Читать книгу Ein krimineller Adventskalender : (K)eine schöne Bescherung - Kerstin Peschel - Страница 8
Оглавление3. Dezember: Geld für einen guten Zweck
von A.F. Morland
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„Ob ich bereue?“, fragte Matteo Tinti in der vorweihnachtlich geschmückten Polizeistation von Tarramene, einem kleinen, von der Welt vergessenen sizilianischen Fischerdorf. Mit dem Fahrrad brauchte man von hier bis nach Palermo einen Tag. Bei Gegenwind länger. „Ob ich bereue?“, wiederholte er.
Alessandro Mottarotti verdrehte missmutig die Augen und fuhr sich mit der Hand über die glänzende Glatze. Sein Markenzeichen. Er hätte Haare gehabt, aber die rasierte er regelmäßig ab. Mottarotti war ledig, hatte aber eine Freundin. Unpraktischerweise lebte, wohnte und arbeitete diese im sehr fernen Venedig. Man sah sich viermal im Jahr – wenn es hoch kam. Das ist nicht sehr oft für einen Mann, dessen Lenden, wie man so sagt, im besten Saft stehen. Aber besser als gar nicht. „Ob du bereust, was du getan hast“, knurrte er genervt. „Ja, das war die Frage.“
Matteo Tinti, ein hübscher, schlanker Mann von dreiundzwanzig Jahren, setzte eine sehenswerte Unschuldsmiene auf. „Ich habe nichts Unrechtes getan, Commissario.“
„Willst du mich auf den Arm nehmen?“
„Das würde ich mir niemals erlauben, Dottore.“
„Du hast die Bank überfallen.“
„Aber doch nur, weil ich Gutes tun wollte.“
„Das musst du mir erklären. Du hast mit deiner Pistole alle in Angst und Schrecken versetzt.“
„Aber die war doch nicht echt, Commissario. Eine Attrappe. Völlig harmlos. Aus einem Stück Kernseife geschnitzt und schwarz gefärbt.“
„Sie sah verdammt echt aus.“
Matteo Tinti strahlte über das ganze Gesicht. „Darauf bin ich auch sehr stolz, Dottore. Sie war ein kleines Meisterwerk. So etwas gelingt einem nicht alle Tage. Ich hatte vier Fehlversuche. Aber ich hätte damit niemanden verletzen können. Nicht einmal, wenn ich gewollt hätte. Außerdem ... Sie kennen mich. Ich kann keiner Fliege ... Sie wissen schon. Was zuleide tun und so. Ich bin ein ganz und gar friedliebender Mensch. Jeder in Tarramene weiß das.“
„Willst du, dass ich dir eine runterhaue?“, schnaubte der Leiter der kleinen, schwach besetzten Polizeistation.
Matteo Tinti hob unsicher die Schultern. „Ich weiß nicht, ob Sie das dürfen, Commissario.“
Alessandro Mottarotti lächelte listig. „Wir sind allein. Niemand würde es sehen.“
„Aber es wäre nicht rechtens.“
„Warum hast du die Bank überfallen?“
„Warum überfällt man eine Bank?“
„Sag du es mir?“
„Ich brauchte Geld – und die Bank hat welches.“
„Wozu brauchtest du Geld?“
„Für Chiara Loranda. Sie kennen sie. Ein süßer Engel. Ein Juwel. Eine Göttin. Eine Madonna. Sie hat mir vergangenen Samstag unten, im Hafen, auf der Mole, hinter dem alten Fischkutterwrack – es war schon dunkel –, erlaubt, sie zu küssen und mich damit unbeschreiblich glücklich gemacht. Chiara – von Kindesbeinen an mein Augenstern. Meine ganz große Liebe. Ich durfte das tun, was viele in Tarramene – vielleicht auch Sie, Commissario – gerne tun würden: Sie küssen. Seitdem bete ich sie an. Sie ist arm wie eine Kirchenmaus. Genau wie ich. Aber Weihnachten steht vor der Tür, und ich wollte Chiara so gerne eine Freude machen. Mit einem Geschenk, das ich mir nicht leisten kann.“
„Man schenkt nichts, was man sich nicht leisten kann“, sagte Alessandro Mottarotti streng.
„Normalerweise nicht. Aber in so einem Fall ... Einem – einem – Notfall ...“
„Du bist verrückt.“
„Das stimmt, Dottore. Da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Da bin ich ganz bei Ihnen. Es ist wahr. Ich bin verrückt. Verrückt nach Chiara Loranda. Was soll ich tun? Man ist machtlos, wenn einen die Liebe wie ein Blitzstrahl niederschmettert. Waren Sie noch nie so sehr verliebt, dass Sie nicht mehr wussten, was Sie taten, Commissario? Nein? Dann wären Sie zu bedauern.“
Mottarotti ging nicht darauf ein. „Was wolltest du mit dem geraubten Geld kaufen?“
„Ein E-Bike. Ein Elektrofahrrad. Das fährt mit Strom ...“
„Ich weiß, was ein E-Bike ist“, schnappte Mottarotti unwirsch. „Wofür hältst du mich?“
„Chiara plagt sich doch immer so sehr, wenn sie mit dem Rad nach Hause fährt“, sagte Matteo Tinti, um Verständnis heischend. „Sie wohnt ja ziemlich weit oben auf dem Berg, wie Sie wissen. Da hinaufzufahren ist ganz schön anstrengend. Das geht ziemlich in die Waden.“
„Also gehst du her, verkleidest dich als Santa Claus und überfällst die Bank.“
„Die Idee hat sich mir förmlich aufgedrängt, Dottore. In der Adventszeit kann einem schon mal ein Weihnachtsmann über den Weg laufen, ohne dass man sich dabei viel denkt. Ich habe mir mit einem großen Kissen eine dicke Wampe gemacht, einen dichten Rauschebart aus weißer Watte umgehängt, eine große Mütze und die runde Brille meiner Tante Aurora aufgesetzt – und schon habe ich mich daheim, vor dem Spiegel, selbst nicht wiedererkannt. Können Sie sich das bildlich vorstellen, Dottore? Ich war auf einmal nicht mehr ich. Wenn man es genau nimmt, hat nicht Matteo Tinti die Bank überfallen, sondern dieser Weihnachtsmann.“
„Jetzt knallt’s gleich wirklich!“, fauchte Mottarotti wütend. „Du hast dem Bankangestellten Francesco Bericone einen Riesenschrecken eingejagt.“
Tinti rümpfte die Nase, als hätte der Commissario heimlich einen leisen, übelriechenden Wind streichen lassen. „Francesco ist ein arroganter Schnösel. Ich konnte ihn noch nie leiden.“
„Er hätte tot umfallen können.“
Matteo Tinti schüttelte wissend den Kopf. „Der doch nicht.“
„Bist du sein Arzt?“
„Das nicht, aber ...“
„Herzstillstand. Peng. Aus. Das hätte passieren können. Dann wärst du jetzt ein Mörder.“
„Aber nein, Commissario“, wagte Matteo Tinti zu widersprechen. „Francesco Bericone ist robust wie ein Stier. Er macht viel Sport. Tischtennis, Minigolf, Angeln, Schach ...“
„Du hast ihn mit einer Waffe bedroht.“
„So macht man das doch, wenn man eine Bank überfällt. Ich habe das schon x-mal im Fernsehen gesehen. ‚Pfoten hoch! Keiner rührt sich! Das ist ein Überfall! Wer sich bewegt, ist tot! Her mit dem Geld! Aber pronto! Ich habe einen nervösen Zeigefinger! Wenn einer nicht spurt, geht meine Kanone von selbst los!‘ So ungefähr läuft das in den Filmen immer ab. Daraufhin machen sich die Kassiere regelmäßig in die Hose und rücken widerstandslos die ganze Knete raus.“
„Und wie lief das bei dir ab?“
„Na ja“, dehnte Matteo Tinti. „Ein wenig anders. Als dicker, bärtiger Santa Claus war ich zwar bis zur Unkenntlichkeit entstellt beziehungsweise verkleidet, aber meine Stimme hätte Francesco Bericone selbst dann erkannt, wenn ich sie verstellt hätte. Schließlich kennt er mich seit unserer gemeinsamen Schulzeit. Also musste ich den Mund halten und durfte kein Wort sagen. Ich musste die Aktion gewissermaßen als stummer Weihnachtsmann abwickeln.“
Alessandro Mottarotti wiegte den Kopf, als wäre er beeindruckt. „Sehr schlau.“
„Ja, das finde ich auch, Dottore“, pflichtete ihm Tinti mit einem Hauch von selbstbewusstem Stolz bei. „Ich habe die Eckdaten dessen, was normalerweise in so einer Situation gesprochen wird, auf einen Zettel geschrieben und Francesco Bericone vor die blasse Nase gehalten. Meine Güte, war das ein Spaß. Ich muss gestehen, es hat mir ungemein gefallen, dem blöden Schisser so einen großen Schrecken einzujagen. Er hat angstschlotternd meinen Sack – also den Sack des Weihnachtsmannes – mit Geld gefüllt und ich habe mich völlig ungehindert und innerlich jauchzend und jubelnd aus dem Staub gemacht.“
„Wie viel hast du erbeutet?“
Matteo Tinti zuckte mit den Schultern. „Ein paar tausend Euro werden es schon gewesen sein.“
„Du weißt es nicht genau?“
„Ich hatte ja keine Zeit, die Scheine zu zählen.“
„Wieso nicht?“, fragte Commissario Mottarotti, als wüsste er das nicht. Er blies selbstgefällig seinen Brustkorb auf und seine Augen funkelten triumphierend.
„Weil Sie mich, kaum dass ich zu Hause angekommen war und mich umgezogen hatte, verhaftet haben“, antwortete Matteo Tinti zerknirscht.
Alessandro Mottarotti kniff die Augen zusammen. „Und wieso konnte ich so schnell bei dir auftauchen?“
„Weil ...“
„Weil du schlauer Trottel einen gravierenden Fehler gemacht hast“, fiel der Commissario dem Bankräuber schroff ins Wort.
Matteo Tinti breitete theatralisch die Arme aus. „Wer ist schon absolut fehlerfrei, Dottore? Ich nicht. Sie nicht. Ja nicht einmal der Papst – als Mensch.“
Mottarotti klatschte einen zerknüllten Zettel auf den Tisch. So unvermittelt und energiegeladen, dass Tinti heftig zusammenzuckte. „Ist das das Papier, das du deinem Schulfreund Francesco Bericone vor die blasse Nase gehalten hast?“
„Warum fragen Sie, Commissario? Das wissen Sie doch. Sie haben es bei mir gefunden.“
„Beantworte meine Frage. Ist das das Papier?“
„Ja, das ist es.“
„Lies vor, was da draufsteht.“
„Haben Sie Ihre Brille verlegt? Können Sie nicht selbst ...“
„Lies!“, verlangte der Commissario schroff.
Matteo Tinti „las“, ohne hinzusehen. Er wusste schließlich, was er geschrieben hatte. „Überfall! Geld her! Keine Zicken, sonst knallt es!“
„Das steht da?“
„Genau das, Dottore“, bestätigte Tinti.
„Eben nicht“, schnappte Mottarotti zornig. „Hier steht: Überfal! Gled her! Kene Ziggen, sont kallt es! Du armer Irrer. Mit diesem Zettel hast du dich selbst überführt. Du bist Legastheniker, Matteo Tinti. Du verdrehst, verwechselst und lässt unabsichtlich Buchstaben aus. Das hat dein Schulfreund Francesco Bericone natürlich nicht vergessen. Er hat dich deswegen immer gemobbt. Du erinnerst dich?“
„Wie könnte ich das je vergessen, Commissario?“, fragte Tinti gallig.
Mottarotti beugte sich vor und sah seinem Gegenüber fest in die Augen. „Du selten dämlicher Schwachkopf hättest dich nicht zu verkleiden brauchen. Du hättest dir deine beknackte Santa-Claus-Maskerade getrost ersparen können. Bericone wusste sofort, wen er vor sich hatte, als er dein affiges Geschmiere las. Er rief mich an, sobald du weg warst – und nun sitzt du armer Teufel total belämmert hier und Chiara Loranda, der süße Engel, das Juwel, die Göttin, die Madonna, wird schon bald einem andern unten, im Hafen, auf der Mole, hinter dem alten Fischkutterwrack erlauben, sie zu küssen, während du zähneknirschend im Kittchen sitzt ...“ Mottarotti drosch seine Faust hart auf den Tisch. Doch diesmal zuckte Tinti nicht zusammen. „Nun fang nicht an zu heulen, verdammt noch mal!“, brüllte der Commissario. „Du hast vorhin gesagt, dass niemand fehlerfrei ist. Nicht einmal der Papst. Vielleicht irre ich mich. Vielleicht meint Chiara, dass es sich lohnt, auf dich zu warten.“
––––––––
ENDE