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Große Poesie – mit bayerischen Wurzeln. Der Dichter Paul Wühr und sein Erklärer Jörg Drews

In den Siebziger- und frühen Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts ist der durch sein Kultbuch Gegenmünchen (1970) und sein innovatives O-Ton-Hörspiel Preislied (1971) einem größeren Publikum bekanntgewordene Dichter Paul Wühr – 1927 in München geboren, nach dem Krieg zunächst einmal Volksschullehrer – öfter durch die damals angesagten Münchner Stadtteile Schwabing oder Haidhausen gezogen. Im Schlepptau des am 12. Juli 2016 an seinem langjährigen Wohnort Passignano am Lago Trasimeno (Umbrien) gestorbenen Poeten zogen immer einige seiner Bewunderer und Fans mit, darunter seit 1983 auch viele, die sich an der Münchner Uni im legendären Hauptseminar von Volker Hoffmann über Das falsche Buch kennengelernt hatten.

Und oft zog auch Jörg Drews mit um die Häuser. Der 1938 geborene Philologe und Kritiker, der bis kurz vor seinem Tod (2009) als Professor für Literaturkritik und Literatur des 20. Jahrhunderts an der Universität Bielefeld wirkte, war über Jahrzehnte hinweg eng mit dem Lyriker, Prosaschriftsteller und Hörspielautor und dessen Partnerin Inge Poppe befreundet. Eine der gemeinsamen Spielwiesen der beiden Literaten war die damals von ihr geleitete Autorenbuchhandlung in der Schwabinger Wilhelmstraße, eine andere das Bielefelder Colloquium Neue Poesie.

In dem vom Literaturwissenschaftler Thomas Combrink herausgegebenen Band Lob des krummen Holzes. Über Paul Wühr sind die wichtigsten, zwischen 1971 und 2007 veröffentlichten Kritiken von Jörg Drews zum Werk des Dichters versammelt. Gegenstand seiner kritischen Bemühungen sind das »anarchistische Epos« Gegenmünchen, der Gedichtband Grüß Gott ihr Mütter ihr Väter ihr Töchter ihr Söhne, das Langgedicht Rede, der Roman Das falsche Buch, das Tagebuchwerk Der faule Strick, die Lyrikbände Sage, Salve res publica poetica und Venus im Pudel sowie das Buch Luftstreiche. Dazu kommen drei Aufsätze, die zuerst in anderen Publikationen über Paul Wühr erschienen sind und sich mit dem Gedichtband Dame Gott, dem Gedicht Um uns atmet sowie »Paul Wührs und Walter Kempowskis Gespräch mit deutschen Dichtern der Vergangenheit und mit Alltagsdokumenten« beschäftigen. Auch ein Drews-Essay über Paul Wührs Hörspiele ist enthalten. Aufgenommen wurde zudem die Laudatio auf den Dichter bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Bielefeld (2003) sowie die entsprechende, Grundzüge seiner Poetologie skizzierenden Dankrede. Der Band beginnt mit mehreren Gedichten aus dem Band An und Für, die eigens für Jörg Drews geschrieben wurden, und er endet mit einem knappen Nachruf auf den Freund, den Wühr im März 2009 im Münchner Lyrik Kabinett vorgetragen hat: »Jetzt habe ich meinen Erklärer verloren. Ich muss schon sagen: Jetzt ist er mich los. Und das macht mich mehr als traurig!« Der Enthusiasmus von Jörg Drews leite sich aus dessen philologischem Interesse ab, betont Thomas Combrink in seinem Nachwort. »Drews reizt Literatur, die herausfordert und zum Nachdenken anregt. Die Freude am Text resultiert aus den Fragen, die sich aus der Lektüre ergeben. Es ist die Verunsicherung, der Grad der Irritation, der den Rang eines Romans oder Gedichtbandes ausmacht.« Was für ein bedeutender Dichter Paul Wühr und was für ein scharfsinniger Interpret Jörg Drews gewesen ist – in diesem Buch kann man es nachlesen.


Jörg Drews: Lob des krummen Holzes. Über Paul Wühr. Mit drei Beiträgen von Paul Wühr. Hrsg. von Thomas Combrink. Bielefeld 2016: Aisthesis Verlag. 195 S.

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