Читать книгу Arbeiten mit Träumen in der Analytischen Psychologie - Konstantin Rößler - Страница 15
1.5 Sigmund Freud – Die Traumdeutung
Оглавление»Auf den folgenden Blättern werde ich den Nachweis erbringen, daß es eine psychologische Technik gibt, welche gestattet, Träume zu deuten, und daß bei der Anwendung dieses Verfahrens jeder Traum sich als ein sinnvolles Gebilde herausstellt, welches an angebbarer Stelle in das seelische Treiben des Wachens einzureihen ist.« (Freud, 1900/2000, S. 29).
Mit diesem Hinweis auf den Sinngehalt von Träumen beginnt Freud »Die Traumdeutung«, die ihre einzigartige Stellung daraus bezieht, dass sie sich von den traditionellen Sichtweisen sowohl einer Bedeutungslosigkeit der Träume als auch der einer transzendenten Botschaft löst. In sehr vereinfachter Annäherung beruht sein Traumverständnis auf den folgenden Grundzügen: Der Traum ist Ausdruck eines primären Denkens und hat seinen Ursprung im Unbewussten – er funktioniert nach einer symbolhaften Sprache, die wie ein Code entschlüsselt werden kann. Der Grund für diese Verschlüsselung beruht auf der Diskrepanz zwischen unbewusstem, unannehmbar gedachtem Wunsch (Es) und bewusster Haltung des Träumenden (Ich) – in einem Akt der Zensur wird dieser Konflikt im Traum entschärft; als Resultat stellt sich dem sich erinnernden Wachbewusstsein ein manifester Trauminhalt dar, der den latenten Traumgedanken in maskierter Form enthält. Die Deutung des latenten Trauminhalts führt zur Erkenntnis des zugrundeliegenden Wunschs, zu dem erst dann bewusst Stellung bezogen werden kann.
Träume sind demnach beides: Hinweis auf eine dem Bewusstsein nicht unmittelbar zugängliche oder gar kontrollierbare Dynamik und zugleich Diagnostikum für die Bewusstwerdung der wahren, bis dahin jedoch tabuisierten Wünsche des Individuums. Daher bilden Träume die Grundlage für therapeutische Interventionen, sie bieten aber auch Einblick in innerseelische Abläufe und Strukturen und stellen somit den Ausgangspunkt für die Entwicklung einer Theorie der Psyche dar. Sie werden nun als eigenständige Ausdrucksform des Menschen aufgefasst, die eine eigene Sprache besitzen. Deren Verständnis eröffnet eine neue Dimension der Erkenntnis.
Das revolutionäre Potential dieses Ansatzes ist Freud bewusst; er stellt seine Theorie des Unbewussten in eine Reihe mit den Entdeckungen des heliozentrischen Weltbilds durch Kopernikus und der Evolutionslehre Darwins und bezeichnet sie als die dritte große Kränkung der Menschheit »in ihrer naiven Eigenliebe« (Freud, 1916/2000, S. 283), da das Ich »nun nicht einmal Herr ist im eigenen Haus.« (Freud, 1916/2000, S. 284).
Alt weist darauf hin, dass die alte Streitfrage, ob Freud »die aufklärerische Konstruktion oder die romantische Dekonstruktion des Individuums« (Alt, 2011, S. 328) weiter verfolge, hinfällig sei. Durch die Konzeption eines Unbewussten verliere die ratio ihre Bedeutung als Mittelpunkt. Dies gelte für die Vernunft als Zentrum einer aufklärerischen Haltung, aber genauso für die romantische Gegenbewegung, die darin eine aufzulösende Größe erkenne und die eine Entgrenzung des Ichs zum Ziel habe. Vielmehr stehe die Vernunft nun einem Konstrukt des Unbewussten als eigener Bezugsgröße gegenüber, in der sich ihre Bedeutung für das Individuum relativiere.
Trotz der zahlreichen Spaltungen und nachfolgenden Modifizierungen innerhalb der Psychoanalyse, die sich im Falle C. G. Jungs vor allem an einer auf die Sexualität fokussierten Libidotheorie entzünden ( Kap. I.2.3), und trotz weiterer berechtigter Einwände, beispielsweise der Beschränkungen durch ein konkretistisches Symbolverständnis in seiner Theorie, eröffnet Freud mit der »Traumdeutung« eine völlig neue Dimension des Traumverständnisses mit einem weit über die therapeutische Anwendung hinausreichenden Einfluss.
Dieser grundlegende Wandel im Verständnis der Träume wird noch einmal auf den Punkt gebracht in Freuds abschließenden Sätzen in »Die Traumdeutung«:
»Zwar entbehrt auch der alte Glaube, daß der Traum uns die Zukunft zeigt, nicht völlig des Gehalts an Wahrheit. Indem uns der Traum einen Wunsch als erfüllt vorstellt, führt er uns allerdings in die Zukunft; aber diese vom Träumer für gegenwärtig genommene Zukunft ist durch den unzerstörbaren Wunsch zum Ebenbild jener Vergangenheit gestaltet.« (Freud, 1900/2000, S. 588)