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4. Das Schicksal von Hippo Regius und das Bündnis mit Ravenna (435)

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Wenn es in Africa auch zunächst keinerlei überregional organisierten Widerstand gegen die Vandalen gab, war doch klar, dass dies sich ändern würde, je mehr man sich Numidien und der Proconsularis, also dem Kernland des Provinzialgebietes mit seinen fruchtbaren Getreide- und Ölbaumkulturen, näherte. Hier gab es auch zumindest zwei befestigte Städte, die sich nicht so leicht ergeben würden, und an beiden haben sich die Vandalen tatsächlich auch einige Zähne ausgebissen: zum einen die alte numidische Hauptstadt Cirta (heute Constantine),37 knapp 100 Kilometer vom Meer entfernt, und zum anderen die Hafenstadt Hippo Regius (Bône/Annaba), damals sicherlich die zweitwichtigste Stadt Africas, nach Karthago natürlich. Cirta war schon allein durch seine Lage sehr gut geschützt: Die Stadt lag auf einem hundert Meter hohen Felstableau und war nur über einen schmalen Zugang erreichbar, da sich der Ampsaga (Oued Rhummel) tief in den Felsen eingeschnitten hat. Hippo Regius hatte zwar nur seine Befestigungsanlagen, die aber waren, von Karthago abgesehen, sicher die stärksten in ganz Africa.

Im historischen Bewusstsein ist der Fall von Hippo Regius Teil der Geschichte des ‚Vandalensturms‘, der über Africa hinwegbrauste, und insofern Teil einer Tragödie, als er mit einem anderen Schicksal verbunden ist: dem des berühmtesten Bewohners der Stadt, des heiligen Augustinus. Die Vandalen vor den Mauern der Stadt und drinnen deren sterbenskranker Bischof Augustinus, Vorkämpfer des katholischen Africa und bedeutendster lateinischer Kirchenvater – diese dramatische Verbindung hat Historiker schon immer fasziniert (und Drehbuchautoren ebenso). Das Ende ist dann schnell und wirkungsvoll erzählt: Der Bischof stirbt, die Stadt wird erobert.

Diese Erzählung ist deshalb so eingängig, weil historisches Geschehen und symbolhafte Verdichtung dabei zusammenfallen. Aber genau dies sollte uns misstrauisch machen, selbst wenn ein solches Zusammentreffen bezeugt wäre. Dass der Tod des Anführers der geistigen Romanitas Africas fast zeitgleich mit dem Ende seiner Stadt erfolgte, ist aber gerade nicht die Aussage der Quellen.

Aber nicht nur wegen der Stadtgeschichte Hippos ist es wichtig, genau hinzuschauen, auch unsere Vorstellung vom Charakter der vandalischen Eroberung Africas hängt davon ab, dass wir diese entscheidende Phase nicht zusammen mit den bisherigen Ereignissen zu einem einzigen unaufhaltsamen Siegeszug der Vandalen homogenisieren. Die Realität der Jahre 431 bis 435 sah ganz anders aus. Die Vandalen haben Africa eben nicht im ersten Ansturm erobert. Die geradezu fassungslose Überraschung darüber, dass die Vandalen nach wenigen Jahren tatsächlich die Herren Karthagos waren, prägte schon die antiken Quellen und lässt uns auch heute mitunter noch die Schwierigkeiten übersehen, denen sich die Eroberer gegenübersahen: ihre geringe Zahl, das Fehlen einer wirkungsvollen Belagerungstechnik, das Fehlen einer Kriegsflotte. Die Vandalen waren in Wirklichkeit eine der militärisch schwächsten gentes dieser turbulenten Zeit; erst Geiserichs Glück und Geschick war es zu verdanken, dass der Name der Vandalen im Mittelmeerraum für Angst und Schrecken sorgte.

Die Ereignisse im Einzelnen zu rekonstruieren, würde hier zu weit führen.38 Bonifatius stellte sich den Vandalen mit seinen Truppen vor Hippo entgegen, wurde aber geschlagen und musste sich hinter die Mauern zurückziehen. Die Belagerung begann im Juni 430, drei Monate später starb Augustinus in der belagerten Stadt.39 Diese wurde von den Vandalen zwar vollständig eingeschlossen, also auch vom Meer abgeschnitten, mehr vermochten die Gegner aber nicht. Im Gegenteil: Versorgung und Moral der Vandalen wurden kritisch, wahrscheinlich hat man die Belagerung lockern müssen, und als im Sommer 431 eine byzantinische Hilfstruppe unter dem alanischen General Aspar in Karthago landete, musste man gänzlich abziehen. Hippo war gerettet, nach 14-monatiger Belagerung.40 Nun bekam auch Bonifatius wieder mehr Bewegungsfreiheit.

Aspars Truppe war vom Ostkaiser Theodosius II. ausgesandt worden, um seinem Cousin, dem zehnjährigen Westkaiser Valentinian III., unter die Arme zu greifen; die Bedeutung Africas für die Stabilität des Westens war bekannt. Möglich, dass es dabei auch darum ging, Bonifatius und damit die Kaisermutter Galla Placidia zu stützen. Mutter und Sohn waren ja nur durch oströmische (von Aspar ausgeführte) Hilfe an die Macht gekommen. Allerdings war die römisch-byzantinische Armee in Africa wohl zu klein, um eine große Entscheidungsschlacht zu wagen. Vielleicht hatten sich zudem die Vandalen, die auch in den Süden Fühler ausgestreckt hatten, bereits mit maurischen Hilfstruppen verstärkt. Umgekehrt gelang aber auch den Vandalen kein durchschlagender Erfolg, weder gegen die drei Städte Cirta, Hippo Regius und Karthago, noch in einer größeren Feldschlacht. Den kleinen Städten der Proconsularis war damit allerdings nicht geholfen. Sie waren, wenn nicht römisches Militär in der Nähe war, schutzlos. Damals wohl beklagte der karthagische Bischof Quodvultdeus in einer Predigt über die gegenwärtige „Zeit der Barbaren“ das Schicksal einer überfallenen Stadt, in der die Einwohner wahllos abgeschlachtet werden und es niemanden gibt, der die Toten begräbt, weil die Überlebenden verschleppt und versklavt sind.41

Aber ausgeraubte Städte waren kein Ersatz für einen militärischen Sieg. Die eine Seite konnte der anderen zwar Schaden zufügen, ohne aber entscheidende Vorteile zu gewinnen. Diese Pattsituation dauerte bis 434/435 n. Chr. Schon 432 war Bonifatius zum zentralen magister militum aufgestiegen (immerhin hatte er Hippo Regius erfolgreich verteidigt) und an den westlichen Kaiserhof gerufen worden; er hatte Africa verlassen, höchstwahrscheinlich mitsamt seinen gotischen Truppen. In Ravenna verließ man sich, was den Schutz Africas anging, wohl hauptsächlich auf die Truppe Aspars bzw. sah keine Möglichkeit, selbst die Vandalen zu bekämpfen. Aspar aber, der Nachfolger des Bonifatius als Oberbefehlshaber und im Januar 434 noch mit dem Konsulat in Karthago ausgezeichnet,42 kam in seinen afrikanischen Jahren offenbar zu der Einschätzung, dass man sich mit den Vandalen in Africa sehr wohl arrangieren könnte. Spielte dabei eine Rolle, dass er alanischer Herkunft und arianischen Glaubens war? Immerhin wird es die Kontakte und die Verständigung mit dem ‚Alanenkönig‘ Geiserich erleichtert haben.43

Jedenfalls ist wenig wahrscheinlich, dass es nur die drängenden Aufgaben im Osten (wo Konflikte mit den Sassaniden drohten) waren, die Aspar 434/435 Africa verlassen ließen.44 Auch wenn man das am Kaiserhof in Ravenna sicher nicht so sah: Er scheint der Meinung gewesen zu sein, dass man mit Geiserich zusammenarbeiten, ihm eine Rolle in Africa zuteilen könne. Oder hatte er einfach zu wenig Mittel, um mehr auszurichten? Doch wenige Jahre später zeigte das Ostreich, zu welchen Mobilisierungen es – auch im Westen – noch in der Lage war, und wenn Aspar die Vandalen für gefährlich gehalten hätte, hätte er Africa wohl nicht sich selbst (oder faktisch: den Vandalen) überlassen.45 Später galt er jedenfalls als ‚Vandalenfreund‘ und Gegner einer Konfrontation, und er hat diesen Ruf alles andere als widerlegt.46 Schon 434 n. Chr. dürfte er mit den Vandalen verhandelt und Grundlinien der späteren Abmachungen fixiert haben.

Für Hippo Regius war mit diesem sich abzeichnenden Arrangement allerdings die Entscheidung gefallen. Ohne militärische Unterstützung aus Italien oder Konstantinopel konnte man die Stadt auf Dauer nicht halten: Es gab aber offenbar einen geordneten Abzug aller, die es sich leisten konnten. Damals, so lässt sich mit guten Gründen vermuten, verließ mit den Gebeinen des großen Kirchenvaters auch seine Bibliothek die Stadt.47 Wer von den Einwohnern nicht nach Sardinien, Sizilien oder Italien fuhr, wird Karthago angelaufen haben; hier glaubte man sich sicher und dauerhaft unter römischer Herrschaft. Hippo aber wurde nun von den Vandalen übernommen. Dass die Stadt dabei größeren Schaden nahm, dürfte Geiserich schon deshalb zu verhindern gewusst haben, weil sie als sein neuer Königssitz ausersehen war.48

Im Februar 435 kam es zu einem römisch-vandalischen Friedensschluss,49 in dem Ravenna diese Realitäten anerkennen musste, während sich die Vandalen erstmals der römischen Autorität unterstellten – insofern, als sie sich auf das Gebiet um Hippo Regius beschränken ließen und im Gegenzug für das überlassene Land gewisse Leistungen versprachen.50 Damit waren sie zu foederati geworden, wenn man diesen Begriff nicht so eng fasst, dass er nur auf eine ganz bestimmte Form von foedus (‚Ansiedlung gegen formellen Eintritt in die Armee durch Übernahme eines römischen Amtes durch den Chef der Barbaren‘) zutrifft. Tatsächlich sagen die Quellen nichts über vandalische Gegenleistungen, sie sind aber durchaus wahrscheinlich; denn es gab sie auch beim nächsten römisch-vandalischen Vertrag (442), bei dem die vandalische Verhandlungsposition ungleich stärker war.51 Für Geiserich war das Abkommen, das ihm einen wichtigen Teil Numidiens samt der zweiten Stadt Africas als Siedlungsgebiet (habitatio) überließ,52 jedenfalls ein großer Erfolg. Die Vandalen hatten dem Kaiser und den römischen Generälen, die sie seit 30 Jahren vernichten wollten, die Anerkennung abgetrotzt. Dass die römischen Militärs damals sicherlich hofften, die Eindringlinge bei nächster Gelegenheit doch noch loszuwerden, musste ihn insofern nicht unmittelbar beunruhigen, als es ihm offenbar gelungen war, mit Aspar eine echte Verständigung zu erreichen. Nur aus dem Osten drohte in nächster Zeit Gefahr. Aëtius, der starke Mann des Westens, war in Gallien mit Alamannen, Burgundern und Westgoten vollauf beschäftigt,53 und Gallien war für die Zentrale noch wichtiger als Numidien; die fruchtbarste und am weitesten urbanisierte Gegend Africas, die wesentlichen Teile der Proconsularis, hatten die Vandalen ja räumen müssen.

Das Königreich der Vandalen

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