Читать книгу Fear Of The Void Vol. 01 - Krille Fear - Страница 6
Die Fujiwara-Oberschule
ОглавлениеYamashita-sensei geht mit mir durch den Flur meiner neuen Schule. Seit ich hier bin, ist sie von meinem Auftreten beeindruckt. Die Lehrerin hatte erwartet, dass ich erst noch die Sprache lernen muss, bevor ich am regulären Unterricht teilnehmen kann, aber ich habe sie von Anfang an mit meinen Fähigkeiten überrascht. Ha!
Selbstbewusst rücke ich meine neue Schuluniform zurecht. Röcke zu tragen, bin ich nicht gewohnt, aber eigentlich ist das ganz bequem und im Sommer sicher angenehm.
»Bist du nervös?«, fragt Yamashita-sensei und richtet ihre Brille.
»Ich habe vor nichts Angst«, antworte ich. »Hatte ich noch nie.«
»Die C-Klasse weiß noch nicht, dass du heute zu ihnen gehören wirst. Aber ich bin sicher, dass sie nett zu dir sein werden.«
Ich lächle. Natürlich werden sie nett zu mir sein. Und wenn nicht, dann übernehme ich den Laden! Mit Alina legt sich niemand an. Die Lehrerin öffnet die Schiebetür zum Klassenzimmer und bittet mich hinein. Kurz darauf starre ich in einen Klassenraum, der aussieht wie in einem Anime. Jeder hat seinen eigenen kleinen Tisch und die Plätze sind in Reihen angeordnet. In jedem, wirklich JEDEM, Anime sitzt der Protagonist am Fenster in der vorletzten Reihe und ich will natürlich sofort nachsehen, ob der Platz noch frei ist.
Aber der Anblick der etwa 25 Schüler dieser Klasse wirft zuerst Fragen auf. Sie sehen anders aus. Da mich ausnahmslos alle in diesem Moment anstarren, als wäre ich ein zurückgelassener, piepender Reisekoffer am Kölner Hauptbahnhof, kann ich ihre blutroten, fast glühenden Augen überhaupt nicht übersehen.
Was ist denn das? Fast alle Schüler, zumindest die, die in den ersten drei Reihen sitzen, haben Augen wie Vampire oder Albino-Kaninchen. Auch ihre Haut scheint bleicher zu sein, als die, ihrer menschlichen Mitschüler. Ist das ein Spiel? Oder ein Kunstprojekt?
Die Lehrerin geht an mir vorbei zum Pult, als wäre das völlig alltäglich und ich stehe wie angewurzelt vor einem Haufen Twilight-Cosplayer und mir klappt die Kinnlade herunter.
»Bitte begrüßt mit mir eure neue Mitschülerin«, sagt Yamashita-sensei laut. »Möchtest du dich vielleicht selbst vorstellen?«
»Äh … ja … äh …« Ich stottere, als hätte ich gerade den Osterhasen getroffen. Und ich dachte, ich wäre auf wirklich alles vorbereitet. »I-ich heiße … Alina Ritter und ich komme aus Deutschland. Es freut mich euch kennenzulernen. Äh … ja … Sonst noch etwas?«
Leicht verwundert sehen zwei Jungs mit Albino-Kaninchen-Augen in der ersten Reihe sich an, als würden sie sich telepathisch gerade darüber beraten, wie sie mich am besten zu Sushi verarbeiten könnten.
»Danke Alina«, sagt die Lehrerin. »Setz dich doch dahinten neben Nomi.«
»Ja … äh … was?«
Erst jetzt fällt es mir auf. Nomi, das Mädchen, das gestern kurz nach unserer Ankunft vor mir weggelaufen war, sitzt in dieser Klasse. Ich starre in ihre blutroten Augen und zögere. Der Platz, neben ihr ist in der vorletzten Reihe … direkt am Fenster.
Als die Lehrerin nach der ersten Mathe-Stunde aus dem Klassenzimmer geht und uns in die Pause entlässt, holen die meisten Schüler ungezwungen ihre Pausenbrote, ihre 弁当4 , heraus und fangen zwanglose Unterhaltungen an. Ich nutze die Chance und sehe zu Nomi, dem schüchternen Mädchen, das heute noch blasser aussieht als gestern.
»Nomi-san … sag mal …«
Ich stottere. Die Aussage, dass ich vor nichts, absolut gar nichts, Angst habe, will ich nicht zurücknehmen müssen. Unsicher dreht sie den Kopf zu mir. Ich sehe, dass ihre Hände zittern.
»Alles in Ordnung?«, frage ich. »Fürchtest du dich vor irgendetwas?«
Sie schüttelt energisch den Kopf.
»Na ja … ich wollte nur fragen, was es …« Ich deute auf ihr Gesicht und kreise dabei mit dem Zeigefinger. »… damit … eigentlich auf sich hat. Ist das ein Rollenspiel oder so?«
Nomi legt den Kopf schief.
»Was ist denn?«, hake ich ungeduldig nach.
»Du wirst das sowieso bald vergessen.«
»Hä?«
In dem Moment knallt etwas auf meinen Tisch. Vor mir sind drei Jungs erschienen. Einer davon hat seine Hände auf meinen Tisch gedonnert und sich vor mir aufgebaut. Der Junge hat kurze schwarze Haare, aber ein schon sehr erwachsen wirkendes, kantiges Gesicht und eindringliche tiefrote Augen. Seine Arme wirken stark und muskulös. Er ist bestimmt sehr sportlich.
»Alina-san!«, sagt er mit lautem Tonfall.
Aus seinem Auftreten und seiner Körperhaltung schließe ich, dass er mich einschüchtern will. Selbstbewusst stehe ich auf und schaue ihn mit scharfem Blick an.
»Ja?«
»Es freut mich dich kennenzulernen. Ich bin Akira Saitou, der Klassensprecher. Wir sprechen uns hier alle mit dem Vornamen an. Ich möchte dich in der C-Klasse der Fujiwara-Oberschule willkommen heißen.«
Unbeeindruckt lege ich den Kopf schief.
»Du kommst aus … Europa?«
»Deutschland«, antworte ich. Akira schaut mir tief in die Augen, als würde er dort etwas suchen.
»Du bist keine von uns.«
»Na danke«, fauche ich mit sarkastischem Tonfall. »Am ersten Tag rassistisch ausgegrenzt zu werden ist nicht gerade das, was ich unter ‚Willkommen heißen‘ verstehe!«
Der große Junge senkt seinen Blick und seufzt, wirkt jedoch nicht so, als hätte ich ihn eingeschüchtert.
»So habe ich das nicht gemeint«, versichert er. »Ich entschuldige mich. Jemanden auszugrenzen ist in dieser Klasse streng verboten.«
ich runzele mit der Stirn. »Wie …«, frage ich. »Verboten?«
»Es gibt hier einige Regeln, an die wir uns unbedingt halten müssen. Ob wir dir vertrauen können, hängt davon ab, ob du diese Regeln befolgen kannst.«
»Ich halte mich nie an Regeln!«, lache ich laut. Denkt der, er könnte mir Angst machen?
»Erstens!«, beginnt er. »Ausgrenzung und Mobbing sind in dieser Klasse streng verboten. Jeder wird akzeptiert, wie er ist.«
Ich runzele die Stirn.
»Zweitens: Keiner von uns wird alleingelassen. Wann immer jemand ein Problem hat, ist es die Aufgabe der gesamten Klasse, ihm beizustehen und Hilfe anzubieten. Drittens: Wir beschützen uns gegenseitig vor den Schülern anderer Klassen oder anderer Schulen. Viertens: Wir gehen den Schulweg immer mindestens zu Zweit.«
»Was? Ich kapier gar nichts mehr …«
»Und fünftens: Wir erzählen niemandem von diesen Regeln. Denkst du, du bekommst das hin?«
Ich lehne mich etwas zurück und starre verwirrt in Akiras Augen. Er erwartet eine Antwort.
»Kein Mobbing«, wiederhole ich. »Alle sollen füreinander da sein?«
»Ich gehe mit ihr«, schlägt Nomi vor und zieht die Aufmerksamkeit auf sich. »Wir haben denselben Schulweg.«
»Sehr gut«, sagt Akira. »Nach der Schule wollten wir noch etwas zusammen unternehmen. Alina-san, wir würden uns freuen, wenn du dich uns anschließen würdest.«
Überrumpelt schaue ich dem Kerl lange in die blutroten Augen. Habe ich ihn völlig missverstanden oder ist das alles eine Falle? Ach und wenn schon! Mir macht er keine Angst.
»Also gut«, sage ich. »Ich schreibe meinem Papa, dass ich später nach Hause komme.«
»Gut, also bis dann.«
Akira und die beiden anderen Jungs mit den Albino-Augen gehen zurück an ihre Plätze. Ich versuche, zu verarbeiten, was da gerade passiert ist.
»Nimm es ihm nicht übel«, flüstert Nomi mir zu. »Akira versucht für uns alle stark zu sein, damit wir uns sicher fühlen können. Dadurch kommt er vielleicht etwas schroff herüber.«
»Ich dachte, er wollte mich irgendwie einschüchtern.«
»Keiner von uns war darauf vorbereitet, dass wir heute eine neue Klassenkameradin bekommen. Diese Regeln sind für uns sehr wichtig. Akira wollte sicherstellen, dass du … keine Gefahr für uns darstellst.«
Ich kratze mich am Kinn.
»Ich glaube, ich kapiere es«, sage ich. »Eigentlich kapier ich noch gar nichts, aber es gibt bei euch wohl eine sehr starke Initiative gegen Mobbing.«
Mit trauriger Miene schaut Nomi plötzlich auf den Boden.
»So in der Art …«, murmelt sie.
»Nomi-san, keine Sorge. Mobbing ist asozial! Ich bin eine, die sich nichts gefallen lässt, aber so etwas mache ich bestimmt nicht. Ihr braucht keine Angst vor mir zu haben. Wenn es darum geht, Mobbing aus der Schule zu verbannen, dann mache ich mit.«
Jetzt zwingt das schüchterne Mädchen sich ein Lächeln auf und nickt leicht. Sie habe ich zumindest Mal überzeugt. Erleichtert atme ich aus und lasse meinen Blick durch das Klassenzimmer schweifen. Meine neuen Mitschüler sind wirklich ganz anders, als ich erwartet habe. Auf den ersten Blick wirken sie, abgesehen von ihren Augen, völlig normal. Doch dann fallen mir immer mehr Einzelheiten auf.
Es gibt keine Außenseiter. Erst dachte ich, dass einer der Jungs in der letzten Reihe, ein offensichtlicher Nerd mit einer riesigen Brille, seine Pause alleine verbringt, dann setzten sich zwei andere Jungs zu ihm. Gutaussehende, selbstbewusste Jungs mit perfekt sitzenden Krawatten. Sie klopfen ihm auf die Schulter, fragen, was er tut und wie es ihm geht. Jede andere Klasse, die ich kannte, hatte irgendeine Form von Hierarchie, aber hier ist das anders. Eine merkwürdig harmonische Stimmung liegt in der Luft, aber auch irgendwie eine verkehrte Welt.
Dann wird es schlagartig eiskalt im Klassenzimmer. So kalt, dass ich meinen Atem sehen kann. Ich reibe mir die Oberarme und sehe mich verwundert um. Was ist denn jetzt los? Heute sollten es doch den ganzen Tag über sonnige 20 Grad bleiben. Hat der Hausmeister vergessen, die Klimaanlage abzuschalten?
Die Erde beginnt zu beben. Mein Herz bleibt für einen Moment stehen und ich höre ein lautes Donnern. Brum. Brum. Brum. Die Tische und Stühle wackeln umher und die Kreide fällt vom Lehrerpult auf den Boden.
»Bereitmachen für Gegenmaßnahmen!«, ruft Akira, der Klassensprecher laut durch den Raum. Gegenmaßnahmen?
Nervös packe ich Nomi am Handgelenk.
»Was ist hier los??«
»Es ist alles gut«, erklärt sie. »Das ist nur ein kleines Erdbeben.«