Читать книгу Doc Savage - Das vergessene Imperium - Kenneth Robeson - Страница 7
Kapitel 2: Schottischer Spuk
ОглавлениеWilliam Harper Littlejohn war der nächste Mann, der in den wütenden Zyklon der Ereignisse eingesogen wurde.
In vielerlei Hinsicht erinnerte William Harper Littlejohn an eine große, schlaksige Vogelscheuche, die sich von ihrem hölzernen Pfahl losgerissen hatte und auf der Suche nach einer richtigen Mahlzeit losgewatschelt war. William Harper Littlejohns enge Freunde beschrieben ihn häufig so, als würde er wie der Vorbote einer Hungersnot aussehen. Er schien dünner zu sein, als es einem Menschen möglich war, der immer noch lebte.
In den Sphären der Archäologie und Geologie war William Harper Littlejohn ein Name, der Wunder wirkte, ein Spitzname, der mit entsprechendem Respekt ausgesprochen wurde. Und dies trotz der betrüblichen Tatsache, dass er, wenn er ans Podium trat, um sich an Studenten, Wissenschaftler und andere Experten zu wenden, einem leeren Anzug ähnlich war, der darauf wartete, dass sein Eigentümer ihn wieder in Besitz nahm. Er trug das Haar lang, nach Art der Gelehrten, und an seinem Rockschoß glitzerte ein Monokel, wann immer der hagere Archäologe bei seiner Rede in Erregung geriet. Man hatte ihn dieses Augenglas noch niemals tragen sehen. In Wahrheit war das Monokel ein starkes Vergrößerungsglas, das er der Bequemlichkeit halber so trug. Sein Sehvermögen war völlig in Ordnung.
William Harper Littlejohn konnte die gelehrteste Versammlung von Geologen und Archäologen in seinem Bann halten.
Er konnte ebenso einen Laien mit seinen großen Worten verwirren, denn William Harper Littlejohn verwendete niemals ein kleines Wort, wenn er stattdessen ein großes benutzen konnte. Er war ein wandelndes Lexikon von Worten mit mehr als drei Silben. Gewöhnlich konnte ein Durchschnittsmensch ihn nicht verstehen.
Berühmt sein ist etwas Merkwürdiges. Obwohl William Harper Littlejohn zweifelsohne einer der Ersten auf seinem Gebiet war, hätten ihn die meisten Menschen nicht wegen seiner Entdeckung von uralten Ruinen und staubigen Grabmälern erkannt. Der normale Mann fand nur vorübergehend Interesse an solchen Dingen, gewöhnlich nur so lange, wie es brauchte, einen Zeitungsartikel zu lesen oder eine Nachrichtensendung zu sehen.
Merkwürdig genug war, dass William Harper Littlejohn den größten Ruhm dadurch errang, dass er Bundesgenosse von Doc Savage war.
Doc Savage war ein Mann, der in der Welt rasch Ruhm erlangt hatte. Doc – Clark Savage Jr., so sein voller Name – war selbst ein bemerkenswerter Archäologe. Seine Entdeckungen auf diesem Gebiet übertrafen sogar jene von William Harper Littlejohn. Das allein hätte Doc Savages Name in die Geschichtsbücher eingehen lassen.
In Wahrheit waren Doc Savages archäologische Leistungen diejenigen, die am wenigsten berühmt waren. Was ein Hinweis darauf war, welche Art von Mann Doc Savage war.
*
Als William Harper Littlejohn nach einer nächtlichen Sitzung der wissenschaftlichen Gesellschaft in sein Londoner Hotel zurückkehrte, verneigte sich der Türsteher tief und sagte: »Gute Nacht, Mr. William Harper Littlejohn«, und der Nachtportier am Schalter sagte: »Keine Post für Sie, Mr. William Harper Littlejohn«, während der Liftboy murmelte: »'allo, 'offe, Sie 'atten einen angenehmen Abend, Mr. William 'Arper Littlejohn.«
Als William Harper Littlejohn auf seinem Zimmer angekommen war, gab er dem mehr als gut gepolsterten Sessel einen heftigen Tritt und setzte sich dann eilig hin, um sich den klingelnden Fuß zu massieren. Er war es leid, diesen Namen zu hören. Jeder in London nannte ihn William Harper Littlejohn und fügte manchmal ein Ehrenwerter oder Sir hinzu. Sir William Harper Littlejohn verärgerte ihn ganz besonders, obwohl der Titel echt war, denn er war für herausragende Leistung auf seinem Gebiet zum Ritter geschlagen worden.
Wenn ihn jemand einfach nur »Johnny« nennen würde, wäre das hilfreich. Aber niemand nannte ihn so. Niemand würde auch nur daran denken, einen so ehrwürdigen Gelehrten bei einem Spitznamen zu nennen, zumindest nicht in London.
London ging Johnny allmählich furchtbar auf die Nerven. Er hatte jetzt seit mehreren Wochen gelehrt, und er hatte die Nase voll.
Seit Tagen verlangte es Johnny nach einer guten Prügelei.
Er hatte sogar in Betracht gezogen, einen gewissen angesehen Archäologen zu verdreschen, den er für einen Langweiler hielt, einfach nur, um zu sehen, was passieren würde.
Johnny war ein seltsamer Mann. Er hatte den Anstrich eines gründlichen Gelehrten, aber liebte die Aufregung. Ihm war eine Prügelei lieber als der kämpferischste Dockarbeiter in Londons East End, und trotz seines ausgezehrten Erscheinungsbilds konnte er sich in einer Auseinandersetzung gegenüber dem härtesten dieser Sorte behaupten. Johnnys äußerlicher Anstrich täuschte.
Diese Liebe zum Abenteuer war eine weitere Eigenschaft, die Johnny mit Doc Savage gemeinsam hatte.
Doc Savage hatte Johnny gekabelt, dass er vorhatte, London einen Besuch abzustatten, und Johnnys Hoffnung auf etwas Aktion waren angestiegen, nur um wieder abzusinken, als er erfuhr, dass der Besuch des Docs wissenschaftlicher Natur war. Doc würde ebenfalls vor der Wissenschaftlichen Gesellschaft einen Vortrag halten, die eine der größten existierenden Organisationen gelehrter Männer war.
Johnny war der Experte in Geologie und Archäologie in Doc Savages Gruppe von Helfern. Er war aus zwei Gründen mit Doc Savage verbunden – er liebte die Aufregung, und davon gab es um Doc Savage gewöhnlich jede Menge. Und es war etwas an Doc Savage, was ein Bündnis verlangte. Doc war von jener Art Mensch, die man niemals aufhörte zu bewundern. Johnny, selbst ein geistiger Herkules, sah in Doc Savage einen geistigen Hexer.
Angewidert nahm sich Johnny die Abendzeitung vor. Er hatte einen Artikel über die unmittelbar bevorstehende Ankunft Doc Savages am Croydon Air Field gelesen und sich dann anderen Geschichten zugewandt.
*
Endlich erregte ein spezielles Thema seine Aufmerksamkeit. Johnny las den Artikel mehrmals durch. Er war kurz und enthielt kaum mehr als die bloßen Einzelheiten:
»X-MAN« AUS SANATORIUM ENTFLOHEN
Die verblüffende Flucht eines Patienten aus der renommierten Anstalt Wyndmoor für geistig Erkrankte hat ein größeres Mysterium aufgedeckt – die Identität des entflohenen Geisteskranken, den das Personal lediglich als »X-Man« kannte.
Dr. John Gilchrist, der das Sanatorium leitete und international berühmt für seine menschliche Behandlung der Wahnsinnigen war, die hinter seinen heiteren Mauern beherbergt wurden, erklärte der Polizei gegenüber, dass er keine Ahnung hatte, wie der wahre Name des mysteriösen Patienten lautete, der fast ein Jahr lang in seiner Obhut gewesen war.
Leser dieser Zeitung werden sich leicht an die Aufregung erinnern, welche die Entdeckung dieses Mannes im letzten Jahr verursacht hatte, der fremdländisch mit einer Tunika des Roms aus der Zeit Cäsars gekleidet war und von Polizisten entdeckt wurde, wie er die Ruinen des römischen Legionärslagers in Stirling durchwandert und dabei, in klassischem Latein, die berühmte Rede von Marcus Antonius aus dem dritten Akt von Shakespeares berühmtem Schauspiel Julius Caesar rezitiert hatte.
Nachdem er zur Anstalt Wyndmoor verbracht worden war, stellte sich heraus, dass der Mann keinerlei Erinnerung an seine Vergangenheit hatte. Daraufhin hatte das Personal entschieden, dass er ein einer bislang unbekannten Form von Demenz leiden würde. Nur einer Tatsache schien sich dieser Mann sicher zu sein: dass sein Name »X-Man« lautete.
In Abwesenheit eines passenden Namens akzeptierte das Krankenhauspersonal diese merkwürdige Bezeichnung.
Laut Dr. Gilchrist verbrachte X-Man seine Tage anscheinend in Zufriedenheit und zeigte wenig Interesse am Leben außerhalb der Anstalt, außer dass er seine Tage der Aufzucht gewisser Pflanzen widmete, die er mit großer Sorgfalt pflegte.
Diese beschauliche Existenz wurde durch das Auftauchen einer gewöhnlichen streunenden Katze unterbrochen, die, wie man glaubte, durch den Duft eines Frühstücks angelockt worden war, das aus Bücklingen bestand, und in X-Mans Privatzimmer eindrang, wobei sie das geistige Gleichgewicht des Patienten ernsthaft störte.
Nachdem er in eine Zelle gebracht worden war, wurde der Unglückliche gewalttätig und flüchtete bei der erstbesten Gelegenheit, die sich ihm bot.
Die örtliche Polizei bemüht sich nach alle Kräften darum, X-Man aufzuspüren und ihn in die Anstalt zurückzubringen. Er wird nicht als gefährlich erachtet, aber alle Menschen in der Gegend sind angewiesen, Vorsichtsmaßnahmen gegen ein gewaltsames Eindringen in ihre Wohnhäuser zu treffen, denn es ist sicher, dass der entflohene Geistesgestörte nach Nahrung suchen wird, wo er kann.
*
Johnny warf einen Blick auf eine teure Uhr, die ihm vom Doktorandenseminar einer berühmten Universität der Vereinigten Staaten überreicht worden war, wo er einmal Vorsitzender der naturwissenschaftlichen Fakultät gewesen war. Es war fast Mitternacht.
Eine von Johnnys dürren Händen ging zum Telefon. Doc Savage sollte erst am kommenden Nachmittag in London eintreffen. Der Drang, etwas zu tun, irgendetwas, hatte den knochigen Archäologen gepackt. Er hatte genug von trockenen wissenschaftlichen Vorträgen.
»Teilen Sie mir die direkteste Verbindung zum Bezirk Stirling mit«, wies er den Rezeptionisten an.
»Entschuldigen Sie bitte, Sir. Kann ich Ihnen helfen?«
Stirnrunzelnd wiederholte Johnny seine Bemerkung in umgangssprachlicherem Englisch.
»Stirling, Schottland. Ich möchte gern dorthin.«
»Heute Nacht?«
»Sofort«, erwiderte Johnny.
»Zu dieser späten Stunde, Sir, ist, glaube ich, ein Bus von der Victoria Station Ihre einzige Hoffnung.«
»Rufen Sie einen Mietwagen.«
»Bitte?«
»Ein Taxi.«
»Sogleich, Sir.«
Keine Minute später hatte Johnny sein Hotelzimmer verlassen. Er nahm nur die Zeitungsausschnitte mit, in denen es um die Vorfälle hinsichtlich der Flucht des verrückten X-Man ging. Er hatte sie aus der Zeitung herausgerissen und in eine speziell gepolsterte Tasche seines Mantels gestopft, wo er gewöhnlich sein Vergrößerungsglas versteckt aufbewahrte, wenn Gefahr bestand, dass es zerbrechen könnte.
*
Victoria Station ist für das Herz von London das, was die Grand Central Station für New York City ist. Es ist Wegscheide der Stadt, von wo aus ein Reisender die passenden Verbindungen mit einem Bus oder einem Zug zu jedem Punkt der grünen Insel erhält, die England darstellt.
Der Bus nach Stirling war ein Doppeldecker, rot wie die Jacken der Beefeater, der Wachen am Buckingham Palace, und, da die Stunde bereits weit vorangeschritten war, es gab nur wenige Fahrgäste. Johnny Littlejohn hatte das Oberdeck ganz für sich allein.
Normalerweise hätte das Verschwinden eines Geisteskranken aus einer Anstalt nicht ausgereicht, um ein Haar auf dem schütteren Schopf des hageren Geologen zu rühren, aber die Tatsache, dass dieses Individuum nur als X-Man bekannt und ursprünglich in einer römischen Ruine aufgefunden worden war, gekleidet wie für den römischen Senat, hatte Johnnys Neugier angestachelt.
Die Römer, wusste Johnny, hatten die Insel Britannien in den Tagen nach Cäsar und der römischen Republik erobert. Das war 81 n. Chr. gewesen – vor vielen Jahrhunderten. Die letzten Römer waren über vierhundert Jahren später gegangen, und wenn noch welche verblieben waren, so waren sie mit größter Wahrscheinlich damit beschäftigt, Spaghetti-Restaurants zu betreiben, statt sich an einen längst begrabenen Senat zu wenden.
Dennoch war es ein Mysterium. Wenn schon sonst nichts, so hoffte Johnny zumindest, dem unseligen X-Mann bei der Rückkehr an seinen richtigen Platz zu helfen.
Während er die schläfrigen Cottages mit dem Strohdach in den Vorstädten Londons beobachtete, wie sie vorübermarschierten, konnte es der schlaksige Archäologe kaum wissen, aber ihm war es bestimmt, den Mann, den er suchte, an seinen richtigen Ort in der Welt zurückzusetzen. Aber dieser Ort war nicht die Anstalt Wyndmoor für die geistig Kranken. Tatsächlich war es nirgendwo auf der feuchten Insel, deren Name vom römischen Wort Britannia herrührte.
Aber bevor er dies vollbringen konnte, musste Johnny Littlejohn mit seinen langen Beinen durch einen Zyklon aus Gewalt und Tod waten.
Da er keine Ahnung hatte, was ihm bevorstand, döste der hagere Geologe ein, während der Bus durch die Nacht rumpelte.
Der Ruf »Letzter Halt, Govn'r!« weckte Johnny Littlejohn. Er blinzelte.
»Ist dies Stirling?«, bemerkte er.
»Genau.«
»Vielen Dank«, sagte Johnny, stieg die Treppe zum unteren Deck hinab und bückte sich, um dem Fahrzeug zu entsteigen.
Die Station war kaum als solche zu bezeichnen. Ein winziger Bau mit einem Strohdach, das sich nicht im Geringsten von denen der Cottages im übrigen Schottland unterschied. Johnny drückte gegen die Tür und merkte, dass sie verschlossen war.
Der Fahrer schloss seinen Bus ab. Johnny wandte sich an ihn.
»Kann ich hier irgendwo ein Taxi mieten?«, fragte er und verwendete einfache Worte, weil er sich voller Ungeduld auf den Weg machen wollte.
»Nicht zu dieser Stunde«, hieß es.
»Zeigen Sie mir die Richtung zur Anstalt Wyndmoor.«
»Wyndmoor? Das wäre im Norden, wie die Krähe fliegt.«
Johnny dankte dem Mann und machte sich mit langen Schritten forsch auf den Weg.
Wie sich herausstellte, flogen schottische Krähen nicht auf besonders geradem Weg. Johnny zumindest war gezwungen, Hügel zum umschreiten und einmal eine Wasserfläche, die wahrscheinlich ein Loch war – wie die Schotten ihre Seen nannten.
Jenseits des Lochs erreichte Johnny die römische Ruine, wie er genau wusste. Johnny kannte das römische Britannien besser als die moderne Version.
Dort hielt er inne. Nicht, weil er sich ausruhen musste – im Gegenteil. Obwohl er sich den Anschein eines Gelehrten gab, war seine Ausdauer legendär. Hätte es keine andere Möglichkeit gegeben, so wäre es möglich gewesen, dass der skelett-dürre Archäologe die lange Reise von London nach Stirling zu Fuß absolviert hätte, wobei er nur angehalten hätte, um etwas zu sich zu nehmen – und auch nicht allzu oft für diesen Zweck.
Johnny Littlejohn hatte einen anderen Grund, an der zerfallenen Ruine zu verweilen. Er war auf seine Weise so etwas wie ein Psychologe.
Der entflohene Patient, der vielleicht ein Verrückter war, vielleicht aber auch nicht, war genau in dieser Ruine aufgefunden worden. Es war nicht von der Hand zu weisen, dass das Erste, was er nach der Flucht aus einer einjährigen Gefangenschaft tun mochte, war, genau an diese Stelle zurückzukehren.
Während er in den verlorenen Überresten dieses nördlichsten Punkts des römischen Caledoniens herumtrampelte – eine abgetragene Reihe von Gebäudefundamenten, die von Rhododendronbüschen und duftendem purpurfarbenem Heidekraut überwuchert waren –, erkannte Johnny Anzeichen für ein kürzlich aufgeschlagenes Lager.
Johnny vergrub den halb aufgegessenen Hasen mit dem Schuh und setzte seine Suche fort.
»Crepusculeszenz ist imminent millenial«, murmelte er.
Was, hätte es jemand mit einem Wörterbuch gehört, bedeutete, dass nur noch ein paar Stunden bis Sonnenaufgang fehlten. Zwei Stunden ohne Licht. Aber auch zwei Stunden, in denen es unwahrscheinlich war, dass ihm jemand in die Quere käme. Wenn die örtliche Polizei immer noch mit der Jagd auf den entflohenen X-Man beschäftigt war, dann läge sie wahrscheinlich in tiefem Schlaf, und sie hätte ihre Suche auf das erste Licht verschoben.
Johnny ergriff die Gelegenheit und holte aus einer Manteltasche eine winzige Aufzieh-Taschenlampe heraus, die er gewohnheitsmäßig bei sich trug. Er zog sie auf und drückte auf den Einschaltknopf.
Ein außerordentlich heller Lichtstrahl erschien, der kantige Schatten in der alten römische Feste erzeugte. Johnny hielt den Strahl dicht am Boden und setzte seine Suche fort.
Geräusche von Schritten ertönten. Johnny hielt inne, stellte ihre wahrscheinliche Richtung fest und folgte ihren Spuren.
Der Mond kam hinter einer Wolke hervor und warf zusätzliches Licht.
Ziemlich unerwartet traf er auf die schlafende Gestalt.
Sogleich dämpfte der schlaksige Archäologe das Licht. Er hielt den Atem an. Er hatte Glück. Die schlafende Gestalt war vom Lichtschein nicht geweckt worden.
Johnny legte eine Hand über die Linse und schaltete das Licht erneut ein. Seine Hand glühte wie ein winziger Korb voller Knochen mit einer brennenden Kohle in der Mitte.
Der karminrote Strahl goss ausreichend Licht auf die Züge des Mannes. Aber Johnnys Augen glitten kaum darüber. Er sah das Gewand an, das kaum als Bedeckung für die lange Gestalt des schlafenden Mannes ausreichte.
»Ich werd' noch superamalgamiert!«, explodierte es aus Johnny.
Er konnte nicht anders. Das Gewand hatte diesen Effekt bei ihm. Die Fluch – oder was im Rahmen des Vokabulars an Zungenbrechern bei dem Archäologen als Fluch durchging – entfuhr ihm, bevor er den Ausbruch hätte verhindern können.
Die Gestalt in der goldenen und weißen Tunika schoss aus ihrem Schlaf auf, wie von einer Feder getrieben.
Er sprang in der Dunkelheit hoch und packte die einzige Lichtquelle – den warmen Glanz von Johnnys nahezu fleischloser Hand.
»Warte!«, platzte Johnny heraus, und die Überraschung gewann die Oberhand über seine Verteidigungsinstinkte.
Aber es gab kein Warten. Der Mann in der Tunika schlug um sich. Johnny hatte beide Hände um seine Taschenlampe gelegt, also war sein Kinn ungeschützt.
Ein kräftiger Schlag prallte von der Kinnspitze des knochigen Archäologen ab und warf ihn zurück. Da ließ er die Taschenlampe los – und das intensive weiße Licht fiel ihm in die Augen.
Johnny blieb auf den Beinen, aber er musste fast drei Meter zurückstolpern, bevor er seine Daddy-Langbeine wieder entwirren konnte.
Bis dahin rannte die seltsame Gestalt geduckt inmitten der Ruinen.
»Warte!«, rief Johnny.
Die Gestalt wand sich weiter rennend ihren Weg.
Aus einem Einfall heraus rief ihn Johnny erneut an.
»Siste, viator!« Bleib stehen, Reisender!
Das hatte den gewünschten Effekt. Die Gestalt blieb abrupt stehen und stand wachsam in der Dunkelheit da.
In Johnny erhob sich Aufregung, und er rief ihn erneut an.
»Homo X es?« Bist du X-Man?
»Metho Regulus sum! Quis es?« Ich bin Metho Regulus. Wer bist du?
Bevor der hagere Archäologe antworten konnte, störte das Geräusch eines Automobils, das über tiefe Furche sprang und ratterte, die Nacht.
Johnny wandte sich um – und die blitzenden Frontscheinwerfer eines Autos blendeten ihn heftig.
Er warf einen knochigen Arm über die Augen und wich vor der allzu großen Helligkeit zurück. Ungelehrtenhafte Verwünschungen ausstoßend, blinzelte Johnny weiterhin, bis er wieder normal sehen konnte.
Als die Flecken in seinen Augen nicht mehr so groß wie Planeten waren, durchsuchte er die Heide, wohin die Gestalt in der Tunika wohl geflohen war.
Von dem Mann war keine Spur zu sehen. Johnny wollte ihm folgen, und er schaltete die Taschenlampe wieder ein. Er war schnell. Aber der andere hatte einen allzu großen Vorsprung.
Entmutigt trottete Johnny zu dem Automobil zurück, das dort stehengeblieben war, wo die unbefestigte Straße auslief.
Ein Mann kam heran. Einen Augenblick lang stieg Johnnys Hoffnung, denn die Silhouette das Mannes ähnelte sehr derjenigen des Flüchtigen, der die goldene und weiße Tunika getragen hatte.
Dieser Neuankömmling trug jedoch keine Tunika. Sondern einen Kilt. Er stützte sich auf einen knorrigen Wanderstock aus Schwarzdorn, den ein Ire einen Shillelagh genannt hätte. Vielleicht war er ein Einheimischer, der nicht schlafen konnte und einen Lärm gehört hatte.
»Und was tun Sie hier draußen zu dieser Stunde auf der Heide, mein guter Junge?«, fragte der Mann mit dem Kilt mit schwerem Akzent.
»Ich bin William Harper Littlejohn«, erwiderte Johnny ein wenig keuchend vor Aufregung. »Ich frage mich, ob Sie...«
»Littlejohn?«, explodierte der andere. »Doch nicht etwa der Professor Littlejohn, der ein Verbündeter von Doc Savage ist?«
»Genau der«, sagte Johnny aufgeregt.
»Haben Sie nach diesem entflohenen Verrückten gesucht, den sie X-Man nennen?«
»Zweifelsohne«, entgegnete Johnny und dachte, dass er den Schotten vielleicht dazu überreden könnte, ihm sein Auto zu leihen.
Der Gedanke blieb lange genug in seinem aufgeregten Kopf, dass der schattenhafte Schotte heranstapfen und Johnny mit dem dicken Ende seines erhobenen Wanderstocks einen über den Schädel geben konnte. Johnny fiel zu Boden.
»Verdammt sollen Sie sein, dass Sie Ihre Nase dort hineinstecken, wo sie nicht hingehört«, sagte der Schotte, und seine Stimme senkte sich zu einem schwachen Knurren. »Jetzt muss ich mich auch noch um dich kümmern.«
Unter anderen Dingen hatte William Harper Littlejohn einen bemerkenswert harten Schädel. Er war nicht völlig bewusstlos. Sein Widerstand war jedoch schwach.
Also versetzte der Schotte der Seite vom Kopf des sich windenden Archäologen einen angemessenen Schlag mit dem dicken Ende seines Wanderstocks, wobei er auf eine Stirnader zielte, die bedrohlich pochte.
Johnnys lange Gestalt entspannte sich völlig, und der andere Mann beugte sich herab, hob den langgliedrigen Archäologen auf und warf ihn sich über die Schulter wie einen schlaffen Sack Salz.
Den Wanderstock in der Hand, kehrte der Schotte zu seinem wartenden Wagen zurück.
Als er in das Licht der eigenen Scheinwerfer trat, wurde sein Gesicht von dem elektrischen Glanz überspült. Es war ein breites Gesicht, breiter durch fransige Koteletten.
Von einem Versteck aus hob eine weißgekleidete Gestalt neugierig den Kopf. Augen von der Farbe schwarzer Oliven erfassten ein grobes Profil, und grimmige Lippen teilten sich und stießen zischend ein einziges Wort aus: »Brutus!«
Vielleicht hatte er den Namen des anderen ausgesprochen. In diesem Fall bemerkte es der Mann im Kilt nicht.
Dieser legte Johnny Littlejohn auf den Rücksitz eines Tourenwagens, woraufhin der Mann im Kilt hinter dem Steuer Platz nahm und das Fahrzeug über die ungepflasterte Straße zurücksetzte.
Als er die Stelle erreichte, wo er den Wagen wenden konnte, fuhr er ihn in einem Kreis. Dann raste das Auto mit zunehmender Geschwindigkeit davon.
Aber nicht, bevor eine Gestalt, die sich tief duckte, um nicht gesehen zu werden, den Kofferraum erreicht und sich nach einem weiten Satz an den Ersatzreifen geklammert hätte.
Die Nacht verschluckte den Tourenwagen und den Passagier, der sich daran klammerte und sich selbst X-Man nannte.