Читать книгу Leto und Niobe - Kim Bergmann - Страница 5

Abschied

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Leto verließ das Haus ihrer Eltern mit einem erleichterten Seufzen. Nach zwei Tagen bei Zeus war sie heimgekehrt, um ihre Familie darüber zu unterrichten, dass sie diesmal länger fortbleiben würde. Koios und Phoibe hatten sich bisher keine Gedanken gemacht, da es oft vorkam, dass ihre ältere Tochter auf ihren Streifzügen durch Griechenland das Heimkehren vergaß, aber da es diesmal einen männlichen Grund dafür gab, hatten sie sich neugierig gezeigt. Asteria hatte wenig von Hekates Vater erzählt; er sei kein Partner, nach einem solchen habe sie auch nie gesucht, und es käme nur auf ihre Tochter an, nicht auf ihn. Ihre Eltern glaubten an die Liebe und an die Partnerschaft, und sie hatten heimlich befürchtet, dass Hekate vom Kindsvater verlassen worden sei und nun mit gebrochenem Herzen zu leben versuchte. Sie hatten sie eine Weile mit Sorge betrachtet, doch da ihr Verhalten in völligem Einklang mit ihren Worten stand, hatten sie sich damit abgefunden und kümmerten sich liebevoll um die vaterlose Enkelin.

Leto dagegen hatte geradezu gestrahlt, als sie von Kreta heimgekommen war. Ihr war deutlich anzumerken gewesen, dass es sich hier um einen anderen Fall als bei ihrer jüngeren Schwester handelte. Und doch hatte es gewirkt, als würde dieses Strahlen, so unübersehbar es war, auch von einem Schatten verfolgt. Koios und Phoibe hatten sich Sorgen gemacht und nachgehakt.

Erst hatte Leto verschweigen wollen, was Zeus ihr über den bevorstehenden Krieg gesagt hatte, doch sie hatte es nicht übers Herz gebracht. Sie wusste, dass ihre Eltern friedliebende, freundliche Personen waren, die von plötzlichen Kampfhandlungen gänzlich überrascht werden und keine Ahnung haben würden, wie sie sich verhalten sollten. Also hatte sie ihnen den Sachverhalt geschildert und wiederholt, was Zeus gesagt hatte: „Alle Titanen, die sich der Schlacht fernhalten, werden unter der neuen Herrschaft ein friedliches Leben führen können.“

Koios und Phoibe hatten einen langen Blick gewechselt.

„Liebling“, hatte Phoibe schließlich angesetzt, „wir führen auch jetzt ein friedliches Leben. Ist es wirklich notwendig, dass dein Zeus es erst durcheinander bringt?“

Leto hatte beide Hände in den Haaren vergraben und die Ellenbogen auf den Tisch gestützt.

„Ich glaube, ja. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er es selbst nicht unbedingt möchte, aber er wurde in dem Wissen aufgezogen, dass er es sein wird, der die Herrschaft des Kronos beendet. Rheia erwartet es von ihm für all das Leid, das Kronos ihr zugefügt hat, und außerdem... außerdem glaube ich, dass es ihm auf irgendeine Art, die ich nicht verstehe, bestimmt ist. Ich meine, Kronos, der über die Zeit und über alle Geschöpfe gebietet, soll aus reinem Unverstand den Unterschied zwischen einem Säugling und einem Lehmklumpen nicht gesehen haben? Das fällt mir schwer zu glauben. Vermutlich hat es einen Grund, dass gerade dieses Baby gerettet wurde. Und dann – Vater, weißt du noch, wie du mir erzähltest, dass Uranos Kronos geweissagt hatte, dass auch er von der Hand eines Sohnes gestürzt werden würde? Es gibt keinen Sohn außer Zeus, der das tun könnte.“

Sie war aufgestanden.

„Ich gehe jetzt zu ihm zurück.“

Ihre Eltern hatten sie fest umarmt.

„Wann kommst du wieder, Liebes?“

Leto hatte ein wenig verzweifelt gelächelt.

„Wenn der Krieg beginnt, Vater.“

Dann war sie aus dem Haus getreten, und hier stand sie nun und spürte, wie die Anspannung, die sie nicht hatte abschütteln können, von ihr abfiel. Ihre Eltern wussten Bescheid, und sie konnte nach Kreta zurückkehren.

Mit schnellen Schritten machte sie sich auf den Rückweg; sie war nicht lange fort gewesen, aber es zog sie mit aller Macht wieder zu Zeus, da sie wusste, dass ihre Zeit begrenzt sein würde.

Als sie schließlich viel später die Insel erreichte und etwas außer Atem den Pfad zu seiner Grotte einschlug, sah sie ihn schon von weitem. Er rang vor dem Eingang mit einem großen Mann, der sich trotz seiner enormen Muskeln graziös bewegte und Zeus offenbar große Probleme bereitete.

Ehe sie überlegen konnte, was zu tun war, ließ ein Instinkt sie nach einem Stein greifen und vorwärts stürzen. Als sie jedoch auf die beiden zu lief und die Faust hob, warf Zeus einen Blick in ihre Richtung, bekam große, erstaunte Augen und keuchte seinem Kontrahenten etwas zu. Sofort ließen die beiden Kämpfenden voneinander ab und traten auseinander, und Zeus fing Leto auf, die nicht so schnell innehalten konnte.

Für einen Moment standen alle drei heftig atmend voreinander, dann breitete sich ein amüsiertes Lächeln über des Fremden Gesicht.

„Bei so tatkräftiger Unterstützung mache ich mir keine Gedanken mehr über den Ausgang der Revolte, Zeus.“

Er verneigte sich vor Leto.

„Mein Name ist Aison. Ich bin Priester hier auf Kreta und Partner deines Schützlings beim Training verschiedener Kämpfe.“

Leto ließ den Stein fallen und stellte sich verlegen vor, dann erklärte Zeus: „Ich habe mein Training in den letzten Tagen vernachlässigt. Sicherlich hätte ich dafür keinen besseren Grund finden können, aber ich muss wieder damit anfangen.“

Er beugte sich vor und flüsterte ihr ins Ohr: „Ausdauer allein ist nicht genug, fürchte ich.“

Leto schoss das Blut ins Gesicht, und Zeus schob sie lachend in Richtung der Grotte, wo sie sich in den Eingang setzte und den beiden Männern zusah.

Wenn sie für einen Moment nicht daran denken musste, wofür die beiden arbeiteten, konnte sie das Schauspiel direkt genießen, war es doch gleichermaßen spannend wie elegant, doch die Erinnerung an den Zweck dieser Übungen legte sich wie eine düstere Wolke über die ganze Szenerie.

Leto und Zeus saßen im Schatten des Olivenbaums, unter dem sie sich kennengelernt hatten, und versuchten so zu tun, als stünde kein Krieg unmittelbar bevor. Die letzten Wochen waren schön gewesen: Sie waren den ganzen Tag über beisammen gewesen, waren über die Insel gewandert, geschwommen und geklettert, des Abends hatten sie gemeinsam gekocht und sich Geschichten erzählt, und sie hatten sich so häufig wie möglich geliebt.

Die Unbeschwertheit des ersten zauberhaften Tages hatte sich jedoch nicht wieder eingestellt. Aison war täglich für die Trainingsstunden gekommen, und wenn auch Leto nicht umhin gekonnt hatte, Zeus grenzenlos für seine Stärke und Geschicklichkeit zu bewundern, so hatte sie doch nie vergessen, dass sein eigentlicher Gegner kein Inselpriester, sondern der Weltenlenker war.

Zeus selbst war von Tag zu Tag unruhiger geworden. Auch wenn er zu Leto lieb und sanft gewesen war und mit ihr gescherzt hatte, hatte sie doch gefühlt, wie er Nacht für Nacht von Alpträumen geplagt worden war, und wo auch immer sie gewesen waren, hatten plötzliche Geräusche ihn auffahren lassen. Leto hatte mehr als einmal, wenn er wachsam mit den Augen die Gegend absuchte, beruhigend seinen Nacken gestreichelt und bekümmert festgestellt, dass seine Sehnen angespannt waren wie Saiten einer Zither.

Jetzt gerade war er halbwegs entspannt; sein Kopf lag in ihrem Schoß, und während sie seine Haare streichelte, erzählte er ihr von dem Tag, an dem er als Junge in den Felsen herum geklettert war und es tatsächlich geschafft hatte, sich zu verirren, bis er auf die Ziege Amaltheia, mit deren Milch er aufgezogen worden war, getroffen war und hinter ihr her laufend nach Hause gefunden hatte.

„Schlimm genug, dass die Nymphen nicht besser auf dich Acht gegeben haben. Kronos hätte dich finden können.“

Von Leto und Zeus unbemerkt war eine Frau an sie herangetreten, die langen schwarzen Haare hochgesteckt, die dunkelbraunen Augen fast lodernd von intensivem Gefühl. An den Linien ihres früher sicherlich hübschen Gesichts ließ sich ablesen, um was für ein Gefühl es sich handelte: Es war langjähriges Leid, gemischt mit dem Bedürfnis nach Rache.

Leto saß schreckensstarr, doch Zeus sprang nach einer Sekunde auf die Füße.

„Rheia!“

Rheia blickte von ihm zu Leto und hob unmerklich eine Augenbraue.

„Ich hatte nicht angenommen, dass es dich überraschen würde, mich zu sehen. Hoffentlich hast du deine Vorbereitungen nicht vernachlässigt.“

Leto erhob sich und trat mit zitternden Knien auf die Mutter ihres Geliebten zu.

„Ich bin Leto, die Tochter des Koios und der Phoibe. Ich freue mich, dich kennen zu lernen, Rheia.“

Rheias fanatischer Gesichtsausdruck wurde fast unmerklich eine Spur milder, als sie sagte: „Das kann ich mir kaum vorstellen. Lauf nach Hause, Kind. Zeus wird Kreta jetzt verlassen.“

An ihren Sohn gewandt fügte sie hinzu: „Komm. Die Zeit ist da.“

Zeus hob die Hand in ihre Richtung, bat stumm um einen Augenblick. Er trat auf Leto zu, nahm sie in die Arme, küsste sie innig und flüsterte: „Ich komme, so bald ich kann.“

Er schaute sie nochmals an, wie, um ihr Bild in seine Netzhaut zu brennen, dann ließ er von ihr ab und folgte seiner Mutter, die ungeduldig vorangegangen war.

Letos Knie gaben nach, und sie sank an derselben Stelle zu Boden, an der sie vor Wochen gesessen und sich müßige Gedanken gemacht hatte. Sie wurde nicht ohnmächtig. Zwar hätte sie es sich gewünscht, um dem unerträglichen Druck zu entkommen, der sich auf ihre Kehle und ihre Brust gelegt hatte, aber sie konnte nichts anderes tun, als gegen dieses Gewicht um jeden Atemzug zu kämpfen.

Irgendwann begann die Sonne zu sinken, und Leto hörte leise Schritte auf dem Weg, konnte aber nicht aufschauen. Jemand legte ihr behutsam die Hand auf den Nacken und hielt ihr einen Becher gewärmten Weines an die Lippen.

„Trink.“

Aison war gekommen.

Leto zwang sich, ein paar Schlucke zu trinken, und endlich ließ der Druck ein wenig nach.

Lautlos begann sie an der Brust des hühnenhaften Priesters zu weinen.

Leto und Niobe

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