Читать книгу HIPPIES, PRINZEN UND ANDERE KÜNSTLER - Klaus Hübner - Страница 28
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Komik und Erschöpfung. Wilhelm Genazinos Antihelden sind weder smart noch cool
Alle zwei bis drei Jahre veröffentlichte Wilhelm Genazino, der 1943 geborene und Ende 2018 gestorbene Büchner-Preisträger des Jahres 2004, einen nicht allzu langen Roman. Im Zentrum dieser Texte steht meist ein Mann von fünfzig bis sechzig Jahren, dessen außergewöhnliche Beobachtungsgabe den »Gesamtmerkwürdigkeiten des Lebens« gilt – ein hochsensibler und sturköpfiger Alltagsmensch, der mit wenig Erfolg versucht, in einer ihm immer fremder und absurder erscheinenden Umwelt seine menschliche Würde zu behaupten. Was oft zu hochkomischen Situationen führt. Doch im Grunde sind Genazinos durch gesichtslose Großstadtstraßen schlurfende Antihelden restlos erschöpft und heillos unglücklich, und fast nie gehen ihre Geschichten gut aus. Klingt öde? Ist es aber nicht. Ganz im Gegenteil.
Der namenlose Ich-Erzähler von Außer uns spricht niemand über uns – ein Titel, den man als eine Art Erzählprogramm auffassen darf – ist in seiner nicht wirklich aufregenden Mittelmäßigkeit erneut eine typische Genazino-Figur. Ihr Leben ist nicht so verlaufen, wie sie es sich wohl mal vorgestellt hatte. »Gleichzeitig konnte ich nur ungenau sagen, wie das von mir gewünschte Leben eigentlich aussehen sollte.« Seine schon lang gestorbene Mutter ist diesem Modernisierungsverweigerer fast näher als seine Freundin Carola, deren Freude am Sex ihm wesentlich mehr zusagt als ihr Trend zu alkoholischen Getränken. Carola will ein Kind und doch keins, wird schwanger und provoziert einen »Abort«. Schließlich verlässt sie ihn, und dann hört man von ihrem Selbstmord. Dessen Folgen für den Erzähler: Schuld- und Trauergefühle und noch mehr Unglück, aber auch eine heftige Begegnung mit Carolas Mutter. Schauplatz des Ganzen ist Frankfurt am Main, wo es noch Telefonzellen gibt und Menschen, die das »Wunschkonzert« im Radio verfolgen und »Hawaii-Toast« essen. Nicht nur für Psychologen interessant: »Brüste« und »Busen« kommen gehäuft vor, dafür aber kein PC und kein Smartphone. Doch nicht die Stoffe, sondern Stil und Struktur zeichneten wirklich gute Romane aus, »ihr Ton, ihr Klang und ihre atmosphärische Kraft«, sagt der Schriftsteller Karl-Heinz Ott. Wenn das stimmt – und ja, es stimmt! –, dann ist Wilhelm Genazinos jüngstes Werk ein wirklich guter Roman.
Wilhelm Genazino: Außer uns spricht niemand über uns. Roman. München 2016: Hanser Verlag. 155 S.