Читать книгу Die Schule der Wunderdinge (1). Hokus Pokus Kerzenständer - Kira Gembri - Страница 13
Оглавление5. Kapitel
»Verzaubern?«, wiederholte Tilly, und ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter. »O nein, bitte nicht! Meine Eltern sind sehr ordentlich und vernünftig und normal. Die finden das bestimmt nicht gut, wenn ich als Frosch von der Schule nach Hause komme oder plötzlich ein Auge auf der Nasenspitze …«
»Stopp!« Wilma streckte beide Arme in die Luft. »Ich meinte eigentlich nicht verzaubern, sondern bezaubern. Jeder, der die Wundervilla betritt, war bisher ganz entzückt von ihr. Allerdings hatte ich noch nie jemanden mit normalen Eltern zu Gast. Ich hätte daran denken müssen, dass es in diesem Fall ein bisschen schwierig ist, das alles zu verdauen. Lass uns doch einfach mal auf der Veranda Platz nehmen, ja? Und vielleicht finde ich etwas, das dir hilft.«
Dagegen hatte Tilly nichts einzuwenden. Ihre Beine waren puddingweich, und sie plumpste wie ein nasser Sack auf die unterste Stufe der Veranda. Wilma hatte sich inzwischen an ihrem Kittel zu schaffen gemacht. Mit flinken Fingern öffnete sie die Knöpfe, schlüpfte heraus und drehte das Innenfutter nach außen. Dabei kamen unzählige Taschen zum Vorschein, die so vollgestopft waren, dass man sie eigentlich schon längst hätte sehen müssen. Nachdem Wilma den Kittel verkehrt herum über ihr graues Kleid gezogen hatte, begann sie eifrig, die Taschen zu durchwühlen.
»Wie wär’s mit einem Schluck Tee?«, bot sie Tilly an und kramte eine Tasse mit abgebrochenem Henkel hervor, aus der augenblicklich weißer Dampf stieg. »Oder möchtest du einen Happen essen? Das hier sind Was-du-willst-Kekse – die schmecken nach genau der Speise, auf die du gerade Lust hast. Vor allem die Spaghetti-Variante kann ich sehr empfehlen! Ich hätte auch eine Kuscheldecke da, die ganz wunderbare Umarmungen gibt …« Schwungvoll zog sie ein flauschiges Ding aus einer der Taschen, das eigentlich viel zu groß war, um dort hineinzupassen. Sobald die Decke den Boden berührte, kroch sie auf Tilly zu und wickelte sich um ihr Bein. Mit einem Zipfel tätschelte sie liebevoll Tillys Knie. »Was, um alles in der Welt, sind das für Sachen?«, hauchte Tilly.
Wilma setzte sich neben sie auf die Veranda und knabberte an einem Keks. »Es sind Wunderdinge«, sagte sie vergnügt. »Das bedeutet, sie funktionieren nicht wie Maschinen oder irgendwie chemisch, sondern mit Magie. Und weißt du, was? Auch deine Erfindungen sehen so aus, als könnten sie Wunderdinge sein!«
»Meine Erfindungen?«, wiederholte Tilly, während ihre Gedanken sich wie verrückt im Kreis drehten.
Magie gab es nicht, das hatte sie schon als kleines Kind gelernt. Damals waren Märchen ihre liebsten Gutenachtgeschichten gewesen, und sie hatte fest daran geglaubt, dass in ihnen ein wahrer Kern steckte. Darum hatte sie auch jeden altmodischen Spiegel für verzaubert gehalten und immer wieder an den Laternen im Garten gerieben, um zu testen, ob aus ihnen ein Geist kommen würde wie aus einer Wunderlampe. Sie hatte sich sogar eingebildet, manchmal bunte Bilder im gläsernen Briefbeschwerer ihres Vaters aufblitzen zu sehen. Irgendwann hatten ihre Eltern ihr dann gesagt, dass Märchen frei erfunden waren, und dass sich in dem Briefbeschwerer einfach nur die Umgebung spiegelte. Aber auch Herr und Frau Bohnenstängel hätten keine vernünftige Erklärung für diese Kuscheldecke gewusst, die sich soeben schnurrend auf Tillys Füßen breitmachte.
»Ich meine natürlich die Skizzen in deinem Notizbuch«, antwortete Wilma. »Als ich die gesehen habe, war mir sofort klar, dass ich mit dir sprechen muss!«
Einen Moment lang kraulte Tilly stumm die Kuscheldecke, was sich auf seltsame Weise beruhigend anfühlte. Dann atmete sie tief durch. »Frau Wirbelig, könnten Sie …«
»Bitte sag Du zu mir«, fiel Wilma ihr ins Wort. »Ich bin nur fünfundzwanzig klitzekleine Jährchen älter als du.«
»Also, könntest du mir bitte verraten, was das alles zu bedeuten hat? Ist die ganze Villa voll von solchen Wunderdingen, und wissen sämtliche Menschen in Blasslingen darüber Bescheid?«
Wilma richtete sich kerzengerade auf. »Nein, nur ein paar Familien in dieser Gegend kennen das Geheimnis«, sagte sie, und plötzlich klang ihre Stimme wieder so ernst wie vorhin in der Besenkammer. »Wunderdinge gibt es zwar überall auf der Welt, und ebenso Menschen, die darüber Bescheid wissen. Aber manche der Eingeweihten sind extra hierhergezogen, weil in Blasslingen niemand auch nur das kleinste bisschen Magie erwarten würde. Vor allem die Schule ist das ideale Versteck, immerhin …« Wilma beugte sich mit verschwörerischem Blick zu Tilly hinunter, »… ist sie stinklangweilig.«
»Also bist du gar keine Hausmeisterin?«, hakte Tilly vorsichtig nach.
Nun zuckten Wilmas Mundwinkel wieder nach oben. »Doch, allerdings nur zur Tarnung. Eigentlich ist es meine Aufgabe, für die Wunderschüler da zu sein. Das sind Kinder im letzten Grundschuljahr, die mehr über Magie lernen sollen. Normalerweise stammen sie aus Familien, die in das Geheimnis eingeweiht sind – aber bei dir musste ich einfach eine Ausnahme machen. Ideen wie deine sind genau das, was ein guter Wunderschüler braucht!«
Tillys Herz begann, schneller zu schlagen. »Soll das heißen, du würdest mir beibringen, wie man so etwas herstellt?« Sie deutete auf die Decke, die gerade wohlig all ihre Zipfel ausstreckte.
»Wie man solche Gegenstände herstellt, repariert und beschützt«, sagte Wilma. »Es gibt nämlich auch Menschen, die Wunderdinge in Gefahr bringen. Aber das wären jetzt wirklich zu viele Neuigkeiten auf einmal. Du wirst das alles erfahren, wenn du dich dazu entschließt, in meinen Unterricht zu kommen.« Sie schob sich den restlichen Keks in den Mund. »Mhm, mit extra viel Parmesan«, murmelte sie genüsslich, dann stand sie auf und klopfte sich die Rückseite ihres Kittels ab. Ein bisschen Glitzerstaub rieselte auf die Veranda.
»Also, meine Liebe: Überlege dir in aller Ruhe, ob du Lust dazu hast. Wenn nicht, werde ich dafür sorgen, dass du in Zukunft keinem Wunderding mehr begegnen musst. Aber wenn doch, dann schau bitte morgen früh aufs Schwarze Brett in der Eingangshalle. Dort wird ein Zettel hängen, auf dem sich freiwillige Helfer fürs Putzen eintragen können. Natürlich wird das niemand tun … mit Ausnahme der diesjährigen Wunderschüler.« Wilma legte Tilly kurz die Hand auf die Schulter, dann drehte sie sich einmal schnell um sich selbst. Prompt ertönte ein Geräusch, das ein wenig an das Schlürfen mit einem Strohhalm erinnerte. Decke, Kekse und Teetasse wirbelten durch die Luft und verschwanden in den Kitteltaschen. Nachdem Wilma den Kittel wieder mit den Taschen nach innen angezogen hatte, war es, als hätte es die Wunderdinge niemals gegeben.
»Komm, es tutet gleich zum Schulende«, sagte Wilma freundlich. Sie führte Tilly den Weg zurück durch den Garten, öffnete die Falltür und stieg die Treppe hinunter. Während sie ging, steckte sie ihre Haare wieder zu einem strengen Dutt zusammen. Der lila Schimmer verschwand aus ihren Locken, und auch Wilmas Haltung änderte sich. Als sie wieder in der Besenkammer standen, sah die Hausmeisterin genauso aus wie vorher: steif, ernst und unscheinbar.
»Danke für deine Hilfe, und noch einen angenehmen Nachmittag«, sagte sie, während sie die Tür öffnete. Der Unterricht war wohl schon zu Ende, denn einige Schüler liefen durch den Flur. Alles wirkte dermaßen normal, dass Tilly das Gefühl hatte, eben aus einem seltsamen Traum erwacht zu sein.
»Das heißt, wenn ich mich morgen auf dieser Liste eintrage, darf ich in die Villa?«, flüsterte sie.
Wilma, die sich bereits zum Gehen gewandt hatte, schaute noch einmal zurück. »Welche Villa?«, fragte sie, und vielleicht, ganz vielleicht, zwinkerte sie dabei mit dem rechten Auge. Dann klemmte sie sich den Wischmopp unter den Arm, und bevor Tilly noch etwas zu ihr sagen konnte, marschierte sie davon.