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Das retrospektive Kaleidoskop.

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Der Morgen beginnt für alle Bewohner der ISS in der Küche des Wohnbereichs. Jeder Sektor verfügt über eine eigene Küche. Es gibt drei Sektoren: einen wissenschaftlichen, einen technischen, einen für die Steuerungspiloten. Normalerweise ist ein Roboter für den Haushalt in der Küche verantwortlich, er nimmt von jedem Bewohner der ISS Menübestellungen entgegen. Er kann die Bestellung auch von einem einzelnen Gruppenmitglied entgegennehmen, das über die persönlichen Vorlieben der anderen Bescheid weiß. Dabei handelt es sich meist um eine freiwillige Aufgabe, die in unserer Gruppe Samantha bereitwillig übernommen hat – so kann sie sich wie eine fürsorgliche Mutter um den männlichen Teil der Gruppe kümmern. Übrigens wusste Julia das Ganze ebenfalls zu schätzen. Ihr zartbesaitetes Wesen bedurfte der Fürsorge. Und wie in jeder eingeschworenen Gemeinschaft zählte keiner die Ausgaben, vielmehr kam alles nur von Herzen.

In dieser Welt wurde schon vieles zum Thema zwischenmenschliche Beziehungen geschrieben, gedeutet und interpretiert. Anhand von Laboruntersuchungen wurde aufgezeigt, dass eine Vorstellung wie die der Einmütigkeit gleich auf die der Liebe folgt. Und das ist nur allzu gut verständlich, denn was bedeutet schon „mein“ im Vergleich zu „unser“? In Summe lässt sich ein solches Team nur mit einem Kometen vergleichen, der am Firmament aufleuchtet, dabei eine gigantische Entfernung zurücklegt und seine Spur in der Ewigkeit hinterlässt. Dass so etwas nur selten vorkommt, dürfte uns allen bekannt sein. Hat man jedoch das Glück, einmal im Leben auf ein solches Team zu treffen und seine Entwicklung zu verfolgen, so gibt es mit Sicherheit keinen schöneren Anblick im Leben.

Ich blicke ein wenig in die Zukunft, wenn ich an dieser Stelle die Liebe in unserem Team anspreche, denn bisher denkt noch keiner daran. Wahrscheinlich ist sie zwischen einzelnen Gruppenmitgliedern bereits entflammt, obwohl noch niemand seine Gefühle offen gestanden oder angedeutet hat. Das Leben weiß genau, wann es dieses Lämpchen einzuschalten gilt, von dem das Gesicht eines Menschen zu leuchten beginnt, während sein Gesichtsausdruck dem eines Kindes ☺ gleicht, das soeben ein lebendes Küken erblickt hat.


***

Der folgende Tag beginnt mit der Morgenroutine. Einmal im Kreis um die Wohneinheit zu laufen, dauert elf bis zwölf Minuten, wobei etwa 3000 Meter zurückgelegt werden – eine hervorragende Distanz, um den Kreislauf in Schwung zu bringen. Als Erster läuft Michael los, daraufhin Habib, zuletzt schließt sich Kostja an. Normalerweise bestellt Samantha genau zu dieser Zeit das Frühstück für alle und nimmt regelmäßig Verbindung zu den Läufern auf, um die Bestellung mit den Daten des Personal Trainers abzustimmen, der die Chemie des Organismus im Auge behält.

Der Organismus gewöhnt sich rasch an das Leben auf der Station. Wenn er nicht gestört wird, funktioniert das System stabil. Auf der Erde gibt es zu viele Faktoren, die das menschliche Befinden beeinflussen, und normalerweise kann der Mensch diese Einflüsse nicht kontrollieren. Daneben treten zahlreiche sekundäre Einflüsse auf, die im Grunde nicht vorhersagbar sind ��: Wo und wie wird man von Magnetwellen durchdrungen oder von UV-Strahlen verbrannt? In der Summe nennt sich das „Extremum“. Das Leben findet dann in einer Extremsituation statt, wenn alles, wirklich alles um einen herum nicht zum eigenen Wachstum beiträgt, sondern die eigene Existenz aktiv beeinträchtigt.

Nachdem sie genügend Informationen eingeholt hat, bestellt Samantha das Frühstück beim Küchenroboter TKB – die Abkürzung steht für „Technischer Küchenbetreiber“. In dessen Aufgabenbereich fällt alles, was mit dem Essen und der Organisation dieses Prozesses zu tun hat. Er vergisst nie etwas, ist sorgfältig, pflichtbewusst und – darin sind sich alle einig – ein äußerst organisierter Roboter. Im Idealfall nimmt er selbst zu allen Kontakt auf.

Normalerweise sind die morgendlichen Treffen in der Küche Briefings, bei denen aktuelle Fragen erörtert und gemeinsame Maßnahmen besprochen werden. Trotzdem sind alle auch im Laufe des Tages online über den Hauptserver „ISS“ miteinander verbunden. Dieser wiederum wird von der elektronischen Schaltzentrale „ALL“ verwaltet.

Dabei handelt es sich um einen Super-Quantencomputer, der die Kommunikation sämtlicher Systeme und Mechanismen der ISS aufeinander abstimmt. Seine Möglichkeiten sind noch nicht gänzlich erforscht, er befindet sich im Stadium der Selbstvervollkommnung, und niemand weiß genau, wie lange das dauert. Es ist auch heute noch beeindruckend, wozu die künstliche Intelligenz in der Lage ist. Wie verwundert wären doch unsere Vorfahren gewesen, hätten sie die Möglichkeiten dieses Systems mit eigenen Augen gesehen!

In der Regel können nur wenige mit außergewöhnlichen Erfolgen prahlen, wenn sie auf ihren bisherigen Lebensweg zurückblicken. Insbesondere mit einigem zeitlichen Abstand erscheint der zurückgelegte Weg leicht und wenig komplex, und alle Drehungen und Wendungen kommen einem nur allzu bekannt und verständlich vor. Viele von uns haben darüber nachgedacht, ob sie diesen Weg im Wissen um alle Wendungen, die er mit sich bringen würde, schnell und ohne Verluste hätten zurücklegen können. Ist es da nicht viel angenehmer, an einer echten Geschichte teilzunehmen und zu erleben, wie präzise jeder einzelne Schritt im multiplen Raum der möglichen Lösungen abgemessen wird? Dadurch lässt sich meine Vision gewissermaßen rechtfertigen. Ich möchte Sie nicht in die Geschichte der Ereignisse einweihen, die der Bildung unserer Vordiplomantengruppe auf der ISS vorangegangen sind. Die wichtigsten Momente ihres Lebens spielen sich nämlich genau hier ab und bilden den Anfang einer neuen Ära auf der progressiven Leiter der menschlichen Evolution.

Das nächste morgendliche Briefing in der Küche unterschied sich durch nichts von den vorhergehenden. Kostja, welcher der physischen Vorbereitung diesmal etwas mehr Zeit gewidmet hatte, begab sich eilends in die Küche. Sein Personal Trainer teilte ihm Folgendes mit: „Kostja, nehmen Sie Brötchen nur in Maßen zu sich, Ihr BMI und Ihre Eiweißwerte liegen dagegen im Normbereich.“

Er bedankte sich beim Provider und beschleunigte seinen Schritt. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich alle weiteren Gruppenmitglieder bereits im Saal.

Als Kostja das Zimmer betrat, fiel sein Blick sofort auf Samantha, deren Gesicht einerseits Verwunderung, andererseits Empörung zum Ausdruck brachte.

Kostja, der sich die Hände abtrocknet, meint:

„Anscheinend haben wir eine interessante Woche vor uns. Wer hat sich die letzte Zusammenfassung von der Erde angesehen?“

Samantha lächelte und fuhr mit dem Frühstück fort.

Habib sah mit starrem Blick auf das vor ihm stehende Frühstück, als würde er die in den Lebensmitteln enthaltenen Moleküle zählen.

Julias Blick trifft auf den von Michael, welcher zustimmend mit dem Kopf nickt und spricht:

„Der schläft noch halb.“

Mit monotoner Stimme meint Habib:

„Wir müssen die Daten der Saharaproben noch einmal überprüfen und sie mit den Daten der Subtropen abgleichen.“

Julia trinkt ihren Cocktail fertig und schaltet das Übersichtsdisplay in der Mitte des Tisches ein:

„Schauen wir uns die Nachrichten an.“

In den Nachrichten wurde von der Aufhebung bedeutender Systeme im Bereich der zwischenstaatlichen Beziehungen berichtet, wenngleich die Existenz von Staaten aus juristischer Sicht bereits lange vorher abgeschafft worden war. Dasselbe gilt auch für die Grenzen zwischen solchen.

Die Sprecherin las die wesentliche These eines Dekrets über die Erde vor, das zuvor lange ausgearbeitet worden war. Die These war kurz und verständlich: „Die Erde stellt eine unteilbare Einheit dar, die weder einzelnen Gruppen noch Rassen gehören kann.“

Anschließend wurde knapp über den erneuten Einsturz der Erdoberfläche an mehreren Stellen berichtet. In Anbetracht der Gesamtlage erweckten derartige Berichte einen durchaus beunruhigenden Eindruck.

Michael schlug vor, die Nachrichten auszuschalten und den Arbeitstag gemeinsam abzustimmen. Er las folgende Mitteilung vor:

„ALL schlägt vor, dass zwei von uns die gestern eingetroffenen Studenten mit der ISS vertraut machen sollen.“

Kostja und Samantha tauschten Blicke aus und erklärten sich dazu bereit.

„Habib fährt mit dem Abgleich der Daten von der Erde fort, und du, Julia, machst die biochemischen Testanalysen der Kapselproben fertig“, sagte Michael.

Kapselproben stellen eine Innovation in der Erforschung der oberen Schichten der Planeten des Sonnensystems dar. Auf diese Methode kommen wir später noch detailliert zurück.

Michael selbst wollte sich der Erstellung des Zeitplans für die Referate zu den im vergangenen Monat durchgeführten Untersuchungen widmen. Am Wochenende war eine Telekonferenz mit dem wissenschaftlichen Beirat anberaumt, bei der die Gruppe von den Ergebnissen ihrer Arbeit berichten und konkrete praktische Untersuchungen für ihre Diplomarbeit vorschlagen sollte. Alle Gruppenmitglieder sind erfahrene Forscher, die sich darüber im Klaren sind, dass die Regeneration der Erdkruste mehrere Jahrhunderte dauern kann. Den Luxus, auf die natürliche Regeneration zu warten, kann sich die Menschheit nicht leisten, vielmehr werden neue Logarithmen zur Prozessbeschleunigung benötigt, denn das irdische Potential ist signifikant gesunken. In diesem Zusammenhang werden schon heute Ergebnisse benötigt.

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