Читать книгу Sarah oder der Wendekreis der Jungfrau - Klaus E. Kofler - Страница 10

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V

Torberg 1962

Natürlich war ich nicht der Schüler Gerber. Obwohl die Angst vor dem Kommenden mir leichte Selbstmordgedanken einflüsterten.

Friedrich würde es schütteln! Und wie es auch mich schüttelte, von gerührt keine Spur.

Zwei Jahre lang hatte ich gemütlich in der alten Knabenhauptschule verbracht.

Kein Stress, ich schwamm gemütlich im Mittelfeld des Bildungssees.

Ein altes, nach geöltem Boden duftendes Klassenzimmer.

Dunkel, dunkel, dunkel.

Ein Kanonenofen, der in der Ecke von Wärme brummte. Die Tafel schwarz und vom muffigen Geruch des alten Schwammes getränkt.

Freunde, an die mich nicht mehr erinnere.

Lehrer, die unauffällig blieben wie auch ich.

Kein einziger Name weder von Lehrern noch von Mitschülern taucht in meinem Gedächtnis auf, so unauffällig waren die Tagesabläufe und Wissenserlebnisse.

Die Zeit verging ohne dass sie selbst es merkte.

Mein Zeugnis war bestückt mit mittelmäßigen Noten.

Die lähmende Langeweile, die sich täglich ausbreitete, Interesselosigkeit der Lehrer, schläfrige

Aufmerksamkeitsbereitschaft der ungeforderten Eleven hatten auch mich in den Bann der Teilnahmslosigkeit gezogen.

Aber meine ehrgeizige Mutter gerbte mir gehörig das Fell, weil ich nicht die Aufnahmsprüfung in das Gymnasium machen wollte, in das sie mich unbedingt stecken musste:

"Du bist zu gut für die Hauptschule, glaube mir“,

sagte sie und schleppte mich förmlich in das gegenüberliegende Gymnasium:

"Komm, komm, komm.....“

„Bitte nicht, Mama. Was soll ich denn dort. Ich bin doch viel zu blöd. Schau dir mein Zeugnis an!“

Ich hatte keine Chance gegen sie, ihren Ehrgeiz, ihrem mütterlichem Pflichtgefühl und mußte zur Prüfung antreten.

Ich bestand sie nur bedingt und durfte eine Klasse wiederholen.

Denn dass "Akkusativ“ den vierten Vall bezeichnete, daß Tcharles Tarwin schuld an meiner Blödheit war, daß x plus x plus x nicht die Unterschrift eines Analphabeten bedeutete, daß Ta Vintschi das berühmte Porträt einer angeblich hübschen Nutte mit Flaum auf der Oberlippe gemalt hatte, daß Maria Theresa schuld war, daß ich hier hungrig nach Weisheit schwitzen und sitzen mußte, wusste ich natürlich nicht und das hat mich ein Jahr meines schönen Lebens gekostet.

Verzweifelt war ich vor den Fragebogen gesessen, in einem einsamen Kämmerchen, aus dem Fenster in eine andere Freiheit lugend, schweißgebadet ob meines Unwissens, die Welt, meine Blödheit und meine ehrgeizige Mutter verfluchend: "Mama, ma che fai!"

Und also kam ich trotzdem widerwillig ins Gymnasium, das meiner alten Hauptschule gegenüber lag.

Wie gelähmt und traurig blickte ich zurück, als ich die neue, hell strahlende Schule betrat.

Parkettböden und große in die Zukunft lachende Fenster.

Licht, Licht, Licht!

Gut bekleidete junge Menschen, die bedächtig und gelassen durch die Pausenhalle schlenderten. Intelligente Gespräche murmelten über die polierten Fußböden.

Eine wohltemperierte Atmosphäre der gutbetuchten Biederkeit.

Schüchtern und gramgebäugt schlurfte ich hinter dem respekteinflößenden Professor über das gebohnerte Parkett.

"Professor!“, allein das Wort war furchteinflößend!

“Herr Fachlehrer“, war die Bezeichnung meiner ehemaligen Lehrer gewesen.

Die Türe munter aufgeschlagen:

"Hier ist euer neuer Klassenkamerad“, stellte mich der Klassenvorstand vor, „er kommt aus der Hauptschule gegenüber und beginnt hier sein neues Leben. Gebt auf ihn acht!“

Dreiundzwanzig Augenpaare waren auf mich gerichtet. Erschwerend kam noch dazu, dass sechs davon von Mädchen stammten.

(In der Hauptschule gab es nur pickelbeladene Knaben).

Ich fühlte mich wie der pfeildurchbohrte Johannes der Täufer und wünschte mir Flügel, um aus dem offenen Fenster in den Himmel flattern zu können.

Hoch hinauf in das blendende Azur.

Sich in die Wolken betten.

“Dear Prudence, won`t you come out to play...dear prudence, it`s a brandnew day...“

Leicht gebückt und mit geröteter Gesichtshaut schlurfte ich in die letzte Bankreihe, in der noch ein Platz frei war.

Ich verfluchte meine Mutter. Ich verfluchte mein nachgiebiges Ich.

Wie konnte sie mir das antun!I

Ich hatte das Frühstück trotz Nußkipferl und Kakao nicht hinuntergebracht und war mit Bauchweh und Durchfall am Klo gesessen.

Und jetzt saß ich da, als Frankfurter Würstel unter steakgewohnten Mitsitzern.

Da hatte ich den Salat! Das Pult vor mir hochglanzpoliert. Keine Vertiefung mehr für das einst gebrauchte Tintenfäßchen in der alten Schule. Die Tafel vor mir grün, nicht schwarz, und dreigeteilt wie ein Tryptichon.

Ehrfurcht, Ehrfurcht, Ehrfurcht!

"Der werde ich wohl bald mein mangelndes Wissen ankreiden müssen", dachte ich verzweifelt.

"Ich bin Arthur“, sagte meine neuer Banknachbar und reichte mir die Hand.

"Servus, ähh... Ernsti“, antwortete ich und fühlte mich gleich besser und nahm Platz.

Verlegen stopfte ich meine Utensilien ins Bankfach.

Hin und wieder drehten sich Mitschüler um, mich kritisch betrachtend.

Meine Mutter hatte mich "festlich“ gekleidet und das fiel etwas auf. Hose mit pfeilgerader Bügelfalte, weißes Hemd ohne Kravatte, Schuhe mit „Erdal“ Creme zum Glänzen gebracht.

Arthur belächelte meine Nervosität, aber ohne Zynismus.

Arthur war ein cooler Typ, älter als ich, denn er wiederholte die Klasse und schien mir ziemlich abgeklärt. Braungebrannt, die Haare nach hinten gegelt, ein lockeres Schmunzeln um die vollen Lippen.

“Mach dir keine Sorgen, das wird schon, du hast eine nette Ausstrahlung“, flüsterte er mir zu.

Er hat mir über die ersten Hürden sehr geholfen, denn die Schule und der Erfolg waren ihm wurscht.

Er würde das Teppichhaus seines wohlhabenden Vaters übernehmen und auch ohne Matura einen Porsche fahren.

Er lud mich später auch zu sich nach Hause ein und gab mir Boxstunden.

Aber nachdem seine boxhandschuhbewehrte Faust schmerzlich auf meiner Nase gelandet war, gab ich auf. „Schmerz ist eine wirkliche Erfahrung“, meinte Arthur „und äußerst lehrreich, glaub mir!“

„Ich scheiß auf körperlichen Schmerz, was meine Seele zittern lässt, ist Schmerz genug“, antwortete ich. „Schon gut, kleiner Poet, lass uns was trinken“.

Wir saßen dann auf "Prauses“ Polstermöbeln (so hieß die Firma), gestyled von seinem Vater ,

ich trank mein erstes Cola und ich rauchte meine erste und letzte Zigarette in dieser Zeit.

Ich mochte ihn.

Im nächsten Schuljahr war er dann verschwunden. Wie Pollen vom Löwenzahn fortgeblasen.

Leider. Ich habe ihn nie wieder gesehen...

Damals gab es Gewand von "Hilfiger“ "Armani" und Konsorten noch nicht.

“Dandy, dandy, where you gonna go now...“ sangen die Kinks.

Trotzdem konnte man den Sozialstatus der Schüler am Äußeren erkennen. Untereinander waren wir uns dessen nicht so bewusst, aber die Mütter waren auf der Hut!

Die meisten von uns stammten aus dem Geldadel von Kleinöd:

Papiergeschäft

Gynäkologe

Fahrschulbesitzer

Autoverkäufer

Nationalratsabgeordneter

etc.

Ich hab nicht sehr darunter gelitten als Vorstadtcowboy und ich hab sie später überzeugt, dass auch in mir etwas steckte, obwohl ich in altbackene Klamotten gewandet war und mein Maul nur aufmachte, wenn ich etwas gefragt wurde.

"Schule ist der Finanzfahnder des Staates auf der Suche nach Genies, die man auf zukünftiges Duckmäusertum hin pfändet“.

Wenn ich heute darüber nachdenke, warum mir vom Geschichte Unterricht nur

“drei drei drei, bei Issos Keilerei“ geblieben ist,

von der Infinitesimalrechnung gerade die Überschrift,

von Chemie gerade noch H2O,

das man braucht, wenn man einen Brand nach übermäßigem Alkoholkonsum hat hat,

von Musik nicht einmal der Quintenzirkel,

(meine Musiklehrerin hatte auch noch gemeint: “Aus diesen Beateles wird nichts. Sinnloser Eunuchengesang“)

dann weiß ich genau, was Matura bedeutet:

"Wie der Darm, unser zweites Hirn, sinnlose Ballaststoffe so schnell wie möglich ausscheidet, so erkennt unser Oberstübchen rechtzeitig, was man nie mehr brauchen wird und löscht es sofort von der Festplatte.

Whuschhhh und weg.....

Darum geht man ja auch noch anschließend zur Wehrpflichterfüllung, damit danach alles wie weggeblasen ist und du fängst von Grund auf zu lernen an“.

Ist natürlich etwas übertrieben.

Ein bisschen Bildung bleibt und die Deine erfährst du, weil dich der Lehrstoff nicht forderte und du neugierig weitergräbst und Archäologe des "Weltwissens“ wirst. Dich in Büchern verkriechst und gelungene Sätze aufpickst wie Hühner ihre Körner.

Aber die Schule war der Anstoß und auch das zählt.

Wie gesagt, als Neuling wurde ich beschnuppert wie eine fremde Katze, die ins Revier eindringt.

Aber ich war freundlich und bescheiden, denn das mag nicht nur der Schüler leiden. Irgendwie habe ich es geschafft, mir Respekt zu erarbeiten. Ich weiß nicht wie. Höflichkeit und Charme hatten mir meine Mutter eingedrillt. Vielleicht war ich auch damals schon regelmäßig beschickert. Ich bekam immer fünfzig Groschen für eine Wurstsemmel als Jause mit, die es beim Hausmeister in der großen Pause zu kaufen gab. Ich kaufte immer einen Punschkrapfen! Der war gleich teuer, mit reichlich Rum getränkt und verpasste mir die richtige Stimmung!

Das Aufsatzthema lautet:

"Woran erkennt man einen Freund!

Eine Stunde Zeit, los....!“, der Auftrag des Deutschprofessors.

Da war ich stumme Nuss in meinem Element.

Ich schrieb die Seiten wund. Ohne viel nachzudenken ließ ich meinen Bauch Sätze ausspucken, die ich vorher nie bewusst gedacht hatte. Es war mir vollkommen egal, ob ich richtig lag. Ich war in Trance.

"Nehmt euch ein Beispiel an diesem ehemaligen Hauptschüler! Der kann sich ausdrücken!“

Sprach salbungsvoll der Deutschprofessor, nachdem er meinen Aufsatz vorgelesen hatte.

Ich drückte mich soweit ich konnte unter die Bank.

So stolz ich war (und dieser positive Zuspruch hat mir über all die Jahre sehr geholfen) ahnte ich, dass ein Neidsturm über mich herfegen könnte:

Streber

Arschkriecher

Muttersöhnchen

Weichei

Warmduscher

Landungsklatscher

Frauenversteher

Das Gegenteil passierte: Ich gewann an Respekt und Sympathie.

Besonders die Mädchen begannen mütterliche Gefühle für mich zu entwickeln, was ja in deren Genen ganz natürlich schlummert.

“Ernst, kannst du mir bei dieser Aufgabe helfen, ich kenn mich nicht aus“.

“Gerne Sandra, gehen wir zu mir oder zu dir?“.

(Der Satz kam später).

Dieses war der erste Streich und der Zweite:

Ich war in Mathematik wirklich nicht begabt. Aber ich erkannte in der Absicht der Aufgabenstellung das zu erwartende Ergebnis.

Sah ich eine Formel, ertastete mein innerer Laser den Weg zum Ergebnis. Ich war selbst erstaunt, dass die Lösung so oft stimmte.

So hieß es dann immer:

"Berling an die Tafel“,

wenn ein Kollege nicht zur Lösung fand.

Ich kreidete das Ergebnis blitzschnell an die grüne Tafel, und der Professor kontrollierte langsam, auf seinen Vorbereitungszettel starrend.

"Richtig, danke, setzen!“

Das war verblüffend, auch für mich.

Aber das bedeutete, immer am Sprung zu sein, wenn jemand die Lösung nicht erkannte.

Stress, Stress, Stress.....

Dieses war der zweite Streich, doch der Dritte:

Ich hatte die Klasse überredet statt Französisch Italienisch als zweite Fremdsprache zu nehmen.

Ich versprach:

"Ich kenn mich aus und helfe euch wo ich kann!“

Gebongt.

Italienisch war unsere zweite Sprache die es zu erlernen galt.

Und es kam der eitle, gestrenge und unbarmherzige Italienischlehrer in unsere Klasse.

Später wurde er zu unserem Leidwesen auch noch unser Klassenvorstand.

Mit wenigen Wörtern erklärt:

Eine gelackte zynische Figur wie aus Batman. Schwarze gescheitelte an den Kopf geklebte Haare und ein blasses Gesicht mit gelangweilten, herunterblickenden Mundwinkeln.

Der Anzug von Armani-Kleinöd, die passende elegante Kravatte aus Slowenien, die Augen stechend wie Dornenvögel, sein "Notenkatalog“ wie eine Akte eines Gerichtsvollziehers in den Händen, der er auch war.

Man hatte immer das Gefühl, als erwartete er jeden Moment den Nobelpreis zu bekommen.

Er betrat die Klasse nicht, er stolzierte in den Bildungsraum.

Wir mussten aufstehen wie die Zinnsoldaten und dann hieß es:

"Guten Morgen, setzen!“

Wir setzten uns und ein zitterndes, angsterfülltes Schweigen legte sich über unsere Stimmung.

Er blätterte in seinem Notenkatalog und jeder betete:

“Bitte, ich bin im Alphabet der Erste, weiterblättern, weiterblättern!“.

“Scheiße!“

Alle anderen starrten schweigend, die Köpfe auf die Pultplatte gesenkt,

"zurück zum Anfang des Kataloges!“

rief es in ihnen. Dann rief er mich an die Tafel:

“Berling, übersetzen sie!“

War für mich kein Problem und das erstaunte ihn.

Sie können Italienisch?“

"Ja, aber nur den Triestiner Dialekt“ war meine bescheidende und mit etwas Stolz gefüllte Antwort.

Seine Miene schwankte zwischen Ehrfurcht und Überlegenheit. Wir schwätzten ein bisschen Italienisch über dies und das und das Thema war von mir und der Klasse gegessen.

Nicht für ihn.

Gab es bei irgendeiner Übersetzung ein Problem hieß es: "Berling, übersetzen sie!“ Zwischen Dialekt und Hochsprache ist ein großer Unterschied. Ich stand an.

"Berling, sie können nichts!“,

war sein Kommentar.

Und immer wieder:

"Berling, kommen sie raus und übersetzen sie! Sie sind ein Idiot!“

“Kommen sie raus, Berling, Dantes Inferno muss ihnen doch liegen!

Lasst jede Hoffnung, die ihr hier raustretet,

ha, ha..sie sind ein Versager“.

Seine mangelnde Italienischkenntnisse hatte ich durchschaut, aber damit kann man als Schüler verlieren wie man nur verlieren kann.

Ich hab das eitle Arschloch bei der Maturareise am Kreuzfahrtschiff in den Swimmingpool geworfen und da waren sein Heiligenschein und seine gelackten Haare ziemlich durcheinandergeraten und ersoffen im Pool meiner lebenslangen Verachtung für Lehrer wie ihn..

Aber wie stolz war dieser Komplexhaufen, als er bei der Maturaprüfung mit mir brillieren konnte.

Solche Menschen waren und sind mir eine Lehre.

Heute noch, wenn ich ein Gesicht sehe, in dessen Augen blicke, erkenne ich das Arschloch.

Haider, Grasser und Konsorten habe ich auf den ersten Blick durchschaut und ich war sicher kein Abkömmling von Nostradamus,

(aber ich wollte nicht politisch werden, Verzeihung).

So wurde ich "Grammerl“ zum Klassensprecher und hatte nicht die Power dafür. Wann wird man schon Klassensprecher: Entweder die Kollegen denken sich: "Der Schleimer wird die richtigen Worte finden dem Klassenvorstand in den Arsch zu kriechen" oder " der Junge hat nichts mehr zu verlieren und reisst sein Maul auf, weil im alles piepegal ist!" Ich fiel unter die erste Kategorie.....

Aber jede Klasse hat außer einem Klassensprecher auch einen "Outlaw“.

Wie jedes Dorf auch einen Dorftrottel beheimatet.

Auch bei uns gab es einen und ich schäme mich noch heute, dass auch ich mich über ihn lustig gemacht hatte.

Er war ungelenk, pickelig und biss in der Pause von einer rohen Zwiebel. Seine Bewegungen waren leicht spastisch und im Turnen stand er immer als letzter in der Reihe, wenn es um Gruppenbildungen für einen Wettkampf ging.

Wenn er zur Prüfung aufgerufen wurde, antwortete er nicht auf die Frage, sondern betete den gesamten zugehörigen Stoff herunter.

Sein Lächeln war immer verkrampft und keiner riss sich darum, neben ihm zu sitzen, weil er eben nach Zwiebel und Knoblauch stank.

Alles an ihm war etwas "schief“.

Ein "geborener Loser“ war die einhellige Meinung. Ich kann mich nicht erinnern, mit ihm persönliche Worte getauscht zu haben. Er war unter meiner Limbolatte.

Ich war weder nett zu ihm noch habe ich ihn beachtet.

Ich war mir selbst viel zu wichtig und so stolz, mich in diesem Rudel durchgesetzt zu haben.

Aber er hat die Matura geschafft. (Asperger Syndrom war damals noch ein Fremdwort).

Wie ich studierte er auch danach Vermessungswesen, und ich ging zu ihm zur Nachhilfe!

“Du hast schon wieder falsch gerechnet“, schüttelte er den Kopf und hauchte mich zwiebelglücklich an:

“Schau genau, die Winkelberechnung stimmt nicht!“

Ich schluckte beschämt.

Er hat das Studium erfolgreich beendet. I

Ich überlegte, ob ich auch in die rohe Zwiebel beißen sollte, aber ich gab lieber das Studium auf.

So Lied geht!

Zurück in die Schule! Die Vergangenheit lauert!

Da kam eines schönen Tages Morgen Heribert, der Kapitalistensohn, mit einem "Singleplayer“ (dem Vorläufer des Discman) in unsere Klasse und schob eine kleine runde Scheibe in das Gerät.

“Hört zu, ihr Kinder der Beatmusik, jetzt geht’s richtig los!“.

“When a man loves a woman“ von Percy Sledge ertönte und ich war hinüber.

Jede Pause seufzte ich:“ Bitte noch einmal!“. Ich war platt und holte mir noch einen Punschkrapfen. Wenn Liebe so etwas bewirken konnte, dann wollte ich Liebe lernen.

Also beschloss ich: "Musik wird mein Leben!“

Ich erwachte in einer Zeit, in der jede Jugend damals erwachte. Plötzlich war Musik ein wärmender Mantel, der uns alle einhüllte. Während in den USA Jack Keruac sich schon mitten in der Beatgeneration suhlte, von Dope, Dharma, Dalei Lama, Charlie Parker, Gillespie, Armstrong und lockerem Geschlechtsverkehr erzählte, begann sich bei uns am Lande erst der Rock&Roll langsam ins Bewußsein zu schleichen.

Es kamen Botschaften dahergeflogen, und man wusste gar nicht, dass es diese Probleme gab, denn sie kamen von irgendwoher und lösten sich irgendwohin auf. Politik war ja noch kein Thema für uns Heranwachsende. Das waren ältere Herren, die kryptische Botschaften über eine Zukunft abgaben, die nicht die Unsere war. Männer in Anzügen und Kravatten, die sermonisierten und für mich so weit entfernt waren wie Butter von Margarine.

“Talking `bout my generation“ sangen "The Who" und das war so was von politisch!

“Komm gib mir deine Hand“ tönte es von den Beatles, "Needles and pins“ von den Searchers.

Romantik pur.

So war man plötzlich auf der Welt. Mittendrin im Zeitgeschehen. Jeder Ton, der aus dem Radio schrie, war eine Botschaft.

Englisch verstand ich nicht besser als Slowenisch, aber ich war plötzlich ein Ausländer. Nicht mehr gefangen im heimischen Trott. Nicht mehr gefangen im heimischen Idiom. Elegant aufgehoben in einer besseren Welt.

In einer Welt mit Zukunftsaussichten.

Heute im Internetzeitalter lächerlich. Damals das Tor in eine Bewegung voller Gefühl und Verständnisbereitschaft. Die niederdrückende Gewalt und der abgestandene Mief der vergangenen Jahre wurden abgeschüttelt.

Die Jugend stand auf, ging auf die Straße, und machte das Maul auf. Hendrix und Konsorten machten die "Mauer“.

Musik war nicht mehr nur Töne sondern auch "message!“

“And the times, they are a changin`“.

Und ob du aus Unterlupitscheni oder Hinterstinkenbrunn kamst:

"Talkin`bout a revolution ohhh, we gonna change the world“, sang es in jedem.

Ich will hier nichts glorifizieren, shit happens.

So suchte ich mir in meiner Klasse Jungs aus, mit denen ich eine Band gründen konnte.

Denn ich wollte teilhaben am Prozess der Umgestaltung. Die Provinz wegsaugen mit dem Staubschlucker der Nachkriegsgeneration, den Boden mit den schönsten Klängen der Welt polieren. „Ich“ werden mit neuem Selbstverständnis:

“Der Gitarre mit verstärktem Selbstbewusstsein!

Dem Schlagzeug, das den Herzschlag der Zeit donnerte,

dem Bass, der den Grund zu Leben untermauerte

und der Stimme, die sich auflehnte gegen die Mauer der Dumpfheit!

Das Horst Wessel Lied an die Wand schmettern".

Ich hab die Band gegründet und dann war ich endlich der Superstar!

Ich saß in der ersten Reihe in meiner Klasse: Links von mir der Bassist, hinter uns der Schlagzeuger und der zweite Gitarrist, eine Phalanx die nicht zu durchbrechen war. Und wir probten und probten. Unsere Herzen schlugen im Takt. Unser gemeinsames Lächeln zeugte von Einigkeit.

Nachdem die "schulische“ Leistung der drei Freunde der Beatmusik nachgelassen hatte, bat man mich, Nachhilfe zu geben.

“Ich verstehe, dass eure Leidenschaft der Musik gehört, und Leidenschaft ist empfehlenswert, aber den schulischen Anforderungen muss Genüge getan werden.

Berling, übernehmen sie“, sprach der Klassenvorstand.

Das tat ich liebend gern. Weil bei dem Gitarristen gab es immer Weintee, der uns für alle zukünftigen Aufgaben auf das Beste stimulierte.

(Seine Mutter sei gepriesen).

“Noch einen Tee, die jungen fleißigen Herren?“

"Gerne gnädige Frau, wir brauchen noch ein Weilchen!“.

Sie hat es wirklich gut "geweint“.

Wir haben alle Prüfungen bestanden.

Und wir spielten im Partykeller des reichsten Mädels unserer Klasse. Ihr Vater war ein prominenter Arzt.

"I can`t controll myself“ von den Troggs.

"You really got me“ von den Kinks,

"Nur ein Bild von dir“ von den Bambis.....

Ich war ja schwer verliebt in die Gastgeberin oder vielleicht auch nur in ihre großen Brüste, deren Festigkeit ich im Vorbeistreifen immer überprüfte. Who knows....

“Brüste haben so was Rührendes...“.

Im Physiksaal stand ich neben ihr während unserer Versuchsreihen, und ich konnte mich nicht beherrschen: Ihre Brüste waren mir immer irgendwie im Weg: “Entschuldige, die Schwefelsäure ist links von dir, darf ich sie mir ausborgen?“ „Gerne, aber musst du unbedingt dauernd an mir anstreifen?“ schmunzelte sie mich mit ihren grauen Augen an. “Entschuldige, reines Versehen meinerseits“ stammelte ich.

Sie war bezaubernd, aber ich hatte keine Chance.

Sie war zu zielgerichtet und wurde später Apothekerin. Hätte sie mir nur damals schon Beruhigungspillen verschrieben!

Überhaupt haben Brüste eine seltsame Alarmfunktion für Männer.

Erstens: Kann man die Alarmanlage niemals ausschalten.

Zweitens: Hast du eine Frau mit großen Brüsten, sehnst du dich nach einiger Zeit nach Kleinen. Und wieder retour.

Wenn sie hängen, ist es kein Problem, das erweckt Sympathie und erinnert unbewusst an Muttern.

Drittens: Brüste sprechen nicht, und du kehrst zu ihrem Gesicht zurück und ihre Augen bekehren dich.

Wenn man jemanden liebt

(und sich dessen bewusst zu werden ist ein weiter Weg, „Route 66“ ist eine Kurzstrecke dagegen)

dann sieht man die (auch körperlichen) Fehler des Partners nicht.

Aber die Nähe, die man sich erarbeitet hat, bleibt.

“What though lovest well remains, the rest is dross“ -Ezra Pound.

Sex ist eine Krücke. Wenn du sie wegwirfst, kannst du endlich gehen: Dorthin, wo die Nähe wohnt.

In ein fremdes Haus mit vielen Zimmern. Aber man verirrt sich nicht mehr darin.

Sarah oder der Wendekreis der Jungfrau

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