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I Einleitung

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Vandalen gibt es überall, so scheint es. Die Zerstörung von Kulturgütern als eine Art Negierung oder Pervertierung ihrer Werte ohne erkennbaren Sinn ist überall anzutreffen, und zwar gerade an Orten, die von der Allgemeinheit aufgesucht werden, seien es Bushaltestellen oder Internetseiten. Gewöhnlich bezeichnen wir dieses Phänomen mit einem historisierenden Begriff als ‚Vandalismus‘, was auf einen antiken Volksnamen zurückweist, den der Vandalen. Dies sichert den ‚echten‘ Vandalen immerhin eine gewisse Aufmerksamkeit. Wer sich näher mit dieser gens (so die antiken Quellen) beschäftigt, steht vor der Frage, was denn an den Vandalen so besonders war, dass sie als einziger antiker germanischer ‚Stamm‘ (so könnte man gens übersetzen) zu einem Schimpfwort geworden sind. Ihren historischen Ort hat diese – sachlich ungerechtfertigte, wie wir noch sehen werden – Begriffsprägung allerdings nicht in der Antike, sondern in der beginnenden Neuzeit.1 Die grundsätzliche Frage nach der Besonderheit der Vandalen ist jedoch eigentlich die Kernfrage jeder geschichtlichen Betrachtung und deshalb auch für dieses Buch wichtig. Sie kann nur im historischen Zusammenhang beantwortet werden und nicht losgelöst von den Strukturen des Römischen Reiches jener Zeit.

Dass uns die Vandalen und ihr Schicksal heute noch faszinieren, kann man auf dreierlei zurückführen: auf den erstaunlich langen Weg, den sie mit Frauen und Kindern quer durch Europa und Nordafrika zurückgelegt haben, auf das Bild der kleinen Schar siegreicher, wilder Barbaren im üppigen, sonnigen Römerland am südlichen Mittelmeer und auf ihren rätselhaft schnellen Untergang trotz einzigartiger Erfolge gegen scheinbar übermächtige Gegner. Diese Faszination ist auch durch verschiedene romantische Vorstellungen bestimmt, etwa die eines wie auch immer gearteten Stammescharakters der Vandalen, der sich unverändert wie im mitteleuropäischen Ursprungsgebiet so auch in Africa zeigte.2

Die Suche nach einer ‚Identität‘ der Vandalen ist, wie sich zeigen wird, wenig sinnvoll. Weiter kommt man bei der für das Thema des vandalischen Königreichs wichtigen Frage nach seinem Verhältnis zu den Römern und nach dem Erfolgsgeheimnis der Vandalen. Kein anderer Germanenstamm hat zu ihrer Zeit (429–534 n. Chr.) eine so lange und vollständige Unabhängigkeit erreicht. Auf diesem Phänomen, der lange Zeit erfolgreichen vandalischen Reichsbildung auf ehemals römischem Boden, soll das Hauptgewicht des vorliegenden Buches liegen. Ziel ist es, die Etablierung und Charakteristik des regnum Vandalorum darzustellen, und zwar im Kontext der Geschichte des spätrömischen Reiches, des afrikanischen Provinzialgebietes und der ‚barbarischen‘ Eroberungen. Das Königreich der Vandalen aber ist in besonderer Weise mit seinem ersten und bedeutendsten Herrscher verbunden, der ein halbes Jahrhundert lang (428–477) an der Spitze seiner gens stand und heute wohl ihr einziger Vertreter ist, den ein breiteres Publikum kennt: Geiserich. Er war es, der den Zug nach Africa anführte, der sich in keineswegs einfachen militärischen Auseinandersetzungen behauptete, der die Anerkennung des Kaisers in Ravenna erlangte, der die Vandalen neu organisierte und in Africa fest installierte. Schließlich aber war er auch derjenige, der Rom eroberte, das Mittelmeer mit seinen Raubzügen in Angst und Schrecken versetzte und ganz unmittelbar am politischen Ende des Westreichs beteiligt war.

Um vom Königreich der Vandalen sprechen zu können, müssen drei Komponenten zusammenkommen: Vandalen, ein König und eine dauerhafte Herrschaft, die an ein festes Gebiet gebunden war. Letzteres war erst ab dem Jahr 442 n. Chr. gegeben, als der weströmische Kaiser mit den Vandalen in Africa notgedrungen Frieden schloss und die unabhängige Autorität Geiserichs über sein afrikanisches regnum akzeptieren musste. Dieser Gründungsakt ist aber nicht ohne seine Vorgeschichte zu verstehen, weshalb die Darstellung mit dem Eindringen der Vandalen in das Imperium Romanum zu Beginn des 5. Jhs. einsetzt. Vandalen allerdings gab es – zumindest dem Namen nach – schon sehr viel früher, und auch ein Königtum (was immer damit konkret gemeint war) bezeugen schon Quellen des 2. und 3. Jhs.3

Das wissenschaftliche Interesse an den Vandalen hat in den letzten beiden Jahrzehnten einen beachtlichen Aufschwung erfahren. Die Forschungen des 19. Jhs., in Deutschland teilweise von der Vorstellung geprägt, mit ‚den alten Germanen‘ irgendwie die eigene Urgeschichte vor Augen zu haben,4 hatten die Grundlage für die beachtliche Synthese von Ludwig Schmidt gelegt, der dann nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem großen französischen Werk von Christian Courtois eine umfangreiche Darstellung folgte, die lange Zeit maßgeblich blieb.5 Wenig später erschienen auch im deutschen und englischen Sprachraum, namentlich von Hans-Joachim Diesner und Frank Clover, weitere einschlägige Studien.6 Dann aber scheint das Interesse für Jahrzehnte erlahmt zu sein. Dies hängt wohl auch damit zusammen, dass in dieser Zeit mit den konkreten Ereignissen auch ihr genereller Rahmen historiographisch fixiert zu sein schien: die sogenannte Völkerwanderung als Epoche des Untergangs der römischen Welt.7 Es ist kein Zufall, dass das wissenschaftliche Comeback der Vandalen mit intensiven Diskussionen über den Charakter der Umbruchphase im 5. Jh. zusammenfällt: Die bis dahin vorherrschende Sichtweise, die das Ende der Alten Welt und ihren Untergang betonte, wurde und wird ergänzt oder gar ersetzt durch eine Interpretation, die vom Modell einer Transformation ausgeht: Die wesentlichen Normen und Strukturen seien nicht zerstört, sondern nur umgestaltet wurden. Diese Sicht blieb nicht unwidersprochen,8 und es ist klar, dass die Geschichte der Vandalen und ihres nordafrikanischen Reiches in dieser Diskussion eine herausragende Rolle spielt. Hiermit verbindet sich ein zweites Forschungsthema, das ebenso durch neue Impulse und strittige Thesen gekennzeichnet ist: das weite Feld der Ethnogenese. Natürlich können weder die antiken Vorstellungen noch die im 19. Jh. vorherrschenden nationalen Konzepte von der Entstehung und dem Zusammenhalt einer gens heute noch eine Basis sein, die Frage war und ist nur, was man an ihre Stelle setzt. Hierauf wird später noch einzugehen sein, jedenfalls aber ist hier das Verhältnis zwischen den sich formierenden gentes und dem Imperium Romanum von zentraler Bedeutung und wird entsprechend diskutiert.9 Die Folge dieser Kombination zweier Kontroversen ist seit anderthalb Jahrzehnten eine rege Forschungs- und Publikationstätigkeit zu den Vandalen,10 die auch zu zusammenfassenden Darstellungen geführt hat (allerdings noch zu keiner historischen Geiserich-Biographie).11

Leider waren die Vandalen und ihr regnum für die zeitgenössischen und späteren antiken Autoren offenbar nicht annähernd so faszinierend wie für den modernen Betrachter. Natürlich spielten sie in den einschlägigen antiken Chroniken eine Rolle,12 ansonsten sind es aber nur einzelne Aspekte ihrer Geschichte, für die sich christliche Prediger und römische wie byzantinische Literaten interessierten: etwa der religiöse Gegensatz zwischen den unterschiedlichen christlichen Bekenntnissen folgenden Römern und Vandalen in Africa, der sich bis zu regelrechten Verfolgungen durch die Herrschenden steigern konnte,13 oder der letzte Kampf der Vandalen gegen die byzantinische Invasionsarmee des Generals Belisar.14 In den letzten Jahrzehnten ihrer Herrschaft gab es auch Versuche römischer Dichter in Karthago, die Aufmerksamkeit der vandalischen Elite zu erringen.15 Die Ausbildung ihres Reiches jedoch oder auch nur der vorangehende im Rückblick höchst erstaunliche Siegeszug vom Rhein bis nach Karthago wurden niemals eingehend beschrieben, auch nicht von den Vandalen selbst oder in ihrem Auftrag (was uns noch beschäftigen wird). Auffallend ist auch, dass die Archäologie als Informationsquelle für das neue ‚barbarische‘ Königreich weitgehend ausfällt. Nicht, dass es keine Funde aus der 100-jährigen vandalischen Epoche Africas gäbe,16 meist jedoch fehlen eindeutige Bezüge zu den Vandalen. Nicht alles, was in den Jahren von 429 bis 534 n. Chr. in Africa geschah oder gebaut wurde, kann als ‚vandalisch‘ klassifiziert werden, auch wenn es natürlich zum Kontext ihres Königreichs gehört. Nur ca. 80.000 Menschen überquerten die Straße von Gibraltar, und unter den mehrere Millionen Bewohnern der afrikanischen Provinz stellten sie nur eine kleine Minderheit dar. Ihr direkter Einfluss auf die materielle Kultur (von der geistigen ganz zu schweigen) darf also nicht einfach vorausgesetzt werden.

Die Folge dieser misslichen Quellensituation, in der uns oft nur eine dünne oder unvollständige Kette von – nicht selten sogar widersprüchlichen – Zeugnissen zur Verfügung steht, ist nun leider, dass wichtige Punkte der Vandalengeschichte umstritten sind. Das gilt für Wertungen und Datierungen, oft genug aber auch für die ‚einfache‘ Frage, was genau geschehen ist. Zwar wäre es einfacher, diese Diskussionen auszublenden bzw. auf das zu verkürzen, was dem Autor zutreffend erscheint; dann aber müsste der Leser im Unklaren bleiben, auf welcher Basis dieser Rekonstruktion gegenüber anderen der Vorzug gegeben wird. Deshalb soll hier begründet, nicht nur entschieden und auf Quellen- und Forschungsprobleme durchaus eingegangen werden, ohne den Ehrgeiz einer lesbaren Darstellung aufzugeben.

Als König Geiserich 477 n. Chr. starb, stand das Reich der Vandalen im Zenit seiner Macht. In den folgenden Jahrzehnten war ihre Herrschaft in Africa zwar ungefährdet; die Getreidefelder und Ölbaumkulturen florierten, und die neuen Herren lebten in ihren Landhäusern ähnlich luxuriös wie zuvor die römischen Eliten (die dies größtenteils auch weiterhin taten).17 Es blieben aber auch von Geiserich etablierte Merkmale des Reiches der Vandalen bestimmend, die diese von den afrikanischen Romanen und überhaupt von der politischen und geistigen Welt des späten Imperium Romanum separierten.18 Wie diese die Vandalen in den folgenden Jahrzehnten, als ihre machtpolitische Lage schwieriger wurde, in gefährlicher Weise isolierten – was dann zu ihrem blitzschnellen Untergang führte –, soll im VII. Kapitel dargestellt werden. Dies leitet über zur Frage, wie man vor diesem Hintergrund die byzantinische ‚Reconquista‘ Africas im Jahr 533 zu charakterisieren hat: als Befreiung vom barbarischen Joch oder als gewaltsames Ende einer vielversprechenden Perspektive? Natürlich darf abschließend ein kurzer Blick auf das Schicksal der Bezeichnung ‚Vandalen‘ in der Neuzeit nicht fehlen.

Das Königreich der Vandalen

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