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2.2 Die ersten Monate des Ruhestandes

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Wie erging es mir dann?

Ich bin spontan und damit ungeplant wegen Tapetenwechsel 1 Woche in Urlaub verreist. Dabei hatte ich darauf geachtet, dass es kein Strandurlaub war. Ich wollte Zeit zum Nachdenken haben, aber keine Zeit zum Grübeln haben.

Ich war inclusive des Urlaubes erstmal Wochen lang nur müde. Was ich bis heute nicht verstehe. Denn so abgearbeitet war ich nicht. Vielleicht ist das eine Schutzfunktion des Körpers angesichts der völlig neuen Lebenssituation?

Danach begann dann eine Phase der Hyperaktivität. Ich war ständig darauf bedacht nicht abzuhängen und irgendeine Art von Leistung zu erbringen. Kein Wunder, ich war jahrzehntelang auf Leistung gedrillt worden.

Einer meiner ersten Gedanken war, bloß nicht länger vor der Glotze rumhängen als zu Berufszeiten.

Es dauerte 4 bis 5 Monate, bis ich mich zwischen Hyperaktivität, Einschlafproblemen (weil es keinen müd machenden Berufsalltag mehr gab) und der Suche nach dem für mich geeigneten Ausmaß an Müßiggang stabilisiert hatte.

Probleme meine Tagesleistung oder meine Leistung über mehrere Tage hinweg als Ruheständler zu bewerten, habe ich heute noch. Als ich noch berufstätig war, konnte ich abschätzen, inwieweit ich meine Aufgaben abgearbeitet hatte und ob es dabei zu Streitereien d. h. zu sozialen Konflikten gekommen war.

Wenn ich z. B. 4 Stunden entrümpelt hatte, kam es zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Das konnten 3 volle Umzugskosten gewesen sein oder auch nur hundert Blatt Papier, die ich beim Durchblättern verschiedener Ordner als wegwerfbar identifiziert hatte.

Ich kann ja theoretisch jeden Morgen 2 Stunden Zeitung lesen. Habe ich dann etwas geleistet? Muss ich denn als Ruheständler etwas leisten?

Was ich festgestellt habe – das wäre dann die externe Bewertung – dass ich für Berufstätige uninteressanter geworden bin. Das hängt meines Erachtens nicht nur damit zusammen, dass man keine beruflichen Probleme mehr „teilen“ kann, sondern auch damit, dass man aus deren Sicht nichts mehr Berufliches leistet.

Wenn ich denen erzählte, dass ich heute 4 Stunden entrümpelt hatte, war die übliche Reaktion in etwa so:

Na ja, der hat ja jetzt Zeit. Sinnvoll ist wahrscheinlich schon. Ich selber hätte keine Lust dazu.

Für Entrümpler gibt es keine erwähnenswerte soziale Anerkennung.

Ein weiterer Bedeutungsverlust ist– solange man als Ruheständler nicht ehrenamtlich arbeitet – dass man nicht mehr so gebraucht wird. Früher hat einen der Chef gebraucht, die Kollegen haben einen gebraucht, die Kunden haben einen gebraucht.

Wer braucht mich denn als Ruheständler noch? Die Kinder, die schon längst daheim ausgezogen sind und mit den Enkeln ganz woanders hingezogen sind? Ja, ab und zu brauchen die einen schon mal.

Der Grad der Inanspruchnahme steht oft in Relation zur räumlichen Distanz.

Die Person, mit der ich zusammenlebe, braucht mich (hoffentlich) noch. Aber darüber hinaus werde ich eigentlich nicht gebraucht. Klar Industrie und Dienstleiter brauchen mich als Konsument und Kunden. Aber das Tätigen von Ausgaben erzeugt bei mir nicht das Gefühl gebraucht zu werden.

Eine ehrenamtliche Tätigkeit nur deswegen auszuüben, um das Gefühl wieder zu haben, gebraucht zu werden, halte ich für diskussionswürdig. Das wäre dann reiner Egoismus, der einem allein lange noch nicht für eine ehrenamtliche Tätigkeit qualifiziert. Oder doch?

Wenn jemand nur gearbeitet hatte um Geld zu verdienen, dann war es doch auch in Ordnung? Man durfte es bloß in der Regel niemanden am Arbeitsplatz sagen. Es wurde schließlich immer verlangt, dass man sich mit der Firma identifiziert.

Sie können natürlich an dieser Stelle einwenden, dass Sie schon am Ende des Berufslebens nicht mehr das Gefühl hatten, gebraucht zu werden. Weil man Sie kaltgestellt hatte. Z. B. keine wichtigen Aufgaben mehr, keine Einladungen zu relevanten Meetings mehr, etc.

Dann entgegne ich: Dieser Zustand wurde künstlich herbeigeführt, um Sie möglichst kostengünstig loszuwerden. Hätte man Sie korrekt behandelt, hätten Sie auch noch bis zum Schluss Ihres Arbeitslebens das Gefühl gehabt, noch gebraucht zu werden.

Kommen wir unabhängig davon zu dem Punkt - der Verarbeitung des Ausstiegs aus dem Berufsleben.

Egal wie man aus dem Berufsleben ausgeschieden ist, stellt sich die Frage, wie man den Berufsausstieg verdaut. Auch für diejenigen, die unter günstigsten Umständen aus dem Berufsleben ausgeschieden sind, stellt sich diese Frage. Denn auch die finden eine ganz neue Lebenssituation vor und hängen noch eher an ihrem alten Beruf, als die, denen man beim Ausstieg aus dem Berufsleben einen Fußtritt in den Hintern verpasst hatte.

Der Berufsausstieg wird wohl dann am besten verdaut, wenn er freiwillig ist. Bloß was bedeutet freiwillig? Geht jemand freiwillig, der noch gerne weiterarbeiteten möchte, weil man ihn mit einer vernünftigen Abfindung ködert?

Geht jemand freiwillig, der noch gerne weiterarbeiteten möchte, aber sein Rentenalter erreicht hat und nur deswegen mir der Arbeit aufhören muss?

Freiwillig geht nur meines Erachtens nur jemand, der frei über den Zeitpunks seines Berufsausstieges entscheiden kann, was dann wiederum eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit voraussetzt. So gesehen, dürften wohl die Wenigsten freiwillig aus dem Berufsleben ausscheiden.

Mit anderen Worten: Viele scheiden dem Berufsleben mit einem schalen Geschmack im Mund oder einem dicken Hals aus.

Das ist kein guter Start in Ihr neues Leben als Ruheständler. Sie haben sich inklusive Ausbildung das ganze Leben beruflich abgestrampelt und dabei wurde immer von Ihnen Loyalität verlangt.

Und dann so ein inadäquates Ende. Oder soll ich besser schreiben: So ein unwürdige Ende?

Sie werden zudem die Erfahrung machen, dass Besuche bei ihren ehemaligen Kollegen in den Arbeitsräumen ihres ehemaligen Arbeitgebers nicht auf die Resonanz stoßen, die Sie sich erhofft hatte. Oder Sie ahnen es schon und lassen es. Vorbei ist vorbei.

Nicht vorbei, sondern erst beginnend, ist Ihre neue finanzielle Situation. Sie müssen mit dem was Sie an Geld haben (inklusive Ihrer kleinen Rente), bis zum Lebensende auskommen.

Sie können natürlich auf Lottogewinne und Erbschaften hoffen, aber beides ist nicht planbar.

Das ist also die tatsächliche und mentale Situation in der sich viele beim Eintritt in den Ruhestand befinden.

Es war von vorneherein klar und das schon seit Jahrzehnten, dass irgendwann mal Ihr Ruhestand beginnt. Es sei denn, Sie sterben vorher. Abzusehen war auch, wenn man nicht gerade wie ein Eremit in einer Höhle lebt, dass der Berufsausstieg selten so erfolgt, wie man sich das wünscht. D. h. Sie bestimmen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nicht Art und Weise und Zeitpunkt Ihres Berufsausstieges und haben zu diesem Zeitpunkt in der Regel nicht so viel Geld für Ihr restliches Leben zur Verfügung, wie es Sie es gerne hätten.

Sie werden sich wohl als Ruheständler finanziell einschränken müssen. Es sei denn, Sie können auf Grund Ihrer Ersparnisse Ihren bisherigen Lebensstandard (teilweise) halten.

Macht es Ihnen etwas aus, dass Sie als Ruheständler Ihre Ersparnisse angreifen zu müssen?

Wenn Sie bisher nicht über einen längeren Zeitraum entsparen mussten, ist auch dieser Punkt eine wichtige Änderung in Ihrem Leben.

Ihr Vermögen als Ruheständler schrumpft dann vielleicht nicht linear aber kontinuierlich. Da Sie nicht wissen, wann Sie sterben, haben Sie hier grundsätzlich ein Berechnungsproblem. D.h. Sie wissen nicht, wie groß oder wie klein Ihr Vermögen zu Ihrem Todeszeitpunkt ist. War es überhaupt Sinn und Zweck ihres Sparens, dass sie als Ruheständler entsparen können?

Falls ja wird es Ihnen leichter fallen, zu sagen und zu denken:

Älter werden im (unfreiwilligen?) Ruhestand. Na und! Scheißegal!

Wie dem auch sei, Sie konnten auch bisher in Ihrem Leben nicht alles steuern.

Hatte Ihre erste Bewerbung Sie sofort zu Ihrem Wunscharbeitgeber geführt?

Ist Ihre (erste) Ehe so erfolgreich, dass diese noch heute andauert, sprich es fand keine Scheidung statt?

Haben Ihre Kinder den beruflichen Weg eingeschlagen, den Sie sich vorgestellt hatten?

Waren Sie noch nie Teilnehmer an einem von Ihnen nicht verschuldeten Autounfall?

Gab es noch nie in Ihrem Leben gesundheitliche Rückschläge?

Es hat bisher schon verschiedene Abschnitte in Ihrem Leben gegeben. Schule, Berufsausbildung, Beruf.

Man kann das natürlich auch kleinteiliger sehen und jeden Umzug, jeden neuen Arbeitgeber und jede neue, längere andauernde Beziehung als Lebensabschnitt definieren.

Dadurch würde sich dann zwar die Anzahl der Lebensabschnitte erhöhen, aber das ändert erst recht nichts daran, dass es schon verschiedene Abschnitte in Ihrem Leben gegeben hat. Ob alle diese Lebensabschnitte die gleiche Bedeutung haben, wie der Abschied vom Arbeitsleben, bleibt Ihrer eigenen Bewertung überlassen.

Der nächste neue und wirklich bedeutende Lebensabschnitt, der Ihnen droht, ist, wenn Ihr langjähriger Partner vor Ihnen stirbt.

Wen Sie ein Mann sind und eine gleichaltrige Frau als Partnerin haben, dann können Sie rein statistisch betrachtet, darauf hoffen, dass Ihnen dieser neue Lebensabschnitt erspart bleibt.

Es gibt selten im richtigen Leben goldene Regeln und schon keine, die für alle gelten. Hier ist aber der Ansatzpunkt ganz einfach. Vorbei ist vorbei.

Das ist der springende Punkt. Vorbei ist vorbei. Daher rate ich Ihnen von Besuchen bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber ab, bevor bei Ihnen das nicht Fleisch und Blut übergegangen ist, dass es vorbei ist.

Wahrscheinlich können diejenigen, diesen „Vorbei ist vorbei“ Zustand besser erreichen, bei denen der Berufsausstieg so beschissen war, dass die sich sagen: „Das Berufsleben kann mich mal!“.

Orientieren Sie sich an denen, die den Berufsausstieg schon verdaut haben. Niemand verlangt von Ihnen, dass Sie das Rad ganz neu erfinden. Lassen Sie sich dabei Zeit, Sie stehen nicht unter Zeitdruck. Wenn Sie ihren Einstieg in den neuen Lebensabschnitt ernst nehmen, sind Sie als Ruheständler ohnehin erstmal gut ausgelastet, wie die folgenden Kapitel versuchen, aufzuzeigen.

Wenn Sie dann mental so weit sind, dass „vorbei ist vorbei“ von Ihnen akzeptiert wird, dann werden Sie sehen:

Älter werden im (unfreiwilligen?) Ruhestand. Na und! Scheißegal!

Für diejenigen, die trotz durchgeführter Sparmaßnahmen und trotz Einschränkungen der Lebensqualität nicht genügend Geld als Ruheständler haben, gilt das so natürlich nicht.

Zum einen werden die, soweit das möglich ist, als Ruheständler noch irgendwelche Hilfsjobs annehmen.

Zum anderen wird es äußerst schwierig sein, zu einer Geisteshaltung von „Na und? Scheißegal!“ zu gelangen, wenn vorne und hinten das Geld fehlt.

Davon abgesehen, bleibt es dabei. Vorbei ist vorbei. Daher rate ich Ihnen von Besuchen bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber ab, bevor bei Ihnen das nicht Fleisch und Blut übergegangen ist. dass es vorbei ist.

Wahrscheinlich können diejenigen diesen „Vorbei ist vorbei“ Zustand besser erreichen, bei denen der Berufsausstieg so beschissen war, dass die sich sagen: „Das Berufsleben kann mich mal!“.

Viele sind froh - vielleicht manchmal auch mit einer gewissen Zeitverzögerung – dass Sie nicht mehr arbeiten müssen. Ein erbärmliches Zeugnis für die Attraktivität des Berufslebens.

Diejenigen die an sich noch gerne weiterarbeiten möchten, ist die über Jahrzehnte hochgezogene Intensität des Arbeitslebens ein Dorn im Auge. Es ist ein bisschen wie in der Physik: Leistung ist pro Zeitspanne umgesetzte Energie. Das Laufrad wurde immer schneller gedreht.

Denen das nichts ausgemacht hat, weil sie das Berufsleben als so eine Art Ausdauersport nach dem Motto „survival of the fittest“ betrachten und an sich noch gerne weiter arbeiten würden, regen sich über die jahrzehntelange Fremdbestimmung auf.

Ich habe nur von ganz wenigen gehört, die so wie bisher gerne weitergearbeitet hätten.

Für viele war das Berufsleben also nicht so toll, als dass es einem vor dem Ruhestand grauen müsste.

Daher müsste es, nachdem man den Berufsausstieg verdaut hat, doch relativ einfach sein, zu einer Na und! Scheißegal!-Einstellung zu gelangen.

Immer wieder hört man, dass viele – auch Gesunde – innerhalb von anderthalb Jahren nach ihrem Berufsausstieg sterben. Ich habe dafür keine belastbaren Belege gefunden.

Tatsache ist es aber, dass ich etwa anderthalb Jahre gebraucht habe, um nicht daran zu denken, dass ich nicht mehr arbeite. Jetzt bin ich weder froh noch traurig darüber.

Älter werden im (unfreiwilligen?) Ruhestand. Na und! Scheißegal!

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