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Einleitung

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»Ohne die Träume würden wir gewiß früher alt.«

Novalis, Heinrich von Ofterdingen

Das Phänomen des Traums wird seit jeher von zwei zentralen Fragen begleitet, die auch diesem Buch zugrunde liegen.

Die erste lautet: Enthalten Träume eine Bedeutung oder gar einen Sinn? Diese erste Frage kann angesichts der aktuellen Forschungsdiskussion ergänzt werden um die Überlegung: Ist es noch zeitgemäß, mit Träumen therapeutisch zu arbeiten?

Ein historischer Rückblick, wie Menschen ihre Träume verstanden, zeigt eine permanente Entwicklung, die um diese erste Frage kreist. In jener Dialektik zwischen Sinn und Nicht-Sinn erhalten Träume einen hohen Stellenwert als Botschaften der Götter oder werden abgewertet als Versuchungen des Teufels, sie sind eine Bedrohung der Vernunft oder ein Weg in die Nachtseite der Seele, werden zu einem Zugang zum Unbewussten oder gelten als bedeutungslose elektrische Entladungen des Hirnstamms. Wie ein Pendel schwingt das Verständnis des Traumphänomens um diese Frage in der Mitte, wobei der jeweilige Gegenpol nie ganz untergeht, sondern untergründig stets mit enthalten ist. In jüngster Zeit kann mit der Wach-Traum-Kontinuitätshypothese wieder eine Bewegung hin zu einer Auffassung beobachtet werden, die den Träumen einen Bedeutungsgehalt zuweist.

Diese Pendelbewegung wird im ersten Teil des Buchs dargestellt anhand von 3.000 Jahren Traumgeschichte mit exemplarischen Beschreibungen vom antiken Ägypten bis zu Freuds Entdeckung des Unbewussten. Die jüngere Entwicklung der letzten 100 Jahre, die vor allem vom Paradigma der Wissenschaftlichkeit geprägt wurde, ergänzt diese Betrachtung und schließt die Lücke bis zur Gegenwart. Dazwischen wird in einem eigenen Kapitel der spezifische Zugang C. G. Jungs anhand seiner Schriften zum Traum behandelt. Obwohl diese Texte über mehrere Jahrzehnte seiner Tätigkeit verstreut entstanden, ergeben sie in ihrer Gesamtheit doch ein in sich schlüssiges Bild und sind die wesentliche Grundlage für die therapeutische Anwendung der Arbeit mit Träumen, wie sie sich heute in der Analytischen Psychologie entwickelt hat.

Die zweite Frage lautet: Wie lässt sich die therapeutische Arbeit mit Träumen erlernen, einüben und praktisch einsetzen?

Hier hat besonders die heutige Analytische Psychologie aus der Tradition C. G. Jungs heraus unvergleichlich reiche und differenzierte Zugänge zum Phänomen des Traums entwickelt, die sich in der therapeutischen Anwendung als sehr vital und fruchtbar erwiesen haben.

Mit dem vorliegenden Band wird der Versuch unternommen, zum einen eine Systematik entlang der Konzepte der Analytischen Psychologie zu erstellen. Sie soll ein Gerüst und eine Orientierung bieten, um Träume in Behandlungssituationen zu verstehen und für den Prozess nutzbar zu machen. Daher wurden die Kapitel nach den verschiedenen Perspektiven auf das Phänomen Traum eingeteilt. Eine kurze Einführung in den theoretischen Hintergrund ist den Konzepten jeweils vorangestellt.

Zum anderen sollen aber die lebendige Dimension der Träume und ihre Bedeutung im therapeutischen Prozess erkennbar und erlebbar bleiben. Daher werden die Träume nicht gekürzt vorgestellt, sondern in voller Länge, genauso, wie sie in der therapeutischen Situation eingebracht wurden. Es handelt sich dabei um von den Träumenden selbst angefertigte schriftliche Fassungen der Traumerzählungen, die in die Sitzung mitgebracht wurden, oder aber um eigene wörtliche Mitschriften. Auf diese Weise sind die Leser nicht mit exemplarisch besonders prägnanten Episoden oder Fragmenten konfrontiert, sondern mit den zum Teil sehr komplexen und unzensierten Traumberichten, wie sie auch im therapeutischen Alltag anzutreffen sind. Mit dieser weitgehenden Annäherung an die reale Situation lassen sich die eigenen Gegenübertragungsreaktionen, Intuitionen und Einfälle, die sich beim Lesen der Traumtexte einstellen, am besten wahrnehmen und die Arbeit mit Träumen einüben. Die jeweiligen Ausführungen zum Verständnis der Träume folgen dann ganz dem therapeutischen Arbeitsprozess, wie er sich in den Behandlungen ergeben hat. So können die eigenen Gedanken und Gefühle der Leser mit dem individuellen Therapiegeschehen, wie es sich zugetragen hat, abgeglichen werden. Darüber hinaus wurden besondere Fragestellungen berücksichtigt wie der Umgang mit sehr langen oder sehr kurzen Träumen, die Vermischung mit traumatischen Inhalten oder spezifische Situationen von Träumen am Anfang oder am Ende einer Behandlung.

Dieses Vorgehen hat sich als didaktische Grundlage vieler Traumseminare sehr bewährt und wird hoffentlich auch hier dazu beitragen, den Reichtum und die Freude an der Arbeit mit Träumen in therapeutischen Beziehungen zum Vorteil beider Seiten entdecken zu können. So richtet sich dieses Buch nicht nur an psychotherapeutische Kollegen1 und an Ausbildungskandidatinnen und -kandidaten, die ihr Wissen vertiefen möchten, sondern auch an all diejenigen, die in ihrer Berufstätigkeit mit Träumen konfrontiert sind, und an alle, die Interesse und Faszination für die eigenen Träume entwickeln.

Mein besonderer Dank gilt Frau Kathrin Kastl und Frau Kerstin Weissenberger für ihre kompetente Begleitung bei der Entstehung dieses Buchs.

1 Zugunsten einer lesefreundlichen Darstellung wird in der Regel die neutrale bzw. männliche Form verwendet. Diese gilt für alle Geschlechtsformen (weiblich, männlich, divers).

Arbeiten mit Träumen in der Analytischen Psychologie

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