Читать книгу G20. Verkehrsprobleme in einer Geisterstadt - Komitee 17 - Страница 7
DIE BARBAREN KOMMEN
ОглавлениеDie Tage des G20 hatten in vieler Hinsicht etwas Skandalöses, wenn wir an dieser Stelle einen Begriff der bürgerlichen Öffentlichkeit strapazieren dürfen, den sie selbst nicht anwenden konnte (sie war immerhin kurz davor). Es begann im Vorfeld mit den Nachrichten über die Größe der Sicherheitszonen, die eingerichtet werden sollten, und den Beschwichtigungen der Politiker, die dazu in keinem Verhältnis standen. Wie hatte Bürgermeister Scholz prognostiziert: »Wir richten ja auch jährlich den Hafengeburtstag aus. Es wird Leute geben, die sich am 9. Juli wundern werden, dass der Gipfel schon vorbei ist.« Das war eine Fehleinschätzung, die alle anderen Beschönigungen weit hinter sich ließ, ausgesprochen von einem Mann, der den besten Zugang zu jeder Information über die Vorbereitungen seiner Institutionen hatte.
Als am Anfang der entscheidenden Woche die Unterkünfte für anreisende Demonstranten ins Visier der Behörden gerieten, drohte die Stimmung in der Presse zu kippen. Mit welcher Unverfrorenheit Polizei und Ämter gegen verschiedene Camps vorgingen – in Entenwerder oder im Gählerpark –, fand kein Verständnis. Gerichtsentscheidungen, erst am Morgen erwirkt, waren am Mittag schon wieder übertreten. Anwälte sprachen von einer Aufhebung der Gewaltenteilung, von einem Putsch der Exekutive. Einsatzleitung und Innensenator diktierten Eskalation und Härte. Mit einem Kalkül, das jeder Legitimität Hohn sprach, befahlen sie ihre Maßnahmen: vom Abschotten der Schlafplätze, sodass keine Nahrung durchkam, bis zu Überfällen mit Schlagstockeinsatz und purem Vandalismus, Zerstörung aller Zelte und Habseligkeiten – Tag für Tag fielen die Medienberichte ungünstiger aus. Die Kriminalisierungsstrategie der Polizei war schon angelaufen, griff aber noch nicht. Auch die bewährten Muster des low-intensity-Rassismus: dass »Fremde« kommen sollten, kampieren wollten, der schwarze Mann aus dem Süden direkt vor den Toren der City lagern würde – sie reichten zur Einschüchterung nicht aus. Die Presse schien als Organ der »demokratischen Öffentlichkeit« zu funktionieren.
Erst die Ereignisse am Freitag brachten das Gros der Medien wieder auf Linie; dass mit diesem Einlenken die ungelösten Widersprüche verdrängt werden konnten, ist allerdings nicht anzunehmen. Die Irritation über die Vorkommnisse, die einer rechtsstaatlichen Übereinkunft Hohn sprachen, war bei einer Reihe von Journalisten einfach etwas zu weit gegangen; auch sie hatten eine gewisse »Sprachlosigkeit« erlebt. Daher bringt es wenig, angewidert vom wiederhergestellten Gleichschritt der Medien in irgendeine linke Nische abzutauchen und beleidigt sein Süppchen für die eigene Clique zu kochen. Bis zum Tag nach der Welcome-to-hell-Demonstration, also bis zum Freitag, 7. Juli, dem offiziellen Gipfelbeginn, war die Nachrichtenwelt keineswegs so gefügig wie am Ende des Gipfels, als nahezu alle Damen und Herren des Wortes das Feuer des irregulären Straßenfestes beschworen, um mit der Hitze ihrer geschmeidigen Empörung überall auf der Welt Schlagzeilen zu schreiben. Je weiter entfernt, desto höher brannten die Barrikaden. Schon in München oder Mailand stand vermutlich ganz Hamburg in Flammen. »Was soll das?« titelte die taz am Montag nach dem G20. Das Blatt ereiferte sich im Ton eines schreckhaften Ehepaares, für das der Elternabend zum Höhepunkt ihres sozialen Engagements geworden ist.