Читать книгу Ein krimineller Adventskalender : (K)eine schöne Bescherung - Kerstin Peschel - Страница 12
5. Dezember: (K)eine schöne Bescherung
Оглавлениеvon Lynda Lys und Eliza Simon
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1
Es war ein schöner Morgen. Kalt und frostig. Wie geschaffen, um das Leben zu genießen, mit all den Annehmlichkeiten, die es zu bieten wusste.
Die Frau saß im Wohnzimmer auf einem riesigen Sessel mit Blick in den Garten, entspannt, das Gesicht den schneebedeckten Bäumen und Sträuchern zugewandt. Die Decke, in die sie eingemummelt war, hatte sie bis zur Nasenspitze hochgezogen. Ihre Atmung schien besonders flach zu sein, denn ein Blick aus der Ferne würde nicht erkennen lassen, ob die Decke sich nicht hob und senkte. Sie wirkte, als ob sie es verstünde zu genießen und Annehmlichkeiten gab es um sie herum in üppiger Fülle. Die Heizung unter dem Fenster knackte ein wenig wie so häufig in letzter Zeit, weshalb es für die Frau keinen Anlass gab, darauf zu reagieren. Draußen tanzten dicke weiße Schneeflocken Ringelreihen und legten sich leise und behutsam auf die bereits vorhandene Schneedecke.
Vor den Augen der Frau erstreckte sich der Park, der das ebenerdige Wohnhaus vollständig umschloss. Der Lärm der Stadt drang kaum durch den dichten Schutz aus abendländischen Lebensbäumen und bot eine private Insel des Friedens, inmitten des täglichen hektischen Getümmels.
Die Frau passte ausgezeichnet in dieses Bild. Sie war sehr hübsch und wirkte fast wie gemalt. Vielleicht war ihre Haut nur eine Spur zu bleich, und etwas Sonnenbräune hätte ihr sicherlich gut gestanden, aber in der Winterzeit war es nicht unüblich, so blass auszusehen.
Sie starrte in den Garten, ohne dabei zu blinzeln. Leuchtende Silhouetten der weihnachtlichen Figuren wurden mit ihrem warmen gelben Licht als strahlend-schöne Umrisse dargestellt und in der allabendlichen Dunkelheit wirkte die Weihnachtsbeleuchtung sehr festlich.
An einer hochgewachsenen, schneebedeckten Tanne hingen große rote Weihnachtskugeln und um sie herum gruppierte sich eine Vielzahl von bunt eingepackten Geschenkpäckchen, was das traute Heim in eine einladende, weihnachtliche Atmosphäre hüllte. Aus Nordwesten trug ein plötzlich aufkommender Wind harte Eiskristalle gegen die große Frontscheibe. Man hatte das Gefühl, als hätte jemand eine langläufige Waffe mit Schrottkugeln abgefeuert.
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2
Die Haushälterin erschien wie üblich um neun Uhr und erschreckte die Katze, die sich unmittelbar neben der Haustür in einem Katzenbett aus weichem, kuschelig gemütlichem Plüsch ausgestreckt hatte. In panischer Hast jagte sie davon und verkroch sich unter dem Esstisch. Verwundert schüttelte die Haushälterin den Kopf.
Warum ist die Katze heute so panisch?, sinnierte sie und zog ihren Mantel aus.
Sie schüttelte die Schneeflocken ab, die noch immer wie Kletten an ihm hingen, und hängte das gute Stück auf einen Bügel. Anschließend nahm sie ihre schneebedeckte Mütze vorsichtig von ihrem bereits ergrauten Haar und legte sie auf die Ablage des Garderobenständers zum Trocknen.
Sie war guter Dinge und summte ein Lied. Heute an Heiligabend musste sie zwar arbeiten, doch das störte sich nicht im Geringsten. Dieser besondere Tag wurde gut bezahlt und es wartete auch niemand zu Hause auf sie. Die Hausherrin erwartete gegen den späten Nachmittag ein paar Gäste zum Gänsebratenessen und das bedeutete für die Haushälterin Käthe eine Menge Arbeit.
Sie warf einen kurzen Blick in das große Wohnzimmer, sah ihre Chefin Frau Krohnwinkel im großen Ohrensessel sitzen, glaubte, dass sie schlief und verstummte sofort. Sie ging in die Küche und arbeitete besonders leise, um sie nicht zu wecken.
Um halb zwölf hatte Käthe einen Großteil ihrer Arbeit erledigt. Wie üblich gönnte sie sich jetzt eine Tasse Kaffee. Während sie den Zucker einrührte, beobachtete sie besorgt, mit einem Blick ins Wohnzimmer ihre Chefin durch die geöffnete Küchentür. Noch immer saß sie vor dem Terrassenfenster und schien dem Treiben der Schneeflocken zuzuschauen.
Es war ihr, als hätte die Hausherrin sich auch kein einziges Mal bewegt. Es sei nicht gut, so lange am Vormittag zu schlafen, hatte Käthe vor ein paar Tagen gelesen. Nicht gut für den Kreislauf und nicht gut für die Nacht, denn dann konnte man erschwert einschlafen.
Leise betrat sie das Wohnzimmer. Außer dem Knacken der Heizung war nichts zu hören. Sie überlegte, wie sie Frau Krohnwinkel wecken konnte, ohne sie zu erschrecken. Behutsam sprach sie die Frau im Sessel von der Seite an und berührte sanft ihren Arm, der augenblicklich ohne Widerstand von der Lehne fiel. Ihre Chefin gab einen kurzen Seufzer von sich. Käthe war irritiert.
„Frau Krohnwinkel“, sagte die Haushälterin, „wachen Sie auf. Sie bekommen ja noch ein ganz steifes Genick!“
Erst jetzt bemerkte sie die dunkelroten Male am Hals der Frau. Passiert so etwas, wenn man schläft?, fragte sich Käthe. Eine leichte Gänsehaut kroch ihr über den Rücken. Das konnte nicht vom Schlaf kommen!
Frau Krohnwinkel wachte nicht auf. Aber sie bewegte sich. Ganz langsam glitt sie nach vorn und rutschte samt Decke vom Sessel. Ihr Körper wirkte merkwürdig steif. Reglos blieb sie am Boden liegen. Käthe begann zu schreien.
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3
Carsten Bramke, der Kommissar der Mordkommission, fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Das tat er nie, wenn er in einem neuen Fall das erste Mal mit den nächsten Angehörigen zu reden hatte. Und dann begann auch noch seine Nase zu jucken. Ein schlechtes Zeichen, wie er wusste.
Kommissar Bramke war Ende fünfzig und ein alter Hase bei der Polizei. In der letzten Zeit hatte er erneut etwas an Gewicht zugelegt. Daran war eindeutig seine Ehefrau schuld, denn sie kochte einfach zu gut und der Kuchen, den es immer am Nachmittag gab, schmeckte jedes Mal ausgezeichnet. Und jetzt zur Weihnachtszeit gab es zusätzlich Unmengen von Plätzchen, die seine Frau mit und auch ohne ihre Enkelkinder reihenweise buk.
Er war noch völlig außer Atem, als er durch den großen Garten in Richtung des Hauses lief, in dem die Leiche gefunden wurde. Er klingelte an der Haustür. Herr Krohnwinkel öffnete sie und schaute ihn fragend an. Bramke wies sich mit seinem Dienstausweis aus und bat um Einlass. Ohne eine Antwort abzuwarten, schob er seinen fülligen Körper durch die Wohnungstür.
Schonungslos, schon fast brutal informierte er den Ehemann der Toten, dass er einige Fragen zu dessen Alibi hatte.
„Sie werden verstehen, Herr Krohnwinkel, auch solche unangenehmen Fragen gehören zu unserer Arbeit“, sagte er unglücklich und massierte sich mit dem Finger einen Nasenflügel. Einen neuen Anzug brauchte er auch. Der alte kniff unter dem Arm, wenn er die Hand hob, um sich wie jetzt an der Nase zu kratzen.
Herr Krohnwinkel hatte volles Verständnis. „Sie brauchen sich doch bei Selbstverständlichkeiten wie dieser nicht zu entschuldigen“, sagte er großzügig. „Sie sind Polizist, und es ist nun mal Ihr Job, Fragen zu stellen. Ganz klar – Routine, was?“
„Routine“, bestätigte der Kommissar. „Kann man so sagen.“
Herr Krohnwinkel nickte. „Wissen Sie, ich kenne die Arbeitsmethoden der Kripo. Zumindest eine Menge davon. Kennt heutzutage schließlich jeder. Selbst die Schulkinder sind fast so beschlagen wie die alten Profis, deren Job es ist, nicht wahr? Ist der Verdienst des Fernsehens. Die neue Schule der Nation. Und wie Sie sich jetzt verhalten müssen, das kenne ich aus Hunderten von Krimis. Sie tun nur Ihre Pflicht.“
Der Kommissar verzog gequält das Gesicht.
„Sie leben also von Ihrer Frau getrennt?“
Herr Krohnwinkel lächelte harmlos. „Wir verstanden uns nicht mehr. Das geschieht schließlich häufiger. Irgendwann mussten wir erkennen, dass die Luft raus war! Ich habe die Konsequenzen gezogen. Im Klartext für Ihr Protokoll: Ich habe dieses Haus schon seit über einem Jahr nicht mehr betreten. Das heißt, erst heute wieder, als ich angerufen wurde und erfuhr ... schrecklich!“
Herr Krohnwinkel schloss die Augen, seine Stimme erstarb.
Kommissar Bramke seufzte. Er hätte sich gern geschnäuzt, aber ihm erschien der Moment unpassend. Sein Gegenüber hatte wie in einem schlechten Film ein Taschentuch gezogen und gegen die Augen gepresst. Bramke blätterte umständlich in seinem Notizbuch. „Trotzdem muss ich Sie fragen, wo Sie zur Tatzeit waren“, sagte er leise.
„Natürlich“, antwortete Krohnwinkel, „verstehe ich alles.“ Er schien sich wieder gefasst zu haben. „Ich habe doch auch ein Interesse daran, dass alles sauber aufgeklärt wird. Was sein muss, das muss sein, stimmt’s?“
„Wenn Sie es so sehen“, bestätigte der Kommissar. Er drückte auf einen Kugelschreiber und war bereit zu schreiben.
„Ja, also“, sagte Krohnwinkel, „ich war auf der Autobahn.“
„Ach“, meinte der Kommissar und zog seine rechte Augenbraue nach oben.
„Nun, ja“, erklärte Krohnwinkel, „ich bin Handelsreisender und viel unterwegs. Auch oft nachts. Und zu der vermutlichen Tatzeit, die Sie nannten, da war ich irgendwo auf der Autobahn, auf dem Heimweg. Anschließend war ich in meinem Bett, wo Sie mich dann telefonisch erreicht haben.“
„Allein, nehme ich an?“, riet Bramke.
Krohnwinkel nickte.
„Sie waren auch allein auf dem Heimweg? Keine Zeugen?“
Krohnwinkel nickte abermals. „Kein Alibi. Dumme Sache, nicht wahr?“
„So sind Morde“, sagte der Kommissar.
Der Mann von der Spurensicherung sah traurig aus.
„Keinerlei Fingerabdrücke!“, erklärte er und klappte seinen Einsatzkoffer zu. „Jedenfalls keine, die uns weiterhelfen könnten.“
„Profis?“, fragte Herr Krohnwinkel interessiert. „So wie im Fernsehen?“
Der Mann von der Spurensicherung blickte erstaunt auf und der Kommissar verdrehte die Augen.
„Also keine Spuren“, sagte Herr Krohnwinkel. Er pfiff durch die Zähne.
„Hier gibt es nur Abdrücke von Frau Krohnwinkel selbst und die ihrer Haushälterin natürlich“, erklärte der Mann von der Spurensicherung. „Die Haushälterin arbeitet übrigens äußerst sorgfältig“, ergänzte er mit einem enttäuschten Unterton in der Stimme. „Kaum ein Fleckchen, wo sie mit ihrem Staubtuch nicht herumgewischt hat.“
„Sauber muss es schon sein“, sagte die Haushälterin trotzig aus dem Hintergrund. „Das war schließlich meine Aufgabe.“
„Natürlich“, brummte Kommissar Bramke.
„Das perfekte Verbrechen“, meinte Herr Krohnwinkel.
„Aber das hier haben wir gefunden“, sagte der Mann von der Spurensicherung und schwenkte eine durchsichtige Kunststofftüte wie eine Trophäe, in der ein Paar Gummihandschuhe verpackt war. „Lag im Mülleimer, ganz obenauf.“
„Igitt“, sagte die Haushälterin und schüttelte den Kopf. „Meine sind das aber nicht.“
„Also Profis!“, behauptete Krohnwinkel ernst.
Der Kommissar massierte mit seinem fleischigen Finger erneut sein Nasenbein.
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4
Ein paar Tage später saß Herr Krohnwinkel vor dem Kamin und schaute in das prasselnde Feuer. Die Holzscheite verbreiteten eine behagliche Wärme und ab und an knackte es im Kamin. Neben sich auf einem kleinen Beistelltisch stand ein Glas mit einer bräunlich schimmernden Flüssigkeit, in dem sich die Flammen des Feuers widerspiegelten. Leise weihnachtliche Musik erschallte im Raum und vermittelte damit ein Bild der völligen Harmonie. Er trug eine schwarze bequeme Hose und einen Pullover in der gleichen Farbe, denn Schwarz trug er immer und nicht nur wegen des Todes seiner Frau.
Als es klingelte, zuckte Krohnwinkel zusammen und die Zeitung, welche auf seinem Schoß lag, rutschte auf den Boden. Seufzend stand er auf und öffnete die Tür. Kommissar Bramke stand im Eingang und schüttelte sich wie ein nasser Hund, denn der Schneefall hatte seit Heiligabend nicht nachgelassen.
Herr Krohnwinkel bat ihn herein und führte ihn ins Wohnzimmer. „Was kann ich für Sie tun, Herr Bramke? Darf ich Ihnen einen heißen Tee oder etwas anderes anbieten?“, fragte er und schaute den Kommissar abwartend an.
„Nein, vielen Dank. Ich hätte nur noch ein paar Fragen an Sie“, erwiderte Bramke und setzte sich auf die Couch. Er legte den feuchten Mantel über die Lehne und knöpfte sein Jackett auf, welches sich locker an seinem strammen Bauch anschmiegte. Er fasste in die Innentasche und zauberte sein kleines schwarzes Notizbuch hervor. Herr Krohnwinkel setzte sich in den Sessel gegenüber, schlug die Beine übereinander und schwieg abwartend.
„Ihre Frau hat Sie ja ziemlich knapp gehalten, wie man so sagt“, fuhr Kommissar Bramke in unbefangenem Plauderton fort. „Sie hatte alles mit in die Ehe gebracht, was an Vermögen vorhanden ist. Reiches Mädchen aus gutem Hause, eine gute Partie.“ Er blickte kurz auf. „Ärgerlich nur, dass sie von Anfang an auf Gütertrennung bestanden hat. Zu dumm, so ein Misstrauen, nicht wahr?“
„Misstrauen?“, stammelte Krohnwinkel. Er wusste nicht so recht, wie er diese Situation einschätzen sollte. Unruhig rutschte er auf seinen Sessel herum.
„So würde ich es bezeichnen“, bestätigte der Kommissar. „Und als Sie anfingen, fremdzugehen und schließlich den gemeinsamen Haushalt verlassen hatten, rutschte Ihr Konto schnell in die roten Zahlen.“
„Ich hatte genug zum Leben“, sagte Krohnwinkel schwach und sah Bramke unsicher an.
„Seltsam“, sagte der Kommissar und schüttelte verständnislos den Kopf. „Dann begreife ich nicht, warum Sie Ihre Frau umgebracht haben.“
Krohnwinkel wurde bleich. „Was sagen Sie da?“, stammelte er. „Das ist eine sehr merkwürdige Art von Scherzen, meinen Sie nicht auch?“ Er zögerte. „Oder arbeitet es bei Ihnen im Kopf nicht mehr so richtig. Verdrehen Sie vielleicht manchmal alles?“
„Genau!“ Der Kommissar nickte eifrig und strahlte. „Das tue ich manchmal. Diesmal jedenfalls habe ich das Entscheidende verdreht“, sagte er süffisant. „Die Gummihandschuhe nämlich.“ Jetzt grinste er über das ganze Gesicht. „Die Handschuhe, die wir im Müll gefunden haben, hat der Mörder Ihrer Frau getragen. Das hat unser Labor anhand von Hautpartikeln eindeutig nachgewiesen.“
„Na und?“ Krohnwinkels Lippen zitterten jetzt. Dabei war ihm gar nicht kalt.
„Wie gesagt, ich habe die Handschuhe verdreht“, fuhr der Kommissar fort. „Auf links gedreht, um genau zu sein. Und innen, an den Fingerkuppen, da haben wir Ihre Abdrücke gefunden!“
Krohnwinkel verschlug es endgültig die Sprache.
„Und jetzt ist der Ton auch noch weg“, meinte der Kommissar süffisant. „Wie im Fernsehen, oder?“
„Das gibts doch gar nicht“, murmelte Krohnwinkel matt. Er war fast so blass wie der Schnee draußen im Garten.
„Im Fernsehen vielleicht nicht“, versicherte der Kommissar. Er fühlte sich plötzlich pudelwohl. Sein neuer Anzug saß wie angegossen und seiner Nase ging es wieder gut. Er konnte sich schließlich auf sie verlassen.
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ENDE