Читать книгу Erinnerungen eines polnischen Zwangsarbeiters - Konrad Szumiński - Страница 11
ОглавлениеIII. Gestapo
Der Mann, der mich in Empfang genommen hatte, war noch relativ jung. Er zeigte auf eine Bank, auf die ich mich setzen und die nächste Aufforderung abwarten sollte. Auf Grund der frühen Uhrzeit herrschte reger Publikumsverkehr. Interessiert beobachtete ich die Männer und Frauen, die, nachdem man an der Pforte gewissenhaft ihre Dokumente geprüft hatte, über die Treppe nach oben gingen. Der Einlass war gleich mit mehreren dieser Kontrolleure besetzt und resigniert musste ich daher feststellen, dass es keinerlei Möglichkeiten für eine Flucht geben würde. Trotzdem gab ich meine Hoffnung auf Befreiung nicht auf und wünschte mir nichts mehr, als nach Lugau zurückzukehren. Die Zeit verging, aber niemand schien sich für mich zu interessieren. Da ich zur Toilette musste, fragte ich einen gerade vorbeigehenden Mann nach dem Weg. Höflich bedankte ich mich für seine Antwort, die kurz und knapp ausfiel: „Zweiter Stock, das Zimmer auf der rechten Seite.“ Ich begab mich auf die Suche. Das „Zimmer“ glich eher einem großen Saal, ähnlich einer Turnhalle. Auf der linken Seite befanden sich wie beschrieben die Toiletten. Im Raum hörte man das Stampfen mehrerer Schuhe. Vorsichtig öffnete ich die Tür. Einige der vielen Menschen, die dort standen, hatte ich bereits früh auf der Treppe gesehen. Kurz darauf erschienen vermutlich deren Vorgesetzte, denn nach einem lauten „Achtung!“ stellten sich alle Wartenden ordentlich in Zweierreihen auf. Während einer kurzen Ansprache, die ein SS-Offizier in schwarzer Uniform hielt, berichteten einzelne direkt beim Namen genannte Personen über die Situation ihres letzten Arbeitsplatzes. Die meisten von ihnen sprachen so schlecht Deutsch, dass sie bei den anderen Lachsalven auslösten. Man brachte diese Spaßvögel jedoch schnell mit einem barschen „Ruhe“ zum Schweigen. Nach ca. 30 Minuten ging „dieses Treffen“ zu Ende und ich verließ die Toilette. Zwei hübsche Mädchen liefen mit mir gemeinsam den Weg zurück, auf dem ich gekommen war. Eine davon fragte mich auf Russisch, welche Nationalität ich hätte und seit wann ich mit der Gestapo zusammenarbeiten würde. Mein auf Polnisch Gesagtes „Haut ab!“ quittierten sie mit eindeutigen Grimassen. Während sie sich entfernten, hörte ich noch, dass sie weiter über mich sprachen. Zurückgekehrt zu meiner Bank stellte ich fest, dass auf dem Flur und auch auf der Treppe ungewöhnlich viel Bewegung herrschte. Nach kurzer Zeit sah ich „meinen“ Betreuer, immer noch in Zivil, der auf mich zu eilte und schrie: „Wo warst du? Du hättest gefälligst die ganze Zeit hier sitzen sollen! Das ganze Büro ist in Alarmbereitschaft! Bleibe jetzt ja hier sitzen, ansonsten bekommst du von mir beim nächsten Mal solche Dresche, dass sie deine Leiche auf den Friedhof tragen können!“ Mit der Zeit beruhigte er sich und endlich konnte ich ihm erklären, wo ich war und warum. Stillschweigend und mit mürrischem Gesicht nahm er meine Worte zur Kenntnis, drehte sich um und rief jemandem an der Pforte zu, dass der Gefangene sich wieder eingefunden hätte. Die Tür ließ er vorsichtshalber offen, während er anschließend kurz ins Büro ging. Mit einer Akte in der Hand kehrte er zurück und befahl mir, mit ihm zu kommen. Wir gingen durch den Garten zum benachbarten Gebäude, durchquerten etliche große Räume mit vielen Stühlen und traten letztendlich in ein Büro, in welchem ein Angestellter saß. Ich stöhnte innerlich bei dem Gedanken, wie ich von einem zum anderen weitergereicht wurde. Wie schon damals bei meiner Verhaftung bekam ich die Aufforderung, mich mit erhobenen Händen und dem Gesicht zur Wand aufzustellen. Nach einiger Zeit durfte ich mich jedoch umdrehen und er erlaubte mir sogar, die Hände herunter zu nehmen. Ich folgte seiner Aufforderung, zu seinem Schreibtisch zu kommen. Nachdem er meine Personalangaben aufgeschrieben hatte, bekam ich den Befehl, genau über den Fluchtverlauf zu berichten. Er wollte alles wissen, woher, wohin, warum, wer half usw. … Noch während meiner Schilderungen schlug er plötzlich mit der Reitpeitsche auf den Tisch und schrie mir ins Gesicht: „Hör endlich auf, mir Märchen zu erzählen! Du kommst aus dem Warthegau und bist geflohen. Aber nicht vor der Arbeit, sondern aus einer Militäreinheit! Sag schnell aus welcher, ich habe keine Lust, hier Katz und Maus mit dir zu spielen! Und wenn du unter Vergesslichkeit leiden solltest, dann kann ich dir gern sagen, dass wir hier gegen diese „Krankheit“ eine ganz wunderbare Medizin haben. Sie holt deine Erinnerung ganz schnell zurück, glaube mir!“ Sein Vortrag nahm und nahm kein Ende. Erst, als er kurz Luft holte, konnte ich diesen kleinen Moment dafür nutzen, ihm schnell klarzumachen, dass ich nicht lüge und außerdem alles schon in Lugau ausgesagt hatte. Doch anstatt einer Antwort spürte ich einen brennenden Schmerz über dem Ellenbogen meines linken Armes. Instinktiv fasste ich mit der rechten Hand an diese Stelle. Im gleichen Moment durchzuckte der Schmerz nun auch meine Finger. Schnell senkte ich beide Hände und versteckte sie hinter dem Rücken. Zufrieden mit sich und meiner Reaktion legte der Gestapomitarbeiter die Reitpeitsche zurück auf seinen Tisch. Zum Glück war er vermutlich durch dieses Abreagieren etwas entspannter und sprach das Fahnenfluchtthema aus der Wehrmacht nicht noch einmal an. Trotzdem ging seine Fragerei immer noch weiter: „Du wirst mich hier nicht an der Nase herumführen. Hattest du überhaupt die Genehmigung, eine Fahrkarte zu kaufen? Sprich!“ „Ich habe die Strecke in drei Abschnitte geteilt. Keine war länger als 100 km und für jede von ihnen kaufte ich ganz legal eine neue Fahrkarte.“ „Was!? Hast du gehört Ernst? Schau wie clever diese Ausländer sind!“ Die Worte galten seinem Kollegen, der an der gegenüberliegenden Seite des Büros saß. „Na gut Szumiński, wir werden ja sehen, was wir mit dir machen. Jetzt stell dich wieder an die Wand!“ Wortlos folgte ich seinem Befehl. „Na los, mach schon! Dreh dich um, du Dummkopf!“ Offensichtlich hatte ich nicht schnell genug auf seine Anweisung reagiert. Diesmal musste ich die Hände nicht hochhalten. Hinter meinem Rücken hörte ich die Gespräche der Gestapo mit den anderen Häftlingen, manchmal auch deren plötzlichen Aufschrei, wenn sie geschlagen wurden. Dominierend aber war das bestialische Gebrüll der Funktionäre sowie deren Telefongespräche. In einem dieser Telefonate hörte ich, wie der für mich Verantwortliche um eine Verbindung mit Neustrelitz bat. ‚Bestimmt hinterfragt er jetzt meine Angaben‘, dachte ich. Während ich noch so meinen Gedanken nachhing, öffnete sich plötzlich die Tür und zwei Männer wurden ins Büro hineingestoßen. Genau wie kurz zuvor mir wurde ihnen befohlen, sich ebenfalls an die Wand zu stellen. So standen sie nun rechts und links von mir. Ich erfuhr, dass sie aus Belgien waren und genau wie ich einfach nur nach Hause wollten. Mitten während unserer leisen Unterhaltung hörten wir plötzlich das Gebrüll des Funktionärs: „Schnauze halten!" Ich versuchte noch, das Geflüster der Belgier zu unterbrechen, aber es war schon zu spät. Wild fluchend sprang er von seinem Schreibtisch auf und rannte auf uns zu. Unkontrolliert spürten wir seine Schläge mit dem dicken Stock auf unseren Körpern. Auch ich wurde nicht verschont und bekam meinen Anteil ab. Nach anfänglichem Schweigen vergaßen die Belgier offensichtlich das Geschehene und versuchten erneut zu sprechen. Wieder hagelte es Schläge, diesmal härter und länger dauernd. Sie verfehlten ihre Wirkung nicht. Von nun an herrschte Stille. Ab und zu gelang es uns, wenigstens etwas den Kopf zu drehen und so bekamen wir mit, dass eine Frau ins Zimmer kam, die mit ihrem Kopftuch wie eine Bäuerin aussah. Sie bat unseren „Betreuer“ in einer lauten Mischung aus deutschen und polnischen Wörtern um eine schriftliche Heiratsgenehmigung. Ihr Wortschwall wurde durch den hinzukommenden Dialekt noch zusätzlich erschwert. Der Beamte verstand nicht ein Wort. Er rief mich hinzu, um zu dolmetschen, was sie eigentlich will und wer sie zu ihm geschickt hätte. Ich übersetzte ihm, dass sie einen Mann kennengelernt hatte, der sie gern heiraten wollte. Als sie ihm von ihrer Schwangerschaft erzählte, setzte dieser Mann sie davon in Kenntnis, dass eine Heirat ohne die Zustimmung der Deutschen in solchen Fällen nicht möglich wäre. Das war der Grund ihres Anliegens. Trotz der tragischen Situation musste ich dabei lachen. Natürlich übersetzte ich ihre Bitte ordentlich. Der Deutsche hörte sich ihre Geschichte ohne große Emotionen an und erklärte ihr über mich, dass die Gestapo für solche Angelegenheiten nicht zuständig wäre. Sie müsste sich deswegen an den Bürgermeister wenden. Während er ihren Passierschein entgegennahm und unterschrieb, ließ er mich übersetzen, dass sie nun gehen könne. Als sie daraufhin immer noch stehen blieb und etwas erwidern wollte, brüllte er sie mit lauter Stimme an: „RAUS HIER! SOFORT RAAUUUS!“ Völlig erschrocken lief das Mädchen schnell aus dem Zimmer. Der Deutsche, erneut zufrieden mit sich, zeigte mir mit einer Handbewegung, dass ich nun wieder meinen Platz zwischen den beiden Belgiern an der Wand einnehmen solle. Das Telefon klingelte. Der für mich verantwortliche Beamte hielt den Hörer in der Hand und antwortete mehrfach nur „ja, ja, ja…“. Mit einem höflichen „Danke“ beendete er das Gespräch und legte den Hörer auf die Gabel zurück. Ein Fremder hätte denken können, es mit einem gut erzogenen Angestellten zu tun zu haben. Wahrscheinlich hatte er in diesem Moment sogar selbst diese Meinung von sich. Die Minuten vergingen langsam. Eine Zeitlang war es still im Raum. Doch ehe ich mir darüber Gedanken machen konnte, rief er mich noch einmal zum Tisch. Diesmal durfte ich mich sogar auf den Stuhl ihm gegenüber setzen. Er teilte mir zu meiner großen Freude mit, dass meine Angaben vollständig bestätigt wurden. Darum war es also in dem Telefonat gegangen! Nachdem er mich davon informierte, dass nun nur noch ein Abschlussprotokoll vorbereitet werden müsse, schrieb er etwas in die bereits fertigen Formulare. Ab und zu musste ich ihm dazu noch einige Fragen genauer beantworten. Die nachfolgenden Worte kamen mir wie ein Wunder vor. Ich hörte ihn sagen, dass er seinem Chef eine Genehmigung hinsichtlich meiner Rückkehr nach Lugau vorschlagen würde. Noch während er sprach, zeigte er mit einer kurzen Handbewegung Richtung Wand, wo ich auf ihn warten sollte. Er selbst ging ins Nachbarzimmer, von wo er jedoch nach extrem kurzer Zeit mit hochrotem Gesicht zurückkehrte und mich mit scharfem Ton erneut zu seinem Tisch rief. Dieser Sinneswandel kam für mich völlig unerwartet. Ich sah, wie er seinen Revolver aus der Jackentasche zog und diesen hinter den Hosengürtel steckte. Meine Hoffnung schwand immer mehr, endlich wieder frei zu sein. Während er mir die Handschellen anlegte, bekam ich die gleichen Worte zu hören, die ich schon zur Genüge kannte. In aller Deutlichkeit machte er mir klar, was mir im Falle eines Fluchtversuches passieren würde. Wieder musste ich vorangehen. Auf dem mir bereits bekannten Weg durch den großen Saal mit den vielen Stühlen verließen wir die Baracke. Weiter ging es durch den Garten in Richtung Straße. Dort angekommen bekam ich endlich die Antwort auf meine unausgesprochenen Fragen. Vermutlich musste er diese Show vor seinem Chef so abziehen. In nun ruhigem Ton und mit der gleichzeitig neu erteilten Erlaubnis, wieder neben ihm gehen zu dürfen, informierte er mich von dem Gespräch mit seinem Chef, der seinen Vorschlag leider mit wütendem Schimpfen abgelehnt hatte. Er erwähnte aber auch, dass ich die Hoffnung noch nicht aufgeben solle. Bis dato wäre nicht alles verloren, da der Ablehnungsbescheid noch von einem höheren Vorgesetzten bestätigt werden müsse. Er machte mir u. a. damit Mut, dass dieser Chef auch den Arbeitskräftebedarf in der Region bei Entscheidungen dieser Art berücksichtigen würde. Nun war mir klar, warum er mit so einem roten Gesicht vom Chef zurückgekommen war. Unser „Spaziergang“ dauerte nicht lange. Schon bald überquerten wir einen großen Platz und betraten über eine breite Treppe das große Gerichtsgebäude. Von dem erhöht liegenden Erdgeschoss ging es weiter nach unten. Durch eine große Tür gelangten wir zu einem asphaltierten Hof, der zu dem mehrstöckigen Gefängnisgebäude gehörte. Das gesamte Gelände war von einer hohen Mauer umgeben. Meine Übergabe an den dort zuständigen Aufseher erfolgte gleich im Foyer und dauerte diesmal nicht lange. Auf unserem weiteren Weg innerhalb des Gebäudes passierten wir mehrere vergitterte Türen, die eine nach der anderen von meinem Begleiter sofort wieder vorschriftsmäßig abgeschlossen wurden. Angekommen im gegenüberliegenden Erdgeschoss des Treppenhauses führte er mich in eine große Zelle. Es gab weder einen Stuhl noch eine Pritsche. Das einzige „Möbelstück“ war ein großer Abort. Müde und schrecklich hungrig versuchte ich, mir mit dem Gedanken Mut zu machen, dass der Mann von der Gestapo mir einen Rest Hoffnung mit auf den Weg gegeben hatte. Obwohl ich mich auf den blanken Fußboden legen musste, schlief ich sofort ein. In dieser Nacht störte man meinen Schlaf nicht mehr, allerdings bekam ich dadurch auch kein Essen.