Читать книгу Eine feine Gesellschaft – Marder Misties zweiter Fall - Kirsten Klein - Страница 6

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Wenn sie sich auf die Hinterpfoten stellt, kann Lady von dem mit rotem Leder bezogenen Sitzpolster des Stahlrohrstuhls aus knapp über die Kante des Glastisches hinwegschauen, zu der jungen Frau, die wie gebannt auf etwas stiert. Das kennt Lady von Sophia. Die hat auch so ein Gerät, worauf man mit den Fingerkuppen herumklappern kann. Auf der darüber aufragenden Wand erscheint dann ein helles Flackern, oft auch verschiedenste Geräusche. Ja, sogar sämtliche Tiersprachen nachahmen, ohne auch nur im entferntesten nach ihnen zu riechen, kann dieser Laptop, wie die Menschen das merkwürdige Ding nennen. Mistie war es anfangs sehr unheimlich – wie so vieles in der Villa.

Doch daran denkt Lady jetzt nicht. Weitaus mehr beschäftigt sie die Überlegung, wie sie diese junge Frau dazu bringen könnte, ihr die Tür zu öffnen. Weil ihr nichts Besseres einfallen will, beginnt sie endlich zu jaulen. Immerhin – die Sekretärin schaut auf. „Du musst noch warten. Dein Frauchen ist noch nebenan, beim ‘Chef’.“

Klingt seltsam, wie sie das sagt, denkt Lady. Gerade so, als hielte sie nicht besonders viel von ihm. Lady ist beleidigt. Für wie blöd hält diese Tippse sie? Natürlich weiß sie, dass Sophia dort drüben ist, schräg gegenüber von diesem Zimmer! Außerdem ist Lady sauer, stinksauer! Welch eine Unverschämtheit, dass sie hier warten soll! Sophia müsse während der Therapie loslassen, auch ihren Hund, hat dieser sogenannte Psychotherapeut gesagt. Pah! Lady glaubt ihm kein Wort, hat gerochen, dass der lügt!

Ihr reißt der Geduldsfaden. Sie springt vom Stuhl, läuft zur Tür und kratzt bellend daran herum. „Aufmachen, sofort aufmachen! Ich will zu meiner Sophia!“

„Pscht!“, zischt die Sekretärin und erhebt sich. Als Lady ihre warme Hand über sich spürt, will sie eine Lefze hochziehen und ihre spitzen, weißen Reißzähne zeigen, überlegt es sich aber anders. Sie wittert nämlich keinerlei Anflug von Angstschweiß, fühlt sich im nächsten Moment auch schon beherzt ergriffen und auf eine Decke am Boden gedrückt. „Der ‘Chef’ hat Angst vor Hunden, ich nicht!“, belehrt die Sekretärin sie mit erhobenem Zeigefinger.

Aha, denkt Lady. So ist das also. Von wegen ‘loslassen müssen während der Therapie’. Angst hat der, vor ihr. Deshalb darf sie nicht mit in sein Zimmer.

Inzwischen widmet sich die junge Frau längst wieder dem Computer. Lady muss einsehen, dass sie in ihr einen schwer erziehbaren Brocken vor sich hat. Hier ist psychologisches Vorgehen gefragt. Die Erfahrung hat sie gelehrt, in derartig ausweglos anmutenden Situationen ihr Äußeres einzusetzen. Lady weiß zwar nicht genau, warum, aber dem können nur wenige Menschen widerstehen. Mal testen, ob dieses Exemplar wirklich so resistent ist, wie es sich gibt. Tapp, tapp, tapp, über das auf Hochglanz polierte Parkett trippelt die Kleine auf die Sekretärin zu und baut sich erwartungsvoll vor ihr auf. Dann legt sie das Köpfchen kokett schräg in den Nacken und attackiert ihr Opfer mit ihrer bei Menschen wirksamsten Waffe, dem unwiderstehlichsten Augenaufschlag.

Doch die Sekretärin scheint völlig auf den Bildschirm fixiert zu sein. Lady beginnt zu fiepen, zunächst leise, dann eindringlicher. Registriert die Frau sie wirklich nicht oder tut sie nur so? Ratlos blickt die Hündin sich um und wittert einen Duft, den sie von zu Hause kennt. Er entströmt einem Läufer aus chemisch behandeltem Alpakahaar. Aha! Wollen doch mal sehen... Lady spaziert zu dem wertvollen Stück, schnuppert zuerst eine Weile daran herum und dreht sich dann darauf im Kreis.

„Halt!“ In zwei Schritten ist die Sekretärin bei ihr, nimmt sie auf den Arm und wirft einen Blick durchs Fenster. „Warum muss die Dachterrasse bloß auf der anderen Seite sein?!“

Von ihrer erhöhten Warte aus, sieht auch Lady Fensterfronten der Bürobauten hinter dem Alsterfleet, die in der Junisonne aufblitzen. Im Wasser darunter spiegeln sich blendend weiße Torbögen von Arkaden. Angeführt von einem auffallend prächtigen Exemplar, gleiten Schwäne daran vorbei.

Aber weder Chihuahua noch Sekretärin verfügen jetzt über die nötige Muße, um diesen Ausblick zu genießen. Letztere schaut sich suchend um. „Wo ist bloß deine Leine?“

„Wuff!“, kläfft Lady, „hängt an der Garderobe!“ Jetzt hat die Sekretärin sie entdeckt, hakt sie an Ladys Geschirr und betritt den Flur. Erst dort setzt sie die Hündin wieder ab und seufzt genervt. „Jetzt muss ich auch noch anderer Leute Hunde ausführen, als wenn ich nichts Besseres zu tun hätte.“

„Musst du gar nicht“, kläfft Lady und schlüpft so geschwind rückwärts aus dem Geschirr, dass die Sekretärin noch völlig verdutzt darauf glotzt, als die Hündin längst an der Tür ist. Dahinter vernehmen ihre feinen Ohren eine Männerstimme. Irgendwie kommt die ihr bekannt vor, aber das verdrängt Lady sofort wieder, ist in Gedanken nur bei Sophia. Die muss auch dort sein. Lady erkennt ganz eindeutig ihr Parfum, hüpft höher und höher. Ehe die Sekretärin sie stoppen kann, erreicht sie die Klinke, drückt sie herunter und entweicht durch die aufspringende Tür.

Unmittelbar darauf vernimmt die junge Frau den Entsetzensschrei ihres Chefs. Eine Entschuldigung nach der anderen hervorstoßend, will sie ihn vor dem kleinen Raubtier beschützen. Doch das liegt längst zufrieden in Sophias Armen.

„Können Sie nicht aufpassen?“, maßregelt der Psychotherapeut mühsam beherrscht seine Sekretärin, mit knallrotem Kopf und Angstschweiß in den Haaren, die man fast zählen kann. Jetzt kleben sie am Hinterkopf, worüber er sie gekämmt hat, um sie fülliger erscheinen zu lassen. Sophia tritt diskret beiseite und beruhigt Lady. „Du musst dir doch keine Sorgen um mich machen, meine Süße. Hier passiert mir nichts. Der Onkel Doktor will mir bloß helfen.“

„Onkel Doktor!“, kläfft Lady spöttisch. „Der braucht ja selber einen. Wie soll der dir denn helfen?“ Wieder glaubt sie seine Stimme von irgendwoher zu kennen, kommt aber nicht darauf. Na ja, zumindest macht der Typ einen harmlosen Eindruck.

Sophia legt ihre Hündin der Sekretärin in die Arme und meint augenzwinkernd: „Lassen Sie sich nicht mehr von ihr austricksen. Sie ist ganz unglaublich raffiniert.“

„Das habe ich gemerkt“, entgegnet die Gemaßregelte und verlässt mit Lady den Raum.

Als sie hinter sich die Tür schließt, wird von außen eine geöffnet, die ins Treppenhaus führt. Dann geht alles ganz schnell. Mit den Hinterpfötchen stößt Lady sich vom Busen der Sekretärin ab, flitzt durch den Türspalt und fast in selber Sekunde in den Fahrstuhl, der sich gerade wieder schließt. „Halten Sie ihn auf!“, ruft die Sekretärin. Zu spät, er fährt schon hinab.

Als er sich unten wieder öffnet, fängt Lady den verdutzten Blick des älteren Mannes auf, der ihn hinunter beordert hat. An ihm vorbei schauend, bemerkt sie, dass ein Teenager-Mädchen von draußen herein kommt, einen Schwall duftender Frühsommerluft im Schlepptau.

Die Hündin kann nicht widerstehen und schlüpft hinaus ins Freie, hört hinter sich die Tür ins Schloss fallen. Vor sich sieht sie zahllose Füße vorbeigehen, hasten oder schlendern – in Pumps, Sandalen, Halbschuhen... Lady blickt hoch, unter vom Wind aufgebauschte Kleider, Röcke, auf schlanke Waden, dicke Waden, nackt und behost. Die Frühsommerluft ist jetzt nicht nur mit Blütenduft geschwängert, sondern auch mit Autoabgasen, igit! Aber halt... Aufgeregt witternd reckt Lady ihr Näschen empor und saugt eine Brise Hafenluft ein. Die steckt voller Erinnerungen!

Von Abenteuerlust gepackt, sprintet die Hündin im Agility-Turnier reifen Slalom hindurch zwischen all den Füßen, Kinderwagenrädern, Fahrrädern und – anderen Hunden. Ein spiegelblank glänzender schwarzer Labradorrüde will sie nicht vorbeilassen, baut sich vor ihr auf und bezirzt sie. „Na Kleine, wir wär’s mit uns beiden?“

Auf so eine plumpe Anmache fällt Lady nicht herein, gibt sich betont desinteressiert. Trotzdem wagt er, sich ihrem Schwänzchen zu nähern, um darunter zu schnuppern. Jetzt reichts! Sie kneift ihn ordentlich in die Lefze. „Sind wir hier etwa auf der Reeperbahn? Schau lieber, dass dein Mensch dir nicht abhanden kommt!“

„Mein Mensch?“ Tja, den hat dieser Pseudomacho offenbar ganz vergessen, hebt seinen dicken Kopf und blickt sich winselnd um. Plötzlich scheint er ihn irgendwo im Gewusel zu erspähen und macht sich davon, nicht ohne sich zum Abschied zu Lady umzuwenden: „Wir sehen uns, Süße!“

Ein bisschen geschmeichelt fühlt sie sich ja schon, was sie selbstverständlich nie zugeben würde, kriegt gerade wieder eine Brise Seeluft in die Nase. Weit kann der Hafen nicht mehr sein. Lady rast den Rödingsmarkt entlang und am Stella-Haus vorbei, einem alten Kontorhaus, dessen hellblaue Putzfassade zehn Stockwerke in den noch blaueren Himmel hinaufragt. Sein auffallendster Schmuck, vier Reliefs, stellt Hansekoggen dar – ein Fingerzeig, den die Minihündin nicht sehen kann, aber auch nicht nötig hat. Schon fliegt sie mit ihren langbefransten Ohren regelrecht über das Kopfsteinpflaster der Steintwiete – ein Verbindungssträßchen, gesäumt von teils bunten Bürgerhäusern.

Doch kurz bevor Lady auf die Deichstraße stößt, wohin die Steintwiete führt, hält sie inne. Nach wohin soll sie sich wenden? Nicht nur vom Hafen, auch aus anderen Richtungen locken, jetzt zur Mittagszeit, feine Duftfahnen.

Hmm... Sorgfältig analysiert Lady sie. Am verführerischsten kristallisieren sich Leber, Rindersteak und Lachs heraus. Wofür soll sie sich entscheiden?

Mit dem Lachsgeruch dringen Gelächter und Applaus von der Deichstraße herüber und wecken Ladys Neugier. Sie rennt darauf zu, biegt um eine Ecke und verharrt, zitternd vor Erregung. Kann es sein...? Ja, ist es möglich...?

Am Fuße eines der letzten noch erhaltenen uralten Bürgerhäuser, das wie seine Nachbarn auf den Deich gebaut ist, sitzen Menschen an reichhaltig gedeckten runden Tischen. Kauend und trinkend schwatzen sie miteinander, prosten einander zu und lachen. Dabei blicken sie immer öfter und länger zur sonnengelb leuchtenden Fassade neben der Tür eines Restaurants. Ein Mann prustet lauthals los, klatscht sich auf die Schenkel und applaudiert begeistert. „So ein Urviech!“, stößt er wiederholt hervor, wendet sich mit breitem Grinsen nach allen Seiten um und animiert damit andere zu Gelächter und Applaus. Kinder kreischen vor Vergnügen.

Nichts von alldem bringt die Hündin dermaßen aus der Fassung, nicht mal die Duftwolken der Gerichte – so unwiderstehlich sie auch durch die gesamte Szenerie wabern. Sie kann kaum glauben, was ihr Näschen ihr noch erzählt, saust zur Quelle der allgemeinen Belustigung. Tatsächlich – da posiert Captain Nemo in voller Pracht vor der Fassade, fängt ein Stückchen Lachs, das ein Gast ihm zuwirft und balanciert es gekonnt auf seiner Nase, bevor er es verschlingt.

Ganz auf seinen Auftritt konzentriert, hat er Lady offensichtlich noch nicht bemerkt. Ein kleines Mädchen dagegen schon. „Das Hündchen da knurrt aber laut“, bemerkt es. Knurren, ich?, wundert sich Lady und kläfft: „Von wegen, das ist mein Magen!“

Wie so oft, wird sie missverstanden. Die besorgte Mutter zieht das Mädchen zurück. „Lass mich, ich hab doch keine Angst vor so einem Zwerg“, wehrt es sich. „Der ist ja kleiner als die Katze!“

„Jetzt reicht’s aber“, protestiert Lady kläffend. Sie ist zwar klein, aber oho!“ Und wie um das augenblicklich zu beweisen, springt sie an die Seite des höchst erstaunten Katers. Der hat ohnehin lange genug seine Show alleine abgezogen! „Lady, du hier?“, maunzt er und passt vor lauter Staunen nicht auf. So schnappt ihm die Hündin ein Häppchen Lachs, das gerade angeflogen kommt, direkt vor der Nase weg. „Du nimmst mir das Wort aus der Schnauze“, kläfft sie schluckend, begleitet vom Gelächter der Menschen.

Dem Kater trieft schier der Speichel aus dem Maul. „Auf dein Wort hätte ich verzichten können, aber der Lachs war eigentlich für mich bestimmt.“ Während Lady ein weiteres Häppchen auffängt, fügt er hinzu: „Wie du siehst, arbeite ich hier. Es ist zwar ‘sehr nett’ von Dir, dass Du mich dabei unterstützt, aber...“ Frustriert bricht er ab, als Lady noch mal Lachs erwischt, diesmal einen ordentlichen Brocken. „Mach ich doch gern“, beteuert sie und leckt sich über das Schnäuzchen. „Wie du ja weißt, sind Hunde sehr hilfsbereit.“

Der Kater protestiert. „Aber ich lasse doch meine Freundin nicht für mich schuften! Schließlich bin ich ein Gentleman!“

Lady will gerade etwas darauf erwidern, da dringt aus dem Mund einer Frau eine besorgniserregende Äußerung an ihre Ohren. „Das Hündchen ist bestimmt irgendwo abgehauen. Wir bringen es ins Tierheim.“

Ins Tierheim? Das fehlte noch! Bevor jemand auch nur erwägen kann, nach ihr zu greifen, taucht Lady ab unter den nächststehenden Tisch und flitzt zwischen Waden und Handtaschen hindurch. „Warte doch!“, maunzt Captain Nemo ihr hinterher.

Warten? – Etwa, bis jemand sie am Kragen packt? Lady ärgert sich über die Ungleichberechtigung zwischen Hunden und Katzen, stoppt erst im Schutz eines dicken Blumenkübels. Ist etwa auch nur einer auf die Idee gekommen, Captain Nemo ins Tierheim zu stecken? Von wegen, der darf unbehelligt seine Show abziehen. Und das nur, weil er ein Kater ist! „Lady“, hört sie ihn jetzt maunzen, „Lady!“

„Nicht so laut“, winselt sie hinter dem Kübel hervor. „Du machst ja alle auf mich aufmerksam.“ Einerseits ist sie noch ziemlich geladen, andererseits aber auch gerührt. Hat Captain Nemo doch tatsächlich seine Lachseinnahmequelle für sie aufgegeben! Außerdem... Wenn sie fair sein will, muss sie zugeben, dass er schließlich nichts kann für das Verhalten der Menschen. „Weißt du“, beginnt er, verbirgt sich jetzt ebenfalls hinter dem Kübel und spickt immer wieder seitlich daran vorbei zu einem etwas abseits stehenden Tisch, woran ein Paar in mittlerem Alter gerade sein Mittagsmahl beendet. „Diese Show war ja bloß ein Intermezzo.“

„Hä?“ Was soll das denn nun heißen?, fragt sich Lady. Versteh' einer die Katzen.

„Na ja“, fährt der Kater fort, „eigentlich bin ich diesem Typ da am Tisch nach hierhin gefolgt. Der erscheint mir nämlich verdächtig nervös. Mit dem stimmt irgendwas nicht.“ Neugierig schielt jetzt auch Lady zu besagtem Objekt, einem Herrn mit goldblonder Lockenpracht, um die ihn sicher viele seiner Altersgenossen beneiden. Seinen Nacken umschmeichelt der topmodisch geschnittene Kragen eines in edlem Anthrazit schimmernden Designeranzugs. Die ihm gegenüber sitzende Dame ist nicht minder kostbar gekleidet und versteht ihren erlesenen Tahitiperlenschmuck mit Stolz zu tragen.

„Noch bevor die MS Viktoria im Hafen vor Anker ging, bekam ich Lust auf einen Landspaziergang und lief denen über den Weg“, erzählt Captain Nemo. „Er tut so, als wäre sie für ihn das Wichtigste auf der Welt.“

Wie um das zu beweisen, wendet sich der Mann jetzt mit übertrieben besorgter Miene an seine Gattin, die sich nach dem Genuss ihres Seeteufelfilets merklich räuspert. "Steckt dir womöglich eine Gräte im Hals. Ich beschwere mich sofort."

„Nein, nein“, winkt sie ab, schluckt nachhaltig und legt ihm beruhigend ihre diamantberingte Hand auf den Unterarm. „Sie rutscht schon. Du darfst dich jetzt nicht unbeliebt machen, Julius. Denk an deine Wiederwahl. Man könnte dich erkennen, trotz der Perücke.“

„Nicht so laut!“, zischt Julius, blickt sich verstohlen um und droht erst dadurch die Aufmerksamkeit anderer Gäste auf sich zu ziehen. Gleich wird seine Stimme zuckersüß. „Möchtest du nicht schon mal vorgehen und dich ein wenig ausruhen, meine Liebe?

Lady zuckt bei seinen Worten zusammen. „Du traust ihm also auch nicht“, schlussfolgert Captain Nemo. „Er will sie loswerden. Aber deshalb musst du doch nicht so überreagie...“ „Seine Stimme, es ist seine Stimme“, unterbricht ihn die Hündin. „Sie klingt fast genauso wie die von diesem Psychotherapeuten, bei dem meine Sophia gerade ist.“ Plötzlich fällt ihr ein, dass dessen Stimme ihr vorhin auch bekannt vorkam. Doch wie soll das möglich sein? Diesen Herrn hier hat sie noch nie zuvor gesehen oder reden gehört.

Wirklich nicht? „Vielleicht sollte ich doch allmählich zu Sophia zurück...“ „Lady, du bist ja völlig durcheinander“, bemerkt Captain Nemo. „Erzähl’ mal der Reihe nach. Sophia ist also bei einem...“ „Psychotherapeuten, ja. Seitdem sie beinahe ertrunken wäre, hat sie panische Angst vor jedem Wassertröpfchen. Erst gestern...“ Lady stockt, kann nur mit Schaudern daran denken, wie Sophia ohnmächtig wurde, als der Wassernapf zu Boden fiel. Aber es würde zu weit führen, das dem Kater jetzt alles zu erklären, zumal sich am beobachteten Tisch etwas tut. Die Dame lässt durch einen Kellner ein Taxi rufen. Das erscheint so schnell, als wäre es durch die Luft geflogen. Während sie sich von ihrem Julius verabschiedet, einsteigt und davonfährt, folgen ihr neugierige Blicke.

Kaum ist der Wagen außer Sichtweite, konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf den Zurückgebliebenen. Manche Gäste tuscheln so laut miteinander, dass die beiden Tiere Satzfetzen verstehen. „Sauberkraut“, fiept Lady erregt. „Hast du das auch gehört, Sauberkraut.“

Captain Nemo stimmt zu. „Ja, er wurde wohl tatsächlich erkannt, scheint ein hohes Tier zu sein. Aber warum regst du dich so über seinen Namen auf?“

„Weil Sophias Therapeut genauso heißt.“ „Vielleicht sind es Brüder“, vermutet Captain Nemo. „Da, er geht. Wollen doch mal sehen, wohin. Eins sag ich dir, Lady. So ganz sauber ist der nicht, dieser Herr ‘Sauberkraut’.“

Während sie dem Verdächtigten die Deichstraße in nordöstlicher Richtung folgen und anschließend hinter ihm über eine Holzbrücke das Nikolaifleet überqueren, berichtet Lady dem Kater von ihrem Zusammenleben mit Mistie. „Weißt du“, seufzt sie, „es gestaltet sich halt doch etwas anders, als ich es mir vorgestellt habe.“

„Das ist meistens so“, meint der Kater weise, ohne Julius Sauberkraut aus den Augen zu lassen. Das fällt ihm leicht, weil nur wenige Menschen unterwegs sind. Die meisten, ob Hamburger oder Touristen, sitzen immer noch beim Mittagessen.

„Mag sein“, räumt Lady ein. „Aber es ist halt schon sehr viel anders. Mistie verhält sich überhaupt nicht wie ein richtiger Hund.“

Der Kater bleibt abrupt stehen und vergisst sogar Sauberkraut, zumindest für einen Moment. „Lady!“, stößt er hervor. „Er ist ja auch kein Hund!“

„Wie meinst du?“ Die Hündin ist einen Augenblick lang irritiert, besinnt sich dann jedoch. „Ja klar, du hast ja Recht. Siehst du, irgendwie vergesse ich das immer wieder, weiß auch nicht, warum.“

„Wahrscheinlich deshalb, weil er nun wie ein Hund bei dir in der Villa lebt.“

„Nacht für Nacht treibt er sich herum, wer weiß, wo?“, klagt Lady. „Dabei könnten wir morgens so schön miteinander spazierengehen. Aber nein, entweder ist er noch gar nicht wieder daheim, wenn ich erwache oder kommt gerade von seinen nächtlichen Streifzügen zurück. Nicht ansprechbar, schlüpft er dann sofort nach dem Frühstück unter seine Bettdecke und verpennt fast den ganzen Tag.“

Je mehr Lady erzählt, desto mehr bemitleidet Captain Nemo seinen Freund und ist zugleich froh über sein eigenes Dasein als Singlekater. „Sei mir bitte nicht böse, Lady“, beginnt er endlich. „Ich als Vertreter der Feliden kann Mistie da natürlich ein bisschen besser verstehen, bin nachts auch gerne unterwegs.“

„Ich weiß, höre deine Artgenossen nachts oft von den Dächern oder anderswo her maunzen und frage mich dabei, wo Mistie wohl gerade ist, ob er sich womöglich mit einem Fuchs anlegt. Dann ist es vorbei mit meinem sorgenfreien Schlaf. Bis in die frühen Morgenstunden wache ich immer wieder auf, bei jedem kleinsten Geräusch, und fürchte, Mistie könnte einem Jäger vor die Flinte geraten.“

Während Captain Nemo Ladys Klagen geduldig über sich ergehen lässt, folgen sie Sauberkraut durch die Katharinenstraße und sehen vor sich, hinter einer Gabelung, eine dreischiffige Backsteinkirche aufragen. „Der will doch nicht etwa da rein?“, fragt sich der Kater laut und reißt damit die Hündin aus ihrem Monolog. Sie überlegt kurz und meint dann: „Hm, im Fernsehen sagte mal einer, manche Menschen würden in solchen Häusern ihre Sünden beichten.“

„So hat der das gesagt?“, wundert sich Captain Nemo. „Na ja, vielleicht nicht genau so, aber ähnlich. Jedenfalls... Wenn du meinst, dass der was ausgefressen hat...“ Ihre Worte versickern, während sie neben ihrem Freund beobachtet, wie Julius Sauberkraut tatsächlich hinter der Tür des Hauptportals der Kirche verschwindet. „Los komm, bevor sie zufällt!“, feuert sie den Kater an und saust los. Der ist leider nicht ganz so flink, klemmt sich fast seinen buschigen Schwanz in der Tür ein. Vor Schreck darüber stößt er einen Schmerzenslaut aus.

Lady zupft ihn am Halskragen und beordert ihn zwischen zwei Bankreihen. Sauberkraut, im Mittelgang des Hauptschiffes, blickt sich um.

„Meinst du, er hat uns bemerkt?“, wendet sich Captain Nemo schuldbewusst an Lady.

Sekunden der Ungewissheit, in denen Sauberkraut einige Schritte zurückgeht und sich nach allen Seiten umschaut, harren die beiden aus, drücken sich eng an den Boden. Den beachtet er glücklicherweise nicht.

„An vierbeinige Verfolger denkt der nicht“, frohlockt Lady leise fiepend. „Typisch...“ Mensch, will sie noch sagen – eigentlich. Doch im selben Moment bemerkt sie, wie auch Captain Nemo, dass außer Sauberkraut noch jemand in der Katharinenkirche ist, wenige Bankreihen vor ihnen.

Angestrengt lauschend spitzen sie ihre Ohren und vernehmen, wie das Objekt ihres Verdachts neben jener Person Platz nimmt. „Merkst du es auch?“, fragt Lady leise. „Ja“, entgegnet der Kater. „Sie halten einen gewissen Abstand voneinander. Besonders gute Freunde werden sie nicht sein.“

Auf leises Knistern folgt angespannte Stille, allerdings zunehmend erfüllt von Sauberkrauts erregtem Atmen. „Halten Sie mich etwa für blöd?“, fragt er endlich mit schneidender Stimme. „Wie soll ich darauf vertrauen, dass sie das hier nicht veröffentlichen, selbst wenn – ich sage nur – selbst wenn ich die Freilassung dieser Kerle veranlassen könnte.“

„Sie können“, behauptet eine auffallend tiefe, ruhige Männerstimme. „Ich bin sicher, sie können, in Ihrem eigenen Interesse. Das steht bei Ihnen schließlich an oberster Stelle. Und was das Vertrauen betrifft...“ Der Besitzer der Stimme legt eine Pause ein, die er vernehmlich genießt, ebenso wie seine folgenden Worte. „Bedauere zutiefst, aber da bleibt Ihnen wohl leider nichts anderes übrig.“ Wieder folgt eine Pause, nervenzerreibend lang und durchdrungen von Sauberkrauts nervösen Atemgeräuschen.

„Also gut“, wird sie endlich von seinem Gesprächspartner mit einer Gelassenheit beendet, die bezeugt, wie fest er Sauberkraut in seiner Hand wähnt. „Das Spiegelverlagshaus ist ja gleich um die Ecke und jetzt, im Sommerloch...“

Sauberkraut unterbricht ihn, aber was er sagt, können die Lauschenden nicht zweifelsfrei verstehen, denn das Knarren des Hauptportals mischt sich hinein, begleitet von Kinderstimmen. Erwachsene mahnen zu Ruhe und Andacht.

Lady reckt ihr neugieriges Näschen aus dem Schutz der Bankreihen hinaus ins Sonnenlicht, das von draußen den Mittelgang überflutet. „Pass auf!“, warnt Captain Nemo.

Zu spät. „Guck Mama, da ist wieder das süße Hündchen!“, ruft eine hohe Mädchenstimme.

„Tatsächlich!“, entfährt es Mama. „Aber diesmal entwischt es uns nicht!“

Eine feine Gesellschaft – Marder Misties zweiter Fall

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