Читать книгу Vom Mut, den eigenen Weg zu finden - Kirsten Pape - Страница 55
Ich möchte noch einmal auf das Thema Sexualität im Ashram zurückkommen. Du hast vorhin gesagt, du hättest zusammen mit deinem Mann, als er noch lebte, alles ausprobiert. Wie war das damals für dich als Frau? Hast du das als Befreiung empfunden oder gab es auch Übergriffe, hattest du das Gefühl, über deine Grenzen gedrängt zu werden?
ОглавлениеNein, es gab dort überhaupt keinen Druck. Wir kamen 1975 alle aus der Hippiezeit. Wir waren alle in den Fünfzigern groß geworden, Nachkriegskinder. Viele von uns waren zuerst politisch. Ich auch, ich war mit den Marxisten zusammen, bin auch auf den großen Demos gewesen, habe „Hoh Chi Min“ gerufen, Rudi Dutschke gehört. Und dann habe ich begriffen, dass die wirkliche Veränderung in mir selbst passieren muss, sonst verändert sich gar nichts. Und so habe ich mit der Therapie begonnen, zunächst im ZIST. Ich weiß noch, wie wir damals die ganzen königlichen Möbel aus der Wohnung rausgeschmissen und Matratzen auf die Erde gelegt haben, und unsere Tochter durfte anziehen und essen und ins Bett gehen, was und wann sie wollte. Dann kam Poona und diese ganze sexuelle Revolution. Das war einfach Teil dieser Zeit. Natürlich wollten wir uns auch sexuell befreien. Natürlich war diese ganze Energie festgehalten. Die Generation meiner Eltern war während des Krieges noch so jung gewesen, die hatten ja praktisch keine Jugend gehabt. Sie waren total gehemmt, da war so viel, was gar nicht gelebt wurde. Und wir fingen in den 1970er-Jahren an, uns zu entdecken! Körperarbeit, Bioenergetik, fühlen – das war überhaupt der Höhepunkt. Als ich 1970 als „Eisprinzessin“ in einer Gruppe das erste Mal geweint habe, mit Leuten um mich herum – das war für mich eine Revolution. Weinend vor Leuten! Dann habe ich einen Tennisschläger genommen und meine Wut rausgelassen. Ich dachte, ich kippe um! Revolution! Meine Mutter hätte gesagt: „Die hat nicht mehr alle Tassen im Schrank!“ Mit all dem kam natürlich auch die ganze Sexualität raus.