabima überrascht und interessiert zurück.
»Alina ist hier in Russland die Kurzform von Albina und Albina steht für edel.«
Alabima zeigte offene Überraschung wandte sich an Jules: »Hast du das gewusst, als wir den Namen für Alina ausgesucht haben?«
»Ehrlich gesagt, nein, mein Schatz. Alles weiß selbst ich nicht.«
Der Zil fuhr durch eine langgezogene Rechtskurve und über eine weite Waldlichtung, passierte dabei ein großes, schmiedeeisernes Tor. Links und rechts führten hohe Maschendrahtzäune in den Wald hinein. Tor und Zaun wirkte einsam und völlig unpassend mitten in der Natur. Sie waren schon eine geraume Zeit lang an keinem Haus mehr vorbeigekommen und auch jetzt waren ringsum nur Bäume und Grasflächen zu sehen. Die Torflügel hatten weit offen gestanden, begannen sich nach ihrer Durchfahrt jedoch sogleich zu schließen, wie sie durch das Rückfenster erkannten. Alabima und Chufu blickten Jules fragend an.
»Es scheint, dass wir nun auf dem Gelände der Datscha angekommen sind. Doch das Hauptgebäude liegt sicher noch drei, vier Kilometer voraus«, und zu den beiden Leibwächtern gewandt, »als ich vor einigen Jahren das letzte Mal hier war, lag das Tor mindestens zwei Kilometer näher am Haupthaus. Hat Wladimir Michajlowitsch noch etwas Land dazu gekauft?«
»Ja, vor einem Jahr«, antwortete Aleksej auf Englisch, da Jules ihn auch in dieser Sprache gefragt hatte, damit Alabima und Chufu sie verstanden.
»Und wie groß ist das Grundstück nun insgesamt?«
»Etwa zweitausend Quadratkilometer.«
Alabima schaute Jules äußerst überrascht an, während Chufu kopfschüttelnd meinte: »Das Stückchen Land ist ja dreimal so groß wie der Genfersee.«
»Waldflächen kosteten vor ein paar Jahren hier in Russland bloß zweihundert Franken pro Hektar. Für die zweitausend Quadratkilometer haben die Sokolows also wie viel bezahlt, Chufu?«
»Dreisatz ist Stoff für Drittklässler, du Witzbold«, maulte dieser verächtlich los, dachte dann aber doch ein paar Sekunden lang nach, bevor er antwortete, »vierzig Millionen Schweizer Franken oder achtunddreißig Millionen Dollar, vierundzwanzig Millionen Euro, zwanzig Millionen Pfund oder vier Milliarden Yen. Sonst noch eine Frage, großer?«
Alabima sah ihren Adoptivsohn voller Stolz an. Sie hatte den Jungen nach ihrem Kennenlernen in Hara ebenso rasch wie Jules ins Herz geschlossen. Später, nach ihrer Hochzeit mit dem Schweizer, war es für sie beide keine Frage gewesen, Chufu zu adoptieren. Und auch wenn sie für den Jungen eher ältere Schwester als Mutter darstellte, so hatten sich in ihr gerade nach der Geburt der kleinen Alina recht ähnliche Gefühle für beide Kinder entwickelt.
»Und wie steht’s derzeit mit deinem Wertschriftendepot, du Mathematikgenie?«, fragte Jules kämpferisch zurück. Er liebte die verbalen Auseinandersetzungen mit seinem fast schon erwachsenen Sohn über alles.
»Siebzehn Prozent Rendite, aufs Jahr hochgerechnet. Doch von den Finanzwerten werde ich mich bis September noch trennen. Die kann man später bestimmt günstiger zurückkaufen. Ich will im Winter oder Frühjahr vor allem schwergewichtig bei den großen Versicherungen einsteigen. Die haben heute schon stark unter der Angst der Anleger gelitten. Doch die Kurse werden noch weiter einbrechen. Zürich gefällt mir gut und auch Swiss Re. Das ist die Gesellschaft, bei der Warren Buffet letzten Winter mit drei Prozent eingestiegen ist. Doch Buffet hat im Schnitt über fünfundsiebzig Franken pro Aktie bezahlt und sie steht derzeit auf fünfundsechzig. Aber ich sag dir, ich werde im nächsten Jahr bestimmt für unter vierzig kaufen können«, war seine gespielt abschätzig ausgesprochene Antwort.
Alabima und Jules hatten Chufu schon vor einem Jahr ein Bankkonto mit Depot eingerichtet, die er beide elektronisch über das Internet selbstständig verwalten durfte. Er sollte sein erwachtes Interesse an wirtschaftlichen Zusammenhängen im Mikrokosmos der Börsen selbst vertiefen können. Nach ein paar anfänglich wilden Fehlspekulationen hatte Chufu rasch begonnen, auf Jules Ratschläge mehr zu hören und bewusst auf eine Finanzkrise, ausgehend vom amerikanischen Immobilienmarkt, zu setzen. Er war gegenüber einigen US-Finanztiteln short gegangen und konnte auf diese Weise seine anfänglichen Verluste rasch wieder wettmachen. Ende des letzten Jahres hatte er sein Kapital bereits verdoppelt. Seither glaubte Chufu, längst alles über die Spielarten auf den Finanzmärkten zu wissen und später als erfolgreicher Investor sein Geld problemlos verdienen zu können. Dass die Bäume aber nicht in den Himmel wuchsen, würde der Junge früher oder später bestimmt noch erfahren, da waren sich Jules und Alabima gewiss. Doch seinem Selbstbewusstsein hatten diese ersten Erfolge offensichtlich gutgetan.
Jules wandte sich auf Russisch an die Zwillinge: »Wenn ihr jemals einen Tipp braucht, wie ihr euer sauer verdientes Geld am schnellsten wieder verlieren könnt, müsst ihr bloß meinen Sohn fragen.«
Die beiden lachten auf, worauf Chufu alle drei Männer misstrauisch betrachtete.
»Was hast du den beiden erzählt?«
»bloß, dass du das Finanzgenie in der Familie bist.«
»Das glaub ich dir nicht. Du hast dich bestimmt einmal mehr einmal lustig über mich gemacht.«
»Wie kommst du denn auf so was?«, meinte Jules im Brustton der bewusst falschen Überzeugung, um seinen Sohn weiter zu necken.
»Du bist doch nur neidisch, weil du letztes Jahr eine so miese Performance auf deinen Geldanlagen erzielt hast«, kam seine Antwort wie aus der Pistole geschossen, »erst hast du mich über die kommende Immobilienkrise aufgeklärt und danach hast du bloß ängstlich gezaudert und nichts unternommen.«
Jules setzte schon zu einer heftigen Rechtfertigung an, doch da mischte sich Alabima vehement ein: »Hört endlich mit eurer ewigen Streiterei auf, ihr Kindsköpfe. Ihr seid hier nicht auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten. Du, Chufu, nimmst mir jetzt erst einmal Alina ab. Und du, Jules, nimmst mich dafür in den Arm und gibst mir einen Kuss.«
Aleksej und Alexandr schauten belustigt zu, wie sich die eher zierliche Frau gegen ihre beiden Männer behauptete, wandten ihren Blick dann aber diskret aus dem Seitenfenster, als sich die beiden einen langen Zungenkuss gaben. Alina spielte derweil mit Chufus Nase, zupfte mit ihren Patschhändchen daran und brachte ihren Bruder zum Strahlen.
*
Die Datscha der Sokolows bestand aus einem dreistöckigen Hauptgebäude, das man nur als Palast bezeichnen konnte, mit einem weiten, freien Platz davor, der von Blumenrabatten umsäumt war. Links davon befanden sich offensichtlich Stallungen, rechts waren die Unterkünfte der Bediensteten zu erkennen. Um die Gebäude herum lag eine großzügige Parkanlage, die von drei Seiten von Wäldern eingeschlossen war. Das gesamte Anwesen breitete sich auf einer flachen Hügelkuppe aus und man hatte von hier in Richtung Westen einen weiten, freien Blick über Wiesen und Sümpfe. Die Sonnenuntergänge waren bestimmt bezaubernd anzusehen.
Die Gebäude schienen keine elektronische Überwachung zu besitzen. Jedenfalls konnte man keine Kameras entdecken. Das lag wohl daran, dass der Komplex in einem weiten Umkreis abgesichert wurde. Aufdringliche Kameras nahe beim Haus erübrigten sich darum. Ihre Fahrt nach der Torpassage bis zur Datscha war jedenfalls mit Sicherheit lückenlos verfolgt worden. Denn Irina und Wladimir Sokolow traten bei ihrer Ankunft aus der Eingangspforte des Haupthauses und kamen die breite Marmortreppe herunter, noch bevor ihr Wagen angehalten hatte.
»Dabro pashalawat, was für eine Freude.«
Die Begrüßung Wladimirs konnte kaum herzlicher ausfallen. Er war immer noch ein drahtiger, wenn auch bloß mittelgroßer, dafür aber gut proportionierter Mann. Sein grauer, sorgfältig gestutzter Bart gab ihm etwas Vornehmes, was durch den sportlichen Jagdrock und die schwarzen Lederstiefel noch betont wurde, die er an diesem Nachmittag trug.
»Bitte verzeiht, dass ich euch so formlos empfange. Ich habe vorhin im Park noch ein paar Rebhühner geschossen, für das Dinner zu euren Ehren morgen Abend.«
»Hallo Wolodja«, begrüßte ihn Jules herzlich, »was für eine Freude dich gesund und so munter wiederzusehen. Es scheint, als würden die Jahre spurlos an dir vorüberziehen. Darf ich dir meine Frau Alabima Effrediwitsch vorstellen? Labi, das ist Wladimir Michajlowitsch Sokolow.«
»Enchantée, Madame«, wurde Alabima vom Oligarchen begrüßt. Dabei umfasste er sanft und formvollendet ihre Fingerspitzen, führte ihre Hand mit elegantem Schwung zu seinem Gesicht hoch und deutete einen Kuss auf ihrem Handrücken an, hielt dabei perfekt den geforderten Abstand von zehn Zentimetern zwischen seinen Lippen und ihrer Haut ein. Gleich danach streichelte er mit dem Zeigefinger sanft über die Wange von Alina und flüsterte ein zärtliches »Ja, und wen haben wir denn da? Eine kleine Prinzessin?«
Alina sah den fremden Mann erst ein wenig verunsichert und mit gerunzelter Stirn an, begann dann aber plötzlich zu strahlen, so als wenn sie im Gesicht des Russen etwas besonders Erfreuliches entdeckt hätte.
In der Zwischenzeit wurde Jules von Irina Sokolow in Beschlag genommen. Sie drückte ihn herzlich und küsste seine Wangen, ließ sich von ihm umarmen.
»Du hast uns viel zu lange mit deinem Besuch warten lassen, Julja. Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen? Das war doch in Paris, vor zwei Jahren? Oder sind es schon drei her?«
»Ach, meine liebe Ira, auf jeden Fall zu lange. Doch du weißt selbst, wie die Zeit einem durch die Finger rinnt. Aber nun sind wir ja hier bei Euch und bleiben auch zwei Wochen, versprochen. Und das hier«, und damit wandte er sich an beide Sokolows, »ist unser Sohn Chufu Julesiwitsch.«
Etwas scheu reichte der Junge dem russischen Oligarchen die Hand, wurde von ihm aber gleich mit feuchten Küssen links, rechts und wieder links auf den Wangen bedacht, abgeschlossen durch einen festen, überaus herzlichen Schlag auf die linke Schulter. Dann meinte der russische Milliardär äußerst leutselig: »Was soll denn die Förmlichkeit? Nennt mich bitte beide Wolodja und meine Frau Ira. Und ich darf sicher Labi und Chufu sagen, ja?«
Die beiden nickten freudig und Chufu meinte keck: »Aber gerne, Wolodja. Ich hatte schon Angst, ich müsste mir hier in Russland dauernd die Zunge bei all den langen Namen brechen.«
Bevor Wladimir etwas erwidern konnte, wurde Chufu von Irina an ihren großen Busen gezogen und überschwänglich umarmt, wobei Alabima, Jules und Wladimir amüsiert und lächelnd zusahen. Es war offensichtlich, wie überfordert sich der junge Philippine durch die stürmische Begrüßung der Frau fühlte. Zu komisch sah sein völlig erstarrter Körper mit den großen, erschrockenen Augen in den kräftigen Armen der Russin aus.
Alina im Brustbeutel von Alabima machte sich mit einem Nieser bemerkbar und Irina schlug sofort begeistert ihre Hände zusammen und stürzte zu ihr hin, lachte sie an und rieb die Nase an der ihren.
»Oh, was bist du doch für eine niedliche Malyschka. Du musst doch von der langen Reise schrecklich müde sein, oder?«
»Gehen wir erst einmal ins Haus und trinken zusammen Tee«, schlug Wladimir vor und zu Jules gewandt, »ihr wohnt im Meridien, hast du uns geschrieben?«
»Ja, wir haben dort eine Suite reserviert. Alabima und Chufu wollen natürlich Moskau ausgiebig erforschen. Wir möchten euch hier auch auf keinen Fall zur Last fallen.«
»Nonsens, Julja. Du weißt genau, dass wir hier über genügend Gästezimmer verfügen. Doch ich kann verstehen, dass ihr unabhängig von uns sein wollt und euer Quartier darum lieber in der Stadt aufschlagt. Kein Problem für uns. Ihr könntet dort aber auch in eine unserer Wohnungen einziehen, wenn ihr das wollt. Aber das Meridien ist vielleicht doch komfortabler für euch. Übrigens, wie haben sich Aleksej und Alexandr euch gegenüber benommen?«
Die beiden Leibwächter waren etwas abseits stehen geblieben und kontrollierten mit wachen Blicken routinemäßig die Umgebung der Datscha. Sie warteten geduldig auf die weiteren Befehle ihres Dienstherrn.
»Perfekt, Wolodja. Du hast sie gut ausgesucht.«
»Ja? Das freut mich. Ich habe aber auch nichts anderes von den beiden erwartet. Ist es für dich okay, wenn sie euch weiterhin begleiten, während ihr in Moskau seid? Nur zu eurer Sicherheit, vor Taschendieben und so, meine ich.«
Jules musste schmunzeln: »Das ist sehr nett von dir.«
»Jetzt kommt aber endlich ins Haus. Hier draußen ist es doch viel zu feucht für die Kleine«, mischte sich Irina ein, fasste Alabima mit der einen Hand am Ellbogen, kitzelte Alina gleichzeitig mit der anderen am Kinn und schob beide mit sanfter Gewalt die Treppe hoch. Die drei Männer schlossen sich den Frauen an.
*
Die russische Teezeremonie unterschied sich in vielen Bereichen von der englischen. Statt Tassen verwendete man in Russland Gläser mit Metallfuß. Die zentrale Rolle spielte jedoch der Samowar, ein großer, oft reich verzierter silberner Kessel. Das Wasser darin wurde mit glühenden Kohlestücken stundenlang heiß gehalten. Darum summte der Samowar leise vor sich hin, was allein schon eine gemütliche Stimmung verbreitete. Oben auf dem Kessel mit dem heißen Wasser stand eine Kanne mit dem sehr kräftig aufgebrühten Tee. Man goss sich etwas von diesem Extrakt in sein Glas und verdünnte ihn anschließend mit dem heißen Wasser aus dem Kessel. Den Tee süßte man nicht etwa mit Zucker und man milderte seine Schärfe auch nicht mit einem Tropfen Milch wie in England. Stattdessen nahm man ein Löffelchen Warenjie in den Mund, süße, eingekochte Früchte. Den Tee ließ man langsam über das Obstkompott fließen, so dass sie sich miteinander vermischten.
Irina eröffnete die Tafel mit einem herzlichen »Prijatnogo appetita!«, in das sie alle bis auf die kleine Alina einstimmten. Die Kleine lag mehr, als dass sie saß zwischen den Oberschenkeln von Irina, hatte ihren Kopf gegen den Bauch der Russin gelehnt, fühlte sich äußerst wohlig und beschützt, blickte leicht träge umher und döste immer wieder mit halb geschlossenen Augen ein.
Chufu verschluckte sich prompt bei seinem ersten Versuch, Warenjie mit Tee in seinem Mund zu vermengen. Er hustete ihnen etwas vor, während der Tee aus seiner Nase spritze. Die anderen lachten herzlich über das kleine Missgeschick, während der Junge halb blind nach der Serviette griff. Jules, Wladimir und Irina schauten derweil neugierig auf Alabima, dem zweiten Neuling in Sachen russisches Teezeremoniell. Doch die Äthiopierin wich dem offensichtlichen Risiko souverän aus und trank ihren Tee ungesüßt, blickte Jules dabei triumphierend lächelnd an.
»Willst du nicht etwas von der köstlichen Warenjie probieren, mein Schatz?«, neckte dieser sie prompt, worauf ihn seine Gattin überlegen anlächelte und meinte: »Bin ich dir denn immer noch nicht süß genug, mein Liebling?«, worauf die Sokolows über ihre Schlagfertigkeit herzlich lachten.
Zum kräftigen Tee wurden ihnen von zwei livrierten Bediensteten Platten mit deftigen Speisen gereicht. Kohlkuchen, Blini mit Kaviar, eingelegte Heringe, Räucherfisch und dazu Butter und Sauerrahm. Später folgten köstliche Piroshki, Früchtebrotscheiben, Mandelringe und ein Streuselkuchen.
Sie tranken Tee, genossen die reichhaltige Tafel und führten kreuz und quer anregende Gespräche, redeten natürlich auch über das Kennenlernen von Jules, Alabima und Chufu in Äthiopien und ihr heutiges Leben in der Schweiz. Etwas später kam auch die politische und wirtschaftliche Entwicklung in Russland und der Welt zur Sprache.
»Was haltet ihr eigentlich von unserem neuen Präsidenten?«, fragte Irina irgendwann und die Neugierde über die Antwort stand ihr ins Gesicht geschrieben. Jules blickte Alabima und Chufu an, doch die beiden überließen ihm gerne das Antworten.
»Wir im Westen haben Mühe, Dmitri Anatoljewitsch Medwedew wirklich einzuschätzen. Viele glauben, er sei bloß eine Marionette von Wladimir Wladimirowitsch Putin. Sie empfinden Medwedew als eine Art von Statthalter, der den Platz für vier Jahre freihält, bis Putin sich erneut zum Präsidenten wählen lassen kann. Auch denken die meisten, Putin sei weiterhin die alleinige bestimmende Kraft in Russland, auch wenn Medwedew ihn an Befugnissen theoretisch übertrifft.«
»Und was denkst du persönlich, Julja?«, warf Wladimir interessiert ein.
»Was ich denke? Nun, wer es an die Spitze einer so großen Nation wie Russland schafft, der ist niemals bloß die Marionette eines anderen. Nur ein richtiger Macher, ein Mensch, der sich auch rücksichtslos gegen Widerstände durchzusetzen vermag, ein Planer und Stratege, kann eine solche Position erlangen. Es steht für mich außer Zweifel, dass uns Dmitri Anatoljewitsch Medwedew in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten noch beweisen wird, dass er auch ohne den Segen von Wladimir Wladimirowitsch Putin denken und handeln kann.«
Jules hatte bewusst die höflichste Anredeform für die beiden mächtigsten Männer Russlands verwendet, denn er wollte das Oligarchen-Paar, deren aktuelle politische Gesinnung er nicht kannte, auf keinen Fall verärgern. Die beiden nickten ihm jedoch heftig zustimmend zu und Wladimir meinte augenzwinkernd: »Es gibt im Westen wohl doch noch ein paar helle Köpfe, die unsere russische Seele richtig verstehen.«
»Also ich für meinen Teil musste vor allem laut lachen, als ich am Bildschirm den Einzug des alten und des neuen Präsidenten bei der Amtsübergabe im Kreml verfolgt habe«, warf Chufu ein, »zuerst kam Putin in seiner schwarzen Limousine an, stieg aus und ging dann ganz allein und im gewohnt zackigen Schritt, immer schön den rechten Arm etwas stärker schwingend als den linken, durch den Palast und an all den Wachen und später am Publikum vorbei zum Rednerpult. Ein paar Minuten später folgte dann Medwedew. Und der arme Kerl bemühte sich krampfhaft, ebenso zackig zu gehen und seinen rechten Arm bloß ja genügend weit ausholend und energisch zu schlenkern, so wie Putin es vorher tat. Das sah einfach zum Schießen aus. Wären die beiden nebeneinander hergelaufen, hätten sich die Zuschauer bestimmt an Pat und Patachon erinnert und sie beide ausgelacht.«
Jules sah die Sokolows um Verzeihung bittend an. Wie würden die beiden Russen die wenig freundlichen Worte seines Sohnes über die beiden mächtigsten Politiker des Landes aufnehmen?
Irina schmunzelte amüsiert, während Wladimir den jungen Chufu spöttisch anblickte. Der Oligarch wirkte keineswegs erzürnt. Im Gegenteil. Er hatte den amüsierten, spöttischen Gesichtsausdruck eines wirklich Wissenden aufgesetzt, der einen ihm geistig ziemlich unterlegenen Gesprächspartner gleich mit ein paar schlagenden Argumenten zurechtweisen wollte.
»Du irrst dich gewaltig, mein junger Freund Chufu«, warf Wladimir überlegen lächelnd ein, »Pat und Patachon waren zwei Dänische Komiker der Stummfilmzeit, die vor allem darum komisch wirkten, weil sie, wie bei Stan Laurel und Oliver Hardie, körperlich sehr unterschiedlich waren. Pat hieß im dänischen Original Fyrtårnet, was Leuchtturm bedeutet, während der bei uns als Patachon bekannte Komiker eigentlich Bivognen genannt wurde, übersetzt Der Beiwagen. Dmitri Anatoljewitsch Medwedew und Wladimir Wladimirowitsch Putin sind dagegen fast gleich groß und beide sind zudem sportlich und schlank. Dein Vergleich hinkt also gewaltig, mein lieber Junge und ich kann dir nur raten, in Zukunft eine präzisere Bildsprache zu bemühen, wenn du sie schon in ernsthafte Diskussionen einzubinden gedenkst.«
Chufu stand über die langatmige Belehrung kurz der Mund offen und er starrte den Russen auch aus erstaunten Augen an. Die anderen lachten bei diesem Anblick laut los. Jules fasste sich als erster.
»Ach, Wladimir, wie freue ich mich auf die kommenden Tage, während denen du bestimmt noch viele Male Gelegenheit erhältst, meinen vorlauten Sohn in die Schranken zu weisen.«
Chufu hatte die Worte des Oligarchen jedoch bereits verdaut und ging zum Gegenangriff über. Triumphierend lächelnd wandte er sich Jules zu und meinte voller Spott in der Stimme: »Das scheint dir, lieber Herr Vater, wohl nicht mehr allzu oft zu gelingen, wie ich deiner kindlichen Freude über meinen unbedeutenden Faux Pas entnehmen darf?«, worauf sie alle fünf noch einmal herzlich losprusteten.
Alina hob verstört ihr Köpfchen und wandte ihr Gesicht von einem zum anderen, starrte sie entgeistert an, was die fünf zu einem neuerlichen Lachanfall reizte.
»Erzähl uns doch etwas mehr über dich, Labi«, drängte Irina nach, »von Julja wissen wir ja einiges über sein Leben, zumindest, als er noch hier in Russland lebte. Doch du bist für uns immer noch ein fast unbeschriebenes Blatt.«
»Oh, da gibt es nicht allzu viel zu erzählen. Ich bin die älteste von drei Töchtern eines kleinen, äthiopischen Beamten, der beim Finanzamt in Addis Abeba arbeitete, nun aber pensioniert ist. Meine Mutter war Schneiderin, gab ihren Beruf aber nach der Geburt ihres zweiten Kindes auf. Ich hab zudem noch zwei ältere Brüder. Wir Kinder hatten das große Glück, dass mein Vater als Staatsangestellter eine genügend hohe Ausbildungszulage für seine Kinder erhielt. Darum durften wir allesamt studieren. In meinem Fall waren das erst Französisch und Geschichte, später Englisch und Journalismus. Nach meinem Abschluss ging ich in ein kleines Dorf im Osten von Äthiopien gelegen mit Namen Hara. Dort arbeitete ich als Radiomoderatorin. Vor knapp zwei Jahren habe ich dort Jules kennen gelernt. Wir verliebten uns ineinander und … voilà … hier bin ich.«
Sie endete mit einer entschuldigenden Geste ihrer Hände und einem strahlenden Lächeln im Gesicht.
»Und nun bist du nur noch Mutter und Hausfrau?«, hakte Wladimir etwas grob nach, worauf sich Alabimas Wangen leicht röteten, wie Jules trotz ihrer dunklen Hautfarbe erkennen konnte. Sie warf ihrem Gatten einen kurzen Seitenblick zu, der Jules zeigte, wie sehr sie die unhöflich direkte Bemerkung des Russen getroffen hatte.
»Nicht nur«, antwortete sie ihm dann ruhig und in ihre Stimme mischte sich eine Portion Trotz, als sie weitersprach, »ich arbeite für verschiedene äthiopische Zeitungen und veröffentliche auch Artikel in Eritrea und Somalia. Allerdings bekomme ich kein Geld dafür, wenn du das meinst. In meinen Berichten schreibe ich vor allem über äthiopische Flüchtlingsschicksale auf ihrer Reise nach Europa. Und über das gar nicht so großartige Leben eines über viele Monate von der Wohlfahrt abhängigen Afrikaners in der Ersten Welt. Wissen Sie, Wladimir, viele junge Männer glauben, nur im Westen ihr Glück finden zu können und riskieren dafür ihr Leben. Mir geht es vor allem darum, diesen Menschen aufzuzeigen, dass Europa kein Paradies ist, sondern viele Gefahren auf dem Weg dorthin lauern, auch dass sich dort angekommen nur wenige Chancen für einen afrikanischen Flüchtling ergeben, dass man zum Beispiel nur selten eine unbefristete Aufenthaltsbewilligung erhält und man in den allermeisten Fällen nach Jahren wieder zurück in seine Heimat geschafft wird, aber auch, dass es in jedem Fall viele Monate dauert, bis man legal arbeiten und Geld verdienen darf. Ich zeige auf, wie teuer das Leben in der Ersten Welt ist, so teuer, dass man nur wenig Geld von seinem Verdienst nach Hause senden kann, selbst wenn man wie ein Hund lebt. Ich hoffe, dass meine Informationen die Flut von Flüchtlingen aus diesen Ländern ein wenig eindämmen werden, dass ich Illusionen zerstören und aufklären kann. Es sterben ganz einfach zu viele junge und hoffnungsvolle Menschen auf ihrem gefährlichen Weg nach Europa, getrieben durch Armut und ausgenutzt von skrupellosen Geschäftemachern.«
Einen Moment lang schwiegen Irina und Wladimir. Sie schienen angesichts der flammenden Rede von Alabima beeindruckt, mussten das Gesagte erst einmal verdauen. Wladimir räusperte sich: »Ja, wir hier in den zivilisierten Ländern kennen die Flüchtlingsschicksale aus der Dritten Welt eigentlich nur aus der Presse und den wenigen Fernsehreportagen. Lasst uns besser über etwas erfreulichere Dinge reden.«
Alabima sah Jules bei den Worten zivilisierten Ländern irritiert und auch fragend an. Sie war sehr stolz auf ihre äthiopische Heimat und Addis Abeba war eine Großstadt, die mit ihren Leistungen und Möglichkeiten westlichen Städten nur wenig nachstand. Aber auch Irina Sokolow hatte bei den unflätigen Worten ihres Gatten mit keiner Wimper gezuckt, schien sich an der abwertenden Aussage ihres Wladimirs in keiner Weise zu stören. Jules erkannte, wie sich in seiner afrikanischen Lebenspartnerin ein Sturm verständlicher Entrüstung aufzubauen begann. Dieser würde sich bestimmt bald einmal Luft verschaffen müssen und wahrscheinlich zu einer heftig geführten und bestimmt auch hässlichen Diskussion über den Begriff Zivilisation führen.
Für eine junge und stolze Äthiopierin waren Begriffe wie Familie, Freundschaft, Zusammenhalt und Achtung der Älteren keine leeren Worthülsen, sondern Teil ihrer gelebten Kultur und ihrer Zivilisation. Im reichen Westen hatte Alabima dagegen mehr als einmal erleben müssen, wie wenig diese wichtigen Bereiche einer menschlichen Gesellschaft noch galten, wie dekadent viele Teile des Systems längst waren. Aber noch bevor Alabima aufbrausen konnte, warf Jules rasch ein: »Ja, Wolodja und Ira, wir hier in der Ersten Welt verdrängen meist die wenig schönen Realitäten dieser Erde. Oft sehen wir auch auf Menschen herunter, nur weil wir ihre reiche Kultur zu wenig kennen und verstehen. Wusstet ihr, dass die Mehrzahl der Äthiopier Christen sind? Und dies seit über eintausend vierhundert Jahren. Als sich das Christentum in Nordeuropa und Russland langsam auszubreiten begann, gab es in Äthiopien bereits dreihundert Jahre lang Bischöfe und eine große Anzahl von Klöstern. In Äthiopien wird ein orthodoxes Christentum gelebt, ähnlich dem griechischen oder russischen, also mit strengerer Auslegung der Heiligen Schrift als das katholische oder protestantische. Äthiopien ist auch das einzige Land in Afrika, das nie unter dem Protektionismus des Westens stand oder gar Kolonie war. Der Freiheitsgeist dieses Volkes war schon immer stärker als alle Aggressionen durch Invasoren, ob es sich um Türken, Engländer, oder Italiener handelte. Gleichzeitig pflegen die Menschen dort sehr innige Familienbande und unterstützen sich gegenseitig, wo immer Bedarf besteht. Auch die Gastfreundschaft wird in Äthiopien so hoch wie in Russland gehalten.«
Jules sah, wie es in Wladimir arbeitete. Dann hatte der Oligarch verstanden.
»Bitte entschuldige, Labi, ich wollte dich mit meinen Worten nicht beleidigen oder verletzen. Ich bin manchmal ein alter Narr und setze unsere technische Überlegenheit mit Zivilisation gleich. Aber natürlich geht Zivilisation weit über den Kulturbegriff der Wissenschaft und der Technik hinaus. Bitte sehe mir meine unbedachten Worte nach.«
Alabima blickte ihn verunsichert an, konnte sein rasches und so glattes Einlenken nicht wirklich beurteilen, nickte ihm dann aber versöhnlich zu: »Ist schon gut, Wolodja, never mind«, und sie reichte dem Russen zur Bestätigung ihrer Worte die Hand über den Tisch, die er kurz drückte.
Nach dem beinahe entflammten Disput plauderten sie eine Weile lang über die bevorstehenden olympischen Spiele in China. Dabei vermieden sie jede politische Aussage, beschränkten sich auf Vermutungen über die möglichen Sieger und welche Nation wohl am meisten Medaillen sammeln könnte und in welchen Disziplinen. Irgendwann lehnte sich Alabima im Sofa entspannt zurück und warf ein zufriedenes »bestimmt hat auch der Zar nie besser gespeist als wir heute« in die Runde. Sie knabberte gerade an einem der köstlichen Mandelringe. Diese wiesen leichte Noten von Thymian und Pfeffer auf, die ihnen einen überaus erfrischenden und gleichzeitig exotischen Geschmack verliehen.
Wladimir blickte die Äthiopierin erst mit freundlichem Wohlwollen an, doch sein Blick verfinsterte sich auf einmal zusehends. Hatte sie irgendetwas Falsches gesagt?, fragte sie sich angesichts seiner so rasch wechselnden Stimmung. Nein, der Oligarch schien eher in sich hinein zu horchen. Dann räusperte er sich dann.
»Ja, das mag wohl stimmen, Labi. Doch leider verschwindet unser russisches Kulturgut immer mehr. Die Jungen schauen sich bloß noch die schlechten amerikanischen Filme an und gehen zu McDonalds und zu Pizza Hut essen, zwei der wohl größten Geißeln der Menschheit, die der kommerzielle Westen zum Schaden der gesamten Welt erfunden hat und immer weiterverbreitet. Fast Food. Igitt.«
Irina mischte sich beschwichtigend ein: »Ach, Walodin’ka, wir leben nun mal in modernen Zeiten. Dagegen kann man nichts tun. Die Welt verändert sich ständig und wird dabei immer verrückter. Das lässt sich nicht umkehren, selbst wenn es uns Alten nicht in den Kram passt. Die Jungen haben doch schon immer nur das gemacht, was sie wollten, auch schon zu unserer Zeit. Aber nun genug davon. Mich interessiert viel mehr, was wollt ihr euch Morgen in Moskau eigentlich ansehen?«
Wladimir blickte seine Frau einen Moment lang verständnislos an, schien protestieren zu wollen. Dann wandte er sein Gesicht aber doch wortlos wieder den Gästen aus der Schweiz zu. Jules übernahm die Beantwortung von Irinas Frage.
»Als erstes natürlich den Roten Platz, den Kreml, das Lenin-Mausoleum und die Kathedralen. Das Hotel Meridien liegt ja gleich nebenan. Und dann will Chufu ausgiebig Metro fahren. Er hat viel über euer perfektes Verkehrssystem gelesen und kann es kaum erwarten, es auch zu testen. Er hat sich sogar verschiedene Routen herausgeschrieben, die wir allesamt abfahren müssen. Das wird eine regelrechte Schnitzeljagd nach dem Motto Moskau unter Tag. Ich freu mich schon riesig darauf«, meinte Jules leicht säuerlich und tippte seinem Sohn mit der Faust freundschaftlich gegen die Schulter, bevor er fortfuhr, »Labi und Alina haben sich für diesen Trip natürlich bereits abgemeldet und überlassen mir das alleinige Vergnügen. Die beiden Frauen werden sich in der Zeit im Beauty Salon des Hotels verwöhnen lassen. Was wir am späteren Nachmittag unternehmen, steht noch nicht fest. Vielleicht gehen wir in den Zoo spazieren. Ich muss Labi nämlich unbedingt ein paar lebendige und quirlige Nerze und Zobel zeigen. Sonst nervt sie mich noch ewig mit dem Wunsch nach einem Pelzmantel aus dem Fell dieser niedlichen Raubtiere.«
Der auflodernd wütende Blick seiner Ehefrau stellte ihn vor den Sokolows augenblicklich als Lügner bloß. Er hatte mit der Erwähnung eines Pelzmantels wohl einen wunden Punkt bei seiner Frau angesprochen zu haben.
»Stimmt doch alles gar nicht, du Dummschwätzer«, lautete ihre Klarstellung, »du weißt genau, dass ich keinen Nerz oder Zobel oder sonst einen Fellmantel haben will.«
»Aber warum denn nicht, meine Liebe?«, mischte sich da Irina lebhaft ein, »komm, ich zeig dir ein paar von meinen. Eine hübsche Frau wie du muss unbedingt auch Pelz tragen. Aber vielleicht eher einen Silberfuchs und keinen Zobel, etwas Modernes, mit dem gewissen Flair.«
Sie hob die eingeschlafene Alina sanft von ihren Schenkeln hoch und legte sie vorsichtig zwischen sich und ihren Mann auf dem Sofa ab, stand dann auf, packte Alabima am Arm und zog sie mit sanfter Gewalt hoch, »Walodin’ka, pass du bitte auf Alina auf. Und du, Labi, kommst jetzt erst einmal mit mir.«
Alabima warf den Männern noch einen halb verzweifelten, halb belustigten Blick zu, bevor sie von Irina auf den Flur und von dort in Richtung Treppe geführt wurde.
»Aber ihr kommt doch morgen Abend zum Essen hierher, Julja?«, warf Wladimir besorgt ein.
»Selbstverständlich nehmen wir eure Einladung gerne an. Ihr macht euch aber hoffentlich keine Umstände wegen uns?«
»Nein, nein. Wir werden im engsten Familienkreis sein. Nur unsere Kinder mit ihren Ehepartnern, dazu vielleicht ein paar Geschäftsfreunde, die du kennenlernen solltest, wenn du schon mal hier bist. Alles in allem kaum zwanzig Personen.«
»Also richtig intim. Das gefällt mir«, machte sich Chufu einmal mehr etwas deplatziert bemerkbar, was ihren Gastgeber einen Moment lang sichtlich aus dem Konzept brachte. Doch die wiedergewonnene Fröhlichkeit von Wladimir ließ sich auch von der flapsigen Bemerkung des Jungen nicht vertreiben.
»Kommt, schauen wir uns doch die Stallungen an, solange die Frauen mit Mode beschäftigt sind. Ich habe ein paar Neuerwerbungen, die du dir unbedingt anschauen musst, Julja. Erst letzten Monat konnte ich zwei wunderbare Araberhengste ersteigern. Ich bin gespannt auf dein Urteil.«
*
Sie hatten die Sokolows gegen sieben Uhr abends verlassen und waren wie vereinbart von ihren beiden Schatten Aleksej und Alexandr und wiederum im Zil zu ihrem Hotel gebracht worden. Der jüngere Alexandr beaufsichtigte die Hotelangestellten beim Umladen des Gepäcks auf die Rollwagen, vielleicht um sicher zu gehen, dass es vollständig blieb, während Aleksej derweil die Familie zur Rezeption begleitete. Der Leibwächter blieb zwischen Eingang und Empfang stehen, sicherte die Hotelhalle mit kühlem, erfahrenem Blick, wandte sich dann der Treppe und den Liften zu. Chufu beobachtete ihn und überlegte sich, wie ein Bodyguard ein solches Hotelobjekt sicherheitstechnisch ansah. Da Aleksej seinen Bruder draußen beim Personal wusste, konnte von dort keine Gefahr unbemerkt auf sie zukommen. Und da dem Russen wohl keiner der Anwesenden in der Halle verdächtig erschien, blieben nur die wenigen Zugänge als mögliche Gefahrenherde. Chufu fand es ungeheuer spannend, sich in die Gedankenwelt von Aleksej zu versetzen. Unbewusst versuchte er, den Russen zu kopieren, pflanzte sich neben ihm auf und verfolgte das umher eilende Personal und die eintreffenden Gäste auf dieselbe, abschätzende Weise. Als Aleksej dies bemerkte, zeigte sich ein dünnes Lächeln auf seinen Lippen. Ihm gefiel dieser aufgeweckte, manchmal etwas vorlaute asiatische Junge. Jules hatte gerade die Anmeldeformalitäten erledigt und drei Plastikkärtchen zu ihrer Suite erhalten. Er reichte einem der Kofferträger eine hundert Rubel Note und meinte auf Russisch: »Bringen Sie unser Gepäck bitte schon einmal hoch. Wir nehmen zuerst noch eine Erfrischung an der Bar, bevor wir die Suite aufsuchen.«
Dann wandte sich Jules den anderen zu: »Oder wollt Ihr nicht noch in der Hotelbar gemeinsam auf die nächsten Tage anstoßen? Ich denke, wir sollten uns gegenseitig etwas besser kennenlernen. Was meint Ihr?«
Die beiden Leibwächter blickten erst ein wenig irritiert, nickten dann zögernd, während Alabima und Chufu überrascht Jules anstarrten und sich fragten, was er vorhatte. Gemeinsam gingen sie hinüber in die mit dunklem Holz, grünen Ledersofas und gedimmten Messinglampen recht heimelig eingerichtete Bar. Sie setzten sich an einen runden Tisch in einer der Ecken. Alina war auf der Fahrt in die Stadt eingeschlafen. Alabima legte sie neben sich auf das Sofa. Aleksej und Alexandr schienen sich nicht besonders wohl zu fühlen. Als Leibwächter hielten sie gewöhnlich in jeder Hinsicht Abstand zu ihrer Aufgabe. Während sich Alabima beim herbeieilenden Barkeeper einen Tomatensaft bestellte und Chufu ein Lager, entschieden sich die anderen drei anderen für einen Wodka pur.
Während sie auf die Drinks warteten, zählte Jules den Zwillingen auf, was sie von Moskau in den nächsten Tagen alles sehen wollten. Aleksej notierte sich alles in einem Notizbuch, gab auch Ratschläge, was seiner Meinung nach jemand aus dem Westen unbedingt auch noch sehen sollte. In den meisten Fällen stimmte Jules ihm zu.
Als die Getränke serviert waren, wollte Jules die Gelegenheit nutzen und bot den beiden Bodyguards das DU an.
Jules wusste natürlich, dass dies selbst im Russland von heute völlig unüblich war. Zum Dienstpersonal war man noch nicht einmal freundlich. Man bezahlte sie, also hatten sie zu funktionieren. Mehr wurde von beiden Seiten nicht erwartet. Doch Jules wollte ein möglichst enges Band zwischen seiner Familie und den beiden Leibwächtern knüpfen. Sie sollten in ihnen keinen gewöhnlichen Bewachungsjob sehen. Ein gesteigertes Pflichtbewusstsein konnte nie schaden, selbst wenn Jules weiterhin von keiner Gefahr hier in Moskau ausging. Viel wichtiger war ihm jedoch der Gemütszustand von Alabima und von Chufu. Die beiden sollten dank der formlosen Anrede etwas von ihren Hemmungen gegenüber ihren beiden Beschützern ablegen, sie eher als gute Bekannte und nicht als fremde Wächter empfinden.
Schon auf der Fahrt zum Hotel hatte ihn Chufu nämlich gefragt: »Sag mal, Jules. Würden sich die beiden tatsächlich für uns totschießen lassen, wenn es hart auf hart käme?«
Er fragte auf Französisch, damit ihn die Zwillinge nicht verstehen konnten, musterte die Leibwächter dabei aber recht neugierig und abschätzend.
Noch bevor Jules etwas erwidern konnte, antwortete jedoch Aleksej, ebenfalls auf Französisch: »Wenn es nicht anders geht, dann selbstverständlich ja. Denn es ist unser Job für Ihre Sicherheit zu sorgen. Doch das wird wohl kaum notwendig sein. Sie sind hier in Moskau kaum Zielpersonen«, ergänzte er dann lächelnd, während sein jüngerer Bruder dazu ernst nickte.
Chufu war über das mit russischem Akzent gefärbte, sonst aber sehr elegante Französisch des Bodyguards einen Moment lang verblüfft, dann lief er rot an. Wenn er bisher geglaubt hatte, die beiden Leibwächter wären eher stupide, rohe Muskelprotze mit geringer Schulbildung, so war er nun eines Besseren belehrt. Zumindest waren die Zwillinge dreisprachig.
Alabima war über die Frage ihres Sohnes allerdings heftig zusammengezuckt und hatte ihre Stirn krausgezogen. Jules sah ihr an, wie wenig sie von den unsinnigen und trotzdem irgendwie beängstigenden Spekulationen ihres Adoptivsohnes hielt. Darum bekräftige Jules seine frühere Aussage noch einmal: »Natürlich sind wir hier in Russland völlig ungefährdet. Wir sind doch bloß vier harmlose Touristen unter zehntausend anderen, die sich die Stadt und das Umland anschauen. Mehr als ein paar Taschendiebe werden kaum auf uns lauern.«
Die Drinks wurden serviert und Jules übernahmen den Trinkspruch: »Da wir die nächsten paar Tage miteinander verbringen, werden wir uns auf jeden Fall näher kennenlernen. Bei uns im Westen ist es üblich, sich in solchen Fällen mit dem Vornamen anzusprechen. Ich bin Julja.«
Er stieß sein Glas leicht gegen dasjenige von Aleksej. Der blickte zwar erst überrascht drein, sein Gesicht verzog sich jedoch bald zu einem schüchternen Lächeln. Er beeilte sich zu erwidern »ich heiße Aljoscha. Búdim Sdarówy«.
Auch Alexandr wollte nicht zurückstehen und stieß nun sein Glas zaghaft an das von Jules und meinte zurückhaltend »und ich bin Sascha. Twajó Zdarówje«, worauf Jules ein herzliches, »Na Sdarówje« ausrief.
Danach waren Alabima und Chufu an der Reihe, wobei Alabima immer noch recht zurückhaltend blieb, Chufu jedoch richtiggehend aufblühte, als er mit Aljoscha und Sascha anstieß. Jules war sich sicher, das Eis zwischen ihnen ein wenig aufgebrochen zu haben. Alabima und Chufu würden sich bestimmt rasch an ihre Beschützer gewöhnen.
Sie verabredeten sich mit den Zwillingen auf neun Uhr am nächsten Morgen. Dann trennten sie sich von den beiden Leibwächtern und fuhren mit dem Lift hoch zu ihrer Suite.
Als es dort um die Essensfrage ging, verabschiedete sich Chufu sogleich von ihnen: »Also mit mir könnt ihr heute Abend nicht mehr rechnen. Ich bestell mir eine Kleinigkeit aufs Zimmer. Denn dort haben sie Final Armada im Angebot, versteht ihr? Das ist der absolute Wahnsinn, sag ich euch. Das Spiel kommt bei uns doch erst in ein paar Wochen raus. Weiß Gott wie die Russen an diese Raubkopie gekommen sind.«
»Woher willst du wissen, welche elektronischen Spiele sie hier im Entertainment Programm anbieten?«, fragte Jules verdutzt zurück.
»Der kluge Mann baut vor, Julja«, war die überlegene und gönnerhafte Antwort des Jungen, »nachdem du mir zu Hause erzählt hast, dass wir in diesem Hotel absteigen werden, hab ich das Internet bemüht und per E-Mail eine Liste der verfügbaren Videospiele angefordert und mir dieses Spiel auch gleich reserviert. So macht man das in der heutigen Zeit.«
»Ach, wenn unser Sohnemann bloß bei seinen Hausaufgaben auch so enthusiastisch und gründlich wäre«, sinnierte Jules laut und spielte den herb Enttäuschten, worauf er von Alabima einen Rippenstoß kassierte.
»Sei doch froh, dass wir den ganzen Abend für uns allein haben, kleiner Dummkopf«, flüsterte sie ihm vielsagend ins Ohr. Seine Frau hatte einmal mehr weiter als er selbst gedacht.
*
Nach dem Abendessen hatte Jules die kleine Sauna, die sich an das Badezimmer ihrer Suite anschloss, eingeheizt. Nachdem die vom Hotel gestellte Kinderfrau unterrichtet war und in Alinas Zimmer Platz genommen hatte, zogen sich die Jules und Alabima zurück, zogen sich aus und traten in die Sauna. Die Äthiopierin drängte sich sogleich in die Arme des Schweizers.
»Nimm mich, Jules«, flüsterte sie ihm zu, »nimm mich hier und jetzt und lass mich spüren, dass ich eine Frau bin.«
Sie küssten sich lange. Ihre Zungen liebkosten einander und gaben sich lustvolle Versprechen für das, was gleich folgen sollte. Schwer atmend hielten sie inne und betrachteten sich schweigend und aus nächster Nähe, forschten in ihren Augen. Alabimas Blick war erst voller Liebe, doch dann gesellte sich das Schalkhafte hinzu, das Jules von Anfang an so sehr an ihr gefallen hatte und ihn weiterhin in Bann hielt. Es war dieses besondere Leuchten, so voller Lebensfreude und Begierde.
Rasch wand sich Alabima aus seinen Armen, setzte sich auf die mittlere Stufe der Sauna, sah ihn lüstern und auffordernd zugleich an und öffnete langsam, ja lasziv ihre Schenkel, zeigte ihm ihre blank rasierte Scham, die sich ihm öffnete. Mit ihren Händen begann sie ihren Körper zu streicheln, strich sich über die vollen Brüste, über den flachen Bauch hinunter zu den Schamlippen, begann sie sanft zu stimulieren. Während dessen beobachtete sie ihren Ehegatten. Ein triumphierendes Lächeln zeigte sich in ihrem Gesicht, als sich sein Penis regte und langsam aufrichtete. Jules half ihm ein wenig mit der Hand nach und schon stand er bretthart und voller Erwartung hoch.
»Komm«, flüsterte sie und drückte ihre Schultern nach hinten, suchte mit ihrem Genick Halt an der obersten Stufe der Saunaliege. Jules trat hinzu und versuchte erst kniend, dann halb stehend, mit seinem Glied ihre Pforte der Lust zu erreichen. Irgendwie funktionierte das nach zwei misslungenen Versuchen auch leidlich gut. Es war immer wieder erstaunlich, zu welchen Verrenkungen der menschliche Körper fähig war, wenn er nur wollte oder musste.
Tief und in einem Rutsch drang sein Glied in ihre feuchte Grotte. Alabima stöhnte laut auf. Dann aber begann sie auch schon, ihn auf Tempo und Intensität anzutreiben. Sie wollte sich ihm diesmal völlig hingeben können, vielleicht auch ein Gefühl des Ausgeliefertseins empfinden dürfen. Sie feuerte ihn deshalb zu immer wilderen Stößen an, so dass ihre Schambeine bald schmerzhaft aufeinander krachten, immer und immer wieder. Jules blickte auf ihre schweren Brüste hinunter, die dank der Schwangerschaft und dem Stillen von Alina weiter angewachsen waren. Ihre Nippel standen fest ab, die Warzenhöfe waren größer als früher und kleine rot-blaue Äderchen umgaben sie. Ihre Kugeln bewegten sich im Gleichschritt seiner Stöße auf und ab, auf und ab. Jules gab sich redlich Mühe, die immer stärker aufflammende Begierde in seinen Lenden noch zu zügeln, doch beim Anblick der gänzlich verdrehten Augen seiner Frau konnte er sich nicht mehr länger zurückhalten und schon ergoss er sich in ihr, einen Schrei des Entsetzens ausstoßend.
»Oh, nein. Viel zu früh … viel zu früh«, und nach einer kurzen Pause fügte er an, »verzeih mir bitte, Liebling.«
Da fing Alabima an zu lachen, laut aber wunderbar melodisch, wie er es so sehr an ihr liebte.
»Genau das wollte ich doch, mein Dummerchen. Es ist so lange her, dass du die Kontrolle über unseren Sex verloren hast und dich meiner Lust und deiner eigenen völlig hingabst. Weißt du, mein Schatz, eine wirkliche Frau will mehr als bloße Befriedigung. Sie will die bedingungslose Verbundenheit beim Sex. Nur wer sich völlig vergessen kann, ist wirklich und wahrhaftig dabei. Aber keine Sorge, Liebling, ich komm schon noch auf meine Kosten«, und mit diesen Worten zog sie auch schon seinen Penis aus ihrer Scheide, beugte sich zu ihm hinunter und leckte ihn genüsslich sauber, saugte sich auch seine Hoden nacheinander in ihren Mund und massierte sie mit ihrer Zunge. Bereits zeigte sein Glied erste Anzeichen einer Erholung. Voller Schalk in den Augen sah sie schräg an seinem Penis vorbei hoch und in sein Gesicht.
»Der scheint ja immer noch Lust auf äthiopische Mädchen zu verspüren. Schauen wir mal, ob er wirklich noch was taugt«, und damit drehte sie sich auf der Liege um, nahm ein Handtuch, machte daraus eine Rolle, die sie auf die mittlere Stufe als Polster legte, kniete sich darauf nieder und streckte ihm demonstrativ ihren Po entgegen. Er umfasste ihre Backen, ließ seine Hände sanft kreisen und zwischen ihre Schenkel gleiten, streichelte mit den Handrücken deren Innenseiten. Dann drückte er sein Becken an ihren Hintern, schob seinen Penis zwischen ihre Schenkel, beugte sich über sie und flüsterte ihr ins Ohr »oben oder unten?«
»Erst oben, weil ich voller Geilheit bin, und später dann unten, bis ich explodiere.«
Jules massierte erst ihr Po Loch sanft mit den Fingerkuppen, steckte dann erst einen, dann zwei und etwas später sogar drei davon hinein, erweiterte so den Zugang, während Alabima voller Lust zu stöhnen begann. Es war für ihn dann allerdings doch äußerst unbequem, als er sich auf die mittlere Stufe, links und rechts der Knie von Alabima, hinstellte, in die Hocke ging, sich stark nach vorne beugte und sein Glied in ihr süßes, kleines Loch einführte, um es dann langsam, so wie sie es mochte, zu stoßen. Sein praller Hodensack klatschte bei jeder Attacke gegen ihre Scham und ließ sie zusammenzucken.
»Schneller«, stöhnte sie und er erhöhte die Kadenz seiner Stöße.
»Schneller, Liebling«, forderte sie ihn auf und er bemühte sich, »noch schneller«, gab Alabima den Takt vor und Jules gelangte zur für ihn physikalisch möglichen schnellsten Gangart.
Alabima unter ihm fing plötzlich an zu brummen. Es hörte sich an wie das Grollen eines wohlig wütenden Grizzlybären, der in seiner Höhle während des Winterschlafs aufgeweckt wurde, aber noch zu bedeppert war, um richtig böse zu werden.
»Oh, ist das geil, oh, oh, ich halt’s nicht mehr aus. Mach weiter, weiter, weiter.«
Plötzlich zog sie ihren Po zurück und Jules rutschte aus ihrem Loch, stieß mit seinem Glied ins Leere, während sie ihren Kopf bereits nach ihm umgewandt hatte und ihm fordernd zu rief: »Und jetzt fick mich, Jules, fick mich so hart und heftig wie du nur kannst.«
Grob packte er ihr Becken mit beiden Händen und zwang es in die für ihn bequemste Position. Dann steckte er ihr in einem Rutsch sein steifes Glied mitten in die nasse Scham, brach direkt durch bis zum Schambein. Alabima schrie voller wollüstigem Schmerz auf. Jules stieß hart in sie hinein, immer und immer wieder und begann, wie eine alte Dampflok zu keuchen, denn schon beim Analverkehr zuvor hatte er sich ziemlich verausgabt.
»Aaaaahhhh, das ist guuuut. Mach weiter so, weiter, Jules, fick mich richtig hart, zeig’s mir, Liebling, zeig’s mir.«
Er konnte seine Geilheit bei diesen Worten kaum mehr zurückhalten, verlor jedes Gefühl für Zeit und Raum, stieß nur noch mit aller Kraft in Alabima hinein, immer und immer wieder, spürte kaum das Brennen seines Gliedes, fühlte nur, wie sich seine Lust noch weiter steigerte und anstaute. Dann fing Alabimas Körper plötzlich an zu zittern und kurz darauf schlotterte ihr Becken richtiggehend hin und her. Die bislang aufgestaute Lust wollte sich in ihrem Körper endlich explosionsartig ausbreiten dürfen. Doch noch war es nicht soweit. Jules konnte seinen Saft kaum mehr zurückhalten, betete darum, dass Alabima doch endlich käme. Und wirklich brach es aus ihr heraus, heftig und urtümlich wie selten zuvor, eine wilde Woge voller Zuckungen des Unterleibs mit unkoordiniert um sich schlagenden Armen. Dazu schrie und keuchte sie ihren Höhepunkt geradezu heraus, warf ihren Kopf mit den schwarzen Locken hin und her, hatte sich mit ihren Fingernägeln in den Unterarmen von Jules vergraben, ihre Hände wie im Krampf zu Krallen erstarrt.
Jules verringerte die Kadenz und Heftigkeit seiner Stöße, dämpfte so die aufwühlenden Gefühle seiner Frau und ließ sie ihren Höhepunkt möglichst lange auskosten. Ihr Keuchen wurde zu einem wohligen Stöhnen, das Becken zuckte nur noch unregelmäßig hin oder her. Dann begann sie erlöst zu seufzen und tiefer einzuatmen, sie zunehmend zu entspannen. Jules erhöhte wieder die Geschwindigkeit seiner Stöße, sein Glied gewann bald neue Härte und noch bevor er selbst kam, fing die Bauchdecke von Alabima ein zweites Mal zu zucken an, nicht mehr so wild, sondern süß und genussvoll. Gemeinsam schwangen sie sich in die Höhe, vergaßen für eine halbe Minute alles um sich herum, spürten bloß noch ihre gemeinsame Lust und die innige Verbundenheit ihrer Körper.
Eine ganze Weile lang verharrten sie mit ineinander verschlungenen Gliedern, fühlten den Schweiß zwischen ihren heißen Körpern, die strahlende Hitze der Haut des Partners. Irgendwann einmal seufzte Alabima wohlig auf und meinte schnurrend wie eine Katze: »Das war gut, das war richtig gut.«
Jules Penis war längst geschrumpelt und er zog ihn aus ihrer Scham, worauf sie ein wenig enttäuscht seufzte. Sie legten sich dicht aneinander gekuschelt auf ein ausgebreitetes Badetuch und tauschten lange, zärtliche Küsse aus, immer und immer wieder, streichelten dazu sanft ihre Körper. Doch plötzlich machte sich Alabima von ihm los und sprang auf: »Zeit für eine kalte Dusche, Liebling. Kommst du mit und seifst mich ein?«
Nach ersten, eisigen Schauern stellten sie den künstlichen Wasserfall auf lauwarm, später auf warm um. Sie umarmten und küssten einander, entfachten so ihre Lust erneut.
»Magst du noch eine Runde?«, fragte sie ihn leise und verführerisch lachend. Er nickte stumm und sie begann, mit ihren Händen seinen Penis zu stimulieren. Schon bald war er steif genug und Alabima hüpfte an ihm hoch, hielt sich mit einer Hand an seiner Schulter fest, umklammerte mit einem Bein seinen Körper, bog ihr Becken artistisch zur Seite und führte dank dieser Verrenkung sein Glied zwischen ihren Schamlippen ein, noch bevor sie sich auch mit dem zweiten Unterschenkel an ihm festklammerte. Er stützte ihren Po mit seinen Händen, lehnte dann vorsichtig ihre Schultern schräg an die Duschwand, so dass sie dort Widerstand fanden und er sie kräftig stoßen konnte. Das Wasser rieselte warm auf sie herab und er presste zwischen seinen Lippen hervor: »Wir müssen unbedingt einmal nach Hawaii fliegen. Ich kenn dort im Dschungel einen wunderschönen Teich mit Wasserfall. Unter diesem Wasserfall will ich dich einmal lieben.«
Alabima antwortete ihm nicht, schwieg und gab sich ihrer wachsenden Lust hin, hatte ihre Augen mit leerem Blick hoch zur Decke gerichtet. Nach drei, vier Minuten kam der Orgasmus über sie, diesmal ganz sanft und langsam anschwellend. Trotzdem zuckte ihre Bauchdecke heftig zusammen, erst einmal, dann zweimal und dann immer häufiger, während Jules sein Möglichstes tat, ihr das Lustgefühl so lange als möglich zu erhalten. Nach einer Weile ließ ihre Körperspannung nach und sie betrachtete ihn mit neu erweckten Augen voller Liebe.
»Ja, du warst der Richtige und bist es immer noch.«
»Das will ich doch schwer hoffen, mein liebes Mütterchen«, meinte er lächelnd, »oder willst du mich etwa verlassen und unsere Tochter zur Halbwaisen machen?«
»Davon kann keine Rede sein...«, schnurrte sie, fügte dann aber neckisch hinzu, »... zumindest, solange du deine sexuelle Leistung auf diesem wunderbar hohen Niveau halten kannst.«
Er schlüpfte aus ihrer Scham und stellte sie vorsichtig auf ihre Füße. Sie umarmten sich und genossen die Wärme und Weichheit ihrer Körper. Dann drehte er den Wasserhahn zu und sie verließen die Dusche, trockneten sich gegenseitig mit den flauschigen Frottee Tüchern ab. Jules nahm Alabima auf seine Arme hoch und trug sie hinüber in ihr Schlafzimmer, setzte sie dort sanft auf das Laken ab und legte sich neben sie hin. Beide starrten zur Decke hoch, genossen den friedvollen, entspannenden Augenblick und die stille Anwesenheit ihres Lebenspartners, hatten ihre Hände zwischen ihren Körpern sanft ineinander verschlungen.
»Sag mal«, begann Alabima nach einer Weile, »du hast dich auf der Fahrt zu den Sokolows ja ausgiebig mit Aljoscha und Sascha auf Russisch unterhalten und auch später zurück in unser Hotel. Was sind die beiden eigentlich für Menschen?«
»Zuerst einmal tragen sie interessante Vornamen, ich meine für Leibwächter. Beide stammen nämlich vom griechischen Alexandros ab und das bedeutet Beschützer.«
»Nomen et Omen«, fügte Alabima lächelnd hinzu, meinte dann aber mit ernsterer Stimme »aber du bist doch immer noch überzeugt, dass wir hier in Moskau keine Beschützer brauchen, oder? Also muss es wohl einen anderen Grund geben, warum die Sokolows darauf bestehen, dass die beiden uns überallhin begleiten.«
»Nein, es gibt keinen richtigen Grund dafür, glaub mir. Ich war die letzten zehn Jahre immer wieder mal in Russland unterwegs und nie erlebte ich eine bedrohliche Situation, wenn man von den manchmal recht kriminellen Taxifahrten vom Flughafen in die Innenstadt absieht. Ich selbst bin also mit Sicherheit kein Ziel, weder für die hiesige Mafia noch für die Regierung. Und als Familie interessiert sich schon gar niemand für uns. Doch es ist Teil der russischen Gastfreundschaft, für Alles und Jedes Vorsorge zu treffen. Wir hätten Wolodja und Ira beleidigt, hätten wir Aljoscha und Sascha abgelehnt. Die beiden sind doch recht nett?«
»Ja, das schon. Doch gleichzeitig geben sie mit ständig das Gefühl einer Bedrohung. Aber ich gewöhne mich ganz bestimmt noch an die zwei.«
Sie streifte sich einen Bademantel über und schaute kurz im Nebenzimmer nach, ob es der kleinen Alina gut ging.
Das Licht war bis auf eine Leselampe ausgeschaltet. Die Kinderfrau saß neben dem kleinen Bettchen und blickte von ihrer Zeitschrift hoch, als Alabima ins Zimmer trat und auf Zehenspitzen zu ihrer Tochter schlich. Die Kleine schlief wohlig und hatte ihren Daumen im Mund, saugte langsam und genüsslich daran, verarbeitete bestimmt die positiven Erlebnisse des Tages in ihrem wachsenden Unterbewusstsein.
Schon wenige Wochen nach der Geburt hatte ihre Tochter die Nächte durchgeschlafen und das würde wohl auch heute der Fall sein. Die Aufregungen der Reise nach Moskau mit all den neuen Eindrücken und Gesichtern schien die Kleine problemlos wegzustecken. Und falls sie doch irgendwann in der Nacht aufwachen und nach einem Fläschchen verlangen sollte, hatte Alabima mittels Pumpe längst vorgesorgt. Die Milch stand in einem Warmhaltegerät bereit. Alabima legte wortlos, aber mit dankbarem Blick ihre rechte Hand kurz auf den Unterarm der Kinderfrau und drückte ihn sanft. Diese nickte beruhigend und Alabima verließ so lautlos das Zimmer, wie sie eingetreten war.
Todmüde krochen Jules und seine Ehefrau unter die Bettdecke und schliefen sogleich und in wohliger Erschöpfung ein. Was waren sie doch für Glückspilze.