Читать книгу das Schicksal von Azura - Kevin Johann Wundersam - Страница 7

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PROLOG

sechzehn Jahre zuvor

Nichts, was wir je tun, ergibt einen Sinn.

Wenn wir einen Brief verfassen, ein Bild malen, eine Beziehung pflegen, macht es da Sinn, nichtssagende Schriftzeichen aneinander zu reihen oder bedeutungslose Farbkleckse nebeneinander zu platzieren oder dem Streitgespräch eine Zärtlichkeit folgen zu lassen? Wohl kaum!

Dennoch ist das Ergebnis jener Taten ein meisterhaftes Werk, das in Hinsicht auf Erhabenheit und Einzigartigkeit seinesgleichen sucht. Dies ist das Wunder unseres Lebens, das jede Unvollkommenheit so unendlich kostbar erscheinen lässt.

So schritt ein Mann mit silbernen Haaren vor die Tür seiner Behausung, mit dem Ziel, sich selbst und seiner Familie einen Vorteil in dieser von Chaos gebeutelten Welt zu verschaffen. Er war im Begriff, seine entkräftete Frau am vermutlich wichtigsten Tag überhaupt alleine zu lassen, um zu tun, was ihm richtig erschien. Denn kein Kodex und keine Moral konnten ein Herz aufhalten, das einen lebensverändernden Entschluss gefasst hatte. Aus diesem Grund wurde er ein Teil der Schwärze und verschwand.

Blitze zuckten auf. Sie wurden von lautem Donner sowie heulendem Wind und prasselndem Regen begleitet. Die launische Nacht war finster und kalt. Streckte man eine Hand aus, so verlor sie sich rasch in der Dunkelheit, und hob man den Kopf, so bekam man sofort eisige Peitschenhiebe zu spüren.

Jeder Mensch, der zu dieser Zeit an das Fenster seiner Unterkunft getreten wäre, hätte ein solch unfreundliches Wetter für ein schlechtes Omen gehalten. Doch für eine ganz besondere Frau war diese stürmische Nacht die glücklichste ihres Lebens, obwohl sie unter beinahe unerträglichen Schmerzen litt und schon bald in das Antlitz des Todes blicken würde.

Der nicht sehr außergewöhnliche Schauplatz jener schicksalhaften Ereignisse, die der Auftakt zu einem wunderbaren Abenteuer werden und in einer gewaltigen Schlacht zwischen den Völkern Azuras gipfeln sollten, war eine einsame namenlose Insel inmitten des unergründlichen Ozeans.

Die werdende Mutter lag auf einem schlichten Podest aus hartem Stein. Ihre nackten Beine waren gespreizt, und auf ihrer Stirn bildeten sich Schweißtropfen. Um das provisorische Lager hatten sich engste Angehörige versammelt. Sie alle warteten gespannt auf die Geburt des Kindes. Obwohl die schmerzerfüllten Schreie der Mutter ihre Trommelfelle in Mitleidenschaft zogen, hörte man außerhalb der Höhle, in der sie sich befanden, keinen einzigen der erschütternden Laute. Sowohl das Klatschen des Regens als auch das Pfeifen des Windes übertönten jedes andere Geräusch mit Leichtigkeit.

Nichtsdestotrotz wurde ein feindlich gesinnter Reisender auf den Geburtsritus aufmerksam. Wie aus dem Nichts erschien der große Mann im nahegelegenen Tal, das von alten und hohen Bäumen mit prächtigen Kronen umschlossen war. Er hatte die weite Kapuze seines roten Umhanges über den Kopf gezogen und ging leicht gebückt. Entschlossen erklomm er den Weg, der ihn auf den Hügel mit der Höhle führte, dem Zufluchtsort seiner Beute.

Dort war die Geburt mittlerweile bereits vollzogen. Eine Amme hielt das schreiende blutbefleckte Kind in die Höhe und begutachtete es sorgfältig, bevor sie es seiner Mutter in die Arme legte. Im flackernden Schein des Kerzenlichtes konnte man sehen, wie die Sorgen von den aufgewühlten Gesichtern der Eltern endlich verschwanden. All ihre Ängste und Zweifel schienen auf einmal wie weggespült, als hätten sie nie existiert.

»Xin«, verkündete die Mutter mit einer schwachen Stimme, die kaum zu hören war. »Dies ist sein Name.«

»Er wird ein starker und gerechter Krieger«, fügte der Vater lächelnd hinzu.

Als ob es die Worte seiner Eltern verstanden hätte, gab das Neugeborene ein glucksendes Geräusch von sich, gleich einem Lachen, bevor es wieder zu schreien begann.

Plötzlich wurde die Höhle von einem Blitz erleuchtet, und der ohrenbetäubende Knall des Donners folgte sofort. Alle Köpfe drehten sich in Richtung Höhleneingang, wo eine fremde Gestalt aufgetaucht war, ein unheilvolles Wesen mit rotem Umhang.

Es schien, als ob jeglicher Lärm von außerhalb der Höhle verschwunden war. Das Donnergrollen war kaum mehr zu hören. Im Gegensatz dazu wurde das Geschrei des Neugeborenen lauter und hysterischer, doch selbst ihm galt keine Aufmerksamkeit mehr, denn alle Blicke ruhten nun auf dem Neuankömmling.

Die Kapuze des roten Umhanges wurde zurückgeschlagen. Darunter kam das markante Gesicht eines Mannes mittleren Alters mit breiter Nase und ausdruckslosen Augen zum Vorschein. Sein Mund war zu einem Grinsen verzogen, und auf seinem Kopf befand sich langes glattes Haar, das silbern glänzte. Jeder der Anwesenden wusste, um wen es sich hierbei handelte.

»Yasa«, knurrte der Vater des Neugeborenen. Seine Hand, die auf der Schulter seiner Geliebten ruhte, versteifte sich.

»Ganz recht«, murmelte der Mann mit den silberfarbenen Haaren. Dass er alleine gekommen war, zeugte davon, dass sich die Situation zugespitzt hatte. Er trat langsam vor, streckte seinen rechten Arm in die Höhe und breitete seine Finger aus.

Einer der Blitze, die außerhalb wüteten, änderte seinen Kurs und schoss in die Höhle. Wie ein tödliches Projektil mit wahnwitziger Geschwindigkeit schnellte er durch den natürlichen Hohlraum und durchbohrte zwei der Anwesenden.

Noch bevor die beiden Körper der Astra, die sich in dieser Nacht hier eingefunden hatten, um der Geburt eines Kindes beizuwohnen, auf dem kalten Boden aufschlugen, begriff die Mutter des Neugeborenen, dass es zu spät war, um alle ihre Freunde retten zu können. Sie lag immer noch auf dem steinernen Podest und war zu schwach, um sich erheben zu können. Aus diesem Grund tat sie das einzig Mögliche und drückte ihr Kind in die Hände ihres Geliebten.

In dem Moment, in dem sie das Baby losließ, fühlte sie einen unvorstellbar quälenden Schmerz in ihrer Brust. Wie hatte es dazu kommen können, dass ihr eigenes Kind nicht länger als wenige Atemzüge lang die gütige Wärme seiner Mutter erfahren durfte?

Der Vater sah sein Kind an, und dann die Frau, die er über alles liebte.

»Du verlangst zu viel«, flüsterte er.

Um die Eltern war Chaos ausgebrochen, denn die anwesenden Astra, welche einen Schutzring um die dreiköpfige Familie gebildet hatten, führten nun einen erbitterten Kampf gegen den Eindringling mit dem roten Umhang. All das war in diesem Moment völlig unbedeutend für das sich liebende Paar.

Die Mutter war den Tränen nahe, bemühte sich jedoch zu lächeln.

»Es ist gut so. Bitte, bring ihn in Sicherheit.«

Sie verabschiedeten sich stumm. Beim nächsten Donnergrollen war der Vater bereits verschwunden.

In der Höhle befanden sich nun nur noch die Mutter und der Mann im roten Umhang. Alle anderen lagen leblos auf dem Steinboden, der immer noch von einigen Kerzen, welche dem Wind nicht nachgegeben hatten, beleuchtet wurde.

Yasa, der Neuankömmling mit den silbernen Haaren und den ausdruckslosen Augen, welcher die Schuld für dieses Massaker trug, schritt auf das Podest in der Mitte der Höhle zu. Sein Herzschlag hatte sich beschleunigt, und er fühlte sich überaus erregt, denn bald würde er am Ziel seiner Träume angelangt sein.

Mit einem hässlichen Grinsen im Gesicht beugte er sich über die heftig keuchende Mutter, die ihre Augen kaum geöffnet halten konnte. Als sie Yasa anblickte, überkam sie ein Gefühl der Übelkeit.

»Wie wunderschön du bist, selbst nach einer solchen Tortur«, flüsterte Yasa und wischte der nackten Mutter eine Strähne ihres goldenen Haares aus dem Gesicht. »Es ist eine Schande, dass du nicht als Nova geboren wurdest.«

Ein Schrei hallte durch die Höhle. Yasa taumelte zurück und griff sich an die Wange. Er spürte warmes Blut auf seiner linken Gesichtshälfte. Erzürnt verpasste er der Mutter eine schallende Ohrfeige.

»Wie kannst du es wagen, mich anzugreifen?«, fauchte Yasa.

»Ich bin stolz darauf, eine Astrum zu sein«, sagte die Mutter bestimmt. »Und dieser Stolz wird in meinem Sohn weiterleben – er wird selbst dann weiterleben, wenn du uns alle getötet hast.«

Yasa lächelte.

»Das wollen wir doch einmal sehen.«

Nur eine kurze Zeit nach dem Tod der Mutter hatte der rot gekleidete Mann den Vater eingeholt. Die unbeschreibliche Verfolgungsjagd durch den düsteren Wald der einsamen Insel endete mit dem Sturz des Flüchtenden. Während der Vater im Schlamm liegend sein neugeborenes Kind mit einem Schutzbann versah, ging sein Verfolger gelassen und siegessicher auf ihn zu.

Schwere Regentropfen fielen auf den aufgeweichten Waldboden und wirkten dabei wie Tränen des Himmels. Yasa, dessen durchnässte Haare an seinem Kopf klebten, wollte nicht ruhen, bis er auch noch die letzten beiden Astra getötet hatte.

»Wie viele?«

»Was meinst du?«, kicherte Yasa höhnisch.

»Wie viele Astra sind noch übrig?«

Der Vater schloss seine Arme um das Kind und blickte voller Verzweiflung in Yasas Gesicht. Dieser antwortete zunächst nur mit einem dämonischen Lachen, das seinem Gegenüber sofort einen Schauer über den Rücken jagte.

»Niemand ist übrig«, sagte der Schurke mit dem silbernen Haar dann und zeigte mit dem Finger auf das Neugeborene. »Alle sind tot. Jetzt fehlen nur noch du und das da.«

Wild schüttelte der Vater den Kopf.

»Niemals.«

Kurz bevor Yasa reagieren konnte, warf der Vater sein Kind in die Höhe. Das Baby, eingewickelt in schmutzige Stofffetzen, segelte eine kurze Zeit lang durch die Luft und löste sich dann plötzlich auf. Zurück blieben nur die Lumpen, die zu Boden fielen und im Schlamm landeten.

»Du Narr!«

Yasa beschwor einen weiteren Blitz und ließ ihn durch den Körper seines am Boden liegenden Feindes fahren. Der Vater starb mit Tränen in den Augen und mit einem Lächeln auf den Lippen.

Langsam griff Yasa nach den im Dreck liegenden Lumpen und hielt sie anschließend in die Höhe, wie um einer stummen Warnung Ausdruck zu verleihen.

»Ich werde dieses Kind schon noch finden«, grunzte Yasa schließlich und spuckte auf die durchlöcherte Leiche zu seinen Füßen. »Ich werde es finden.«

Der silberhaarige Nova im roten Umhang, welcher nun kaum seine unbeschreibliche Wut bändigen konnte, hatte zwar den Großteil der Astra getötet, doch dieses eine Kind hatte er nicht weiter verfolgen können. Ganze sechzehn Jahre warteten die Novae vergeblich auf eine Spur dieses Kindes mit dem Namen Xin.

Das Baby erschien mehrere tausend Felder entfernt auf einer kleinen Insel namens Maradonien. Auch hier herrschte ein Unwetter, und die Regentropfen, welche von den dunklen Wolken nicht mehr gehalten werden konnten, prasselten auf das Kind herab, so als wollten sie es unsanft reinwaschen. Es schrie aus Leibeskräften, doch nicht wegen der eisigen Kälte der Nacht und auch nicht wegen des brutalen Windes – sondern aufgrund der Tatsache, dass es spürte, wie seine Eltern und der Rest seiner Familie es für immer verlassen hatten … und das obwohl sich das Neugeborene später an die grausame Tat der Novae glücklicherweise gar nicht erinnern können würde.

Was blieb, war ein Gefühl der Leere.

das Schicksal von Azura

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