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II. Verhaftung

Lugau! Ich hatte es geschafft! Sofort nach meiner Ankunft ging ich direkt zur Chemnitzer Straße 1. An der Rezeption im Eingangsbereich des Betriebes fragte ich nach Adam und stellte mich wahrheitsgemäß als sein Bruder vor. Wortlos griff der Pförtner zum Telefon und rief irgendwo im Haus an. Danach informierte er mich, dass ich warten sollte. Endlich! Nach einigen Minuten sah ich Adam die Pforte betreten. Voller Freude und Dankbarkeit lief ich ihm entgegen. Als ich dem älteren Bruder, der für polnische Arbeiter sehr gut gekleidet war, endlich gegenüberstand, sagte ich leise und voller Bewunderung: „Du siehst aber gut aus!“ Seine Antwort überraschte mich nicht: „Aber du siehst wie eine Strohpuppe aus. Was macht die Spreu in deinen Haaren? Und deine Anzugjacke ist auch noch vom Winter mit Stroh bedeckt. Warte! Ich will dir etwas von dem Zeug abnehmen. Wir können doch so nicht durch die Stadt gehen.“ „Es ist egal wie ich aussehe“, entgegnete ich ihm. „Viel wichtiger ist doch, dass ich pünktlich und entsprechend meinem Plan bei dir angekommen bin.“ „Sei nicht zu euphorisch, mein Bruder! Denn jetzt gilt es erst einmal, deinen Aufenthalt hier in Lugau zu organisieren.“ Nach diesen Worten umarmten wir uns herzlich, dankbar für das Wiedersehen nach der langen Zeit, in der wir uns nicht gesehen hatten. Gemeinsam gingen wir anschließend bis zum Lager in der Zahngasse. In dieser schmalen Straße befand sich Adams „Pension“, die er mit einer kleinen Gruppe der sogenannten „Ostarbeiter“ bewohnte, deren Vertreter sich aus den verschiedenen Völkern der Sowjetunion zusammensetzten. Adam stellte mich zwar kurz vor, musste dann aber sofort wieder zur Arbeit zurück. So blieb ich unter der „Betreuung“ der Russen vorerst allein. Schnell kam ich mit ihnen ins Gespräch und interessiert hörten sie sich die Geschichte meiner Flucht an. Gegen 17: 00 Uhr kehrte Adam zurück, und wir begannen damit, die weitere Vorgehensweise zu besprechen. In diesem Zusammenhang gab mir Adam auch ein mit Schreibmaschine geschriebenes Infoblatt, auf dem etwas in fehlerhafter polnischer Sprache geschrieben stand. Er sagte: „Weißt du, dass deine Flucht eigentlich gar keinen Sinn ergibt? Die Deutschen werden dich schnell entdecken und dann wirst du wieder einsitzen. Lies dir bitte diese Warnung durch, die ich vor einiger Zeit vom Arbeitsamt bekam und die noch immer gilt.“


Arbeitsamt Lugau - Bekanntmachung!

An die polnischen Arbeiter in Deutschland!

Mit diesem Schreiben teilen wir Ihnen mit, dass Sie,Herr/Frau … im Winter 1940 nicht in Ihr Heimatlandzurückkehren können. Es besteht auch keine Möglichkeit, eine Erlaubnis zu erhalten, den Winter in Polen zu verbringen. Der geschlossene Vertrag ist ebenfalls noch im Jahre 1941 gültig. Sollten Sie diesen Vertrag nicht erfüllen bzw. heimlich Ihre Arbeitsstelle verlassen, wird dies als Sabotage betrachtet. In diesem Fall sehen wir uns gezwungen, Strafen anzuwenden, für die jeder selbst verantwortlich ist.

Unterschrift (leider unleserlich)

„Ich mache dir folgenden Vorschlag“, sprach Adam weiter. „Morgen spreche ich mit einem guten Bekannten beim Arbeitsamt, um für dich eine Arbeit in Lugau zu beschaffen. Die Deutschen brauchen jetzt überall Arbeitskräfte. Mutter kannst du in dem Generalgouvernement sowieso nicht helfen. Außerdem hat sie jetzt schon genug Sorgen und du würdest zusätzlich noch welche mitbringen. Wie denkst du darüber? Überlege es dir bitte gut, ich meine, dass du meinen Vorschlag nicht ablehnen solltest. Dieser Bekannte vom Arbeitsamt ist zu mir immer sehr nett und wäre uns eine gute Hilfe.“ ‚Richtig', dachte ich. Adam hat eigentlich Recht. Hier könnten wir zusammen sein und das Kriegsende, welches ja entsprechend unseren Informationen ganz nah sein sollte, besser und einfacher gemeinsam erleben. Ich stimmte daher seinem Vorschlag zu, was Adam mit deutlicher Zufriedenheit registrierte. Gegen Abend, zusammen in einem Bett liegend, setzten wir unser Gespräch fort. Adam erzählte mir von einem Jungen, der nur deshalb verhaftet wurde, weil er jemandem sein Kissen gezeigt hatte, auf dem ein polnischer Adler abgebildet war. Er hatte es nach dem Warschauer Aufstand mit hierhergebracht. Wie gern hätte ich die ganze Nacht weiter mit Adam geredet, aber die Proteste der anderen „Ostarbeiter“ im Zimmer, die ihre Arbeit um 6: 00 Uhr beginnen mussten, zwangen uns aufzuhören. Wir mussten darauf Rücksicht nehmen, dass sie in Schichten arbeiteten.

Dienstag frühstückte Adam bereits um 6: 30 Uhr. Als ich gegen 9: 00 Uhr erwachte, fand ich zwei Brötchen mit Butter, die er für mich aufgehoben hatte. Voller Dankbarkeit aß ich beide, trank dazu Malzkaffee und setzte meine Gespräche mit den Russen fort, die aus der Nachtschicht zurückgekommen waren. Sie staunten, dass ich ihre Sprache so gut beherrschte. Als sie hörten, dass ich im Jahre 1939 nach dem Überfall der Sowjetarmee auf Polen erst sieben Monate eine Schule im Osten Polens besucht und später bei der Bäuerin in Rukieten in Mecklenburg-Vorpommern zwei Jahre mit sowjetischen Gefangenen gearbeitet hatte, betrachteten sie mich sofort als einen von ihnen. Überschwänglich zeigten sie mir ihre Sympathie. Sogar ihre wertvollen selbst geschnippelten Tabakstängel, die sie in Zeitungspapier eingerollt hatten, wollten sie mit mir teilen. So beschäftigt verging die Zeit wie im Fluge und bald hörte ich Adam von der Arbeit zurückkommen. „Hey Alter! Ich sprach meinen deutschen Bekannten auf deine Situation an. Er teilte mir mit, dass dein Bleiben hier kein Problem sein wird. Wir haben morgen einen Termin, um die entsprechenden Formalitäten zu klären. Es ist so abgesprochen, dass wir zwischen 8: 00 und 9: 00 Uhr zu ihm kommen sollen.“ „Oh, das klingt gut! Sagte er vielleicht, wo ich arbeiten könnte?“ „Nein! Für solche Sachen ist das Arbeitsamt zuständig. Dieser Mann arbeitet bei der Stadtverwaltung, aber er kann viel helfen. Keine Angst, er ist in Ordnung.“ Ich fühlte mich etwas unwohl, aber Adam beruhigte mich. „Ach du, ich kenne ihn seit fast vier Jahren. Er half mir damals beim Wechsel der Arbeitsstelle. Du weißt ja, dass ich als Knecht bei Bauer Fritsch in Stolberg gearbeitet habe. Völlig ohne Probleme organisierte er mir damals die Stelle als Zeichner in Lugau.“ Ich dachte nach: ‚Richtig. Adam hatte hier eine gute Arbeit. Sie ist sauber und ruhig, keiner schreit oder verbreitet Hektik. Die Tanten Frania und Bronia von Mikołów, Tante Karnowska aus Czerwionka und Tante Stella aus der Nähe von Poznań, die über die grüne Grenze aus dem Generalgouvernement gekommen ist, senden Pakete mit Lebensmitteln, „Reisemarken“ und „Raucherkarten“. So ließ es sich gut leben. Kein Wunder also, dass es hier Brötchen mit Butter und Zigaretten der Marke „Juno“ ad libitum gab.‘ Mitten in meine Gedanken hinein hörte ich Adam sagen: „Mensch! Zerbrich dir nicht den Kopf! Es wird für uns beide reichen und gute Arbeit für dich finden wir hier auch. Lass das nur meine Sorge sein!“ Die Zeit beim gemeinsamen Unterhalten und Abendbrotessen verging schnell. Voller Freude, wieder zusammen zu sein, sangen wir noch ein paar Lieder, um danach müde schlafen zu gehen. Am nächsten Morgen, gleich nach dem Frühstück, gingen wir zum verabredeten Treffen. Der Weg führte uns durch eine seitliche Pforte weiter zur Verwaltung. Im Erdgeschoß stoppte Adam vor der zweiten Tür auf der linken Seite des Korridors. Leise klopfte er an und schaute vorsichtig hinein, um zu sehen, ob sein Bekannter schon anwesend wäre. Er war! Wir hörten sein: „Herein bitte.“ Adam stellte mich dem Angestellten vor, der steif wie ein Stock am Tisch saß. Nachdem dieser uns gebeten hatte, Platz zu nehmen, setzten wir uns auf die beiden Stühle in der Nähe seines Tisches. Er bat Adam, den gesamten Sachverhalt zu schildern. Am Ende seiner Ausführungen bedankte sich der Mann mit einem Lächeln und sagte, dass ich zwecks Klärung bestimmter Formalitäten noch etwas bleiben müsse. Zufrieden bedankte sich Adam. Zu mir gewandt hörte ich ihn sagen: „Auf Wiedersehen Bruder, länger kann ich leider nicht bleiben, ich muss zur Arbeit. Warte dann auf mich im Lager.“ Keiner von uns beiden konnte ahnen, was für eine Wende das Geschehen jetzt von einer Minute zur anderen nehmen würde. Kaum hatte Adam den Raum verlassen, griff der Angestellte in seine Schublade, holte einen Revolver heraus und schrie: „Steh auf! Hände hoch! Dreh dich um!“ Die Befehle kamen wie aus der Pistole geschossen. Völlig überrascht und ohne ein Wort zu sagen, stand ich von meinem Stuhl auf und drehte mich wie verlangt um. Mit dem Rücken zu ihm hob ich meine Hände hoch über den Kopf. Meine Gedanken überschlugen sich. Ich spürte den entsicherten Revolver im Rücken, während mich seine andere Hand gründlich von oben bis unten abtastete und alles aus meinen Taschen herauszog, was ich bei mir trug. Ganz genau überprüfte er das, was er fand, ehe er zum Tisch zurückkehrte und mir mitteilte, dass ich vorübergehend verhaftet sei. Beim Schreiben des Protokolls befragte er mich noch einmal allgemein über die Flucht und deren Ziel. Ich berichtete ihm, dass ich nur mit meinem Bruder zusammen sein wollte. Dem schenkte er jedoch keinen Glauben. Der Deutsche informierte mich, dass er mich morgen an die Gestapo Chemnitz übergeben würde. Meine Vermutung war, dass auch er zu ihnen gehörte. Er warnte mich, dass es besser für mich wäre, die Wahrheit zu sagen, weil dort andere Methoden zur Anwendung kämen, um alles schnell zu prüfen. Ohne eine Antwort von mir zu erwarten, rief er gleichzeitig bei der Polizei an, um meinen Abtransport zu veranlassen. Schweigend übergab er mir anschließend das fertige Protokoll zur Unterschrift. Völlig verzweifelt hatte ich keine andere Wahl, als es ohne weitere Einwände zu unterzeichnen.

Der herbeigerufene Polizist erschien sehr schnell. Er unterschrieb das Protokoll meiner Abholung und entsicherte seine Waffe. Ohne die Pistolentasche danach zu verschließen, steckte er sie dahin zurück. Es erfolgte die übliche Abmeldung beim Angestellten, dann öffnete er die Tür und befahl mir, drei Schritte vor ihm zu gehen. Auf der Straße angekommen, bekam ich jedoch zu meiner Überraschung die Erlaubnis, neben ihm gehen zu dürfen. Bis zum Kommissariat war es nicht weit. Ich wurde sofort in eine Kellerzelle von ca. viermal zweieinhalb Metern gebracht. Gegenüber der Tür befand sich ein kleines, vergittertes Fenster. Rechts stand eine hölzerne Pritsche, die etwas schief wirkte. Am Fußende lag eine graue, jedoch saubere und stark nach Desinfektionsmitteln riechende Decke. Beim weiteren Umsehen sah ich in der Ecke einen Abort stehen, der mit einem eisernen Deckel verschlossen war. Ich brauchte ihn nur kurz aufzumachen, um ganz genau über dessen Bestimmung Bescheid zu wissen. Meine Erkundungen waren damit beendet. Mit einem leichten Anflug von Sarkasmus sagte ich mir, wenn ich schon nicht Amerika entdecken würde, wäre es wohl in dieser Situation das Beste, mich einfach hinzulegen und zu schlafen. Mir war sehr wohl bewusst, dass ich in Anbetracht der auf mich zukommenden Dinge meine Kräfte von nun an sehr gut einteilen musste.

Geweckt wurde ich erst durch die Stimme des Aufsehers, der mir eine Schüssel mit einer wunderbar dickflüssigen, warmen Suppe und einer Scheibe Vollkornbrot brachte. Dankbar für diese Freude legte ich mich anschließend wieder auf den kalten Bretterboden der Liege und versuchte dabei, den Gestank der Decke zu ignorieren, die mich aber zumindest etwas vor der Kälte schützte. Mit positiven Gedanken an diese kleinen glücklichen Momente schlief ich ein.

Am Morgen hörte ich schon sehr zeitig den Schlüssel, mit dem meine Zelle geöffnet wurde. Ohne zu sprechen, stellte ich mich ans Kopfende der Pritsche. In der Tür zeigte sich ein älterer Polizist.

„Morgen, wie hast du geschlafen, Junge?“

„Guten Morgen Herr Wachtmeister! Gut, ich kann nicht klagen.“

„Dann nimm den Abort und komm mit mir mit.“

Ordentlich stellte ich den Deckel an die Wand und marschierte dem Polizisten hinterher. In der Toilette leerte ich das Gefäß aus und spülte es mehrmals ab. Dann wusch ich mich selbst mit dem kalten Wasser und war dankbar für die Seife und das Handtuch, die der Aufseher mitgebracht hatte. Zurück in meiner Zelle erhielt ich von ihm einen Besen mit dem Befehl, alles gründlich zu säubern. Nachdem ich also meine Decke zusammengelegt und die Zelle gekehrt hatte, setzte ich mich auf meine Pritsche und beobachtete durch das Fenster die Füße der vorbeilaufenden Fußgänger. Es dauerte nicht lange und der Polizist schaute wieder zu mir herein. Er schien mit dem Ergebnis zufrieden zu sein und sagte: „Na ja, mein Junge! Du hast ja ganz gut aufgeräumt. In wenigen Minuten ist Schichtwechsel und jemand anderes wird dir etwas zum Essen bringen. Anschließend wird man dich nach Chemnitz fahren.“

Genauso geschah es. Schon bald öffnete sich die Tür und der mir noch unbekannte Polizist begutachtete mich mit strengem Blick. Natürlich stand ich sofort von der Pritsche auf und begrüßte auch ihn laut und deutlich:

„Guten Morgen Herr Wachtmeister!“

„Oh! Du sprichst Deutsch. Das ist ja gut! Dann können wir uns während der Fahrt etwas unterhalten. Hier hast du dein Frühstück. In einer halben Stunde hole ich dich ab. Bis dahin hast du Zeit zum Essen.“ Die zwei dicken Brotscheiben mit Margarine und der wunderbar duftende warme Malzkaffee sorgten dafür, dass meine Gedanken etwas optimistischer wurden. Hoffnung keimte in mir auf. ‚Vielleicht werde ich doch noch irgendwie aus dieser fatalen Situation herauskommen‘, dachte ich still für mich.

Wie angekündigt, hörte ich ca. 30 Minuten später erneut das metallische Geräusch des Schlüssels im Schloss und die Stimme des Polizisten, der mich aufforderte, mitzukommen. Über die Treppe gelangten wir zum Erdgeschoss und weiter in die Schreibstube. Nachdem er meinen Empfang quittiert und alle anderen Formalitäten erledigt hatte, entsicherte er seine Waffe, steckte sie zurück in die Pistolentasche und wandte sich mir mit den Worten zu: „Solltest du einen Fluchtversuch planen, weise ich dich darauf hin, dass ich von meiner Waffe Gebrauch machen werde. Los jetzt! Geh' drei Schritte vor mir!“ Kaum hatten wir jedoch das Kommissariat verlassen, erlaubte auch er mir, direkt an seiner Seite zu gehen. Auf meine Frage, warum er mir solches Vertrauen schenkte, gab er mir zur Antwort: „Weil ich denke, dass du kein Krimineller bist, sondern nur ein einfacher Rappelkopf.“

Der Bahnhof war nur wenige Minuten entfernt. Als der Zug einfuhr, befahl mir mein Begleiter, in das von ihm ausgesuchte Abteil einzusteigen. Allerdings saßen dort bereits zwei Personen, die dieses jedoch auf Befehl des Wachtmeisters sofort verließen. Neugierig musterten sie mich, während sie an mir vorbeigingen. Der Polizist redete während der gesamten Fahrt ununterbrochen. Er erzählte von seiner Frau, über seine Kinder und die ganze Familie. Ähnlich wie all die anderen vorher fragte auch er mich nach Gründen und Details meiner Flucht. So verging die Zeit relativ schnell und erstaunt stellte ich fest, dass der Zug schon in den Chemnitzer Bahnhof einfuhr. Unser Weg führte uns durch mehrere Straßen bis zu einer frei stehenden Villa, an deren Pforte wir nun standen. Ordnungsgemäß überprüfte mein Begleiter erst seine Uniform, bevor er klingelte. Es dauerte eine ganze Weile, bis endlich ein Mann in Zivil öffnete, der uns nach einem kurzen Wortwechsel einließ und ins Foyer im Erdgeschoss des Gebäudes brachte. Einfach so wie eine Ware formell in den Gewahrsam der Geheimschutzpolizei übergeben zu werden, war ein ungutes und entwürdigendes Gefühl. Das Wort „Freiheit“ bekam für mich in diesen Zeiten einen völlig neuen Stellenwert.

Erinnerungen eines polnischen Zwangsarbeiters

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