Читать книгу Eine feine Gesellschaft – Marder Misties zweiter Fall - Kirsten Klein - Страница 8

4

Оглавление

„Dass ich einen Tierarzt mit seinen Patienten teilen muss, ist mir ja vollkommen klar“, übertönt Sophia den Sprecher der Tagesschau, mehr beschäftigt mit eigenen Belangen als mit dem Weltgeschehen.

„Ja, aber nicht mit den Menschen der Patienten!“, sagt Misties Blick.

Nach einem gemeinsamen Bad im luxuriös ausgestatteten Whirlpool, lümmeln sich er und Lady beidseits ihrer Menschen, die in flauschige, pastellfarbene Bademäntel gehüllt sind, im Salon auf der weißen Nappaledercouch.

„Und wenn es sich um einen echten Notfall handelt, natürlich zu jeder Zeit, keine Frage“, fügt Sophia hinzu.

Sammy schmiegt sich enger an sie. „Schatz, ich konnte doch nicht wissen, dass es kein Notfall war.“

„Du brauchtest aber ziemlich lange, um das festzustellen.“

„Okay“, räumt Sammy ein, mit belustigtem Seitenblick auf Mistie. „Sie fragte dann noch nach unserem Lebensretter.“ „Moment!“ Jetzt erhebt Lady kläffend Einspruch. Dass Sophia nicht im Meer ertrank, ist schließlich nicht allein Misties Verdienst!

Sophia krault sie liebevoll hinter den Ohren und erntet damit eine Rüge von Sammy. „Jetzt belohnst du sie wieder für’s Bellen.“ Sophia greift nach einem Sofakissen und haut es auf Sammys Kopf. „Und du nervst mich schon wieder mit deiner ewigen Erzieherei!“

„Musste das sein?“, schimpft nun Mistie mit Lady. „Jetzt streiten sie sich wieder.“ Über die beiden Menschen hinweg, hoppst sie zu ihm und leckt ihn an der Schnauze. „Tut mir leid, habe nicht bedacht, dass ich damit einen Streit auslösen könnte." „Schon okay“, meint Mistie. „Menschen sind halt einfach unberechenbar.“

Lächelnd weist Sophia zu den Tieren. „Da schau nur, unsere beiden! Sind sie nicht süß?“ Sammy erwidert ihr Lächeln. „Du hast Recht, nehmen wir uns ein Beispiel an ihnen.“ Überfließend vor Liebe, schaut er ihr tief in die Augen. „Oh, was für ein heißhungriger Blick“, säuselt sie. „Offensichtlich hat dich mein afrikanischer Erdnusstopf nicht gesättigt.“

„Er war wundervoll und sehr appetitanregend.“ Wort für Wort nähern sich Sammys Lippen Sophias und vereinen sich mit ihnen zu einem leidenschaftlichen Kuss.

„Sauberkraut!“, keckert Mistie plötzlich aufgeregt. Sophia und Sammy fahren hoch.

Lady will gerade mit ihrem Freund schelten, da vernimmt auch sie den Namen, aus dem Mund des Nachrichtensprechers. Gleichsam fällt ihr wieder ein, bei welcher Gelegenheit sie ihn früher schon mal gehört hat. Klar, beim Fernsehen! Und schon erscheint er auf dem Bildschirm, begrüßt als Justizminister Julius Sauberkraut. Zumindest seine Stimme erkennt Lady sofort. Mit dem Sehen ist es schwieriger, zumal die Menschen im Fernseher ja nicht riechen, jedenfalls nicht nach Mensch. „Verstehst du was von dem, was der sagt?“, fragt Mistie seine Freundin, nachdem sie eine Weile aufmerksam zugehört haben. So peinlich es Lady auch ist, sie muss verneinen. Ein Trost nur, dass es den Menschen offenbar genauso ergeht. „Gelaberrhabarber“, spottet Sophia, schüttelt den Kopf und wendet sich an Sammy. „Wie kann ein Mann bloß so viele Worte machen und doch nichts sagen?“

Sammy fühlt sich wohl in seiner Mannesehre getroffen. „Ich finde, unsere ‘Volksvertreterinnen’ stehen ihm da in nichts nach“, behauptet er, „zum Beispiel...“

„Pscht“, unterbricht ihn Sophia und weist zum Bildschirm. „Da, sieh mal, die Reporterin fragt ihn jetzt zum dritten Mal, wie er die Risiken des offenen Strafvollzugs eindämmen will – umsonst. Er weicht nur aus, faselt herum.“

Die Sendezeit ist anscheinend vorüber, denn die Reporterin verzichtet auf einen vierten Versuch, bedankt sich stattdessen für das Gespräch. Mistie versteht das nicht. „Warum bedankt sie sich, obwohl er ihr gar nicht richtig geantwortet hat?“, keckert er empört und verwundert zugleich.

„Bravo Mistie! Wir sind völlig deiner Meinung!“, rufen Sammy und Sophia wie aus einem Munde und applaudieren. Lady stimmt kläffend mit ein. Der Marder kann es kaum fassen, vergisst auf der Stelle Julius Sauberkraut. Seine Menschen haben ihn verstanden. Sie haben ihn tatsächlich verstanden! Da kann ihm dieser olle Justizminister doch gestohlen bleiben!

Sophia geht er aber immer noch im Kopf herum. „Wie können Brüder nur so verschieden sein...“, siniert sie vor sich hin. „Cornelius redet längst nicht so viel, jedenfalls während der Therapie. Er lässt reden.“

„Cornelius?“, wundert sich Sammy, mit deutlichem Unbehagen in der Stimme. Sophia küsst ihn, als wolle sie ihn verschlingen. „Du bist ja eifersüchtig!“

„Na ja“, meint Sammy, „ist ja vielleicht nur so ein Klischee, dass Psychotherapeuten mit ihren Patienten anbandeln. Aber da wird doch über sehr Persönliches gesprochen.“

Es klingt ein bisschen wie eine Frage. „Genau“, bestätigt Sophia. „Cornelius meint, durch das Du fiele mir das leichter.“ „Erzähl’ mal“, ermuntert Sammy sie. „Wie lief denn eure erste Stunde ab?“

Augenblicklich verspannt sich Sophia und ein Flackern tritt in ihre Augen. „Ich sollte mir vorstellen, ich säße ganz allein im Whirlpool.“

„Und?“, fragt Sammy gespannt. „Wie erging es dir dabei?“

„Ich weiß nicht, wie es mir ergangen wäre, weil ich nicht wagte, mir das vorzustellen. Es... es klappte einfach nicht, ich...“ Sie bricht ab, schüttelt den Kopf und beginnt zu schluchzen. „Allein die Vorstellung,...“

Sammy schließt sie in seine Arme und wiegt sie tröstend. „Ist ja gut, alles gut, nicht unter Druck setzen. Lass dir Zeit.“

Allmählich beruhigt sich Sophia wieder, erzählt sogar weiter. „Dann meinte er, wenn es mir leichter fiele, solle ich zunächst jemanden mit reinnehmen.“

„In den Whirlpool?“ Sophia nickt.

„Und?“, fragt Sammy nach längerem Zögern. „Wen hast du mit reingenommen?“ Vor seinem inneren Auge taucht ein Bild auf: Sophie mit Cornelius Sauberkraut im Whirlpool...

Mit einem Lächeln aus noch tränenfeuchten Augen wischt Sophia es weg und streicht ihm über die Nase. „Na, was glaubst du wohl?“

Sammy seufzt erleichtert und will sie küssen, aber sie schüttelt verschmitzt den Kopf, blickt auf Lady und Mistie.“

„Oh, ich fass es nicht!“, ruft Sammy, springt auf, nimmt die gespielt widerstrebende Frau auf den Arm und trägt sie aus dem Salon hinaus. Auf der Türschwelle dreht er sich zu den verdutzt dreinschauenden Tieren um und ruft triumphierend: „Meine Sophia!“

„Wen er freilassen soll“, wissen wir jetzt immer noch nicht“, jammert Lady Stunden später in Misties Ohr, eng an ihn gekuschelt auf dem Bett im gemeinsamen Zimmer liegend. Ansonsten hört man nur das nächtliche Zirpen der Grillen.

„Das frage ich mich auch“, entgegnet der Marder. „Aber demnach wie du mir das erzählt hast, ist es nicht erstaunlich, dass er darüber schwieg. Das hat schließlich dieser wenig vertrauenerweckende Kerl von ihm verlangt, oder?“

Lady bejaht. „Genau. Ich fürchte, der, den er freilassen soll, ist ebenso wenig vertrauenerweckend. Apropos erweckend – bitte weck mich, falls du morgen früh vor mir aufwachst.“

„Warum, was hast du vor?“

Lady gähnt herzhaft. „Das Übliche, auf Sophia aufpassen. Sie schläft nicht mehr so lange wie früher, geistert manchmal nachts oder in den frühen Morgenstunden durch die Villa und überprüft, ob alle Türen fest verschlossen sind. Ist dir das noch nicht aufgefallen?“

„Doch“, stimmt Mistie zu. „Jetzt, wo du es erwähnst. Aber was sollte ihr dabei geschehen?“

„Na, sie ist dann ja ein bisschen schlaftrunken und könnte zum Beispiel über einen vollen Wassernapf stolpern. Sammy kriegt nichts mit, schläft wie ein Stein.“

Mistie kuschelt sich noch enger an Lady, legt ihr ein Vorderbein über den Hals. „Wie gut, dass sie dich hat!“

Die Hündin erwidert seine Liebkosung, leckt ihm über’s Fell. „Uns, mein Lieber – uns!“

Als Lady gegen fünf Uhr früh erwacht, ist der Platz neben ihr leer. Mistie muss sich sehr leise fortgeschlichen haben, denn trotz ihres leichten Schlafs hat sie davon nichts mitbekommen. Angestrengt lauscht sie durch die offene Tür in Richtung von Sophias und Sammys Schlafzimmer, das auf dem selben Flur liegt, im ersten Stock. Jenes neben dem Salon will Sophia nicht mehr benutzen, weil es zu viele zwiespältige Erinnerungen an Anton weckt.

Nichts, Lady vernimmt nur ruhige Atemgeräusche, von beiden. Hinter dem Fenster deutet sich der grauende Morgen gerade erst an, doch sie findet keine Ruhe mehr, ist auch ein bisschen enttäuscht, weil seine Mardernatur Mistie offenbar doch wieder hinausgetrieben hat.

Die Hündin reckt und streckt sich, springt aus dem Bett und trippelt auf den Flur, die Treppen hinunter, durchquert das weitläufige Foyer und schlüpft durch die Marderklappe ins Freie. Wie gut, dass sie so winzig ist!

Aber was will sie jetzt eigentlich hier draußen, ihren Herumtreiber suchen? Warum eigentlich nicht? Dann sieht sie endlich mal, was er nachts im Wald so alles treibt. Aber was, wenn ihr das missfällt, wenn ihr das ganz und gar missfällt?

Unschlüssig verharrt Lady bei der Marderklappe, bis ein Krächzen den melodischen Gesang der Singvögel stört.

Elsie! An die hatte sie gar nicht mehr gedacht. Im Nu ist Lady bei der Voliere und bleibt überrascht stehen. „Ach, hier bist du?“

„Ich konnte nicht schlafen und hatte plötzlich eine Idee“, erklärt Mistie mit Blick auf die Elster. „Jetzt, wo Captain Nemo wieder in Hamburg ist, wäre es doch prima, wenn jemand für uns Botendienste übernehmen könnte.“

Elsie hält den Kopf schief und blickt neugierig von einem hochgelegenen Ast auf Lady herab. Die weiß nicht so recht, was sie davon halten soll, mustert den Rabenvogel misstrauisch, den im Mondlicht schimmernden imposanten Schnabel, die blitzenden Augen, das leuchtende Weiß im Gefieder.

„Krah, krah!“ Elsie plustert es auf, breitet ihre Flügel aus und hüpft auf einen noch etwas höheren Ast, dann wieder zurück und hin und her, hin und her...

„Sie kann doch noch nicht fliegen“, wendet Lady ein.

„Noch nicht“, ergänzt Mistie.

„Aber bald“, krächzt Elsie und flattert wie zum Beweis auf einen tiefergelegenen Ast hinunter. Die Hündin reckt ihren Hals und beschnüffelt sie prüfend durch’s Gitter. „Und du würdest das wirklich für uns tun?“

„Krah, klar, für euch und für mich. Umsonst ist der Tod.“

„Das muss sie von irgendeinem Wanderer aufgeschnappt haben“, spekuliert Mistie.

„Mir egal“, blafft Lady, „von wem sie es aufgeschnappt hat. Tatsache ist, dass sie bezahlt werden will – zusätzlich.“

„Was heißt hier zusätzlich“, empört sich Elsie.

„Na ja“, meint Lady. „Unsere Menschen retten dir das Leben, verköstigen dich und bieten dir eine Unterkunft. Und wofür das alles?“

„Da hat sie Recht“, meint Mistie.

„Wofür, wofür?“, krächzt Elsie. „Als Wiedergutmachung dafür, dass ihre Artgenossen mich meinen Eltern entführt haben!“

„Unsere Menschen können nichts für die Fehler der anderen!“, erregt sich Lady, aber Elsie hört ihr nicht zu. „Menschen halten sich ja für sooo klug“, schimpft sie und krächzt aus Leibeskräften: „Dumme Menschen, dumme Menschen!“

„Schluss jetzt, alle beide!“, faucht Mistie, vielleicht ein bisschen zu streng. Jedenfalls klammert sich die junge Elster daraufhin an das Gitter und schreit herzzerreißend in den Wald: „Maaama, Paaapa!“

Im Pyjama und noch schlaftrunken, aber bestückt mit einem Napf voll Aufzuchtfutter, biegen Sammy und Sophia um die Ecke, vergewissern sich mit besorgten Blicken, dass alle Tiere unversehrt sind und reden beruhigend auf Elsie ein. „Ist doch alles gut, gibt ja gleich was.“

Mistie und Lady sehen ihre Menschen an. „Und was ist mit uns?“

Sophia reibt sich den Schlaf aus den Augen. „Ihr kriegt natürlich auch was, nach dem Spaziergang.“

„Okay“, fiept Mistie und läuft auf den Waldrand zu. „Ich geh’ schon mal vor.“

„Warte!“, kläfft Lady ihm nach und rennt hinterher.

Unschlüssig, ob sie sie zurückrufen soll, wendet sich Sophia an Sammy. Der stellt Elsie gerade den vollen Napf hin und erklärt: „Wenn absehbar ist, dass ein Hund nicht gehorcht, ruft man ihn besser nicht. Sonst lernt er bloß, dass er das nicht ernst nehmen muss.“ Abschätzend blickt er zu den beiden Tieren. Nahe der Mauer, die das Grundstück vom Waldrand trennt, balgen sie spielerisch miteinander. „Und das ist so ein Fall.“

Besorgt schaut Sophia zu ihren Schutzbefohlenen. „Bist du sicher, dass alle Türen zwischen der Mauer fest verschlossen sind?“

„Ganz sicher“, schwindelt Sammy.

Zwar fragt sich Sophia, wie er das so felsenfest behaupten kann, will es aber glauben und wendet sich der Hintertür zu, die von hier aus schneller in die Villa führt. „Ich zieh’ mir nur schnell was an.“

Sammy ruft ihr erstaunt hinterher. „Willst du jetzt schon in den Wald? Es ist doch noch gar nicht richtig hell!“

Doch sie antwortet nicht, ist längst hinter der Tür verschwunden. Wie Sammy richtig vermutet, erscheint sie in wenigen Minuten im Jogginganzug und läuft auf die immer noch spielenden Tiere zu. Nachdenklich schaut er ihr hinterher, während er die Voliere reinigt.

Lady zieht gerade an Misties Nackenfell herum, als der Ruf eines Eichelhähers sie aufhorchen und in den Wald blicken lässt. „Meinst du, Elsies Eltern sind hier irgendwo?“

Der Marder schüttelt seinen Pelz. „Dann wären sie wahrscheinlich auf ihr Rufen gekommen. Ich vermute eher, diese Leute haben Elsie in einem anderen Wald gefunden. Schau, da kommt Sophia.“

Die Hündin dreht sich um. „Klar. Sie ist eben gut erzogen, gehorcht sogar, ohne dass man sie rufen muss.“

Wieder mal bewundert Mistie die erzieherischen Fähigkeiten seiner Freundin.

„Na ihr Süßen, habt ihr Spaß?“, fragt Sophia, krault beide und wirft einen Blick zur Voliere. Als Sammy ihr einen Moment lang den Rücken zukehrt, überprüft sie die nächstgelegene Gartentür und schimpft auf sich selbst. „Zu, natürlich ist sie zu, hat er doch gesagt.“ Gleich verscheucht sie aber ihre depressive Verstimmung und wendet sich an die Tiere. „Auf auf, wir joggen jetzt ein paar Runden durch den Garten, während es hell wird.“

Lady ist sofort dabei, Mistie anfangs auch. Plötzlich fühlt er sich aber aus dem Wald heraus beobachtet, verharrt und wittert. Sein Bruder? Nein, der riecht anders. Überhaupt riecht es nicht nach Marder, eher nach – Mensch? Nach Mensch mit Hund?

Nein, einen Hund kann er nicht wittern. Vielleicht ein Jogger, der mal kurz innehält? Aber es riecht auch nicht nach schwitzendem Jogger. Unbehagen beschleicht Mistie. Fast fühlt es sich an, als nähere sich irgendein Unheil.

Über das kurzgeschorene Gras hinweg, sieht er, wie Lady und Sophia gerade das Ende des Waldrands erreichen, nun an einer bunt blühenden Streuobstwiese entlangjoggen und schließt sich ihnen wieder an.

Eine feine Gesellschaft – Marder Misties zweiter Fall

Подняться наверх