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3. Emma der Wolf wird Nachfolger seines Vaters

Während der gesamten Rückreise hatte es geregnet. Es war kalt, ungemütlich, und wenn Emma der Wolf mit seiner Wolfsgruppe mal eine Pause machte, wurde ihr Fell auch nicht richtig trocken. Ein Feuer zu zünden erschien ihnen zu gefährlich und würde außerdem zu viel Zeit kosten. Trotzdem benötigten sie fast vier Tage, bis sie am frühen Morgen sein Rudeldorf erreichten. Die meisten Fensterläden an den Häusern waren noch geschlossen, es schien, als wenn alles schlief. Nur im Haus seines Vaters erkannte Emma der Wolf ein schwaches Licht. Es schien durch das Fenster des Elternschlafzimmers. Sein Onkel brachte die beiden Wolfsbrüder erst einmal für die nächsten Tage zu Urgroßmutter. Die beiden Wölfe, die die Gruppe begleitet hatten, nahm er zu sich in sein Haus. Dort sollten sie sich erst einmal einen Tag ausruhen, bis sie zum Rudel von Holunderfee zurückkehrten. So war es vorher innerhalb der Gruppe abgesprochen gewesen.

Leise öffnete Emma der Wolf die Haustür. Sie war nicht verschlossen. Er wusste, dass seine Eltern wach waren, denn er hatte durch das Fenster sehen können, wie seine Mutter die Wunden des Vaters versorgte. Um niemanden zu erschrecken, meldete er sich, indem er nach seiner Mutter rief.

Da stürzte sie ihm entgegen und rief laut vor Freude: »Mein Junge, unser Sohn, da bist du ja endlich.« Sekundenlang umarmten sie sich und sprachen kein Wort. Dann hakte sie sich bei ihm ein. »Komm, mein Emma der Wolf, ich bringe dich zu deinem Vater. Er kann es nicht erwarten, dich zu sehen.«

Als der Sohn auf der Türschwelle zum Schlafzimmer stand, strahlte sein Vater ihn an. »Da staunst du wohl, mein großer Junge, dass wir wissen, dass du Emma der Wolf bist.«

Sie umarmten sich herzlich und waren dabei sehr glücklich. In diesen wenigen Augenblicken war dem Vater nicht entgangen, dass sein Sohn sich verändert hatte. Er trug seinen Kopf selbstbewusst aufrecht, seine Ohren waren gespannt bis in die obersten Haarspitzen, sein Körper wurde von kräftigen Beinen getragen und seine Rute stand aufrecht. Aber seine Augen waren die gleichen geblieben, dachte der Vater, neugierig, wachsam und mit einem Hauch von Güte und Herzlichkeit. Er war sich ganz sicher, einen besseren Nachfolger könnte er sich nie wünschen.

Nachdem der Vater die ersten und wichtigsten Fragen zu dem Unfall und seinen Verletzungen beantwortet hatte, wollte Emma der Wolf wissen, woher sie denn von seinen Medaillen bei der Olympiade und von dem Ehrenpreis der Wölfe erfahren hätten.

»Stell dir vor«, erzählte sein Vater und lachte dabei, »erst gestern kamen die zwei fliegenden Händler hier vorbei, wie jedes Jahr um diese Zeit, die uns Scheren, Messer und Öllampen verkaufen. Sie haben uns alles über die Olympiade der Wölfe erzählt und natürlich auch von deinen großen Erfolgen. In Windeseile war das ganze Rudel informiert. Und du solltest wissen, überall im Rudel wartet man auf deine Rückkehr.«


In der Zwischenzeit hatte seine Mutter Kaffee gekocht und ein kräftiges Frühstück zubereitet. Emma der Wolf schob einen Tisch an Vaters Bett und noch zwei Stühle. So konnten sie beieinander sein, zusammen frühstücken und vor allen Dingen viel erzählen. Zwischendurch leerte Emma der Wolf seinen Rucksack, auch, um die Medizin für seinen Vater herauszuholen. Sogar eine Gebrauchsanweisung hatte Holunderfee geschrieben und dazugelegt.

Als seine Mutter die Salbe von Holunderfee auf die verletzten Beine streichen wollte, sah Emma der Wolf erst richtig, wie stark die Verletzungen seines Vaters wirklich waren. Er konnte nicht glauben, dass sein Vater jemals wieder richtig würde laufen können.

So saßen sie etwa zwei Stunden beieinander. Emma der Wolf hatte viel zu erzählen, von Holunderfee, ihren Zimmern und Kräutern, von dem Rat der Alten, bei dem er als Ehrengast an einer Sitzung teilgenommen hatte, von der Olympiade, dem großen Ehrenpreis der Wölfe, seinen beiden Freunden, die er mitgebracht hatte, und, nicht zu vergessen, von seiner Begegnung mit dem Bären.

Während dieser Stunden konnte man dem Vater anmerken, dass er keine Schmerzen verspürte. Es schien, als wenn die Freude über die Rückkehr des Sohnes und der Stolz des Vaters auf dessen hervorragende Leistungen alle Schmerzen verdrängten.

Aber je weiter die Zeit fortschritt, desto dringender erwartete Emma der Wolf, dass sein Vater das wohl entscheidende Thema von sich aus ansprechen würde. Und so kam es dann auch, als der Vater ruhig und mit ernstem Blick begann: »Emma der Wolf, mein Sohn, bevor du dich ausruhen gehst, müssen wir noch ein ganz ernstes Thema besprechen. Leider haben wir nicht mehr viel Zeit.« Der Vater machte eine kleine Pause und Vater und Sohn schauten sich ernst, aber vertrauensvoll an.

»Mein Sohn«, sprach der Vater langsam weiter, »ich habe lange überlegt und bin zu der Überzeugung gekommen, dass ich nicht mehr Leitwolf sein kann. Die Verletzungen sind einfach zu schwer.« Und ohne viel zu reden, was auch nie seine Art gewesen war, fragte der Vater seinen Sohn: »Mein guter Sohn, bist du bereit, mein Nachfolger und damit Leitwolf unseres Rudels zu werden?«

Da stand Emma der Wolf auf, nahm seinen Vater vorsichtig in seine Läufe und sagte: »Ja Vater, ich bin bereit. Und ich werde dich nie enttäuschen.«

Nach diesem entscheidenden Satz ging alles Weitere ziemlich schnell und reibungslos. Noch am Vormittag schickte der Leitwolf dem Rat der Alten eine Nachricht mit der Bitte, alle Mitglieder des Rates mögen zu ihm ans Krankenbett nach Hause kommen. Es gäbe wichtige Dinge zu besprechen und man müsste die Ratssitzung in seinem Schlafzimmer abhalten.

Da sich auch beim Rat der Alten inzwischen herumgesprochen hatte, dass der junge Wolf, der Sohn des Leitwolfes, inzwischen Träger des berühmten Namens Emma der Wolf war und damit dem ganzen Rudel zu großer Ehre und Berühmtheit verholfen hatte, stand seiner Wahl zum neuen Leitwolf des Rudels nichts mehr im Wege.

Schon am selben Nachmittag ging Emma der Wolf zum Rudelhaus, um sich dem Rat vorzustellen. Schließlich hatten die Räte ihn über sechs Monate nicht mehr gesehen, sondern nur von seinen Taten gehört. Alle waren angetan von seiner stattlichen Erscheinung, seinem guten Benehmen, seiner Freundlichkeit und der Klarheit seiner Worte. Sie waren überzeugt, keinen würdigeren Nachfolger für den Leitwolf zu finden.

So geschah es, dass innerhalb weniger Tage Emma der Wolf vom Rat der Alten einstimmig zum neuen Leitwolf gewählt wurde.

Emma der Wolf

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