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Drittes Kapitel: Die Türen

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Immer schon war Julian fasziniert von Türen gewesen. Der Reiz einer Tür liegt nämlich darin, dass man nicht sieht, was auf der anderen Seite ist. Es könnte nur die Besenkammer sein, vielleicht aber auch der Eingang in eine andere Welt.

Es gibt viele Arten von Türen und Julian kannte die meisten: seine Zimmertür, die Badezimmertür, die Haustür, die Kellertür. Es gab kleine, hölzerne Türen, wie in den steinernen Gebäuden der Altstadt. Es gab große, gläserne Türen, wie am Eingang zu Bürogebäuden, ganz wie jener graue Block eines war, in dem sein Vater arbeitete. Es gab dunkle Metalltüren und halbdurchsichtige Milchglastüren. Es gab sogar Türen, die gar nicht wie Türen aussahen. Auch ein Wandschrank konnte in Julians Augen eine Tür sein, auch ein tiefer Brunnen oder manchmal auch eine Ziegelwand am Bahnhof.. Doch von all diesen abertausend Türen, die es auf der Welt gab, führten die meisten lediglich in den Raum, der dahinter lag. Einige wenige dieser vielen, vielen Türen aber – und da war sich Julian ganz sicher – einige wenige Türen führten in eine andere Welt. Ganz so wie in den Geschichten.

Jede Tür konnte die richtige sein. Manche funktionierten vielleicht nur zu einer bestimmten Tageszeit, oder an einem bestimmten Tag im Jahr. Außerhalb dieser Zeitspanne waren es bloß einfache Türen. Doch zu bestimmten Momenten wurden sie zu Pforten ins Zauberland. Es war sehr schwer die richtige Tür zu finden. Julian suchte schon lange danach. Er war wie besessen von Türen.

Manchmal, spät nachts, wenn er von Zauberwelten träumte und dann plötzlich erwachte, wenn er dann im dunklen Zimmer jene graue Tür erblickte, die ins Badezimmer führte und wenn ein seltsamer Mondscheinschimmer durchs Fenster auf das Holz ebendieser Türe fiel, dann konnte Julian nicht anders, als dem Drang zu folgen, aufzustehen, sich der Tür zu nähern, die Klinke niederzudrücken und hoffend sich zu wünschen: „Öffne dich ins Zauberland, öffne dich ins Unbekannte.“ Doch stets fand er nur sein Badezimmer. Es gibt nichts Enttäuschenderes als den Anblick eines Badezimmers in der Nacht, wenn man doch die Pforte ins Wunderland erwartet hat. Dann kam der Morgen und die Suche ging von Neuem los.

Eines schönen Tages kam es zu einer unglücklichen Verkettung von Ereignissen. Julian war gerade auf dem Weg nach Hause. Er ging gerade durch die alten Viertel seiner kleinen Stadt, als ihm plötzlich, im Schatten einer schmalen Seitengasse, eine Tür auffiel, welche er bisher noch nie bemerkt hatte. War sie auch zuvor schon da gewesen?

Der Junge blieb stehen und starrte die Tür lange an. Sie war aus dunklem Holz und stellenweise schon ein wenig morsch. Um sie herum ragte eine alte, mit Moos bewachsene Ziegelmauer mehrere Stockwerke in die Höhe. Es war die einzige Tür in dieser Gasse.

Langsam schritt Julian darauf zu. Er konnte nicht anders. Er musste einfach versuchen, diese Tür zu öffnen. Täte er es nicht, so würde er sich vielleicht ein Leben lang die Frage stellen, was dahinter gewesen wäre. Höchstwahrscheinlich nichts Besonderes, doch vielleicht war ja diese eine Tür die Pforte ins Zauberland, die er sein ganzes Leben lang gesucht hatte.

Als Julian seine Hand nach dem Türknauf ausstreckte, spürte er einen seltsamen Luftzug, der zwischen den Ritzen des alten Holzes hervor drang. Der Junge schloss die Augen und hoffte inniglich, dass sein sehnlichster Wunsch in Erfüllung gehen möge. Dann öffnete er die Tür und trat ein.

Er kam nicht ins Zauberland und erblickte keine andere Welt. Dafür aber stand er nun am Anfang eines langen, finsteren Korridors mit vielen weiteren Türen. Eine davon, jene die am weitesten von Julian entfernt war, schien auf seltsame Art und Weise zu leuchten. Ein bläulicher Lichtschimmer drang aus dem Schlüsselloch hervor und fiel auf die gegenüber liegende Wand. Wie gebannt trat Julian darauf. Diese musste es sein.

Er streckte die Hand, drückte die Klinke nieder und trat in das Wohnzimmer einer alten Dame, die gerade dabei war sich umzuziehen. Empört schrie sie auf, als sie Julian erblickte. Dieser murmelte eine Entschuldigung und wollte schnell davon laufen. Da hatte ihn die alte Dame aber schon mit eisernem Griff am Handgelenk gepackt. Sie zerrte ihn zum Telefon und rief die Polizei. Julian wurde wegen Verdachtes auf versuchten Einbruch mitgenommen.

Zwei Stunden später war er endlich zu Hause. Seine Eltern waren außer sich vor Zorn. Sie wollten die Wahrheit wissen. Warum hatte er sich in das Haus in der Altstadt geschlichen? Julian wusste, dass sie die Antwort nicht mögen würden.

„Ich hab die Tür ins Zauberland gesucht“, sagte er.

„Nun hör doch endlich mit diesem Unsinn auf“, schrie sein Vater. „Es gibt kein Zauberland. Es gibt keine Zauberer und du wirst auch nie einer werden!“

Julian schwieg. Er wusste, dass es anders war. Seine Eltern schimpften noch eine Weile mit ihm. Als Strafe verboten sie ihm in Zukunft irgendein Buch zu lesen, in dem Zauberer vorkamen. Dann wurde er auf sein Zimmer geschickt.

Mitten in der Nacht wachte Julian plötzlich auf. Der Mond schien durch das Fenster und warf seltsame Schatten auf seine Badezimmertür, von welcher ein blasser Lichtschimmer ausging. Der Junge stand auf, trat auf die Tür zu und öffnete sie. Dahinter war das Badezimmer. Julian setzte sich auf den Boden und weinte.

Julian der Zauberer

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