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Fast wie in Mexiko Stadt

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Fup quiekt: »Mehr«. Ich sage: »Das heißt: höher«, obwohl ich zugebe, dass das eine etwas spitzfindige Diskussion ist, denn ob er nun auf der Schaukel »mehr« angeschubst werden oder »höher« schaukeln will, kommt ja aufs selbe raus, aber da ich sonst nichts zu tun habe, streite ich mich gern über solche Dinge.

Die Regeln des Streits sind ganz einfach. Fup sagt »mehr«, dann sage ich »höher«, dann sagt Fup wieder »mehr« und zwar etwas lauter, worauf ich auch etwas lauter »höher« sagen muss. Wer länger durchhält, hat gewonnen.

Natürlich verliere ich. Wer mit solcher Inbrunst »mehr« schreit, kräht und juchzt, hat zu Recht gewonnen.

Außerdem lenkt mich gerade eine Frau ab, die mit zwei Kindern in mein Blickfeld geraten ist. Sie lehnen ihre Fahrräder an den Zaun. Die zwei Mädchen nehmen ihre Fahrradhelme ab und gehen zur Schaukel, die neben Fup noch frei ist. Sie sind noch zu klein, um selber drauf zu klettern. Oder zu faul. Sie warten auf ihre Mutter, die die drei Fahrräder abschließt. Für jedes Fahrrad gibt es ein kleines Schloss und einen kleinen Schlüssel. Dann kommen die drei Fahrradhelme dran. Die Mutter kettet jeden Fahrradhelm einzeln mit einem Schloss und einem Schlüsselchen an den Zaun. Dabei muss sie gucken, dass sie das richtige Schlüsselchen für das richtige Schloss findet. Das dauert, und das sagt auch die Mutter, als ihre beiden Töchter zu maulen beginnen, weil sie schaukeln und nicht länger warten möchten.

Tja, wären wir in Nordkorea, müsste die Mutter die Fahrräder nicht abschließen. Dort werden nämlich keine Fahrräder geklaut. Ich bin mir nicht mal sicher, ob es dort Fahrradschlösser gibt. Und wenn die Leute hier das wüssten, wäre das Ansehen Nordkoreas vielleicht gar nicht mehr so schlecht. Sollte man jedenfalls annehmen, aber wenn ich es mir genau überlege, würde man Nordkorea dafür noch mehr verachten, und zwar als einen Staat, in dem es nicht mal Fahrradschlösser gibt. Ich schätze, die Leute würden das ganz schön krass finden.

So aber fühle ich mich wie in einem schlimmen Viertel in Mexiko Stadt. Aber wer würde da einen Fahrradhelm klauen und dafür sogar einen Bolzenschneider mit sich führen, um das Schloss zu knacken? Und das mitten am Tag in unmittelbarer Nähe der rechtmäßigen Besitzerin der drei Fahrradhelme? Die müsste dann vermutlich erst­mal erschossen werden, um an die Fahrradhelme zu kommen, denn die Frau würde sich bestimmt dazwischenwerfen. Und das wäre selbst in einem schlimmen Viertel in Mexiko Stadt eher ungewöhnlich, jemanden wegen eines Fahrradhelms zu erschießen.

Hier im Viertel hat sowieso jeder einen Fahrradhelm. Die Vorsichtsmaßnahme gilt also offensichtlich Leuten, die noch keinen Zweitfahrradhelm haben. Die sind hier aber so selten, dass sie vermutlich schon in irgendeiner Kundendatei erfasst sind. Diese Zweitfahrradhelmnichtbesitzer haben bei dieser Frau schlechte Karten.

Aber wer weiß, vielleicht hat die Frau schlechte Erfahrungen gemacht, vielleicht ist ihr schon mal ein Förmchen oder Schäufelchen abhanden gekommen. Das kann natürlich sein.

»Mehr«, schreit Fup, und lässt unseren alten Streit wieder aufflammen. Dann macht er sich auf die Suche nach einem unabgeschlossenen Fahrrad. Er hat aus den beschriebenen Gründen schlechte Karten. Ich bin der Frau in diesem Moment sogar etwas dankbar, denn so muss ich ihm nicht hinterherlaufen und ihm erklären, dass wir hier schließlich nicht in irgendeinem schlimmen Viertel in Mexiko Stadt sind. Fup geht weiter und entwendet in einem unbeobachteten Moment einem Kind die Schaufel.

Der kleine Fup

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