Читать книгу Das Erbe von Tench'alin - Klaus D. Biedermann - Страница 8

Kapitel 4

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»Du vermisst Nikita sehr, nicht wahr?« Der Schmied brauchte die Antwort nicht zu hören, er konnte sie sehen. »Das kann ich verstehen«, fügte er einfühlsam hinzu.

Er rieb seine mächtigen Hände an der ledernen, im Laufe der Jahre speckig gewordenen Schürze ab. Dann hängte er das Kleidungsstück, das er stets während der Arbeit trug, an einem Wandhaken auf. Jetzt kamen eine alte Cordhose mit ausgebeulten Knien und ein rot-weiß kariertes Baumwollhemd zum Vorschein, das über der breiten Brust ein wenig spannte. Er hatte zuvor seine schweren Arbeitsschuhe im Flur gelassen und trug jetzt bequeme Hausschuhe. Der Schmied machte einen zufriedenen Eindruck. Da er selbst gerade bis über beide Ohren verliebt war, konnte er die Stimmung seines Freundes sogar sehr gut nachvollziehen.

Effel schaute Soko schweigend und gedankenverloren dabei zu, wie dieser begann, das Abendbrot zuzubereiten. Er selbst trug eine blaue Stoffhose und einen leichten Pullover.

Hungrig war er nicht. Mit einer Hand streichelte er Sam, der neben ihm saß und die Schnauze auf seinen Schoß gelegt hatte.

Als er Soko vor Jahren zum ersten Mal besucht hatte, hatte er sich über den großen Tisch in der Wohnküche gewundert, weil der Schmied damals hier nur mit seiner Mutter gelebt hatte. Sein Vater, Matej Kovarik, der die Schmiede schon von seinem Großvater Jiri übernommen hatte, lebte damals schon nicht mehr. Er war beim Holzmachen von einem fallenden Baumstamm getroffen worden. Da war Soko, der Tierarzt hatte werden wollen, achtzehn Jahre alt gewesen und hatte kurz vor seinem Studium an der Universität in Onden gestanden.

Schließlich hatte er aber auf Drängen seiner Mutter die Schmiede weiter betrieben und diesen Entschluss nicht einen einzigen Tag bereut. Inzwischen liebte er seinen Beruf, und zwar nicht nur, weil er von Mindevol einmal erfahren hatte, dass sein Familienname sogar Schmied bedeutete. Seiner Passion, dem Behandeln kranker Tiere, ging er dennoch nach und es hatte sich über die Jahre herumgesprochen, dass er heilende Hände besaß. Er hatte hinter der Werkstatt, nicht weit vom Waldrand, eine kleine Tierklinik eingerichtet. Dort behandelte er kranke Hunde und Katzen, einen kleinen Waschbären, den Kinder kürzlich verletzt im Wald gefunden hatten, und sogar einen Uhu mit einem gebrochenen Flügel.

Soko war weit über die Grenzen Seringats für seinen Pferdeverstand und seine heilenden Hände bekannt. Er wurde immer dann gerufen, wenn ein Tier krank und der örtliche Tierarzt an seine Grenzen gestoßen war. Aber auch manchem menschlichen Patienten hatte er schon den Rücken oder die Hüfte wieder eingerenkt.

Vor Kurzem war Agatha bei ihm eingezogen und es gab niemanden im Dorf, der sich darüber nicht mit den beiden gefreut hätte. Aber selbst für drei Personen war der Tisch noch sehr groß. Zur Zeit beschäftigten Effel allerdings vollkommen andere Gedanken, was Soko natürlich nicht entgangen war. Die Sonne war bereits untergegangen. Vor Effel stand ein Glas, das fast bis zum Rand mit einem Rotwein gefüllt war, den Soko nur zu besonderen Anlässen kredenzte. Der Schmied schien gespürt zu haben, dass der heutige Besuch ein solcher Anlass war. Neben einem Krug mit Wasser, das er gerade eben noch aus dem Brunnen geholt hatte, hatte er einen Korb mit einigen Scheiben Schwarzbrot gefüllt. Butter, Käse und Schinken hatte er auf flachen, mit Jagdszenen verzierten Holzbrettern angerichtet.

Effel blickte auf.

»Ja, ich vermisse sie und es fällt mir im Augenblick wirklich schwer, im Hier und Jetzt zu leben. Das ist so ein Moment, in dem einem bewusst wird, dass manches leichter gesagt als getan ist.«

»Nun schau nicht wie ein geprügelter Hund, Nikita wird bestimmt zurückkommen. Sie hat es dir versprochen, nicht wahr?«, versuchte der Schmied ihn zu trösten, rückte einen Stuhl heran und setzte sich zu ihm an den Tisch. »Wir sollten mal wieder auf die Jagd gehen, mein Freund … oder in die Agillen zum Fischen, dort kommen jetzt bald die Lachse zum Laichen. Was meinst du? Das haben wir lange nicht mehr getan. Da kommst du auf andere Gedanken. Ändern kannst du im Moment sowieso nichts.« Dann fügte er hinzu: »Nikita hat auf mich nicht den Eindruck einer Frau gemacht, die ihre Versprechen nicht hält, und meine Menschenkenntnis hat mich bisher selten getrogen. Ich muss nur sehen, wie jemand mit Pferden umgeht, das verrät mir viel über seinen Charakter. Da macht mir keiner etwas vor, weil niemand ein Pferd täuschen kann. Jedenfalls hat man ihr nicht angemerkt, dass sie noch nie etwas mit Pferden zu tun gehabt hat. Vielleicht hat sie das in einem früheren Leben, wer weiß das schon.«

»Doch, als Kind ist sie wohl ein paarmal geritten, bevor sie das Golfspielen entdeckt hat. Das kann aber auch sehr gut sein, dass sie in einem früheren Leben ebenfalls mit Pferden zu tun hatte. Schließlich kann sie sich an all ihre Inkarnationen erinnern.«

»Also das finde ich unglaublich. Aber eines sage ich dir, ich wollte das gar nicht können.«

»Mir gefällt das, wenn es für mich auch viel anstrengender ist als für sie und ich dabei Hilfe brauche. Jedenfalls habe ich nicht gemerkt, dass diese Fähigkeit sie in irgendeiner Art und Weise behindert hat, ganz im Gegenteil.«

»Sieh doch das Positive an dieser ganzen Geschichte. Gibt es nicht in allem auch etwas Positives? Das ist es doch, was uns Mindevol immer sagt. In jedem Schlechten liegt auch etwas Gutes. Das hat er mehr als einmal gesagt.«

»Ja, das stimmt schon. Ich versuche es ja. Aber was soll das in diesem Fall sein?«

»Na, das liegt doch wohl auf der Hand. Sie hat die Pläne, mit denen sie jetzt diese Maschine bauen können … und wenn sie danach zurückkommt, hast du den Beweis, dass sie dich wirklich liebt.«

»Ich glaube nicht, dass ich solch einen Beweis brauche. Dass sie mich liebt, weiß ich. Die Frage ist doch, ob man sie dort wieder weglassen wird.«

»Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, mein Freund. Sie wird zurückkommen, glaube es mir. Wetten werden gerne noch angenommen.«

Soko grinste herausfordernd und streckte Effel die Hand entgegen. »Schlag ein, du darfst den Wetteinsatz bestimmen.« Sie wetteten oft und gerne miteinander, einfach zum Spaß und um alle möglichen Sachen. Aber auch dieser Versuch ging ins Leere.

»Lass gut sein, Soko, darum wette ich nicht. Ich finde es aber nett von dir, dass du mich aufheitern möchtest.«

»Da ist aber noch etwas ... ich sehe es dir doch an ... rück schon raus mit der Sprache«, forderte Soko ihn jetzt auf. Er hatte Effel noch nie so niedergeschlagen erlebt, ausgenommen damals, als sein Großvater gestorben war, aber da war er noch ein Kind gewesen.

»Mir kannst du alles sagen ... das weiß du.«

Der Schmied trank sein Glas in einem Zug aus und wischte sich mit der Hand über den Mund. Ein paar Tropfen hatten sich in seinem Bart verfangen.

»Den solltest du probieren, mein Freund, der ist schon fünf Jahre alt, ein Spitzenwein. Erinnerst du dich an jenen Herbst? Bis in den November hinein hatten wir gutes Wetter gehabt. Bestimmt wird es in diesem Jahr wieder so – oder wann hatten wir den letzten Oktober, der so viel Sonne hatte? Aber trink nicht zu viel, damit Agatha auch noch etwas abbekommt.«

Er zwinkerte Effel aufmunternd zu und putzte sich die Hand an einem Küchentuch ab. Was als erneute Aufmunterung gedacht war, verfehlte auch jetzt seine Wirkung und verpuffte ins Leere.

»So, ich werde euch mal einen Moment alleine lassen, ich brauche unbedingt eine Dusche. Aber trink nicht alles weg, lass mir was übrig und pass auf Sam auf, der schnuppert schon bedenklich nach dem Käse.«

Er verließ lachend die Küche. Zwanzig Minuten später war er zurück und nahm wieder am Tisch Platz. Diesmal in einer neueren Hose und einem frischen Hemd.

»Hast du überhaupt etwas getrunken? Sitzt da, wie ich dich verlassen habe. So habe ich dich ja lange nicht erlebt.«

Effel sah Soko jetzt direkt an, beugte seinen Kopf nach vorne und nippte nur vorsichtig an seinem Glas, als wenn der Inhalt kochend heiß wäre oder vielleicht sogar verdorben.

»Hör mal, wenn du meinen Wein nicht würdigst, bekommst du Wasser, davon habe ich reichlich.«

Er grinste. Dieser Versuch verfehlte seine Wirkung nicht.

»Ja, da ist noch etwas, das mich beschäftigt ... du hast recht. Tut mir leid, wenn ich so abwesend war, aber ich musste nachdenken.«

»Und, magst du mir sagen, was bei deiner Nachdenkerei herausgekommen ist?« Sokos Neugier war erwacht. »Die Frauen sind im Dorf, du hast also alle Zeit der Welt. Meine Mutter wollte ein paar Freundinnen besuchen, die sie lange nicht gesehen hat. Ich habe Agatha gebeten, sie zu begleiten, weil sie doch noch etwas unsicher auf den Beinen ist. Noch solch ein Sturz würde gerade noch fehlen. Sie hat Glück gehabt, dass sie sich nicht den Oberschenkelhals gebrochen hatte. Nach so etwas stehen alte Leute fast nie mehr auf.

Kannst also beruhigt sein, wir werden nicht gestört ... jedenfalls sicher nicht die nächsten zwei Stunden. Vielleicht auch drei. Wenn meine Mutter erst einmal Fahrt aufgenommen hat«, meinte Soko.

Effel blickte in sein Glas, als ob er erwarte, dort eine geheimnisvolle Botschaft oder vielleicht sogar die Lösung eines Problems entdecken zu können.

»Ich habe Nikita nicht alles gesagt«, erklärte er jetzt geradeheraus und schaute den Schmied direkt an, »ich habe ihr etwas Wichtiges verschwiegen. Ich wollte es sagen, aber es war mir nicht möglich.« Er machte seufzend eine Pause.

Soko hatte inzwischen sein eigenes Glas wieder gefüllt und erwiderte ruhig und erwartungsvoll den Blick des Freundes.

Aus dem nahen Wald war der Ruf eines Hähers zu hören, aus der Werkstatt das leise Prasseln des Feuers und aus den Verschlägen dahinter manchmal das heisere Jaulen eines kranken Hundes. Der große Kachelofen, auf dessen Bank es sich zwei Katzen gemütlich gemacht hatten, verbreitete eine wohlige Wärme.

»Es war dir nicht möglich? Was hast du Nikita verschwiegen? Dass du mit Saskia ...?«

»Nein, das mit Sas weiß sie. Das habe ich ihr schon im Tal bei unserer ersten Begegnung gesagt. Ich glaube, in den zwei Tagen, in denen wir dort waren, haben wir uns alles erzählt. Nein, es geht um diese Pläne, die wir gefunden hatten. Sie wird damit Probleme bekommen.«

»Probleme? Inwiefern?« Der Schmied legte die Stirn in Falten.

»Nun, ich habe damals, als ich sie angefertigt hatte, eine wichtige Berechnung verschlüsselt. Ich habe bei dem Prozess, bei dem es um die Umwandlung der Ätherenergie in elektrische Energie geht, einen Rätselcode eingebaut. Vielleicht hatte ich Angst, dass meine Arbeit einmal in die falschen Hände geraten könnte ... oder es war reine Spielerei, wer weiß. Ich hatte wohl früher schon ein Faible für Rätsel. Die Pläne bestehen nicht nur aus Zahlen und Berechnungen, sondern auch aus sehr viel Text, in dem alles erklärt wird, das meiste in lateinischer Sprache.«

»Ätherenergie in elektrische Energie umwandeln? So wie wir es mit Wasser und Sonne machen?«

»Ja, so ungefähr kann man sich den Prozess vorstellen, nur dass eben die Ätherenergie in unendlicher Menge und zu jeder Zeit zur Verfügung steht. Du musst dir das so vorstellen, dass man mit einer Art Staubsauger die Neutrinos aus dem Universum ansaugt, zur Erde leitet und dort in einem Transformator umwandelt. Also sehr vereinfacht gesprochen, aber anders kann ich es dir nicht schildern. Dieser Transformator muss allerdings ziemlich groß sein, na ja, vielleicht kann man das Ganze heute kleiner bauen. Vor tausend Jahren hätte ich es dir wahrscheinlich viel besser darlegen können.«

»Das hat mir vollkommen genügt.« Der Schmied grinste.

»Wenn Nikita und Professor Rhin es nicht schaffen, dieses Rätsel zu lösen, können sie nicht weitermachen. Ich kann mir wirklich nicht erklären, warum ich das getan habe, weil es damals … ich meine früher … eigentlich keinen Sinn gemacht hatte. Dieses Myonprojekt war reine Theorie. Ich habe mit dieser sicherlich guten Idee, mit der ich allerdings alleine dastand, einfach ein wenig herumgespielt. Es war zur damaligen Zeit für die Wissenschaft einfach unvorstellbar, dass man Energie aus dem Äther gewinnen könnte. Die meisten meiner Zeitgenossen hielten mich für einen überdrehten Spinner und lachten mich aus. Na ja, bis auf den König. Deswegen mussten wir ja auch fliehen. Aber davon habe ich dir ja schon erzählt.«

Effel blickte ernst drein. »Nikita wäre nicht hier gewesen, wenn man sich das in der Neuen Welt nicht vorstellen könnte.

Damals jedenfalls gab es überhaupt keine technischen Möglichkeiten, solch eine Maschine zu bauen … wahrscheinlich gab es die nirgendwo auf der Welt. Ich aber habe immer daran geglaubt, dass es eines fernen Tages möglich sein könnte. Deswegen brachten wir die Pläne in dem Tal ja auch in Sicherheit.«

Der Schmied sah Effel fragend an.

»Du hast deine Erfindung damals … verschlüsselt? Hach … lass mich raten, du weißt die Lösung des Rätsels nicht mehr, stimmt`s? Kennst du denn den Text des Rätsels noch?«

Effel nickte ohne aufzuschauen, dann schüttelte er verneinend den Kopf: »Nein, das alles weiß ich eben nicht mehr, es ist wie … wie … als wenn es jemand aus meinem Gedächtnis gelöscht hätte.«

Soko lachte plötzlich schallend auf.

»Was gibt es denn da zu lachen?«

»Ich kann nicht mehr … was meinst du, was die da drüben für Augen machen werden … wenn … wenn sie das entdecken … hahahaha!« Er schnappte nach Luft. Dabei klopfte er sich mit beiden Händen auf die Schenkel, dass es nur so klatschte. Er hielt sich den Bauch und hob sein Glas.

»Lass uns darauf trinken, Bruder, der ganze Aufwand für nichts und wieder nichts!«

Er hatte Tränen in den Augen und gleich darauf fügte er hinzu: »Oh, entschuldige, für nichts stimmt ja nicht, immerhin hast du … also habt ihr euch ja dadurch kennengelernt. Haha, zwei gewinnen, alle anderen verlieren, das ist zu köstlich! Ein Grund mehr, einen darauf zu trinken … also ich finde das …«

»Natürlich werden sie das Rätsel entdecken, es steht ja ziemlich deutlich da«, unterbrach Effel ihn, »deswegen ist es auch gar nicht so witzig. Diesem Professor Rhin wird es sofort auffallen, da bin ich mir sicher ... bei allem was Nikita mir über ihn erzählt hat. Und wenn sie selber sich näher damit beschäftigt, wird sie es auch bemerken ... das ist mal so klar wie der Bach, der hinter deinem Haus vorbeifließt.«

»In lateinischer Sprache hast du die Texte verfasst? Hattest du mir nicht erzählt, dass du damals in Frankreich gelebt hast?«

»Vielleicht habe ich es in Latein verfasst, weil nur wenige Menschen diese Sprache beherrschten, wenn man einmal von Priestern, Ärzten und Mönchen absieht.«

»Na ja, wie auch immer, eine gewisse Komik hat es, das musst du zugeben. Ich finde es jedenfalls lustig. Aber mal Spaß beiseite. Wenn dieser Professor, oder wer auch immer, bemerkt, dass du damals dieses Rätsel verwendet hast, um eine Berechnung zu verschlüsseln ... meinst du nicht, dass sie es lösen können?«

Soko stellte sein leeres Glas ab.

»Vielleicht, aber was, wenn sie es nicht können? Es wird sicherlich sehr knifflig sein, so wie ich damals gedacht habe«, lächelte Effel jetzt zum ersten Mal. Soko grinste.

»Lass sie doch ruhig ihr Hirnschmalz bemühen, sie bekommen den Hauptteil ja schließlich frei Haus geliefert. Wahrscheinlich schmücken sie sich noch damit … werden garantiert drüben als Helden gefeiert. Ich meine, wenn man mit deiner Maschine wirklich Energie gewinnen kann. Na, und wenn sie es nicht schaffen, kommt sie ja in jedem Fall bald wieder. Etwas Besseres kann dir doch gar nicht passieren!«

»Nein, jemand anderer wird kommen«, erwiderte Effel, »glaubst du wirklich, sie schicken Nikita noch einmal hierher? Nein, die lassen sie nicht noch mal gehen. Vielleicht kommen sogar mehr von ihnen. Jetzt, wo man ihnen den kleinen Finger gereicht hat, könnten sie die ganze Hand haben wollen. Mir wird gerade übel, wenn ich an die Möglichkeiten denke, die sie haben. Aber letztlich wird es nichts nutzen, denn ich erinnere mich nicht an das Rätsel ... es sei denn …«, Effel überlegte, »… Perchafta hilft mir noch einmal bei einer Rückführung.«

»Du meinst, er macht mit dir eine dieser Zeitreisen, von denen du mir erzählt hast? Du glaubst, das würde er tun? Und was dann? Willst du dann rüber und es ihnen erzählen? Hahaha!«

»Ja, das meine ich, warum denn nicht? ... Oh mein Gott«, Effel blickte seinen Freund erschrocken an, »die Anderen werden kommen und versuchen, es aus mir herauszuholen. Sie werden nicht viel Zeit damit verschwenden, das Rätsel selber zu lösen. Wenn dort drüben erst einmal bekannt wird, dass sie meine Pläne haben – und das werden sie veröffentlichen –, werden sie unter enormem Erfolgsdruck stehen.

Viele Menschen wissen, dass damit der Ewige Vertrag gebrochen wurde. Nikitas Reise wird man nicht geheim halten können. Man wird bei der Bevölkerung aber mehr Verständnis bekommen, wenn sie das Ergebnis schnellstmöglich liefern.«

»Dann sollte Perchafta besser nicht helfen. Lass sie nur kommen. Damit werden wir schon fertig«, sagte Soko selbstbewusst und ballte eine Faust. Das Lachen war aus seinem Gesicht verschwunden und hatte einem grimmigen Ausdruck Platz gemacht.

»Außerdem haben wir immer noch die Krulls und deren Freunde an unserer Seite ... wie heißen die Burschen noch? Emurks? Ja genau, die Emurks. Die scheinen ja nicht gerade zimperlich zu sein, nach allem, was man so hört. Und vergiss nicht den Rat der Welten, den es ja auch noch gibt. Du glaubst doch nicht, dass sie sich das ein zweites Mal bieten lassen? Sie würden sich ja selbst vollkommen unglaubwürdig machen. Es wäre geradezu eine Einladung für alle, uns auf dem Kopf herumzutanzen! Wir sind der Rat der Welten, kommt her, wir sind harmlos, wir tun nix, wir reden nur! Das würden sie denen damit sagen«, endete er und schenkte sich ein weiteres Glas ein.

»Du hast recht, Soko, der Rat der Welten hat sich bisher weitgehend aus allem herausgehalten. Sie haben sogar Nikita erlaubt, die Pläne nach Hause zu nehmen, was mich, ehrlich gesagt, gewundert hat. Vielleicht haben sie dem nicht so viel Bedeutung beigemessen wie ganz offensichtlich Nikitas Bosse. Ich habe ihr alles gerne überlassen, weil sie dieses Projekt verwirklichen kann. Wenn es ihnen dort in der Neuen Welt gelingt, das Rätsel zu lösen, werden sie es schaffen, meine Maschine zu bauen. Dieser Professor Rhin scheint ja ein helles Köpfchen zu sein und dass Nikita viel von ihrem Handwerk versteht, steht außer Frage. Was die Emurks betrifft, mein Freund, vergiss sie! Auf die werden wir nicht zählen können. Die müssten inzwischen längst in ihrer Heimat angekommen und verdammt froh sein, nichts mehr mit der ganzen Sache zu tun zu haben. Die werden sich in gar nichts mehr einmischen. Freiwillig haben sie es das letzte Mal ja auch nicht getan.«

»Aber warum hast du Nikita nichts davon erzählt, als sie noch hier war? Seit wann weißt du das mit dem Rätselcode?«

»Das ist eine berechtigte Frage. Ich wollte es ihr als mein letztes Geschenk mitgeben. Sie mag doch Rätsel genauso wie ich … und das wertvollste wollte ich ihr eben zum Abschied schenken. Es sollte eine Überraschung sein. Es war schwer genug, so lange den Mund zu halten. Wie gesagt, kannte ich das Rätsel mit Lösung nach einer meiner Zeitreisen, die ich mit Perchafta unternommen hatte. Da hatte ich alles gesehen, ganz klar. So sicher, wie ich hier sitze. Ich wollte es ihr am Waldrand von Elaine verraten, bevor sie in dieses U-Boot gestiegen ist, bis dahin wusste ich es noch. Aber plötzlich war ich total blockiert! So als ob mir genau in diesem Moment jemand verboten hätte, es zu verraten. So verrückt das auch klingen mag. So sehr ich mich später auf dem Heimweg auch angestrengt habe, mich zu erinnern … es war weg und es blieb weg. Bis heute.«

»Warum sollte es jemanden geben, der das verbietet? Das macht doch keinen Sinn, dann hätten sie die Pläne nicht erst mitzugeben brauchen.«

»Du meinst, es sei jemand vom Rat der Welten gewesen? Ich habe keine Ahnung und irgendwie ist das ja auch, wie du schon sagst, ein Widerspruch. Ich habe mir mehr als einmal die Frage gestellt, warum sie es den Forschern drüben unnötig schwer machen sollten, wenn es für sie keine Bedeutung hat«, Effel zuckte mit den Schultern und trank einen Schluck Rotwein.

»Was sagt denn Mindevol dazu?«

»Das weiß ich nicht. Ich konnte es ihm noch nicht erzählen. Er ist in Winsget und kommt erst morgen zurück. Jedenfalls bin ich letzte Nacht schweißgebadet aufgewacht, als ich von diesem blöden Rätsel geträumt habe und was das für Konsequenzen haben könnte, wenn sie es nicht lösen können.«

»Nun, dann bin ich auf Mindevols Meinung gespannt ... obwohl ... aus irgendeinem Grund glaube ich, dass er von allem bereits weiß. Vielleicht von Perchafta, diesem Schlaufuchs.«

Soko schnitt sich eine dicke Scheibe Käse ab. Er legte sie auf ein Stück Schwarzbrot und biss herzhaft hinein.

»Du solltest auch etwas essen«, meinte er dann undeutlich, »dann sieht die Welt gleich ganz anders aus. Falls Nikita doch zurückkommt, wäre sie sicher nicht erfreut, wenn du inzwischen verhungert wärest ... ich möchte jedenfalls daran nicht schuld sein.«

Er schob seinem Freund Käse und Brot hinüber.

»Vielleicht hast du recht«, meinte Effel lächelnd und griff zu. Kauend fragte er dann: »Wie kommst du darauf, dass es Mindevol von Perchafta weiß?«

»Weil Perchafta ihn stets auf dem Laufenden hält, das hat er dir doch selbst gesagt.«

»Das macht Sinn, sie sind sehr gute Freunde ... warten wir also Mindevols Rückkehr ab, er wird sicher einen Rat zur Hand haben. Aber jetzt zu einem anderen Thema, mein Freund. Was ist mit dir und Agatha? Wie geht es euch Turteltäubchen? Entschuldige, ich habe nur von mir geredet.«

Der Schmied errötete leicht und nahm sein Glas. Er drehte es in seinen riesigen Händen hin und her, so als erwarte oder erhoffte er von dem Wein, dass er für ihn das Sprechen übernehmen würde.

»Was soll mit uns sein?«, fragte er dann mit Unschuldsmiene. Ihm war klar, dass Effel nicht locker lassen würde.

»Ach komm schon, lass dir die Würmer nicht einzeln aus der Nase ziehen.«

Effel lächelte amüsiert.

»Was soll ich dazu schon sagen ... ich hätte jedenfalls nie gedacht, dass sie …«

»Sich für dich interessiert«, wurde er von Effel unterbrochen, »wolltest du das sagen? Mann, Mann, Soko, das ganze Dorf hat es gemerkt, nur du nicht! Die Leute haben sich schon lustig gemacht über dich. So krank war deine Mutter nun auch wieder nicht, dass sie eine Dauerpflege gebraucht hätte. Agatha kam auch deinetwegen!«

»Sie ist so wunderschön …«, meinte der Schmied versonnen und schaute wie ein frisch verliebter Teenager.

»Ja klar ... und du bist der hässlichste Mensch auf Erden, nicht wahr? Die Schöne und das Biest. Dass ich nicht lache! Unsere Theatergruppe kann das Stück ja beim nächsten Mal gleich hier bei dir aufführen ... hinter deinem Haus … auf der Waldbühne!« Effel lachte, seine Stimmung hatte sich schlagartig gewandelt.

»Ja, lach du nur. Schau dir meine Hände an, alles voller Schwielen ... und …« Der Schmied hielt Effel seine Hände hin. Der unterbrach ihn.

»Soko, jetzt hör aber auf, ich habe deine Hände schon hundertmal gesehen. Agatha scheint jedenfalls kein Problem mit ihnen zu haben«, grinste er, »schau dich doch an. Ich kenne keinen stattlicheren Mann. Und was noch viel wichtiger ist, du hast ein großes Herz. Das sehe ich auch, wenn ich hinter dein Haus gehe und all die kranken Tiere betrachte. Du hast einen tollen Beruf, in dem du wunderschöne und nützliche Dinge herstellst. Du bist ein angesehener Mitbürger und die Leute mögen dich ... und ... ich bin wirklich stolz, dein Freund zu sein. Das Einzige, was dir allerdings jetzt zur Vollkommenheit noch fehlt, ist ein passendes Hemd. Aber das wird sich ja jetzt wohl ändern, wo eine Frau im Haus ist.«

Effel lachte auf und Soko schaute ihn dankbar an. »Danke für die Komplimente, mein Freund, es tut gut, das zu hören. Ich glaube, ich war zu lange alleine ... mit meiner alten Mutter und all den Tieren dort hinten. Ich bin zurzeit der glücklichste Mann auf Erden, das kann ich dir sagen ... und weißt du was? Wenn Agatha nicht den ersten Schritt getan hätte, säße ich wahrscheinlich heute noch allein in meiner Schmiede.«

»Machen die Frauen nicht immer den ersten Schritt?«

»Wahrscheinlich ist es so, jedenfalls ... wenn man sich so umhört. Nikita hat ja sogar einen Riesenschritt gemacht.«

Soko lächelte und bereute es sofort, als er sah, dass Effels Miene gerade wieder im Begriff war, sich zu verfinstern, allerdings nur für einen kurzen Moment.

»Ja, das kannst du laut sagen, einen gewaltigen Schritt hat sie getan, gleich über den großen Teich in eine andere Welt! Wenn sie sicher auch nicht damit hatte rechnen können, dass wir uns hier begegnen würden. Aber lenke nicht vom Thema ab ... wie war das mit Agatha?«

»Mann, das ist schnell erzählt ... zumindest der Teil, der dich etwas angeht«, grinste Soko.

»Als ich eines Abends von der Arbeit kam, war der Tisch, also dieser Tisch hier, festlich gedeckt ... mit allem, was so dazugehört ... sogar Blumen waren drauf und Agatha stand da, in einem Kleid ... Mann, Mann, Mann! Ich muss ziemlich bescheuert ausgesehen haben, wie ich so mit offenem Mund in der Tür gestanden bin. Ungefähr wie ein Kind, das den Nikolaus sieht, obwohl es nicht mehr an ihn glaubt. Und sie? Sie hat nur gelacht und gemeint, dies sei ihr letzter Abend bei uns, denn meine Mutter sei wieder vollkommen gesund, und das wolle sie mit uns gemeinsam feiern. Sie hatte sogar gekocht, mein Lieblingsessen ... meine Mutter hatte es ihr verraten.

Zwei Stunden haben wir zusammengesessen und getafelt ... alles vom Feinsten, sag ich dir ... und als sich meine Mutter in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, haben wir bestimmt nochmals zwei Stunden drüben am Kamin gesessen und erzählt und erzählt. Danach wussten wir alles voneinander. Ich glaube, ich habe Agatha an diesem Abend zum ersten Mal richtig angesehen ... wenn du weißt, was ich meine ... nicht nur angeschaut.

Wenn ich sie in der Goldenen Gans oder sonst wo getroffen habe, habe ich mich einfach nie getraut sie anzusprechen. Meistens war sie ja auch mit einer Freundin unterwegs. Eigentlich sollte ich meiner Mutter dafür danken, dass sie hingefallen ist.« Soko lachte. »Gut, dass sie das jetzt nicht gehört hat.«

»Wie gesagt, alles ist für irgendetwas gut«, meinte Effel.

»Bin nur gespannt, wofür das mit diesem bescheuerten Rätsel gut sein soll. Aber erzähl mal weiter, da kommt doch noch was?«

Es war eher eine Feststellung als eine Frage.

»Sie hat so ein wunderschönes Lachen. Wusstest du, dass sie Grübchen hat? Nun ... ich kann dir wirklich nicht sagen, was mich beim Abschied – sie hatte schon ihren Mantel an – geritten hat. Jedenfalls habe ich sie spontan in den Arm genommen, um mich bei ihr für alles zu bedanken. Ich wüsste gar nicht, wie ich das alles alleine geschafft hätte ... hab ich ihr noch gesagt. Und dann, plötzlich, hat sie mich einfach geküsst ... und das war ... wie soll ich dir das erklären ... einfach unbeschreiblich! So ... und der Rest geht dich nichts an. Jedenfalls ist sie an diesem Abend nicht mehr heimgegangen. Auf Agathas Wohl, mein Freund.«

Der Schmied hob sein Glas, trank es in einem Zug aus und nickte Effel lachend zu.

Der leerte sein Glas ebenfalls. Seiner Erinnerung nach hatte Soko noch nie so viel an einem Stück geredet.

»Ich freue mich für euch«, sagte er, nachdem Soko nachgeschenkt hatte, »ihr habt es beide verdient und es gibt wohl niemanden hier, der euch euer Glück neidet.«

»Und ich hatte schon gedacht, dass ich mein Lebtag alleine bleiben werde. Dass ich das noch erleben darf, ist wirklich ein großes Wunder. Und weißt du was? Sie liebt Tiere. Ist das nicht großartig? Und wie du siehst, fühlen sich ihre Katzen hier auch schon zu Hause.«

»Ich habe immer darauf vertraut, dass eines Tages die Richtige kommt und dich aus deinem Einsiedlerdasein, oder sollte ich besser sagen Dornröschenschlaf, herausholt«, sagte Effel lächelnd, »aber dass sie bereits so nah war … wer hätte das gedacht? Nun, das bestätigt mal wieder, was Mindevol mehr als einmal gesagt hat: Warum denn in die Ferne schweifen, denn das Gute liegt so nah. Das stimmt ganz offensichtlich – von wenigen Ausnahmen abgesehen«, ergänzte er und ein Hauch von Wehmut huschte über sein Gesicht. Dann aber fuhr er gut gelaunt fort: »Jetzt weiß ich auch, warum du einen solch großen Tisch hier hast. Es passen noch ein paar Kinder dran.«

»Nun mach aber mal halblang, gut Ding will schließlich Weile haben. Erst genießen wir mal die Zeit zu zweit. Für Kinder ist dann immer noch Zeit. Agatha ist noch jung.«

Effel gefiel es, wie sein Freund abermals rot geworden war.

»Hast du etwas von Saskia gehört? Weißt du, wie es ihr geht?«, fragte der Schmied jetzt und schalt sich sogleich innerlich dafür, in dieses Fettnäpfchen, wie er glaubte, getreten zu sein.

Aber Effel schien ihm die Frage nicht übel zu nehmen.

»Ich weiß zwar nicht, wie du gerade jetzt auf Saskia kommst … nein, Soko du brauchst keine schlechtes Gewissen zu haben«, meinte Effel, dem die Mimik seines Freundes nicht entgangen war.

»Ihna ist gerade mit Brigit bei ihr in Haldergrond zu Besuch. Das hat mir ihre Mutter erzählt. Sie wird mir später bestimmt berichten, wie es Saskia geht ... und zwar in allen Details«, lächelte er und fuhr fort. »Wenn du mich fragst, es war die richtige Entscheidung von ihr, nach Haldergrond zu gehen. Da gehört sie einfach hin ... es war schon ihr Kindheitstraum.

Sie hat so viele Talente und wie du weißt, hat sie sich seit Langem der Heilkunst verschrieben gehabt. Sie konnte gar nicht erwarten, ihren Schulabschluss zu machen, damit sie mit ihrer Ausbildung beginnen konnte. Mira sagte mir neulich erst, dass sie nie eine begabtere Schülerin gehabt hätte, und Petrov weint sich heute noch die Augen aus, weil sie nicht bei ihm Musik studiert. In Haldergrond hat sie jetzt beides, Heilkunst und Musik. Für unsere Ehe hätte sie diesen Traum geopfert und ich glaube, dass ich immer ein Schuldgefühl gehabt hätte. Wirklich eine tolle Voraussetzung für eine dauerhafte Ehe ... nein, es ist schon alles richtig, so wie es gekommen ist, glaub es mir. Aber ich werde mich ja sehr bald persönlich überzeugen können.«

»Persönlich?«

»Ja, ich werde zum Tag der offenen Tür hinfahren. Sie veranstalten zweimal im Jahr nach den Prüfungen solch einen Tag, mit verschiedenen Konzerten, einem Markt und Vorträgen. Wusstest du das nicht? Fährst du mit? Wir können die Räder nehmen. Kannst dein neues Fahrrad gleich einweihen. Du warst auch noch nie dort, stimmts?«

»Nein, ich war noch nie in Haldergrond, aber ich werde nicht mitfahren können. Neugierig bin ich schon, besonders weil Saskia dort ist. Aber ich habe sehr viel zu tun, nicht nur in der Schmiede. Ich werde mir wohl demnächst einen Mitarbeiter suchen. Agatha hat schon angedeutet, dass sie mehr Zeit mit mir verbringen möchte.«

»Was ich sehr gut verstehen kann.«

In diesem Moment klopfte es an der Tür. Sam hatte schon vor kurzer Zeit den Kopf gehoben und die Ohren gespitzt, sich dann aber wieder entspannt niedergelegt.

»Wer mag das sein ... um diese Zeit?«, fragte der Schmied mehr sich selbst und erhob sich langsam.

»Na, das werden wahrscheinlich deine Frauen sein«, meinte Effel, »oder hast du die schon vergessen? Sam hat sie eben schon gehört.«

»Du Spaßvogel … die klopfen nicht an … nein, ich geh mal schauen. Es will hoffentlich niemand dringend ein Pferd beschlagen haben, ich habe schon zwei Gläser getrunken – oder waren es drei?«

»Es waren eher vier, mein Freund.«

Kurz darauf kam Soko mit einem sehr verzweifelt dreinblickenden Jussup im Schlepptau wieder herein. Schweißnasse Haarsträhnen hingen ihm über der Stirn, als er seine Mütze abnahm und in seinen Händen unbeholfen knetete. Mit traurigen Augen begrüßte er Effel.

Der sprang auf und hatte sofort eine böse Ahnung.

»Was ist passiert? Was treibt dich zu solch später Stunde hierher? Ist etwas mit ...«

»Ja,« wurde er von dem Mann unterbrochen, »Jelena ist plötzlich sehr schwach geworden, sie konnte nicht mehr aufstehen ... ich bin so schnell gefahren, wie ich konnte. Ich war schon bei Mindevol, aber der ist nicht da. Mira meinte, er sei für ein paar Tage nach Winsget. Sie packt nur schnell ein paar Sachen zusammen. Ich soll dich, Soko, fragen, ob du mitkommst. Sie könne jede Unterstützung brauchen, meinte sie.

Jelena weiß nicht, dass ich losgefahren bin. Sie sagte vor zwei Tagen noch, als es anfing schlechter zu werden, alles sei richtig so, wie es ist, wir sollten uns keine Sorgen machen ... ob wir denn annähmen, dass sie ewig leben würde ... na, ihr kennt sie ja.«

»Ich bin ebenfalls dabei ... wenn du noch Platz in deiner Kutsche hast …«, bot sich Effel gleich an. Er verehrte die Vorsitzende des Ältestenrates, und zwar nicht nur, weil er es auch ihr indirekt zu verdanken hatte, dass er Nikita kennengelernt hatte.

»Ja, Platz habe ich genug«, meinte Jussup jetzt, »weil es so eilig ist, habe ich den Vierspänner genommen, er steht oben am Weg. Es war die schnellste Fahrt meines Lebens, kann ich euch sagen. Lieber wären mir noch sechs Pferde gewesen, aber mein Schwager hat sich vorgestern die beiden Schimmel für eine große Hochzeit in Sardi ausgeliehen. Die einzige Tochter des berühmten Dirigenten Claudio Abbado … er kutschiert die Braut zur Zeremonie.«

»Ich wusste gar nicht, dass Abbado eine Tochter hat«, sagte Soko und wandte sich an Effel.

»Ist dir bekannt, dass die Abbados seit vielen Generationen immer Dirigenten in ihrer Familie hatten?«

»Nein ist es nicht, aber ich bin ja auch nicht so bewandert in klassischer Musik wie du und Saskia.«

»Jetzt tu aber nicht so«, lachte der Schmied und wandte sich wieder an Jussup, der inzwischen das große Wasserglas, das er ihm eingeschenkt hatte, in einem Zug geleert hatte.

»Ich bin bereit, Jussup, eine Tasche ist für solche Fälle immer gepackt.«

»Mein Überfall zu solch später Stunde tut mir leid, Soko, ich wollte deine Mutter nicht erschrecken und hier mit Getöse vorfahren«, entschuldigte sich der Angesprochene. »Wie gesagt, Effel, du kannst auch gerne mitkommen. Jelena wird sich sicher freuen, dich zu sehen. Sie ist über dein Abenteuer immer informiert gewesen. Mein Gott, wir kommen hoffentlich nicht zu spät.«

»Dann werde ich schnell ein paar Sachen packen und Sam bei meinen Eltern abgeben ... wir treffen uns bei Mira, gib mir eine halbe Stunde ... höchstens! Länger brauche ich nicht«, erwiderte Effel und im Hinausgehen rief er noch: »Vielen Dank für alles, Soko, wir reden später weiter.«

Dann war er auch schon verschwunden und Sam sprang ihm hinterher.

»Komm, Jussup«, Soko machte eine einladende Geste, »setz dich, es ist noch Brot und Käse da … und ein Schluck Wein kann jetzt auch nicht schaden, was meinst du? Nur von Wasser kann der Mensch schließlich nicht leben. Ich mache dir auch gerne einen Kaffee oder einen Tee?«

»Vielen Dank, mach dir bitte keine Mühe«, Jussup rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her, die Jacke hatte er anbehalten.

»Das ist sehr freundlich, ich nehme deine Einladung an. Das Wasser genügt mir und das Brot … hm …das riecht gut und sieht sehr gut aus, sicher selbst gebacken nicht wahr?«

»Ja, Agatha hat es gebacken«, sagte Soko stolz.

»Dann bin ich so frei und nehme mir eine Scheibe.«

»Warte, ich schneide dir noch etwas von dem Bergkäse ab und nimm auch von der Butter. Du musst hier kein trockenes Brot essen. Iss du mal in Ruhe, ich gehe schnell nach draußen und schaue nach deinen Pferden. Die dürften ebenfalls durstig und hungrig sein … die Pause wird ihnen guttun. Gib uns allen eine halbe Stunde. Fühl dich bitte wie zu Hause, Jussup.«

Mit diesen Worten verließ der Schmied die Stube, griff sich einen Wassereimer, der neben dem Eingang stand, und lief zum Brunnen. Bald darauf waren Jussups Pferde trocken gerieben und mit Hafer und Wasser versorgt. Soko hatte darauf geachtet, nicht zu viel zu geben, da Jussup sie auch auf der Rückreise sicher nicht schonen würde. Nachdem er die Tiere versorgt hatte, verstaute er seine Tasche im Inneren der Kutsche. Ein paar Minuten später saßen die beiden Männer auf dem Bock, Jussup nahm die Zügel in die Hand und ließ die Pferde zunächst in einem leichten Trab den Weg nach Seringat nehmen. Soko hatte noch einen Zettel geschrieben, ihn auf den Küchentisch gelegt und zum Schluss, fast schon im Gehen, ein kleines, ungelenk gemaltes Herz hinzugefügt.

***

Das Erbe von Tench'alin

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