Читать книгу Arbeiten mit Träumen in der Analytischen Psychologie - Konstantin Rößler - Страница 11
1.1 Altägyptische und biblische Wurzeln
ОглавлениеIn Berichten des Alten Testaments wie auch des antiken Ägyptens findet sich ein Verständnis vom Traum als einer Offenbarung Gottes, das sich in enger Nähe zur Prophetie bewegt. Der Traum als Ausdruck göttlichen Wirkens bedarf aber der rechten Deutung durch den Menschen. Bereits hier findet sich eine Wurzel des Modells der Analytischen Psychologie, wonach psychische Entwicklungsprozesse durch eine intensive Auseinandersetzung der bewussten Ebene mit den Impulsen aus dem Unbewussten geprägt sind. Ein solcher Prozess zielt darauf, eine Wirkung in der Welt, eine Änderung der einseitig bestimmten Bewusstseinshaltung herzustellen, die zur rechten inneren Ordnung zurückführt. Zu den bekanntesten Beispielen zählen die im Alten Testament detailliert beschriebenen Vorgänge um die Träume des Pharaos und ihre Deutung durch Joseph dar (Gen 40ff.). Im Traum erscheinen dem Pharao sieben fette und sieben magere Kühe, die nacheinander dem Nil entsteigen, und in einem zweiten Traum sieht er sieben fette und sieben magere Getreidegarben. Joseph kann als einziger der vielen Befragten die Träume korrekt deuten als Zukunftsvoraussagen für sieben Jahre reicher Ernte und sieben Jahre der Missernte und Hungersnot. Gleichzeitig liefert er die Lösung, die sich aus diesem Verständnis der Träume ableitet, nämlich eine Vorratshaltung in den sieben fetten Jahren, um die anschließenden mageren zu überleben. Dabei betont er stets ausdrücklich, dass die Träume von Gott gesendet wurden und dessen Willen ausdrücken. Sogar das Traumdeuten selbst sei die »Sache Gottes« (Gen 40,8). Es wird so eine Haltung deutlich, die Träume unmittelbar als transzendente Botschaften auffasst, welche verstanden und auch real umgesetzt werden müssen. Sie enthalten eine innere Wahrheit und Gesetzmäßigkeit, der man sich nicht entziehen, die man sich aber nutzbar machen kann. Diese Grundidee ist nicht sehr weit entfernt von einem modernen therapeutischen Verständnis im Umgang mit Träumen.
Umgekehrt wird das Ausbleiben von Träumen erlebt als ein Verlust dieses Zugangs, worauf Meier anhand einer weiteren Bibelstelle hinweist. Dort klagt König Saul, als er erkennt, dass sein Ende gekommen ist: »Und Gott ist von mir gewichen und antwortet nicht, weder durch Prophetie noch durch Träume.« (Meier, 1995, S. 76)
Nun können therapeutische Prozesse in tiefenpsychologisch fundierten Behandlungen einen guten Verlauf nehmen, auch ohne dass Träume dabei eine Rolle spielen. Allerdings finden erfahrungsgemäß gerade dann häufig besonders tiefreichende, kreative und fruchtbare Entwicklungen statt, wenn eine Arbeit mit Impulsen aus dem Unbewussten möglich ist – seien es Träume, Imaginationen, Malen, Schreiben, Sandspiel oder andere Formen.
Ähnlich wie im antiken Israel und Ägypten wird auch im hinduistischen Kulturraum von der Vorstellung göttlicher Offenbarung in Träumen ausgegangen, wenn auch die Aufzeichnungen dazu erst sehr viel später angefertigt wurden. Allerdings geht die indische Kultur hier noch einen Schritt weiter, indem prinzipiell kein Unterschied zwischen Traum und Wirklichkeit konstruiert werden kann (Meier, 1995, S. 76ff.). Diese Grundidee findet interessanterweise Anklänge in der modernen neurobiologischen Perspektive auf das Traumgeschehen in Gestalt der Wach-Traum-Kontinuitätshypothese ( Kap. I.3.3).