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Durchhaltevermögen und Motivation
ОглавлениеWährend des fünftägigen Feldzugs in Belgien leisteten die Soldaten aller drei beteiligten Armeen Außergewöhnliches. Sie ertrugen endlose Märsche, wie etwa die Angehörigen des 3. Bataillons der britischen Garde zu Fuß, die am 16. Juni in 15 Stunden über 50 Kilometer von Enghien nach Quatre Bras zurücklegten.57 Sie quälten sich durch strömenden Regen und über verschlammte Straßen, litten wie Blüchers Preußen Hunger und oft auch Durst und hielten zu einem erstaunlich hohen Anteil auch noch dem mörderischen Feuer des Gegners stand. Die Beweggründe für ihr Durchhalten sind vielfältig. Prekäre Lebensverhältnisse, Entbehrungen und häufig ein früher Tod waren für Angehörige vormoderner Gesellschaften auch in Friedenszeiten die bittere Realität, zumal wenn sie wie die meisten gewöhnlichen Soldaten aus den Unterschichten der Gesellschaften kamen. Gewalttätigkeit war keine Grenzerfahrung, sondern ein prägendes Element auch im zivilen Leben. Vor allem im England der frühen Industrialisierung waren lokale Unruhen und Zerstörungsaktionen an der Tagesordnung. Faustkämpfe und andere brutale Wettbewerbe erfreuten sich selbst in höheren gesellschaftlichen Kreisen großer Beliebtheit, zumal wenn sie sich mit der britischen Wettsucht verknüpfen ließen.58
Der Dienst in der Armee bot vielen Randexistenzen auch die Aussicht auf Sold, Prämien, Beförderungen und nicht zuletzt auch auf Beute. Die Franzosen plünderten Deutschland aus, die Briten taten es ihnen in Spanien gleich. Als Wellington nach dem Rückzug von Burgos im Herbst 1812 versuchte, das exzessive Plündern seiner Soldaten durch einen Armeebefehl einzudämmen, erntete er damit breites Unverständnis. So beklagte sich etwa der Schütze John Mills vom 95. Leichten Regiment in einem Brief an seine Mutter in England, welche Ermutigung ein Mann denn jetzt noch haben könnte, seine Pflicht zu tun.59 Voraussetzung zum Beutemachen war jedoch der Erfolg auf dem Gefechtsfeld. Deshalb kämpften selbst unter Todesgefahr die Soldaten aller Armeen mit erstaunlicher Verbissenheit um den Sieg. Kameradschaftliche oder landsmannschaftliche Bindungen ließen viele Soldaten auch in den übelsten Situationen ausharren.
Politische Motive wie etwa das Bedürfnis nach Revanche dürften am ehesten noch auf preußischer Seite eine Rolle gespielt haben, besonders nach der verlorenen Schlacht von Ligny. Die Franzosen wiederum berauschten sich, vielleicht auf diesem letzten Feldzug noch mehr als in früheren Jahren, am Ruhm des Kaisers und seinem Nimbus der Unbesiegbarkeit. Ihr euphorisches und bei jedem Anlass wiederholtes Vive l’Empereur schien wie eine Droge gewirkt zu haben.
Mit eher traditionellen Methoden der Motivation agierten dagegen die Briten. Die Ausgabe von Gin vor Beginn der Kampfhandlungen ist vor Waterloo mehrfach bezeugt. Als einzige von allen Armeen wandte die britische noch im Jahre 1815 die Prügelstrafe selbst für geringfügige Vergehen an. Regelmäßig tauchte in Briefen oder sonstigen Äußerungen britischer Soldaten auch das Motiv der Verachtung gegenüber den Verbündeten auf. Der Artilleriehauptmann Mercier mokierte sich etwa über die Braunschweiger, die auf dem Rückzug von Quatre Bras schon auf das geringste Anzeichen von Kavallerie sich zur Seite schlugen und sogar ihre Waffen fortwarfen.60 Es verbot sich auch von selbst, dem angeblich schlechten Beispiel der Holländer zu folgen, die keinem französischen Angriff standzuhalten schienen. Auch unter den britischen Regimentern gab es starke landsmannschaftliche Konkurrenz, die bisweilen auch bizarre Formen annehmen konnte. Ein Soldat aus Wales, der die Tortur von 300 Schlägen auf seinen Rücken ohne einen Schmerzenslaut ertragen hatte, erbot sich, auch noch die Strafe für seinen deutlich weniger gefassten Kameraden zu übernehmen, um zu verhindern, dass dieser vor dem angetretenen Bataillon auf Walisisch klagte.61
300 SCHLÄGE FÜR EIN VERLORENES HEMD. KÖRPERSTRAFEN IN DER BRITISCHEN ARMEE
„In dieser Zeit war die Regimentsführung wegen unserer Ausrüstung besonders penibel und bei einem Appell stellte sich heraus, dass mir ebenso wie einem anderen Soldaten ein Hemd fehlte. Keiner von uns konnte dem Unteroffizier eine befriedigende Erklärung für diesen Verlust geben, der nun keinen Augenblick zögerte, dem Kompaniechef darüber Meldung zu machen. Einige dieser Unteroffiziere zählten zu den widerlichsten Schurken überhaupt. Von ihren Vorgesetzten waren sie dazu angehalten, jede nur erdenkliche Information zu liefern und sogar den bedeutungslosesten Kleinkram zu melden, der sich in- oder außerhalb des Quartiers zugetragen hatte, und hofften dabei durch die Häufung und das Ausschmücken ihrer Berichte beim Leser Beachtung und schließlich Beförderung zu erlangen. Aber um fortzufahren: Der zuständige Offizier befahl, uns beide ohne weitere Umstände in Arrest zu nehmen. Am nächsten Morgen erschien der Regimentsadjutant und teilte uns mit, dass ein Gerichtsverfahren gegen uns stattfinden würde. Tatsächlich wurden wir um 10 Uhr vor ein Tribunal von Offizieren gebracht, noch einmal befragt und schließlich für schuldig befunden.
Gegen unser Urteil war nichts mehr zu machen. Noch am selben Nachmittag um 4 Uhr wurden wir beide aus dem Arrestraum geholt. Draußen war das Regiment bereits zur Bestrafung angetreten. Es hatte dazu ein Karree gebildet und in seiner Mitte war der Auspeitschungspfahl in all seiner Bedrohlichkeit aufgebaut. Auf mich machte er den fürchterlichsten Eindruck. Der Bataillonsadjutant hatte begonnen, das Urteil zu verlesen, der zweite Soldat war bereits mit entblößtem Rücken festgebunden worden. Ich empfand meine Lage jedoch kaum angenehmer als die meines Kameraden, der unter den schrecklichen Schlägen bald zu schreien angefangen hatte. Er erhielt das übliche Quantum von 300 Streichen. Dann befahl der kommandierende Offizier dem Trommler, ihn loszubinden, und ich war an der Reihe. Als er mir den Rücken entblößte und mich festband, versuchte ich, meinen wenigen Mut zu sammeln und harrte zitternd dem mir zugedachten Schicksal. Schon hatte der Trommler mit dem Folterinstrument seine Position wieder eingenommen und der kommandierende Offizier hatte bereits das Kommando „Eins“ gegeben, als plötzlich ein Kommando des 88. Regiments im Karree erschien. Der Regimentskommandeur gab den Befehl, die Bestrafung zu unterbrechen, und ließ das Kommando seinen Gefangenen, es war ein Deserteur aus unserem Regiment, in die Mitte führen. Er war zwei oder drei Tage vor meiner Verurteilung geflohen und der kommandierende Offiziere befragte ihn nun, wo er gewesen und weshalb er geflohen sei. Er antwortete dem Oberst sehr zögerlich und hielt zugleich noch ein Bündel in seiner Hand. Während dieser Befragung war ich angebunden geblieben und hatte mit der baldigen Fortsetzung meiner Bestrafung gerechnet. Nun aber forderte der Oberst den Deserteur auf, sein Bündel zu öffnen, worin sich ein Paar Stiefel und ein Hemd befanden. Die Stiefel waren mit dem Namen eines Unteroffiziers gekennzeichnet und wurden sofort ihrem Besitzer übergeben. Dann aber kam der Oberst zum Exekutionsoffizier und befahl, mich loszubinden, während er das verlorene Hemd zeigte, für dessen Verlust ich eine so ungerechte Strafe erleiden sollte. Ich hatte es mit meinem vollen Namen gekennzeichnet.“
Aus dem Bericht des walisischen Schützen Thomas Jeremiah, in: Clover, Waterloo Archive, Bd. IV, S. 177f.