Читать книгу Sarah oder der Wendekreis der Jungfrau - Klaus E. Kofler - Страница 8
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SARAH ODER DER WENDEKREIS DER JUNGFRAU
stand da als Überschrift.
Ernst Berling
Roman
"When I was young
I never needed anyone
and making love was just for fun.
Those days are gone"
All by Myself/ Eric Carmen
Henry, 1970
Damals, als ich noch Henry Miller war , du weißt schon, der Schreiberling aus Amerika. Wenn du gefragt werden solltest: “Was gibt es in Amerika?“
Lautet deine Antwort einfach: " Alles!". Amerika ist ja nicht nur New York und Broadway, ist auch Tombstone, Wyatt Earp, Nebraska, John Wayne, Monroe, Californian Girls, Nashwille, Hot Dogs, Burgers, Kukuxklan, Black Power, CIA und FBI, Jerry Cotton, Charlie Parker, Wes Montgomery, Soul und Blues, Hustler und so on....
Also dieser Schriftsteller mit Halbglatze, Hornbrille und Hut, Sexus, Nexus, Plexus, Wendekreis des Krebses und einst wegen angeblich pornographischen Texten verboten
Heute kann man darüber nur mehr schmunzeln, die "Pornographie“ ist alltäglich geworden und deshalb so langweilig.
Jeder Zwölfjährige weiß heute über Sado-Maso Praktiken Bescheid, weil er die Pornoseiten im Internet besuchen kann ohne gestört zu werden.
“Erinnerung ist der Talisman des Schlafwandlers auf dem Boden der Ewigkeit“,
schrieb er und das schluckte ich wie Muttermilch.
Ewigkeit, die nach dem Scheiterhaufen des Krematoriums auf mich und alle anderen wartete.
Es galt zu Leben.
Jetzt!
Einzutauchen in Sumpf oder in kristallklares Wasser.
Die innere Hitze zu kühlen, egal wie , nur
kühlen
kosten
konsumieren
“Nichts ist so, wie es einmal war
und es kommt immer anders als man denkt“, banal aber ziemlich wahr,
das spürte und dachte ich.
“Nimm Anlauf und köpfle ins Unbekannte.
Wiederholung lähmt das Empfinden.
Wiederholung formt dich zum Museumsstück in deiner persönlichen Ausstellung.
Vergiss sie.
Verlass sie!
Erinnerung ist keine Fotografie, die erzählt nur Oberflächen.
Erinnerung kann man vielleicht malen, Striche ziehen, Farben spritzen.
Picasso
Chagal
Klimt
Rubens
Dali
Michelangelo
Miro
whuschhhhh...
Gefühle, die manchmal wieder auftauchen wie das Glitzern auf Meereswellen, die immer schäumend überschwappen wenn du es am wenigsten erwartest.
Das ist vielleicht Erinnerung“.
Natürlich war ich nicht wirklich Henry Miller, aber ich bin ihm nach seiner Lektüre ziemlich ähnlich geworden. Lesen ist ja immer auch ein Suchen. Sich selbst in anderer Menschen Träumen wiederzufinden. Im Vergleich zu wachsen versuchen.
Ich habe meinen "Pint“ mit anderen Augen angesehen.
Mit anderen Händen angefasst.
Frauen kennengelernt ohne sie wirklich kennenzulernen.
Ich hab auch eine June kennengelernt. Die June mit den hochgesteckten blonden Haaren?
Blond
jung
gefährlich
verführerisch
geheimnisvoll...
Seine geliebte June, die ihn beinahe in den Wahnsinn trieb?
Weil der Trieb stärker ist als jede Vernunft. Intellekt ertrinkt in langen Beinen und großen Brüsten. In blond, brünett, schwarz und rot.
Nein, nicht seine June, die Meine!
Sie hieß eigentlich nicht June, sondern Josefine, aber ich nannte sie Josi, klang nicht ganz so provinziell, und wenn ich etwas hasste, dann war es Provinzialität.
Fort von kleinlichem Nachbargeschwätz, raus aus der engen zwei Zimmerwohnung mit dem geklebten braunen Linoleumboden, dem Kaltwasserhahn, dem Sparherd, der nach Kohlen schrie, die man ängstlich des nächtens dem Kellerloch entreißen musste, dem weißen Lohnsäckchen, das der Vater am Monatsersten der Mutter in die abgearbeiteten Hände drückte,
ihre enttäuschten Blicke erhaschend,
ihrer beider Sprachlosigkeit lauschend,
ihre mangelnde Zärtlichkeit füreinander aus den Augenwinkeln zu ertappen,
die Zeugen Jehovas von der Türschwelle zu scheuchen,
die hölzernen Treppenhausstiegen wöchentlich kehren zu helfen,
das ewige Jammern der Großmutter zu ertragen und trotzdem das Stück Glück mitgenommen zu haben um das weitere Leben in Angriff nehmen zu können.
Auf geht’s.
Voran, immer voran!
Schließlich kam ich ja von da und ging nach dort, in eine Großstadt, die nicht wirklich groß war, aber größer als alles, was ich bis dahin gekannt hatte.
Ich will sie hier einfach "Großöd“ nennen, damit du nicht alle Straßen googeln musst, die ich erwähnen werde, bedank dich nicht bei mir.
Ja, google mal Großöd!!!
Also: Josi hatte eine zu große Nase.
Aber das wusste ich noch nicht, als ich um Mitternacht....
nein,nein,nein.........
es war vier Uhr früh, Sommer und warm und das Pflaster der Sportgasse war so nass nach einem Platzregen, dass ich beinahe ausgerutscht wäre, als ich die sanfte Steigung in das "Sportbuffet“, die Lieblingskneipe aller Schlaflosen, hinauftorkelte.
“Wild thing, you make my heart sing, you make everything groovy...wild thing, da da dada“ von den Troggs sang ich launig vor mich hin.
Ein einsamer dunkelhäutiger Radfahrer hechelte mir entgegen, der die Zeitungen austrug, um die Menschheit nicht ohne wichtige Informationen zu hinterlassen.
“Guten Morgen, mein Lieber, lass die Zeitungen nicht nass werden, gute Nachrichten können nicht schwimmen und schlechte leider nicht untergehen, hahaha“, schrie ich ihm sinnloserweise nach. „Geh scheissen, Saufkopf“, war seine charmante Erwiderung, und er trat kräftig in die Pedale.“Ja,
sie lernen schnell Deutsch, diese intelligenten Einwanderer“, dachte ich noch.
Die Luft legte sanft ein feuchtes Handtuch um meinen Körper.
Ja, ich hatte ein bisschen getrunken, oder vielleicht auch ein bisschen zu viel.
Egal.
Ich war Musiker und kam gerade aus dem "Stadl", dem Lokal, in dem ich wie jeden Abend gespielt hatte.
Tanzmusik für Lebenslustige von acht Uhr abends bis drei Uhr früh.
Ein seltsames Unterhaltungsetablissement: Am Eingang eine Vitrine mit im Kernöl ersäuften Salaten.
Der Chef grillte Cevapcici, Plescavica, gespickte Leber und und andere Feinheiten. Es roch nach Süden und ranzigem Fett. Ein paar Schritte nach vor dann die langgestreckte Theke.
Danach links und rechts kleine, aus Holz geschnitzte Logen und dazwischen die Tanzfläche.
Der auf sich bewegende Füße wartende Vergnügungsschlauch.
Der Schweißgeruch der Tänzer für Ewigkeiten eingesogen von den hölzernen Stehern zwischen den Logen.
Such dir eine Loge aus, es ist gemütlich!
Die Weinauswahl: Bedenklich!
"Stierblut" aus Ungarn in dunkelrot mit Kopfwehgarantie oder "Hemd in Arsch“ ziehender Weißwein.
Alles in Allem: Spaßfaktor, denn sonst wären die Bude und ihre Gäste nicht täglich voll gewesen.
Aber zurück auf meinen Weg, der mich täglich nach getaner "Arbeit“ ins Elysium führte.
Im "Sportbuffet“ um vier Uhr früh roch es nämlich ähnlich. Der Chef des "Stadls“ war auch der Besitzer dieses "Beisels“, in hochdeutsch auch "Kneipe“ genannt, oder in hochsteirisch auch "Wind`n“, ein sehr blumiger Ausdruck, der vielleicht meinte, dass man nach einigen feuchtfröhlichen Stunden darin ahnte, wohin der Wind weht......
Er war privat ein amtlicher Zauberer mit bezahlten Aufführungen, obwohl oder weil er aussah wie ein verschreckter Kauz, Sommeranzug in türkisch Armani und passende Kravatte in grell. Basedow Augen, braungetönt, dünn gescheiteltes Blondhaar und ein zerknautschter Schnurrbart, der schüchtern die Oberlippe bedeckte....klein, zierlich und behende.
Beim Lächeln habe ich ihn nie ertappt.
Trotzdem er zwei Sommer mein Chef war, hat er mit mir nie mehr gesprochen als:
"Was willst Du trinken? Was willst du essen?“ mit seiner hohen dünnen Stimme und glupschte mich an.
Aber im Sportbuffet trank und aß ich auf Hauspreis. Immerhin ein kleines Zeichen von Respekt.
Ich war noch sehr jung, aber das wusste ich damals natürlich nicht.
Henry war schließlich über vierzig und cool. Einen Hut wie er hatte ich auch nicht auf.
Die Haare hingen mir über das regenfeuchte Gesicht und das machte mich eine Spur unsicher, eitel wie ich war. „You`re so vain, you`re probably think the song is about you...“ von Carly Simon ging mir noch durch den Kopf.
Trotzdem zielsicher und forschen Schrittes trat ich ein.
Ich setzte mich in eine Ecke mit dem Gesicht zur Türe ("Setz dich nie mit dem Rücken zum Eingang“, besagt eine alte Bauernregel) und bestellte mir ein Bier:
“Ein Bunkerl bitte!“ rief ich dem herumschwirrenden Ober nach.
Nach kurzer Überlegung winkte ich mir noch einen großen Schnaps dazu, schließlich war es vier Uhr früh vorbei und "genug kann nie genügen“, sang einst ein begnadeter Barde. Rings um mich lautes Gemurmel,
hektische Ober
Luft zum Schneiden
und ein wunderbarer Geruch nach Bier und frischem Gulasch
Ich betrachtete die Ringe, die das nasse Bierglas am Tisch hinterließ.
Im Hintergrund säuselte es leise aus dem Lautsprecher:
"Geh nicht vorbei, als wär nichts gescheh`n, es ist zu spät um zu lüüügen“ von Christian Anders, eine durchaus erträgliche Schnulze.
Ich dachte über mein Leben nach.
Bilder tänzeln
Farben flackern
Worte stolpern
Von einem, der von Kleinöd nach Großöd gezogen war und sich plötzlich so weltmännisch vorkam.
Ich hatte Geld im Sack, Taschengeld, das ich mir selber auszahlen konnte. Reich wie ein Scheich, nur ohne Gefolge.
Der ganze Kleinstadtmief lag hinter mir und konnte mich am Arsch lecken.
"Auf Nimmerwiedersehen! Nevermore, nevermore !“
Ich glaube, auch du kennst dieses Gefühl:
"Nicht mehr von den Eltern abhängig zu sein, die Gedanken aussprechen zu dürfen, die du einst heimlich in ein Tagebuch geschrieben hättest, das du aber nie geführt hast.
Den lästigen Wehrdienst hinter dir,
das Maturazeugnis als Führerschein in ein besseres Leben vor Nässe und Diebstahl sicher gelagert,
ein Studium wartete, um den Glasscherbenviertelepigonen in eine bessere Zukunft zu geleiten…....“
Plötzlich ging am Tisch gegenüber ein Streit los.
Tschinderibummmm...
Geschrei
Getaumel
Gefuchtel
“Nimm die Finger von meiner Alten, du Bauernschädel!“
"Behalt dir den schlampigen Fetzn, sowas greif ich nicht mit Handschuhen an!“
"Meine Frau beleidigst du nicht, du Nudelaug!“(Eine wienerische Bezeichnung für einen neugierig erigierten Penis).
Ein Bierkrug wurde zweckentfremdet und dem Kontrahenten über den Schädel gestülpt. Ihm rann das Blut über das Gesicht. Stumm staunend lag er am Boden hingestreckt.
Ein Aufruhr, wie wenn du einen toten Heuschreck in einen Ameisenhaufen wirfst!
Das Mädchen, das mit an deren Tisch gesessen hatte, flüchtete wortlos und hektisch zu mir, setzte sich unaufgefordert und trank blitzartig meinen Schnaps aus.
Gluck und zisch
Durchaus verständlich
(Ich schupfe meine bunte Glasmurmel ins Loch.
Meine Mitmurmelspieler schreien neiderfüllt: “Du betrügst!“.
Ich hatte alle ihre Murmeln gewonnen.
Ich sack sie ein und lächle stolz:
"Gefühl ist alles!“)
Sie hatte eine etwas zu große Nase, du weißt schon....
"Das Leben ist hart und der Kopf hat eine weiche Schale“, begann ich zu philosophieren und schmunzelte in ihre Augen.
Ihre Haare waren kurz und schwarz, nicht so blond und lang und aufgesteckt wie bei Henry´s June, aber hübsch irgendwie und man kann ja ruhig einmal der gelesenen Wirklichkeit entfliehen.
Walnussfarbene Augen und vornehme Blässe. Außerdem war sie ausgesprochen gut gebaut und der Minirock ließ meine Herzfrequenz steigen..
Also lüpfte ich meinen imaginären Hut und stellte mich vor: "Gestatten, der Schnaps geht auf meine Rechnung“. "Herzlichen Dank, deine Josefine!“ war ihre Antwort.
Während die Rettungsmänner den blutenden Bauernschädel (oder auch das Soziologieprofessorköpfchen) hustend und stöhnend durch das rauchgeschwängerte Lokal auf einer Bahre ins Freie schleppten meinte sie:
"Eifersucht ist ein rechtes Mittel, dem Leben Würze zu verleihen“.
Ich darauf: "Blut ist ein ganz besonderer Saft“ (schließlich hatte ich Goethe vor Miller gelesen).
So kamen wir locker ins Gespräch.
Hin und wieder tasteten sich unsere Blicke durch das vollgefüllte Lokal und wir wagten nicht, einander allzuwissend anzublicken, denn überspringende Funken kannte man noch aus dem Physikunterricht.
Dass sich meine Hand inzwischen vorsichtig unter ihren Minirock zu ihrem Höschen vortastete, ist zu dieser Uhrzeit und in meinem verklärten Zustand durchaus verständlich.
Streichel, streichel, streichel....
Außerdem wusste ein Mann von Welt, dass man sein Ziel immer direkt ansteuern muss. “Wenn du es eilig hast, mach einen Umweg“, heißt ein chinesisches Sprichwort. Ich hatte es nicht eilig.
Sie zuckte mit keiner Wimper, aber mit ihren Schenkeln. Henry bekam einen Steifen und June schmunzelte: „Na hallo, was machst du so sonst noch“, fragte sie.
"Ich bin Musiker“ sagte ich.
"Ah ja“, antwortete sie, "das merkt man an deinen flinken Fingern....“
Meine Antwort:" Draußen trocken und innen feucht, das Elixier des Lebens, was?"
Ja, so banal schwätzten wir vor uns hin, während der Kellner mit der Schnapsbestellung kaum nachkam.
“Es fährt ein Zug nach nirgendwo...“ , summte ich leise.
Rings um uns grummelten die Morgengespräche vor sich hin wie Regentropfen auf ein Zeltdach, es war eine beruhigende Atmosphäre angebrochen.
Wovon schwätzen Menschen, wenn sie in der Früh nicht zur Arbeit gehen müssen?
Manche sind professionelle Trinker, die der Einsamkeit und Schlaflosigkeit zuhause entfliehen müssen, andere wieder verlängern die seltene Geburtstagsfeier, den Tanzkurs, das Geschäftsmeeting, das gelungene "Blind Date“, einige ertränken die Hoffnungslosigkeit einer Zukunft, die sie nicht mehr ertragen mögen.
Es war für mich immer wieder erstaunlich, wie viele solcher "Ge-strandläufer“ jeden Morgen vor der Tür warteten bis das Lokal öffnete. Dann wurde hineingestürmt, als ob es keinen Abend gäbe!
Die wunderschönen alten Bierkrüge, "Bunkerl“ genannt, warteten auf durstige Münder,
die Teller öffneten ihr Auge nach dem phantastischen Gulasch,
die Aschenbecher sehnten sich nach dem Giftstaub der abgedämpften Zigarettenstummel. Der Kellner schwirrte schweissbedeckten Gesichtes von Tisch zu Tisch, immer einen kleinen Scherz auf den Lippen. Gutes Trinkgeld ist Schwarzgeld: "Noch einen Wunsch das hübsche Pärchen?" "Nein danke, zahlen bitte".
Josi und ich schwiegen schließlich ein wenig betreten.
Geschwätzt hatten wir genug.
Ihre Muschi war nass, meine Finger rochen nach Meer , in meiner Hose klemmte es, viel mehr ging hier nicht.
Über unsere ineinandergefalteten Hände tastete sich langsam das Morgenlicht durch den Raum und es wurde hell.
"Was hast du für wunderschöne Augen“, flüsterte ich, auf ihren Busen starrend.
"Ich muss zur Arbeit“ meinte Josefine, ähhh... Josi.
"Ich komme mit“, sagte ich, "denn Neugierde war schon immer meine Stärke“.
"Wie du meinst, du tapferer junger Held“, und sie lächelte mich an. Auch ich lächelte.
Also tappten wir Hand in Hand durch die Stadt, zarte Morgenröte legte sich über den Stadthimmel wie ein rosa Betttuch, die Würstelstände am Hauptplatz wurden lärmend aufgeklappt, der Duft frischen Gebäcks drang in unsere Nasen, als würde alles bis in die Ewigkeit so weiterlaufen, schien es mir. Gewisse Ereignisse vertragen keine Veränderungen. So gelangten wir fröhlich ineinander verschlungen in ein eher verrufenes Viertel: “Hereinspaziert und hineingeworfen in den Korb der süssen Früchte“, lachte Josi und wir betraten die Lokalität.
Rotlicht hat was Verführendes...
Josi verschwand gleich hinter der Bühne und ich setzte mich in die erste Reihe in der "Triumphbar“.
Ein Nachtlokal der eher gehobenen Sorte. Portier am Eingang und hochnäsige Kellner im Frack.
Schaurig
schummrig
schweißtreibend
Rot und schwarz die vorherrschenden Farben.
Bunt höchstens die anwesenden Gesellen der Lusterwartung.
Was das Wort "Triumph“ mit dem nachfolgenden Verlust jeder Siegerinsignien zu tun haben sollte, erschließt sich mir bis heute nicht.
Voll konstruiertes Pseudoerleben, Versprechen vortäuschend, das nie eingelöst werden würde.(Heute würde man das als Cyberspace bezeichnen...).
Ich kann nicht bestreiten, ich fühlte mich nur halbwohl.
Draußen Morgensonne die das öffentliche Leben betrachtete, drinnen schummriges Dunkel, das geheime Leben erforschend.
Henry trank seinen Whisky, der ihm goldbraun aus dem Glas anlächelte, rauchte eine Zigarette nach der anderen, einsam an einem Tisch vor der Bühne sitzend, über das überteuerte Getränk nachsinnend und vorsichtig um sich lugend, wer da wohl noch um diese Zeit Zeit hatte.
Hauptsächlich Männer. Männer sind immer einsam. Männer sind wie fliehende Pferde die man nicht aufhalten kann. Immer vom Testeron gepeitscht. Immer Schaum vor den Lippen.
Frauen haben andere Sorgen. Immer mit beiden Beinen im wahren Leben. In der gehassten Küche oder im Kinderzimmmer. "Was soll ich heute kochen?", fragte mich meine Mutter immer verzweifelt. "Mamaaaa, du sollst doch nicht um deinen Jungen weinen...." oder so, sang Heintje und alle Mütter weinten. "Mach Spaghetti, Mama, das wird immer wieder gern genommen!" "Danke, mein Liebling, das hilft mir weiter!" antwortete sie und stellte den großen Nudeltopf auf den Herd und sang dazu: "Cannelloni, penne righe e spaghetti, trallalala....." nach einer Opernarie.
Ich fühlte mich schön langsam ganz wohl.
Ein Mann von Welt.
„Ein Mann von Welt!“ flüsterte ich halblaut vor mich hin, Selbstsicherheit vortäuschend.
Sechs Uhr früh, niemand wartete auf mich, niemand befahl mir irgendetwas, niemand quälte mich mit Lappalien, die Zukunft eine Sternschnuppe, mir war alles schnuppe.
Da ertönte lautstark:
„In a gadda da vida, honey
Don't you know that I'm lovin' you
In a gadda da vida, baby
Don't you know that I'll always be true“
von "Iron Butterfly" aus den Lautsprechern,
mit diesem unsinnigen Text, falls du das noch kennst,
und Henry verbrannte sich den Finger an seiner Zigarette, als June auf der Bühne auftauchte und tanzte. Und wie sie tanzte!
Das hatte er nicht erwartet!
Du glaubst es nicht!
Aus dem Dunkel ins Licht!
Die Scheinwerferstrahlen tasteten sich zärtlich ihren alabasterweißen Körper entlang.
Verharrten kurz auf ihrer unrasierten Muschi und wanderten wieder nach oben zu ihren formvollendeten Brüsten.
“In a gadda da vida honey“, sang ich leise mit.
"Rhythmisch perfekt“, konstatierte ich kleinlich als Musiker. Vorsichtshalber bestellte ich noch einen Whisky, denn mein Mund wurde so trocken als hätte ich ein Papiertaschentuch verschluckt.
Dieser Körper... diese Bewegungen.. die Brust größer als ihre zauberhafte Nase.
Honey, honey...
Der banale Song war mir herzlich wurscht, als sie begnadet nackt vor mir stand.
Welch mühsamer weiter Weg von dem rosa Fischbeinmieder meiner Großmutter, das so antörnte wie ein veganes Wienerschnitzel, zu diesem epochalen Ereignis.
Es kam mir vor, als hätte sie nur für mich getanzt.
Das leise Stöhnen hinter mir belehrte mich eines Besseren. Unglaublich.
“Noch einen Whisky, Herr Ober!“ rief ich und wischte mir die Schweißperlen von der Stirn.
Nachdem sie von der Bühne verschwunden war, fühlte ich mich wie vor einem leeren Blatt Papier.
Das musste ich einfach beschreiben...“Komm mit zu mir“, sagte sie angezogen zurückkehrend aber nicht anzüglich und ich sträubte mich nicht.
Man kann auch tagsüber mit jemandem schlafen ohne sich seiner Weissheit zu schämen. Ich schämte mich noch immer nicht, als es längst Abend geworden war und ich jeden Zentimeter ihres Körpers erkundet hatte.
Noch heute weiß ich, wie sich ihre Haut angefühlt hat. Ich hatte Josi nackt auf der Bühne gesehen.
Aber im Bett war sie noch viel nackter.
“Ich muss weg“, flüsterte ich in ihre Müdigkeit.
Komm wieder, wenn du magst.
"Komm wieder, wenn du magst“, kam es schläfrig zurück.
Ich küsste sie und strich ihr über die kurzen Haare.
Ausgesprochen relaxed wanderte ich zur "Arbeit“ in den Stadl.
"Im goin`home, my Baby, I´m goin`home, my Baby...“ von Ten years after sang ich fröhlich vor mich hin.
Ich schlenderte vorbei am ranzigen Fettgeruch des Buffets, vorbei an den leeren Logen, grüßte fröhlich die Putzfrau, zurück zur Bühne und zu meinem Schlagzeug und trommelte mir das soeben Erlebte zu einem Poem:
“Wipe out“, die 68er Hymne der Althippies. Ein Pflichttrommelsolo für jeden jungen Schlagzeuger.
Das leere Lokal war inspirierend. Nur ich, Holz, und der Duft nach Kernöl und ungewisser Zukunft.
Natürlich war sie nicht June gewesen. Aber ich war Henry und da musste ich durch....
Hut auf, die Ray Ban geputzt!