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Der rechte Boulevard ließ es wie üblich krachen. Mit den schwersten Kanonen donnerten die Redaktionen auf alles, was sie aus den eigenen Schlagzeilen so kennen, die Rote Flora vor allem. Das autonome Zentrum mitten im Unruheherd müsse endlich geschlossen werden, und für die Festgenommenen solle nichts anderes als eine Art Schnellgerichtsverfahren die richtige Lösung sein. Senats- und Polizeisprecher befeuerten die Stimmung der Hetze ganz offen in dieser Richtung: »zügig«, »rasch« und »unnachgiebig« werde man handeln, wieder mit der Versicherung unterlegt, für die »Ortsfremden« und »Zugereisten« sei ohnehin eine besondere Behandlung erforderlich.


GEFAHR IM ANZUG

Bleiben wir zunächst bei einem »Detail«, das in den Medien genauso konsequent übersehen wurde wie die Zahl der Verletzten oder das Ausmaß der Staatsgewalt, die Hamburg in Beschlag nahm. Schon in der Mitte der Woche vor dem Gipfeltreffen übertrafen die Manöver der Polizeikräfte alle Erwartungen. Während des Gipfeltreffens selbst sollen schließlich sämtliche Wasserwerfer Deutschlands in Hamburg gewesen sein, und nahezu alle Hundertschaften, die hierzulande für den Einsatz gegen Demonstrationen zur Verfügung stehen – immerhin weiß man nun, wie stark dieses Instrument ist und was es, zusammengezogen an einem Ort, ausrichten kann.

Nur ein »Detail« konnte es an Größe mit dem selbstherrlichen Getöse der Staatsgewalt aufnehmen: das Bild der leergefegten Straßen.

Vom Elbufer auf der ganzen Breite des Zentrums bis hinaus über den Flughafen war das Stadtgebiet zur Sicherheitszone erklärt worden, ein 38-Quadratkilometer-Riegel, in verschiedenfarbige Gefahrenbereiche unterteilt, der die Verbindungen vom Westen zum Osten praktisch vollkommen kappte. Hamburg glich am helllichten Tag einer Geisterstadt. Hauptverkehrsadern, kleine Nebenstraßen – alles stumm und leer, während über den Häusern ohne Unterbrechung das Knattern mehrerer Helikopter zu hören war, 5 Tage 24 Stunden. Nirgendwo in der Presse hat es Berichte gegeben, die diese Seite der globalen Event-Politik sichtbar machen wollten. Nicht nur den Bewohnern der gesperrten Viertel oder Geschäftsinhabern in der City, allen Hamburgern bot sich eine Situation ohne Beispiel. Nicht wenige hatten entschieden, es sei besser, die Stadt für diese Tage zu verlassen. Wer Angst hat, sollte nicht das Licht ausmachen und hernach andere fragen, wie man um Hilfe schreit.

Die zweitgrößte Metropole Deutschlands nicht nur im Umfeld der Veranstaltung oder im Zentrum, sondern großflächig fast eine Woche komplett lahmlegen, auf den leeren Straßen unablässig Kolonnen mit Polizeifahrzeugen verschieben, dazwischen gelegentlich Staatskarossen, ansonsten nahezu niemanden dort dulden. Die Verbliebenen mit allen möglichen Schikanen drangsalieren, sie außerhalb des Gesetzes stellen, in einen einsilbigen Ausnahmezustand, der seine Begründung aus der Bedeutung internationaler Machtfragen zog, kein Fünkchen an Rechtssicherheit mehr bot: Die Stadtbewohner waren präventiv kriminalisiert, als potenzielle Störer beäugt, angehalten, ausgefragt, an die Wand gedrückt, der Leibesvisitation unterzogen … eine symptomatische Anmaßung, die sich da als unumgängliche Notwendigkeit des weltpolitischen Termins etablierte. Neben den grobschlächtigen Herrscherfiguren neofeudaler Regime und aktueller Diktaturen stehen die Vertreter der Schaufenster-Demokratien mit den Säulen ihrer unsichtbaren Residenz in derselben pompösen Leere. Sie mögen daherkommen wie reiche Städter im Sonntagszwirn, aber sie kennen die urbane Realität nur als ein System von Achsen, das ihnen ein freies Schussfeld anbieten muss.

Im Gesicht einer Stadt kann es die unterschiedlichsten Formen und Kennzeichen besonderer Anziehungskraft geben, doch ein Element städtischer Schönheit ist ohne Zweifel, dass sie belebt ist. Dichte und Unübersichtlichkeit, wechselnde Perspektiven in die weitere Umgebung, das Vertraute mit dem Fremden gemischt, der Hauptbahnhof in einem Wohnviertel, Alltagsgeschäft neben Ankunfts- oder Abschiedsszenen, Architektur, die ihre Benutzbarkeit zeigt … davon war während des G20 in Hamburg nichts zu spüren. Den internationalen Gästen wurde eine betäubte Lebenswelt zu Füßen gelegt.

3 Die nationalistische Verwaltung sozialer Konflikte ist in Europa immer noch aktiv. In Frankreich sind es beispielsweise immer »Zugereiste aus Deutschland«, die von Presse und Polizei als besonders gefährlich eingestuft werden.

G20. Verkehrsprobleme in einer Geisterstadt

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