Читать книгу Die Frau des Scharfrichters - Klaus Melcher - Страница 7
Kapitel 5
ОглавлениеVon allen Seiten fuhren Bauern auf ihren zweirädrigen Karren Holz herbei, armdicke Äste, vor allem trockene und einige wenige noch grüne, und Reisig, der wie Zunder brennen würde.
Ihr gemeinsames Ziel war das Feuerfeld unweit des Galgenbergs, ein Platz, auf dem nichts wuchs, selbst Gras und Buschwerk regelmäßig beseitigt wurden. Er war groß genug, um mehr als tausend Zuschauer aufzunehmen, die Tribüne für das Gericht und die Honoratioren der Stadt, die Patrizier und Zunftmeister und Gildemeister.
In der Mitte des Feldes sollte der Scheiterhaufen, sozusagen das Herzstück des Platzes, entstehen, dem dieser unwirtliche Platz seinen Namen verdankte.
Der Prozess hatte noch nicht begonnen, doch kaum jemand zweifelte an seinem Ausgang, und so waren seit Tagesanbruch Zimmerleute damit beschäftigt, das Gerüst zu bauen, auf dem die Verurteilte stehen sollte. Es musste hoch genug sein, dass die Flammen sie nicht zu früh erreichten und damit sie von allen Seiten gut zu sehen war.
Durch den Boden dieser kleinen Kanzel war ein starker Baumstamm gerammt, an den die Verurteilte gebunden werden sollte. Dort, wo er auf die Erde traf, hatte man ein Loch gegraben und den Pfahl im Erdreich versenkt.
Auf der Rückseite der Kanzel führte eine Art schmale Treppe, eine breite Leiter eher, hinauf, über die die Verurteilte und der Scharfrichter nach oben gelangten.
Es gehörte zu den wichtigsten Aufgaben des Scharfrichters, das Aufschichten des Scheiterhaufens zu überwachen. Zu viele Fehler konnte gemacht werden.
Sparte man mit trockenem Reisig und dünnen trockenen Ästen, so würden die dickeren Scheite nicht schnell genug entzündet werden, und die Delinquentin würde im Rauch ersticken, bevor die Flammen sie erreichten.
Nahm man zu viel Reisig, so würde das Feuer hoch lodern, und die Delinquentin würde zu schnell in dem Inferno verbrennen.
Nein, auf die richtige Zusammensetzung des Holzes und Höhe des Scheiterhaufens kam es ganz entscheidend an.
Während die Zimmerleute einen weiten Kreis um die Richtstätte durch eine Art Zaun absteckten, den niemand bei Gefahr für Leib und Leben überschreiten durfte, schichteten städtische Büttel das Holz u-förmig um die Kanzel auf.
Aus dicken, noch nicht ganz ausgetrockneten kurzen Baumstämmen, über die sie trockene Äste legten, fertigten sie eine Art Feuerstelle, die sie mit Reisig, trockenem Moos und Stroh füllten. Hier würde der Scheiterhaufen entzündet werden.
Damit die Flammen die nächsten Schichten, die stärkere Äste und Scheite, erreichten und nicht erloschen, wurden die unteren Lagen zusätzlich mit Pech getränkt.
Immer wieder griff der Scharfrichter ein, verbesserte hier etwas und dort, zog unbrauchbare Stämme heraus und legte sie zur Seite, achtete darauf, dass die Büttel nicht zu viel Pech verwandten.
Endlich war der Scharfrichter mit dem Ergebnis seiner Arbeit zufrieden. Der Scheiterhaufen war nach allen Regeln der Kunst errichtet. Die Malefikantin würde exakt die vorgeschriebene Zeit in dem Flammenmeer stehen müssen, bevor auch der Boden Feuer fing und zerbarst und sie in die Glut stürzen würde.
Wohl auf ein geheimes Zeichen des Scharfrichters begann die große Glocke der Marktkirche zu läuten und verkündete: Der Scheiterhaufen ist fertig.
Die Hinrichtung konnte beginnen.
Von überall strömten die Schaulustigen herbei.
Es gab wohl kaum jemanden in der Stadt und in den Dörfern, der sich dieses Spektakel entgehen lassen wollte, und schon begann hier und dort der Streit um die besten Plätze.
Wetten wurden abgeschlossen, wie lange Zeit vergehen würde, bis die Kanzel zusammenbrechen würde.
Einige wenige bedauerten die junge Frau, die so früh sterben musste, konnten sich daran erinnern, dass sie es in ihrer Ehe wirklich nicht leicht gehabt hatte. Und sie rätselten darüber, wie sie wohl aussehen würde, ob sie das Kleid tragen würde, das sie bei ihrer Verhaftung getragen hätte, ob man ihr ein frisches zugebilligt hätte, oder ob sie im Büßergewand ihre letzte Reise antreten müsste.
Andere, besonders eine bestimmte Art von Männern, beschäftigte die Frage, wie wohl der Körper der Frau aussah, wenn das Kleid verbrannte.
Kinder bahnten sich ihren Weg durch die Schaulustigen und boten Limonade und Gebäck feil, denn das lange Warten machte hungrig und durstig.
Plötzlich begann das helle Armsünderglöckchen zu läuten, erst unrhythmisch, bis es den Takt gefunden hatte, entsprechend dem Schreiten der zu erwartenden Prozession.
Ein Raunen ging durch die Menge, und alle Köpfe wandten sich dem Stadttor zu, durch das die Prozession kommen musste.
Durch das geöffnete Tor näherten sich mehrere Wagen, zunächst der des Gerichts, dann die der Patrizier und anderen Ehrengäste.
In gebührendem Abstand ging der Priester.
Ihm folgten zwei Büttel, zwischen sich die mit Seilen gebundene Verurteilte.
Sie trug das gleiche Armsünderhemd wie bei der Gerichtssitzung, doch war es jetzt im Rücken zerschnitten, nur mit einem groben Strick zusammengehalten. Nichts sollte ihr bleiben!
Den kahl geschorenen Kopf hatte sie gesenkt, sah nicht die Menge, die sich an ihrem Anblick nicht satt sehen konnte, voller Erwartung der Freuden, die sie gleich genießen würden.
Wie viele Jahre hatte man auf ein derartiges Spektakel warten müssen?
Die Jüngeren hatten es noch nie gesehen und fieberten dem Ereignis entgegen.
Die Prozession machte Halt an der Tribüne, die der Richter, die Schöffen und die Stadtoberen betraten. Nachdem sie sich gesetzt hatten, bezogen die Büttel mit der Verurteilten vor dem Podest Stellung, und der Richter erhob sich von seinem Platz. Ungerührt von dem Anblick der Delinquentin, die auch jetzt noch merkwürdig gefasst wirkte, wiederholte er das Urteil: ‚Tod durch das reinigende Feuer’, und brach den Stab über ihrem Kopf.
„Scharfrichter, waltet Eures Amtes!“, befahl er endlich, und die Büttel zogen und stießen Mathilde die wenigen Stufen die Treppe hinauf.
Wieder ging ein Raunen durch die Menge, das in ein hysterisches Kreischen überging, als die Büttel der Frau kreuzweise eine schwere Eisenkette an den Körper legten und sie den Pfahl an ketteten.
„Höher! Höher! Man sieht nichts!“ riefen einige in der Menge, bis der Ruf „Höher! Höher!“ über das ganze Feuerfeld schall.
Jetzt erst schien die Unglückliche sich des vollen Ernstes ihrer Lage bewusst zu sein, denn auf einmal öffnete sie ihren Mund und schrie, dass alle es hören konnten: „Herr! Rette mich!“
Der Scharfrichter war unten geblieben, denn das Gericht hatte der Frau nicht die Gnade gewährt, dass er sie beim Entzünden des Scheiterhaufens tötete.
So abscheulich fand es das Verbrechen, dass die Mörderin eines langen und qualvollen Todes sterben sollte.
Er erwartete die brennende Fackel, die ein dritter Büttel ihm reichte, damit er den Scheiterhaufen an den von ihm vorgesehenen Stellen entzündete.
Als er sie erhalten hatte, hob er sie hoch, dass jeder auf dem weiten Platz sich überzeugen konnte, dass sie tatsächlich brannte, und augenblicklich verstummte die ganze Versammlung.
Wie geschickt würde der Scharfrichter arbeiten? Hatte er das Holz nach allen Regeln der Kunst aufschichten lassen?
Man hörte nur das leise Prasseln der Fackel.
Der Scharfrichter drehte sich zum Scheiterhaufen, und alles hielt den Atem an, selbst die schreienden Kinder waren wie erstarrt.
Gleich würden sie Zeugen dieses faszinierenden Schauspiels werden:
Erst würden nur winzige Nester trockenen Zunders entzündet, brannten schnell auf. Die noch kleinen Flammen leckten nach dem Reisig, er knisterte, und auf einmal stand der Haufen auf ganzer Breite in Flammen. Ein leichter Wind fegte hinein, trieb die Flammen empor.
Und jetzt würde der Höhepunkt kommen.
Die Flammen erreichten die Delinquentin, erfassten ihr Kleid, züngelten an ihm empor. Einen winzigen Augenblick schien sie zu brennen, hörte man sie schreien, sah ihren nackten Körper, der sich vor Schmerzen aufbäumte, dann hatten die Flammen die höheren Scheite erreicht, loderten um sie herum, verhüllten ihren Körper.
Jetzt war sie nicht mehr zu hören, nur noch das Geprassel des Feuers. Als es über ihrem Kopf zusammenschlug, zerbarst das Gerüst und stürzte in die Flammen, über ihm ein Meer von Funken.
Und da geschah das Unerwartete, Unfassbare.
Statt die Fackel an den Zunder zu halten, drehte der Scharfrichter sie um und schlug sie mit aller Kraft auf den Boden, dass sie erlosch und ihre letzen Funken in alle Richtungen stoben.
Immer noch herrschte diese gespannte Stille, und bevor auch nur einer der Anwesenden etwas sagen konnte, rief er laut und klar: „Ich richte diese Delinquentin nicht hin! Ich werde sie heiraten!“
Noch immer regte sich kein Laut. Die Menge stand wie erstarrt da, konnte nicht fassen, was sie soeben gehört hatte.
Erst als der Scharfrichter die Kanzel erstieg und der Delinquentin die Ketten löste, sie vorsichtig die Stufen hinabführte, erst da hörte man erste Laute, bis ein Gemisch von Beifall und Verwünschungen den ganzen Platz erfüllte.
Der Scharfrichter fasste die Delinquentin bei der Hand und führte sie vor die Tribüne mit den Stadtoberen.
„Ihr wollt tatsächlich die hier anwesende, zum Tode durch das Feuer verurteilte Mathilde, ehemals Ehefrau Wolfhards des Schmieds, heiraten?“
Mit lauter, kräftiger Stimme, die keinen Zweifel an seinem unumstößlichen Willen ließ, antwortete er: „Ja, ich werde diese Frau heiraten!“
Nur kurz beriet sich der Bürgermeister mit dem Richter, dann stand er auf, und das Volk verstummte augenblicklich.
„Eure Bitte sei gewährt!“, sagte er ruhig.
Es war ihm noch nie passiert, solange er Bürgermeister war, und auch der Richter hatte es noch nicht erlebt, dass ein Scharfrichter sich weigerte, eine Delinquentin hinzurichten, und sie stattdessen zu heiraten begehrte, aber er hatte dieses Recht, und das hatte man zu respektieren.
Lange stand ein Großteil des Volkes, das der Scharfrichter um sein Vergnügen gebracht hatte, noch auf dem Richtplatz, sah zu, wie der Scheiterhaufen auseinander gezogen wurde, wie auch die Zimmerleute die Kanzel für die Delinquentin abbauten, diskutierte heftig, und einige wagten bereits Wetten, wie lange der Scharfrichter die Ehe mit einer Giftmischerin überleben würde.
Unberührt geleitete der Scharfrichter seine Frau den staubigen Weg zurück, durch das Nicolaitor, ging die wenigen Schritte die Mauergasse entlang und öffnete ihr zum ersten Male ihr neues Heim.
„Ich hoffe“, sagte er, „du bist nicht zu enttäuscht. Sicher kann ich dir nicht so viel bieten, wie dein erster Mann.“
Bisher hatte sie es vermieden, ihren Retter anzusehen, hatte ihren Blick immer auf den Boden gesenkt. Jetzt sah sie ihm direkt in die Augen.
„Warum hast du das gemacht?“, fragte sie. „Du weißt, ich habe meinen Mann vergiftet. Hast du nicht Angst, ich könnte das noch einmal tun?“
Statt einer Antwort nahm er sie in den Arm und führte sie durch das kleine Haus.
An einer Tür ging er vorbei.
„Was ist hier?“
Einen Augenblick zögerte der Scharfrichter, dann öffnete er die Tür und ließ Mathilde eintreten.
Ein ungewöhnlicher Anblick bot sich ihr.
Der Raum war fast quadratisch, vielleicht sieben Ellen lang. In der Mitte stand ein roher, aber stabiler Holztisch. An den Wänden standen grob gezimmerte Regale mit allerlei Tiegeln und hingen einige Geräte, die Mathilde nicht zuordnen konnte. Lediglich verschiedene Messer und Sägen erkannte sie. Auf einem schmalen Tisch an der Wand befanden sich einige Schüsseln aus gebranntem Ton und größere wannenartige hölzerne Gefäße.
Ratlos sah sie Wolfram an.
„Das ist meine Werkstatt“, erklärte er, „hier mische ich meine Salben. Auch die, mit der ich deine Wunden geheilt habe“, fügte er schnell hinzu, als er sah, wie sie erschrak.
„Darf ich?“, fragte sie und öffnete ein Gefäß.
Es war zur Hälfte gefüllt mit einer weißlichen Masse.
„Ist das Fett?“
Er nickte, nahm ihr den Deckel aus der Hand, verschloss das Gefäß und stellte es an seinen Platz zurück.
„Komm“, forderte er sie auf, „das erkläre ich dir alles später. Für heute hast du genug erlebt.“
Wieder umfasste er vorsichtig ihre Schulter und führte sie in die Küche.
„Bist du hungrig?“
Dankbar sah sie ihn an. Ja, auf einmal hatte sie furchtbaren Hunger. Seit dem Morgen hatte sie nichts mehr gegessen. Bisher hatte sie es nicht gemerkt, doch jetzt, nachdem die Angst von ihr genommen war, biss der Hunger zu wie ein Wolf.
Während er aus einem Bord Brot und ein Stück Speck hervorzauberte und auf den Tisch legte, zusammen mit einem Brett und einem Messer, trat sie auf ihn zu, und als er innehielt, fasste sie ihn bei der Hand und sah ihn liebevoll an.
„Nun sind wir verheiratet und ich weiß nicht einmal deinen Namen.“
„Wolfram“, antwortete er und zog Mathilde an sich.
Das Schlafgemach war der kleinste Raum des Hauses und wurde beherrscht von dem Ehebett. Es war für jemanden von niederem Stand erstaunlich groß und bot Platz für mehr als nur die Eheleute. Ganz offensichtlich hatten hier früher auch die Kinder geschlafen, denn ein weiterer Raum fehlte, wenn man den kleinen Verschlag, der von der Küche abging, nicht als Zimmer bezeichnen wollte.
Von den hohen Füßen wurde ein geräumiger Holzkasten getragen, der mit Gerstenstroh gefüllt war. Abgedeckt war es mit einem groben Betttuch. Auf dem Bett lagen Schaffelle als Decken. An den Längsseiten des Bettes standen Bänke und kleine Truhen, die als Stufen zum Besteigen des Bettes und zur Verwahrung von Bettwäsche und Kleidern dienten.
Das Bett mit den warmen fast weißen Schaffellen sah sie so verführerisch an, dass sie sich auf den Rand setzte, und bevor sie sich’s versah, sank sie nach hinten über und war eingeschlafen, rührte sich auch nicht, als Wolfram ihre Beine auf das Bett legte.
Das Armsünderkleid hätte er ihr nicht ausziehen können, ohne sie zu wecken. So ging er noch einmal in seine Werkstatt, entnahm einer Lade ein ganz besonders scharfes Skalpell und kehrte zurück.
Vorsichtig schnitt er das Kleid von unten vorne auf, löste den Strick und befreite Mathilde von den beiden Kleidhälften. Er bedeckte den nackten Körper mit der Felldecke. Dann zog auch er auch sich aus, löschte das Licht und legte sich zu seiner Frau.
Sie drehte sich zu ihm, immer noch schlafend, tastete zur Seite, und als sie ihn gefunden hatte, ruschelte sie an ihn heran und legte ihre Hand auf seine Brust, schmatzte wohlig, wie Babys es tun, wenn sie die Brust der Mutter gefunden haben.
In Wolfram breitete sich ein ungeheueres, noch nie empfundenes Glücksgefühl aus. Er hätte sie wecken, sie umarmen mögen, aber er wollte sie nicht stören.
Sie brauchte Ruhe, viel Ruhe und Sicherheit und seinen Schutz.
Er würde ihr Zeit geben, die Vergangenheit zu vergessen, er würde sie begleiten, bis sie sich an ihre neue gesellschaftliche Stellung gewöhnt hatte.
War sie auch bisher geschlagen und gequält worden, so war sie doch gesellschaftlich geachtet, wie es der Frau eines Handwerksmeisters gebührte.
Jetzt würde sie umsorgt und geliebt werden, aber sie war die Frau des Scharfrichters und Heymlichkeitenfegers und stand schon dadurch ganz unten auf der gesellschaftlichen Leiter.
Und sie war eine verurteilte Mörderin.
Tiefer konnte man nicht fallen.
Er stand schon von Geburt an auf dieser untersten Stufe, er war es gewohnt, verachtet und von allen gemieden zu werden. Wie aber würde sie es verkraften, wenn alte Bekannte sie nicht mehr sahen, kein Wort mehr mit ihr wechselten, wenn sie selbst in der Kirche abseits sitzen musste?
Erst gegen Morgen fiel er in einen unruhigen, wenig erholsamen Schlaf.
Als er aufwachte, weil ihm die Sonne direkt in die Augen schien, schlief sie noch immer. Sie träumte wohl angenehm, denn sie dehnte sich und lächelte, spitzte den Mund wie zum Kuss.
Da schlug sie die Augen auf, blinzelte in die Sonne, spürte ihre Hand auf seiner Brust, sog seinen männlichen Duft tief in sich auf.
Mit einem Ruck setzte sie sich auf.
„Es ist wahr! Ich habe es nicht geträumt?“, rief sie aus und ließ sich auf seine Brust fallen, bedeckte sie wieder und wieder mit Küssen und ließ nur von ihr ab, um Atem zu schöpfen.
Sie schmiegten sich aneinander, umarmten sich, drehten sich auf ihrer Bettstatt, immer wieder, in kaum beschreibbarer Lust, bis ihr Verlangen unerträglich war und Mathilde ihren Mann empfing.
Noch trunken vor Lust, standen sie auf.
Aus dem Verschlag neben der Küche zog Wolfram einen hölzernen Waschzuber hervor und stellte ihn in vor den Herd. Er füllte ihn zur Hälfte mit Wasser, ebenso einen Eimer und legte ein Tuch auf den Schemel, den er daneben gestellt hatte.
„Komm, meine schöne Frau, wir wollen die Vergangenheit abwaschen“, sagte er und hob sie in den Zuber.
Gerne hätte sie es gehabt, er wäre zu ihr gestiegen, aber der Zuber war zu klein. Doch auch so genoss sie die Berührung seiner zärtlichen Hände.
Wie kam es nur, dass diese riesigen Hände, groß und stark wie die Pranken eines Bären, die mit einem Hieb einem Menschen den Kopf abschlagen konnten, so zärtlich waren?
Nachdem er sie sorgfältig abgetrocknet, abgetupft eher, hatte, betrachtete er aufmerksam ihren Körper, taste jede Verletzung ab, fragte immer wieder, ob diese oder jene noch schmerzte, besah die ehemals blauen Flecken, die sich inzwischen gelb verfärbt hatten.
„Noch einmal Salbe darauf schmieren, dann sieht man wahrscheinlich nichts mehr.“
Dann wusch auch er sich.
Beim Frühstück überlegten sie, was es jetzt zu regeln gab.
In ihr Haus in der Schmiedegasse konnte sie nicht mehr zurückkehren. Es gehörte jetzt den Kindern Wolfhards und der Stadt.
Ihr Platz war jetzt hier an der Mauer. An einem anderen Ort würde man sie nicht dulden.
Einmal nur würde sie zurückkehren dürfen, um ihre Mitgift und Morgengabe abzuholen. Der Rat würde den Termin festsetzen.
Neben einem bescheidenen Vermögen waren es vor allem drei Truhen mit Wäsche und Kleidern und der große Badebottich, auf den Mathilde nach dem heutigen Bade besonderen Wert legte. Denn auch wenn man sie eingelassen hätte, ein öffentliches Badehaus hätte sie nie besuchen wollen. Mit fremden Menschen in einem riesigen Bottich zu sitzen, fand sie entsetzlich.
Nur einmal hatte sie es machen müssen, und sie hatte sich geekelt und es auch ihrem Mann gesagt. Da hatte er sie das erste Mal geschlagen und war von da an alleine ins Badehaus gegangen und sicher gleich danach zu seinen Huren.
Das Haus stand ihr nicht zu, auch nicht ein Anteil. Ob seine Kinder es erben würden oder die Stadt es einziehen würde, wie sie es mit der Hinterlassenschaft von Selbstmördern oder Mördern immer tat, das war ihr gleichgültig. Die Kinder waren nicht ihre, der älteste Sohn war älter als sie, die letzten Kinder hatten das Haus verlassen, als ihr Vater sie geheiratet hatte.
Bis auf eine kleine Summe Geldes, die sie für den Ankauf von Holz vorgestreckt, aber nie zurückbekommen hatte, war ihre Mitgift vollständig. Eilig luden sie die Truhen und den Badezuber auf den Karren, mit dem Wolfram normalerweise die Kübel mit den Fäkalien beförderte, verschlossen ordnungsgemäß das Haus und eilten in die Mauergasse.
Heimlich betrachtete Wolfram seine Frau von der Seite, als sie in ihr Haus traten.
Das Haus, das sie verlassen musste, war sehr viel luxuriöser als seins. Würde sie darunter leiden? Irgendwann einmal, wenn die erste Liebe abgeklungen war? Wenn die Dankbarkeit, die sie zweifellos jetzt im Übermaß für ihn empfand, dem täglichen Kampf ums Überleben gewichen war?
Noch jedenfalls deutete nichts darauf hin. Sie betrat das Haus, als wäre es schon lange ihres und hätte sie es gerade neu entdeckt.
Sie trugen die Truhen ins Schlafzimmer und stellten sie vor das Bett.
Während er den Badezuber in den Verschlag brachte und die wenigen Gerätschaften, die sie mitgenommen hatten, auf den Küchentisch legte, breitete sie ihre Habseligkeiten auf dem Bett aus, um sie Wolfram voller Stolz zu zeigen.
„Meinst du nicht, dieses Tuch könnten wir vor das Fenster hängen?“
Mathilde war auf einen Schemel gestiegen und hielt das Tuch vor das Fenster, damit er sich von der Schönheit überzeugen könnte.
„Wie dafür gemacht“, antwortete er, ging auf sie zu, umfing ihre Hüfte, drückte sie an sich und atmete ihren Duft.
„Sag ganz ehrlich, wenn du es nicht magst“, forderte sie ihn auf und gab erst Ruhe, als er ihr versichert hatte, er fände diesen Vorhang besonders schön.
„Das ist jetzt dein Haus“, sagte er, „gestalte es so, wie du es magst. Du bist die Herrin!“
Die nächsten Tage und Wochen waren von unvorstellbarem Glück.
Mit sicherer Hand verwandelte Mathilde die düstere Küche in einen gemütlichen, sauberen Raum, in dem man gerne saß, und das Schlafgemach war zum Schlafen eigentlich viel zu schade.
Wolfram richtete unterdessen den Verschlag her. Jede Minute, die nicht sein Amt forderte oder er nicht Gruben leeren musste, verbrachte er hier, verstärkte die Gefache, flocht Weidenzweige ein, bewarf sie mit Lehm und verstrich ihn sorgfältig.
Als er den Boden gestampft und die Feuerstelle gemauert hatte, zog er seinen Wagen zum nächsten Brunnen, zwei Gassen weiter, füllte alle sauberen Bottiche mit Wasser und stellte sie neben den Badezuber, der seinen Platz in der Mitte des kleinen Raumes gefunden hatte und den Raum beherrschte.
Unweit von dem Zuber stand eine niedrige Bank, die der Ablage ihrer Kleidung diente. Auf die andere Seite, der Tür der Küche am nächsten und am weitesten entfernt von der Feuerstelle, die eine behagliche Wärme ausstrahlte und den Wasserkessel, der an einer schweren Kette über dem Feuer hing, schon zum Summen brachte, hatte Wolfram einen schmalem Tisch gestellt, ein breites Brett eher. Es war erstaunlich, was dieses Tischchen alles barg. Mathilde hatte ihn so liebevoll und üppig gedeckt, dass auch jemand von Stand sein Wohlgefallen daran gefunden hätte. Zwei Brettchen, zwei Messer und zwei Becher, ein Brett, belegt mit Speck, Würsten und Handkäse, Brot und ein Krug Bier waren auf ihm so angeordnet, dass Mathilde und Wolfram sich nur setzen mussten, um ein köstliches Mahl einzunehmen.
Es fehlte an nichts.
Nachdem auch das Wasser in dem Kessel in der Küche heiß war, entleerte Wolfram die Kessel in den Bottich, goss kaltes Wasser hinzu, fühlte sorgfältig die Temperatur und setzte neues Wasser auf.
Dann rief er seine Frau, um mit ihr die Einweihung der Badestube zu feiern.
Als sie den Raum betrat, verschlug es ihm fast den Atem. Sie trug nur ein einfaches grobes Hemd, das ihr bis in die Kniekehlen reichte. Nichts Besonderes war daran, und doch konnte Wolfram sich kaum von dem Anblick losreißen.
Ohne dass sie eines Wortes bedurften, fassten sie die Tischplatte, hoben sie an und setzten sie am unteren Ende des Zubers ab.
Sie streiften ihre Kleidung ab und legten sie ordentlich auf die Bank.
Über einen kleinen Tritt gelangten sie ohne Schwierigkeit in den Zuber, tauchten ein in das wohlig warme Wasser, dem Wolfram fein zerriebene Kiefernnadeln zugesetzt hatte, die den ganzen Raum mit ihrem Duft erfüllten.
Zum ersten Mal saßen sie gemeinsam in einem Badezuber, ihrem eigenen. Niemand störte sie, auf niemanden mussten sie Rücksicht nehmen.
Sie saßen Seite an Seite, dicht beieinander, genossen die Berührung, küssten sich.
Vorsichtig löste sich Wolfram aus der Umarmung, stieg aus dem Zuber, entnahm ihm einen Bottich Wasser und tauschte es durch einen Kessel heißen Wassers aus, dann kletterte er wieder zurück in den Zuber, fasste die Tischplatte und zog sie wieder zu sich heran.
Und dann begann das Festmahl.
Noch zweimal musste Wolfram heißes Wasser nachgießen. Erst als das Feuer heruntergebrannt war und nicht mehr den Raum beleuchtete, schoben sie den Tisch wieder an das Ende des Zubers und stiegen hinaus.
Gegenseitig trockneten sie sich ab, tupften sie sich eher ab, so vorsichtig waren sie. Sie genossen es, sich in der warmen Badestube zu umarmen, küssten ihre duftenden Körper, strichen ihre weiche Haut.
„Warum weinst du?“, fragte Wolfram besorgt, als er die Träne sah, die über Mathildes Wange lief.
Mathilde tat, als hätte sie nichts gehört, aber als die zweite Träne herabkullerte, konnte sie nicht mehr an sich halten. Sie barg ihren Kopf an Wolframs Brust und weinte hemmungslos.
Behutsam hielt Wolfram sie fest und streichelte ihren Kopf.
Hatte er etwas falsch gemacht?
Aber was?
Endlich hatte sie sich gefasst, schniefte nur noch ein wenig.
Sie sah ihn an, und ihre Augen schimmerten in dem letzten Licht.
„Es war so wunderschön! Ich habe nicht gewusst, dass es so Schönes geben kann. Und ich habe Angst, dass irgendetwas unser Glück zerstört.“