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III Die Eroberung Africas 1. Wurden die Vandalen nach Africa eingeladen?
ОглавлениеWer diese Frage stellt, muss sich zunächst wieder mit einer Verrats-Hypothese auseinandersetzen: Bonifatius, der Militärchef Africas, soll es gewesen sein, der die Vandalen in sein Land und zu Hilfe holte, um sich gegen seine römischen Gegner zu sichern.1 Wieder haben wir, wie im Fall des Gerontius, den historischen Kontext und die Quellenlage genau zu prüfen.
Die Sache liegt insofern anders, als dass wir tatsächlich wissen, dass Bonifatius (seit 423 n. Chr. Oberbefehlshaber in Africa) in den Jahren vor dem Vandaleneinfall mit der römischen Zentrale und dem seit 425 n. Chr. dort dominierenden Heermeister Felix im Streit lag;2 auch verfügen wir über klare antike Zeugnisse für Bonifatius’ Bündnis mit dem späteren Feind. Dennoch ist der General wohl ‚freizusprechen‘. Um mit der Quellenlage zu beginnen: Tatsächlich haben wir nur späte Nachrichten, die Bonifatius belasten, während alle Quellen aus dem 5. Jh. nichts von seinem angeblichen (fatalen) Fehlgriff bei der Suche nach Bundesgenossen berichten. Dies gilt für Zeitgenossen, die den Vandaleneinfall erlebten (wie Augustinus oder Possidius),3 aber auch für Autoren, die die Geschehnisse mit etwas Abstand betrachten, wie Hydatius, Victor von Vita und Prosper Tiro.4 Anstatt für sie alle verschiedene Gründe dafür zu suchen, warum sie hier schweigen, ist es einfacher, von ihrem Nichtwissen auszugehen. Die Tradition von Bonifatius als Vandalen-Komplize dürfte sich also erst später gebildet haben. Prokop kannte um die Mitte des 6. Jhs. eine fast novellistisch ausgearbeitete Erzählung davon, und wahrscheinlich stand die Geschichte auch schon bei Cassiodor, jedenfalls findet sie sich bei Jordanes.5
Unser zweiter Prüfstein ist der historische Zusammenhang. Hier ist zuzugeben, dass Bonifatius, anders als Gerontius, Motiv und Gelegenheit für die ‚Tat‘ hatte. Denn er war nachweislich vorher (schon 426/427) als illoyal verdächtigt worden, war zum Rapport nach Ravenna zurückbefohlen worden, hatte sich aber widersetzt und zunächst wohl seine afrikanischen Unterfeldherren, die nun auf Befehl der Zentrale gegen ihn vorgehen sollten, ausgeschaltet.6 Ihm muss klar gewesen sein, dass der Kaiser (bzw. Felix, die treibende Kraft am Hof) nun den Einsatz erhöhen würde, und somit war der Zeitpunkt gekommen, sich nach schlagkräftigen Verbündeten umzusehen. Genau das hat er offenbar auch getan, bevor 428 sein neuer Gegner, der General Segisvult, mit einem Heer in Africa landete. Beide Seiten suchten jedoch die militärische Entscheidung zu vermeiden, und 429 n. Chr. kam es tatsächlich zu einer Einigung und zu einer Restituierung des Bonifatius, ohne dass wir Genaueres darüber wüssten. Glücklicherweise haben wir aber von der ersten Phase der Auseinandersetzung einen knappen Bericht in der Chronik des Prosper Tiro:
„Bonifatius, dessen Macht und Ruhm in Africa sich vermehrte, wurde in öffentlichem Auftrag und entsprechend dem Urteil des Felix bekriegt; denn er hatte sich geweigert, nach Italien zu kommen. Anführer waren Mavortius, Galbio und Sanoex, durch dessen Verrat Mavortius und Galbio umgebracht wurden, während sie Bonifatius belagerten; bald darauf wurde er selbst von Bonifatius, nachdem sein Doppelspiel entdeckt worden war, getötet. Daraufhin geschah es, dass den gentes, die bis dahin nicht wussten, wie Schiffe [gemeint: auf dem Weg nach Africa] einzusetzen sind, das Meer eröffnet wurde; denn sie wurden von den Widersachern [d.h. Bonifatius und seinem neuen Gegner] zu Hilfe gerufen. Die Verantwortung für den gegen Bonifatius begonnenen Krieg wurde Segisvult übertragen.“7
Alles hängt nun davon ab, wer die genannten gentes waren. Dass Segisvult mit gotischen Truppen nach Africa übersetzte, ist bekannt.8 Will Prosper sagen, dass Bonifatius sich gegen diese mit vandalischen Kämpfern sichern wollte? Gewichtige Gründe sprechen dagegen: Nachweislich sind die Vandalen in toto erst 429 nach Africa gekommen, Prosper spricht aber schon für 427/428 n. Chr. von tatsächlichen – sicher durch das römische Militär – ermöglichten Überfahrten: Sind die vandalischen Reiter also später wieder freiwillig nach Spanien zurückgekehrt oder einfach in Africa geblieben? Das eine wie das andere wäre eine Vermutung ohne irgendeinen Anhaltspunkt in den Quellen – und in sich auch wenig plausibel: Gunderich und Geiserich wussten genau, dass Ravenna ihre gens nicht nach Africa lassen würde (s.o.). Warum hätten sie sich dann von einem erheblichen Teil ihrer Krieger trennen und so das Risiko eingehen sollen, dass Bonifatius mit ihnen Politik machte? – sie waren die Lebensversicherung der gens.9 Die Vandalen hatten zu dieser Zeit bereits Erfahrungen mit der mediterranen Seefahrt, wenn auch erst seit kurzer Zeit, wie wir gesehen haben. Schließlich fährt Prosper im nächsten Eintrag seiner Chronik folgendermaßen fort: „Der Stamm der Vandalen ging von Spanien nach Africa hinüber.“10 Es fällt schwer anzunehmen, dass Prosper hier die Vandalen stillschweigend mit einer der zuvor genannten gentes identifizieren wollte. Denn dies hätte die vandalische Eroberung ja in ganz anderem Licht erscheinen lassen, was der Autor angesichts seines Interesses für diese Katastrophe11 kaum der Kombinationsgabe des Lesers überlassen hätte.
Die Frage ist also, welche germanischen Foederaten Bonifatius herbeiholte. Prosper spezifiziert das nicht, weil es ihm um eine andere Aussage geht: Die barbarischen gentes insgesamt haben vom afrikanischen Bürgerkrieg profitiert, weil ihnen dadurch der maritime Zugang zu diesem bislang verschlossenen Reichsteil eröffnet wurde. Dass diese Gesamtinterpretation seine Formulierung bestimmte, zeigt die (eben zitierte) unmittelbare Fortsetzung, die ihn die tatsächliche Chronologie zugunsten dieses Zusammenhangs vernachlässigen ließ; denn das schicksalshafte Übersetzen der Vandalen (samt Alanen und Angehörigen anderer Stämme12) 429 n. Chr. wurde von ihm auf diese Weise um zwei Jahre vordatiert. Aus dieser Perspektive Prospers ergibt sich nun aber, dass der Plural der von ihm genannten gentes nicht für eine konkrete, nummerierbare Mehrzahl steht: Es sind die Barbaren ‚an sich‘. Bisher war ihnen die Seefahrt nach Africa verschlossen, nun aber kannten sie den Weg.
Wenn wir heute danach fragen, wen die afrikanischen Gegner denn nun tatsächlich ‚anheuerten‘, ist Prosper nicht mehr zu entnehmen, als dass es (da sie gegeneinanderstanden) verschiedene gentile Einheiten waren und dass nicht konkret die Vandalen gemeint waren. Es dürfte sich überwiegend um gotische Truppen gehandelt haben, die damals üblicherweise auf allen Seiten kämpften.13 Die spektakulären früheren gotischen Fehlschläge, Africa per Schiff zu erreichen (410 und 415), bildeten dann für Prosper tatsächlich den Kontrast zur neuen Situation, die die Überfahrt der Vandalen ermöglichte.14
Wenn man aber das angebliche Bündnis mit den Vandalen als noch weitergehend ansieht, in dem Sinne, dass Bonifatius die Vandalen nicht nur als Hilfstruppen benutzte, sondern ihnen sogar Teile Africas überlassen wollte, bleibt unerklärlich, warum er sich, als sein Kalkül aufgegangen war, nicht dementsprechend verhalten hat. Es ist bezeugt, dass er in Ravenna erst rehabilitiert wurde, als die Vandalen schon in Africa standen und er sich zum Widerstand gegen sie rüstete.15 Warum also hätte er die angeblich geplante Teilung Africas mit den Vandalen nicht, als sie übergesetzt waren, auch angehen sollen, da ihn, der persönlich weiter bedroht war, ja niemand daran hindern konnte? Dass der General schnell zur Besinnung kam – ‚Was habe ich da getan?‘ –, ist in diesem Szenario vollkommen unwahrscheinlich, passt aber gut zu einer späteren Konstruktion und zu einer Perspektive ex post, d.h. zum definitiven Verlust Africas für das Reich. Noch zehn Jahre später hatte niemand diesen Ausgang absehen können.
Der Grund, warum hier die in der Forschung verbreitete Verratsthese (wie bereits der Fall des Gerontius) relativ ausführlich diskutiert wurde, ist, dass es für das Verständnis der besonderen Situation des Vandalenreiches wichtig ist, den Charakter ihrer Installation auf Reichsgebiet zu betonen. Kein foedus hatte sie berechtigt, keine römische Autorität sie gerufen oder in Dienst genommen, sie hatten nichts bekommen, sondern sich alles nur genommen.
Dennoch könnte man die Frage dieses Kapitels positiv beantworten. Es war jedoch keine konkrete Person, die die Vandalen nach Africa einlud, es waren historische Konstellationen. Sowohl über den aktuellen Bürgerkrieg als auch über die dauerhafte militärische Schwäche der römischen Verteidigung Africas waren die Vandalen informiert. Sicher wussten sie auch, dass Bonifatius ziemliche Mühe hatte, seinem rasch zusammengebrachten Foederatenheer Disziplin und Loyalität beizubringen.
Das römische Militär in Africa war prinzipiell eingeteilt in eine Bewegungstruppe und eine ortsstabile Grenztruppe (limitanei). Letztere war in Africa mehr oder weniger geeignet, Einfälle von Räuberbanden und maurischen Stammesgruppen, die im Provinzialgebiet plündern wollten, abzuwehren. Gegen ein vandalisches Heer, das (bei 80.000 Menschen insgesamt) sicherlich eine vierstellige Zahl an Kämpfern zählte, darunter zahlreiche Reiter, und das mittlerweile durchaus kampferfahren war,16 war diese Truppe völlig chancenlos. Einzig Bonifatius mit dem Bewegungsheer konnte hier etwas ausrichten. Dessen genaue Stärke kennen wir zwar nicht, wissen aber, dass Segisvult es offenbar mit seinem sicherlich nicht gerade gewaltigen Expeditionscorps neutralisieren konnte. In Africa hatte es für Rom seit Langem keinen Feind mehr gegeben, der ein großes Heer auf die Beine brachte; deswegen waren die römischen Truppen immer mehr ausgedünnt worden.17 Einen letzten großen Aderlass bedeutete wahrscheinlich das gescheiterte Abenteuer eines Vorgängers von Bonifatius namens Heraclianus, der 413 n. Chr. in Italien die Macht ergreifen wollte und dazu sicher seine Bewegungstruppen mitgenommen hatte. Ob sie nach seinem Scheitern wieder zurückgeschickt wurden,18 ist angesichts des chronischen Soldatenmangels in Italien sehr fraglich.19