Читать книгу Blutengel: Nathanael - Kim Landers - Страница 10

4.

Оглавление

Tessa warf sich im Bett hin und her. Obwohl sie völlig erschöpft war, konnte sie einfach nicht einschlafen. Immer wieder kehrten ihre Gedanken zu dem Fremden und dem Kuss im Aufzug zurück.

Sie musste ihn als flüchtige Begegnung abhaken und sich schnellstens aus dem Kopf schlagen. Leider war das gar nicht so leicht, denn er hatte ihre Sinne aufgewühlt. Rein sexuelle Anziehungskraft, mehr nicht. Sie war nicht dazu bereit, sich auf ein Abenteuer einzulassen und ihre Beziehung zu Steven aufs Spiel zu setzen.

Wenn sie sich doch nur in diesem Moment Hazel hätte anvertrauen können.

Hazel! Die hatte sie doch glatt vergessen. Die Séance war schon lange vorbei, aber kein Anruf, keine SMS war eingegangen. Das kannte sie gar nicht von ihrer Freundin.

Tessa schaltete die Nachttischlampe ein und griff nach dem Telefon. Es war zwar schon fast eins, aber Hazel ging eigentlich nie früher zu Bett. Schnell wählte sie ihre Handynummer. Doch anstelle ihrer Freundin antwortete ihr nur die Mailboxansage.

«Ich bin’s, Tessa. Wenn du noch wach bist, melde dich bitte. Ich platze vor Neugier.»

Sie knipste das Licht wieder aus und wartete auf Hazels Rückruf. Als dieser auch nach zehn Minuten noch nicht gekommen war, fing sie an, sich ernsthaft zu wundern. Es war völlig untypisch für Hazel, sich nicht sofort zurückzumelden.

Und wenn ihr etwas auf der Séance zugestoßen war?

Solch ein Blödsinn. Tessa schüttelte über sich selbst den Kopf. Die Teilnehmer saßen nur um einen Tisch und sprachen mit Geistern, die nicht existierten. Was sollte da schon passiert sein?

Es gab sicher einen guten Grund, warum sie sich nicht zurückgemeldet hatte. Dennoch verspürte Tessa eine unerklärliche Furcht um ihre Freundin.

Sicherlich trug ihre verwirrende Begegnung mit diesem seltsamen Fremden dazu bei. Sie war eindeutig überreizt.

Obwohl Übersinnliches in Tessas Leben bislang keinerlei Bedeutung besessen hatte, schien ihr ihre Angst um Hazel wie eine dunkle Vorahnung. Seltsam, damals vor dem Überfall war es ihr ähnlich ergangen, aber sie hatte es nicht wahrhaben wollen. Weil du nicht daran geglaubt hast, meldete sich ihre innere Stimme.

Vorahnungen, Hellsehen, mit Toten reden, das gab es nicht. Auf keinen Fall in der Realität. Das wusste Hazel, rational denkende Programmiererin, die sie war, und sie selbst auch.

Deshalb hatte die Freundin sicher die Séance auch mit ihrem ständigen Gekicher gestört. Tessa lächelte bei der Vorstellung, aber das ungute Gefühl blieb. Sie hatte einfach Angst und wusste nicht, weshalb.

Irgendwann musste sie dann doch eingeschlafen sein. Aber wirre Träume, in denen der Fremde und Hazel die Hauptrollen spielten, ließen sie auch dann nicht zur Ruhe kommen.

Auf der Suche nach ihrer Freundin, die spurlos in einer Kaschemme verschwand, rannte sie eine Straße entlang. Sie irrte durch ein Labyrinth von einsamen Straßen im Hafenviertel, bis sie auf Hazel traf. Die Freundin stand mitten auf der Straße und lachte, bevor sie sich umdrehte und wieder davonlief. Tessa folgte ihr.

Das Ganze wiederholte sich mehrmals. Immer wenn Tessa glaubte, Hazel eingeholt zu haben, drehte die sich lachend um und lief davon. Der Fremde wartete an jeder Straßenecke und quittierte ihre erfolglosen Bemühungen mit einem Grinsen. Nebel kroch durch die Straßen und verschluckte alles.

Das undurchdringliche Weiß ließ Tessa in Panik geraten. Sie rannte geradeaus. Doch dort, wo eben noch Häuser gestanden hatten, gab es nichts außer Nebel. Sie drehte sich um und versuchte es in einer anderen Richtung. Aber gleichgültig, welchen Weg sie einschlug, er führte sie nur noch tiefer in das dichte Weiß hinein.

Verzweifelt schlug sie die Hände vors Gesicht und weinte.

Plötzlich tauchte dicht vor ihr der attraktive Fremde auf. Er zog sie in seine Arme und presste sie fest an seinen muskulösen Körper. In seinen Armen fühlte sie sich geborgen und fand Trost. Unter seinem verlangenden Blick schienen überall auf ihrer Haut kleine Flammen zu tanzen.

Sie legte die Arme um seinen Nacken und reckte sich ihm entgegen. Dabei drückten sich ihre Brüste an seinen Körper. Sofort reagierten ihre empfindlichen Brustwarzen und härteten sich. Er senkte seinen Kopf und küsste sie ungestüm.

Hitze schoss in ihren Schritt und bewirkte ein lustvolles Ziehen, das sich in ihrem Unterleib ausbreitete. Seine Zunge fand den Weg zwischen ihren Lippen hindurch, um das Innere ihres Mundes zu erkunden. Tessa verbrannte unter der Geschicklichkeit seiner Zunge und drängte sich ihm noch mehr entgegen.

Immer wieder trafen sich ihre Zungenspitzen in einem wilden Rhythmus. Ihre Begierde wuchs ins Unermessliche. Sie wollte ihn nackt spüren und schob ihre Hände unter sein Shirt.

Langsam fuhren ihre Finger über seinen wohlgeformten Oberkörper und spürten seinen Herzschlag. Seine Haut fühlte sich glatt und fest an. Er stöhnte und leckte über ihr Ohrläppchen.

Tessa suchte seinen Blick, um die Leidenschaft darin zu sehen. Sie erstarrte, als seine Pupillen feuerrot glühten. Schlagartig verflog ihr Verlangen und wandelte sich in blankes Entsetzen. Sie stemmte mit aller Kraft die Arme gegen seinen Brustkorb und schrie.

Tessa erwachte von ihrem Schrei. Sie schwitzte und ihr Atem ging stoßweise. Zwischen ihren Schenkeln spürte sie die Feuchtigkeit, die von ihrem Traum herrührte.

Sie schleppte sich ins Bad und kühlte ihr Gesicht mit Wasser. Eigentlich hätte sie sich unter die kalte Dusche stellen sollen, um das Feuer ungestillten Verlangens zu löschen, das noch immer in ihr loderte. Sie hatte sich nichts sehnlicher gewünscht, als Sex mit ihm zu haben. Wilden, heißen Sex.

War sie von Sinnen? Dieser Mann war in ihr Leben eingebrochen und verursachte ein emotionales Chaos. Das konnte sie nicht gebrauchen.

Zitternd kehrte sie ins Bett zurück. Von Steven hatte sie nie so geträumt. Das deprimierte sie. Vielleicht lag es daran, dass sie das letzte Mal vor Wochen miteinander geschlafen hatten.

Es musste also nur ein sexy Mann auftauchen, um sie in Versuchung zu führen. Sie schämte sich für ihre Fantasien, in denen sie Steven verraten hatte. Alberner Traum.

Sie warf sich im Bett noch lange unruhig hin und her, bis sie endlich in einen traumlosen Schlaf fiel.

Am nächsten Morgen wachte sie zerschlagen auf. Jeder Zentimeter ihres Körpers schmerzte. Weil Samstag war, blieb sie den ganzen Tag im Bett. Sie wartete auf einen Anruf oder Besuch Hazels, aber die Freundin machte sich rar.

Bis zum Abend hatte sie noch immer nicht mit ihr gesprochen. Immer wieder meldete sich nur ihr Anrufbeantworter oder ihre Mailbox.

Die Unruhe des Vorabends kehrte zurück, stärker als zuvor. Irgendetwas stimmte nicht, das spürte sie. Das war nicht Hazels Art. Sie musste immer gleich alles loswerden, was sie bewegte, egal, ob gut oder schlecht.

Ein flaues Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus. Sie musste wissen, was los war.

An diesem Wochenende arbeitete Steven in seiner Firma. Sie war allein und nichts stand einem Besuch bei Hazel im Weg. Das war besser, als zu Hause rumzuhängen und über Warums und Abers zu grübeln.

Es dämmerte bereits, als sie sich auf den Weg zu Hazel nach Brooklyn machte. Sie verzichtete auf eine Fahrt mit der U-Bahn und nahm stattdessen den Wagen.

Wegen des zähen Verkehrs auf der Brooklyn Bridge kam sie nur langsam voran. Genervt trommelte sie mit den Fingern auf das Lenkrad.

Sie war froh, als sie ihren Wagen eine halbe Stunde später vor dem Block parkte, in dem Hazels Wohnung lag. Die Gegend mit den vielen leer stehenden Häusern des vergangenen Jahrhunderts war ihr suspekt. Sie hatte nie verstanden, was ihre Freundin an den Ort ihrer Kindheit verschlagen hatte, wo sie sich doch eine exklusive Wohnung in der Nähe des Central Parks leisten konnte.

Sie begegnete nur wenigen Fußgängern, die meisten waren mit dem Wagen unterwegs. Vor einem Zeitungsshop kläffte sie ein Hund an.

Um zu Hazels Wohnung zu gelangen, musste sie einen Innenhof überqueren, der nur spärlich ausgeleuchtet war. Bei Einbruch der Dämmerung wurde ihr immer seltsam zumute, als wäre es wie damals, als sie für Steven die Zigaretten im Supermarkt holen wollte. Und dann … Nur nicht daran denken.

Tessa rümpfte die Nase, denn bei den Mülltonnen roch es nach verdorbenem Fisch. Sie hastete über den asphaltierten Hof. Das Klackern ihrer Absätze hallte von den Hausmauern wieder.

Aus dem Schatten des Hauses funkelten sie gelbe Augen an. Tessa blieb erschrocken stehen. Zu ihrer Erleichterung war es nur eine Katze, die fauchend hervorsprang und an der Hausmauer entlanghuschte.

Tessa stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und lief zur Haustür.

Unzählige Klingelschilder leuchteten auf der zerkratzten Metallplatte neben der Haustür. In der obersten Reihe prangte Hazels Name. Tessa drückte den Knopf. Ihre Freundin wohnte fast unterm Dach des zwanzigstöckigen Hochhauses. Zum Glück gab es einen Fahrstuhl.

Als die Tür sich nicht öffnete, trat Tessa zurück und blickte zu Hazels Wohnung hinauf. Die Fenster waren dunkel. Vielleicht schlief sie schon? Zwei Abende hintereinander ging Hazel niemals aus. Tessa drückte noch einmal den Klingelknopf, aber der Summer blieb stumm.

Enttäuscht wandte sie sich um. Den Weg hätte sie sich sparen können. Wo mochte Hazel nur stecken? Und wieso ging sie nicht ans Handy und beantwortete keine SMS? Das passte nicht zu ihr.

Plötzlich zuckte sie zusammen und wirbelte herum. War da nicht eben ein Schatten gewesen, drüben zwischen den Mülltonnen? Tessa kniff die Augen zusammen und starrte hinüber. Aber sie konnte nichts erkennen. Sicher spielten ihr ihre Nerven einen Streich.

Doch dann schälte sich ein Mann aus dem Schatten der Garagen und schlich an den Toren entlang. Nicht auch noch ein Einbrecher! Tessa presste sich mit dem Rücken gegen die Hauswand und beobachtete ihn. Mit einem mächtigen Satz sprang er auf das Holzdach der beiden offenen Garagen, die die Lücke zum Nachbarhaus füllten, als wäre es eine leichte Übung. Dabei war er nicht einmal übermäßig muskulös, sondern eher schmächtig.

Tessa glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Er lief quer über das Dach, das nahtlos ans Haus anschloss, und kletterte wie ein Insekt an der Mauer empor.

Unmöglich! Das gab es nicht.

Er bewegte sich mit einer Schnelligkeit und Geschmeidigkeit, die Spiderman Konkurrenz machte. Fast hätte sie aufgeschrien.

Sie schloss die Augen und zwang sich, langsam ein- und auszuatmen.

Als sie die Augen wieder öffnete, war er verschwunden. Langsam löste sie sich von der Hausmauer und lief auf Zehenspitzen weiter. Dann blieb sie stehen und ließ den Blick schweifen, um sich zu vergewissern, ob er noch in der Nähe war.

Sie erstarrte, als sie an der Kante des Daches die Silhouette einer Frau mit ausgebreiteten Armen erkannte.

«Oh, mein Gott.» Tessa schlug die Hand vor den Mund. Sekundenlang erhellte die Leuchtreklame an der Wand des dahinterliegenden Hochhauses das Dach. Die schmale Figur, das helle Haar … das war Hazel – und sie wollte springen. Niemals! Nicht ihre Freundin.

«Hazel!», schrie Tessa. Ihre Stimme überschlug sich vor Angst. «Hazel! Nein!»

Aber ihre Freundin hörte sie nicht.

Sie musste sie davon abhalten.

Tessa rannte zur Haustür zurück und fuhr mit den Fingern über alle Klingelknöpfe. Irgendjemand musste ihr öffnen. Das Herz raste ihr in der Brust.

Ein Hund bellte im Haus, jemand schimpfte. Fenster öffneten sich. Jemand grölte «Hau ab!», ein anderer «Bist du durchgeknallt, Alte?».

«Verdammt, macht doch endlich auf!», rief sie unter Tränen.

Da ertönte endlich der Summer. Tessa drückte die Tür auf, als sie hinter sich einen scharfen Luftzug spürte und eine Bewegung wahrnahm. Als etwas dumpf auf den Boden schlug, wirbelte sie herum und schrie auf.

Nur wenige Schritte von ihr entfernt lag Hazel wie eine verrenkte Gliederpuppe inmitten einer Blutlache. Ihre Augen starrten leblos nach oben.

Tot, tot, hämmerte es in ihrem Kopf. Alles begann sich um sie zu drehen. Unaufhörlich rollten die Tränen über ihr Gesicht, während sie immer wieder den Namen ihrer Freundin stammelte.

Aufgeregte Stimmen näherten sich. Jemand schubste sie beiseite. Tessa stolperte auf die Leiche zu, als ihr plötzlich schwarz vor Augen wurde und sie zu Boden stürzte.

Blutengel: Nathanael

Подняться наверх