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4. Die Christianisierung der Vandalen

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Es ist bezeichnend für unsere beklagenswert geringen Kenntnisse bezüglich der vandalischen Ethnogenese, dass wir kaum etwas Sicheres über die Begegnung dieser gens mit dem Christentum wissen. Fest steht nur, dass die Vandalen bereits Christen waren, als sie nach Africa übersetzten, und zwar solche mit einer geradezu kämpferischen Auffassung von der eigenen göttlichen Erwählung. Schon 422 n. Chr., in der so glücklich für sie ausgegangenen Entscheidungsschlacht in Andalusien gegen den römischen General Castinus, scheinen sich die Vandalen der tödlichen Bedrohung mithilfe der wie ein Talisman vorangetragenen Heiligen Schrift entgegengestellt zu haben.96 Dass sie sich aus ihrer höchst gefährlichen Lage nicht nur befreien konnten, sondern sogar siegten, muss wie ein Wunder gewirkt und, wie oft in solchen Fällen, die Überzeugung genährt haben, nun in göttlicher Mission unterwegs zu sein. Namentlich für ihre Herrschaft in Africa ist das mehrfach überliefert.97 Salvian von Marseille, ein zeitgenössischer Priester, lobt sie dafür in seiner Schrift Die göttliche Weltregierung und stellt sie den lauen Christen der Romanitas gegenüber. Dem steht aber das Zeugnis des ebenfalls zeitgenössischen Orosius für die Jahre 409–414 n. Chr. gegenüber, in dem die Vandalen (in seiner Heimatprovinz Galicien) als infideles bezeichnet werden, also als Heiden.98 Da nun schwer vorstellbar ist, dass Orosius ihr Christentum übersah99 oder dass in diesen wenigen Jahren eine vollständige Konversion stattfand, scheint eine stufenweise Christianisierung mit einer Differenzierung nach Schichten wahrscheinlicher zu sein.

Bislang überwiegt in der Forschung die Auffassung, die Vandalen seien in Spanien durch die Westgoten christianisiert worden. Aber das müsste binnen zweier Jahre geschehen sein, die von erbitterten Kämpfen geprägt waren und in denen Kontakte, die eine solche Missionierung vorstellbar machen könnten, nicht bezeugt sind. Auch die Lösung, dass die Vandalen insgesamt in Africa anfangs nur ganz oberflächlich christianisiert waren,100 ist kaum überzeugend. Ihre Gegner in Africa hätten liebend gern auf heidnische Relikte bei ihnen hingewiesen (schweigen aber davon), und wie hätte Geiserich den christlichen Glauben als Mittel der Einigung und Motivierung seiner Vandalen nutzen können, wenn diese ihn nur sporadisch und nach außen hin teilten?

Vielmehr dürften bereits im 4. Jh. und schon in Mitteleuropa Teile der Vandalen durch Vermittlung der ihnen benachbarten Goten das Christentum angenommen haben, und zwar in der Variante, in der es auch für die Goten bestimmend wurde: einer auf den Theologen Arius zurückgehenden Vorstellung von der Dreifaltigkeit als einem hierarchischen System, in dem nur der Vatergott ewig, der Sohn aber sein Geschöpf ist, der Geist wiederum Diener des Sohnes ist.101 Von den Gegnern wurde dies (bereits auf dem ersten Ökumenischen Konzil 325) als Häresie angesehen und deshalb ‚Arianismus‘ genannt.102 Für die Goten dagegen, die diese Theologie in der Mitte des 4. Jhs. kennenlernten, etwa durch den berühmten Gotenapostel, Bischof und Übersetzer Wulfila (ca. 310–383), war es einfach die christliche Theologie; denn im Osten des Reiches war diese Richtung damals tatsächlich vorherrschend. Dass sich dann im Imperium Romanum unter Kaiser Theodosius (379–395) eine andere Richtung durchsetzte, wurde ihnen erst später bewusst.103

Die Christianisierung der Goten (genauer der Terwingen), die schon in konstantinischer Zeit begann, fand nicht, wie bei anderen germanischen gentes, von oben nach unten statt, sondern sie begann umgekehrt an der Basis. Dementsprechend gab es Abwehrreaktionen der gotischen Oberschicht, die, von den 340er bis in die 370er Jahre, in mehrere Christenverfolgungen mündeten.104 Ob nun in diesem Zusammenhang oder im Zuge anderer Kontakte: Christliche Goten, die wiederum ihre Wulfila-Bibel und ihren Glauben mitbrachten, werden zu den benachbarten Vandalen gekommen sein. Wie bei den Goten dürfte aber die vandalische Führungsschicht weiterhin ihren alten religiösen Traditionen gefolgt sein. Auch auf der Wanderung nach Westen, so lässt sich vermuten, gab es heidnische und christliche Vandalen nebeneinander. Spätestens vor der Schlacht von 422 aber muss sich das aber, wie gesagt, geändert haben.

Leider sind wir über die genaueren Umstände dieser Jahre in Spanien kaum informiert, müssen uns also, wenn wir eine Rekonstruktion versuchen wollen, auf der Grundlage von Hypothesen bewegen: Eine Konversion des Königshauses unmittelbar vor der Entscheidungsschlacht könnte erklären, wie es Gunderich und Geiserich gelang, ihren radikalen religiösen Schwenk allseits akzeptabel zu machen, auch für die Anhänger der früheren Kulte. Der Christengott war der Retter aus höchster Gefahr gewesen, unter seinem Schutz hatte man die entscheidende Schlacht gewonnen, so wie es gut 100 Jahre früher christliche Autoren von Konstantin in der Schlacht an der Milvischen Brücke erzählten und wie es am Ende des 5. Jhs. der Frankenkönig Chlodwig in der Schlacht gegen die Alamannen getan haben soll.105 Der religiöse Gegensatz, der für derartige Zuspitzungen nötig ist, war dadurch gegeben, dass Castinus und sein Heer für die (katholische) Reichskirche standen, Gunderichs Vandalen aber für ein zwar ebenfalls christliches, aber abweichendes Bekenntnis.

Wir hätten damit die wohl einzige Schlacht vor uns, die in dieser Form von der arianischen Kontroverse ‚aufgeladen‘ worden wäre, und man könnte einwenden, dass dies doch einen Widerhall in den Quellen gefunden haben müsste. Aber wir erfahren über diese wichtige Schlacht eben nur etwas aus der Chronik des Hydatius, für den die vandalische Sicht irrelevant war. Dieses Desinteresse hielt an. Wir wüssten zweifellos mehr über die ‚Bekehrung‘ der Vandalen, wenn diese einen Geschichtsschreiber gefunden hätten; aber das war nicht der Fall.106 Falls die hier vorgestellte Rekonstruktion das Richtige trifft, falls also Königshaus und Oberschicht erst im Zusammenhang mit der ‚göttlich gelenkten‘ Entscheidungsschlacht das Christentum annahmen, wären jedenfalls zum einen die unterschiedlichen Aussagen zur Christianisierung der Vandalen erklärt, zum anderen aber auch deren auffällige Behauptungen, Gott selbst habe ihnen das afrikanische Land übertragen.107 Dass sie Unterstützer hatten, vermuteten später übrigens auch ihre Gegner; diese dachten dabei aber nicht an einen göttlichen Helfer, sondern an einen römischen General.

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