Читать книгу Die Schule der Wunderdinge (1). Hokus Pokus Kerzenständer - Kira Gembri - Страница 11
Оглавление4. Kapitel
»Was ist DAS denn?« Frau Schmelings dünne Augenbrauen schoben sich zu einer Linie zusammen. Halb fassungslos, halb verärgert, blätterte die Rektorin durch das Notizbuch. »Mathilda, ist dir klar, gegen wie viele Schulregeln diese kindischen Pläne verstoßen würden? ›Doofe Witze‹ sind hier nicht erwünscht. Rutschen und Hüpfburgen sind nicht erwünscht. Furzkissen sind –« Frau Schmeling stockte, als schaffte sie es nicht, über Furzkissen auch nur zu sprechen. Kopfschüttelnd begann sie, hinter ihrem Schreibtisch auf und ab zu marschieren.
»Was mache ich denn jetzt mit dir?«, überlegte sie laut. »Fürs Schulschwänzen habe ich normalerweise gar kein Verständnis. Aber ich kann dich doch nicht schon an deinem ersten Tag nachsitzen lassen!«
Irritiert blieb sie stehen, als in einem Winkel des Büros ein Räuspern ertönte. Auch Tilly drehte überrascht den Kopf. Sie hatte ganz vergessen, dass die Hausmeisterin noch hier war. Irgendwie schaffte sie es, sich so sehr an den Hintergrund anzupassen, dass man sie kaum bemerkte.
»Wenn Sie gestatten«, sagte die Hausmeisterin leise, »dann könnte das Mädchen mir als Wiedergutmachung ein wenig zur Hand gehen. Sie wissen ja, dass ich auch in diesem Schuljahr wieder ein paar freiwillige Helfer suche, aber heute habe ich noch niemanden. Dabei müsste man dringend die Ritzen zwischen den Fliesen säubern, die Unterseite von Regalbrettern abstauben, Türgriffe polieren …«
Tilly biss sich auf die Unterlippe. Freiwillig, von wegen! Das würde wahrscheinlich noch schlimmer werden als Nachsitzen. Leider schien Frau Schmeling aber sehr angetan von diesem Vorschlag zu sein.
»Wunderbar«, lobte sie, »so kann Mathilda mehr Respekt vor Ordnung und Sauberkeit entwickeln. Für den Rest der Stunde überlasse ich sie gerne Ihnen, Frau Wirbelig!« Sie setzte sich wieder an den Schreibtisch, und Tilly folgte der Hausmeisterin niedergeschlagen nach draußen. Dabei hatte sie das Gefühl, als müsste sie durch zähen Schlamm laufen. Was würden ihre Eltern sagen, wenn sie erfuhren, dass sie sich schon jetzt eine Strafe eingehandelt hatte? Und wozu, um Himmels willen, putzte man die Unterseite von Regalbrettern?! Missmutig schielte sie zu der Hausmeisterin hinüber, die es anscheinend gar nicht erwarten konnte, mit dem Putzen loszulegen. Ihre Schritte wurden immer schneller, bis sie vor einer unscheinbaren Tür anhielt.
Tilly seufzte leise. Jetzt kamen ihr Grammatikregeln und Divisionen beinahe verlockend vor. Wohl oder übel betrat sie hinter Frau Wirbelig den kleinen Raum, in dem nur ein Regal voller Putzsachen stand.
Mit einem Ruck wandte sich die Hausmeisterin um. »Hör zu, Tilly«, sagte sie – in einem so ernsten Tonfall, dass Tilly sich nicht zu fragen traute, woher Frau Wirbelig ihren Spitznamen kannte. »Was ich dir jetzt zeige, ist nur für die Augen ganz weniger Menschen bestimmt. Ich muss mich darauf verlassen können, dass du es für dich behältst. Außerdem darfst du nicht durchdrehen oder in Panik geraten. Glaubst du, dass du das schaffst?« Mit prüfendem Blick beugte sie sich vor, und Tilly bemerkte, dass die Hausmeisterin außergewöhnliche Augen hatte: grasgrün mit goldenen Sprenkeln. Wie merkwürdig, dass ihr das bisher gar nicht aufgefallen war.
»Äh, ja«, antwortete sie verwirrt.
»Nun gut.« Frau Wirbelig atmete tief durch und streckte ihre Hand zum Regal aus. Zielsicher griff sie nach etwas, das ganz hinten im mittleren Fach lag. »Bitte sehr!«, sagte sie und überreichte Tilly mit feierlicher Geste … einen Staubwedel.
In diesem Moment begann Tilly, sich ernsthafte Sorgen um die Hausmeisterin zu machen. Wie ferngesteuert schloss sie die Finger um den Stab, an dem ein Büschel graubrauner Federn hing. »Und jetzt?«
»Na, was wohl? Kitzle die Wand!«, verlangte Frau Wirbelig.
»Sie meinen … ich soll hier abstauben?«
»Ich meine es genau so, wie ich es gesagt habe. Versuch es hier drüben, da ist sie besonders empfindlich.« Frau Wirbelig deutete auf die Wand neben dem Regal, von der ein wenig Verputz abgeblättert war. Es war die einzige unordentliche Stelle, die Tilly bisher in der ganzen Blasslinger Grundschule gesehen hatte. Zögernd hob sie den Staubwedel und ließ die Federn kurz über die hervorlugenden Ziegel tanzen.
Die Wand begann zu lachen.
Um genau zu sein, gluckste sie wie eine nette ältere Dame, die einen besonders ulkigen Witz gehört hatte. Gleichzeitig dehnte sich das Loch im Verputz immer weiter aus. Als das Gekicher verstummte, war die Stelle bereits so groß und breit wie eine Tür.
Nein, es war eine Tür. Mit einem leisen »Plopp« erschien in der Mitte eine Klinke, die an eine ausgestreckte Hand erinnerte. Es wirkte sogar, als würde sie erwartungsvoll mit den Fingern wackeln.
Langsam hob Tilly den Blick. Frau Wirbelig beobachtete sie gespannt – und auf einmal spürte Tilly, wie wichtig es war, dass sie ganz ruhig blieb. Wenn sie erschrocken reagierte, würde Frau Wirbelig sie einfach wieder aus der Besenkammer schieben und so tun, als wäre das alles niemals passiert. Aber Tilly musste unbedingt herausfinden, was hinter dieser Tür war! Also sagte sie in einem Tonfall, als fände sie Kicherwände und Klinkenhände einfach nur interessant: »Oh, funktioniert das irgendwie mechanisch?«
Die Lippen der Hausmeisterin formten ein kleines Lächeln. Sie sah aus, als hätte sich gerade eine Hoffnung bei ihr erfüllt. Trotzdem antwortete sie nicht auf Tillys Frage, sondern meinte bloß: »Ich heiße übrigens Wilma. Vorsicht auf der siebten Stufe, die ist ein bisschen gemein.« Dann schüttelte sie die Klinkenhand. Mit einem Knarren öffnete sich die Tür, und dahinter kam eine schmale, steile Treppe zum Vorschein. Nicht nur die siebte Stufe, sondern absolut alle wirkten glitschig und krumm. Außerdem hing am Fuß der Treppe ein Schild mit einem blutroten Totenschädel und der Aufschrift:
»Hübsch, nicht wahr? Hab ich selbst gemalt«, sagte Wilma Wirbelig munter und begann, die Treppe hinaufzusteigen.
»A-aber was ist mit dem Gas?«, stotterte Tilly.
»Oh, das gibt es nicht. Soll nur ungebetene Gäste abschrecken, falls mal jemand vergisst, die Tür zu schließen.« Wilma machte einen großen Schritt über die siebte Stufe und zog die Spange aus ihrem Dutt. Verblüfft starrte Tilly auf die Haare der Hausmeisterin. Kaum waren sie aus der straffen Frisur befreit, kringelten sie sich in wilden Locken um Wilmas Schultern. Außerdem wirkten sie nicht mehr mausbraun, sondern bekamen einen lilafarbenen Schimmer. Vor lauter Staunen vergaß Tilly ganz, die Stufen zu zählen. Als sie auf die siebte trat, ertönte ein bedrohliches Knurren.
Wilma warf einen Blick über die Schulter. »Auch nur eine Vorsichtsmaßnahme«, erklärte sie. »Wunderdiebe werden sich davon wohl nicht verscheuchen lassen, aber hoffentlich neugierige Lehrer und Schüler.«
Mit unsicheren Schritten folgte Tilly ihr weiter die Treppe hinauf. »Wunderdiebe?«, wiederholte sie, und ihre Stimme klang ein bisschen heiser.
Die Hausmeisterin – die ganz bestimmt keine gewöhnliche Hausmeisterin war! – hatte inzwischen das Ende der Treppe erreicht. Lächelnd wandte sie sich zu Tilly um. »Du hast von alldem noch nie gehört, oder?«, fragte sie. »Faszinierend. Jemandem wie dir begegne ich zum ersten Mal!« Mit diesen Worten stemmte sie sich gegen eine Falltür direkt über ihrem Kopf.
Tilly hatte dahinter einen Dachboden erwartet, doch es wehte ihr kein muffiger Geruch nach Staub und alten Möbeln entgegen, sondern eine warme, duftende Brise. Sprachlos kletterte sie durch die Bodenklappe in einen verwilderten Garten. Bäume und Sträucher wucherten ringsum, und dazwischen schlängelte sich ein Weg aus gesprungenen Steinplatten. Während Wilma darauf entlanglief, hopsten ihre lila Locken wie kleine Sprungfedern. Tilly stolperte hinterher, bis an einer Wegbiegung ein Haus in Sicht kam.
Bei seinem Anblick hielt Tilly mit offenem Mund inne. Hätte man die Villa Kunterbunt, den Fuchsbau aus Harry Potter und Dornröschens Märchenschloss vermischt, wäre genau dieses Gebäude herausgekommen. Efeu und Rosen bedeckten die Mauern, es gab eine Veranda, Erker und Türmchen, und hinter jedem Fenster hing eine Gardine mit einem anderen bunten Muster. Aber das Erstaunlichste war die Lage dieses Hauses. Eigentlich musste es sich über der Blasslinger Grundschule befinden, aber das war ja vollkommen unmöglich. Tillys Herz raste, und sie spürte, wie ihr schwindelig wurde. Fieberhaft suchte sie nach einer Erklärung für all das – die Tür, den Geheimgang, Wilmas Haare und diesen Garten, den es eigentlich gar nicht geben durfte. Hatte sie sich vielleicht den Kopf gestoßen und bildete sich das nur ein? Oder war es eine optische Täuschung, eine Art Fata Morgana? Vielleicht würde Wilma Wirbelig auch gleich anfangen zu lachen und erklären, dass sie Tilly bloß mit irgendeinem Trick reingelegt hatte …
Doch stattdessen zeigte Wilma strahlend auf das Haus und sagte: »Willkommen bei der Wundervilla! Bist du bereit, dich verzaubern zu lassen?«