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Schlüpfrige Karaoke-Bars

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Nomi hat mich zum Haupteingang des kleinen Schulgebäudes geführt und wir gehen die Treppe hinunter nach draußen auf die Straße. Die Schüler der anderen Klassen nehmen von den merkwürdigen Augen meiner Klassenkameraden überhaupt keine Notiz. Ob ich noch einmal versuchen sollte, danach zu fragen?

Unten wartet bereits Akira auf mich. Bei ihm sind noch zwei aus unserer Klasse. Ein hübsches Mädchen mit einer Pony-Frisur und einer unmenschlichen Menge Lipgloss auf den Lippen und der kleine Nerd mit der Brille, der mir in der Pause schon aufgefallen war.

»Alina-san, das sind Hanae und Shinsuke«, stellt Akira mir die beiden vor. Ich verbeuge mich leicht.

»Es freut mich, euch kennenzulernen.«

Überraschenderweise haben Akira, Hanae und Shinsuke auf einmal dunkelbraune Augen. Die Kontaktlinsen haben sie wohl ausgezogen. Ich drehe mich zu Nomi um und sehe, wie sie hinter meinem Rücken gerade flink ein kleines Etui in ihre Umhängetasche packt. Auch ihre Augen sind nicht mehr rot. Außerhalb der Schule möchten sie wohl normal aussehen. Vielleicht ist es ein Rollenspiel? Ein LARP?

Klingt eigentlich spannend. Ich will mitspielen!

»Wir wollten nach Shinjuku in eine Karaoke-Bar«, sagt die hübsche Hanae. Ihre Stimme ist tief und melodisch.

»Eine Karaoke-Bar?«, wiederhole ich. »Das habe ich noch nie gemacht.«

Alle schauen mich überrascht an. »Ich kann auch nicht wirklich singen«, füge ich hinzu.


Shinsuke lächelt. »Das musst du gar nicht, wenn du nicht willst. Da gehen wir nur hin, um Spaß zu haben.«

Ich nicke und wir gehen los.

Wir fahren einige Haltestellen mit der U-Bahn. Der kleine Ausflug gibt mir Gelegenheit, etwas mehr von Tokio zu sehen. Die Stadt ist wirklich gewaltig, lebendig und unfassbar bunt. Die vielen riesigen Gebäude um mich herum überfordern mich total und ich versuche, mein Staunen zurückzuhalten. Jetzt, wo ich weiß, dass wir in eine Karaoke-Bar gehen, achte ich natürlich besonders auf die Katakana カラオケ und stelle fest … dass die einfach überall sind. An jeder verdammten Straßenecke! In Tokio gibt es mehr Karaoke-Bars als Dönerbuden in der Kölner Innenstadt. Was zum Teufel hat es damit auf sich?

Kurz darauf gehen wir in eine davon hinein und stehen, zu meiner Überraschung nicht in einer üblichen Bar, sondern in einem Eingangsbereich mit Rezeption. Akira mietet für uns einen eigenen Raum, in welchen wir kurz darauf durch einen Korridor hingeführt werden. Ich blicke in ein fensterloses und schalldichtes Zimmer mit einem großen Fernseher an der Wand, mehreren Sofas und Tischen und natürlich einer Karaoke-Maschine. Als die Tür sich hinter uns schließt und wir alleine sind, kapier ich, warum diese Bars so beliebt sind.

Ich lächle.

»Ah, natürlich! Jugendliche gehen in Japan in Karaoke-Bars, um zu«, ich gestikuliere mit meinen Fingern Anführungszeichen, »Singen.«

Statt auf meine Anspielung zu reagieren, starren meine neuen Klassenkameraden mich verwundert an. Mich überkommt ein peinliches Gefühl.

»Wie meinst du das?«, fragt Nomi.

»Äh …« Ich versuche, mich aus der Situation heraus zu grinsen. »Also ein fensterloser Partyraum, wo junge Leute ihre Privatsphäre haben …«

Shinsuke zeigt mit dem Zeigefinger auf, als würde er sich im Unterricht melden.

»Ah! Sie glaubt, Jugendliche könnten diese Räumlichkeiten nutzen, um schlüpfrige Dinge zu tun.«

Ich kann sofort sehen, wie fast alle, außer dem Nerd, rot wie Tomaten werden. Akira kratzt sich am Hinterkopf.

»Das war nicht meine Absicht«, entschuldigt er sich und sucht sich hilfesuchend im Raum um. Mein Gott, sind die verklemmt.

Wahrscheinlich um die peinlich berührte Stimmung aufzulösen, schaltet Akira die Karaoke-Maschine an und lässt einen Song einer J-Pop-Band im Hintergrund laufen. Wir machen es uns gemütlich und kurz darauf kommt eine Bedienung durch die Tür und serviert uns Popcorn und Softdrinks. Der bebrillte Nerd ist zu meiner Überraschung der Erste, der sich traut, etwas zu singen. Er sucht sich den Titelsong von Dragonball aus. Ich grinse. Den Anime hat mein Papa mir mal gezeigt. Den schaut er heute noch, wenn er zuhause trainiert.

Die anderen fangen an, dazu Stimmung zu machen. Ich stimme mit ein und wippe im Sitzen hin und her. Shinsukes Stimme klingt gar nicht so schlecht und er kommt bei seinem Auftritt selbstbewusster herüber, als ich von einem Nerd erwartet hätte. Trotzdem wirkt das Verhalten meiner Mitschüler irgendwie etwas gespielt. So, als wäre die Harmonie in der Klassengemeinschaft für sie überlebenswichtig. Zu wichtig. Ich werde misstrauisch.

Als wenig später noch etwas zu Essen geliefert wurde und wir mit leisem, viel zu fröhlichen J-Pop, im Hintergrund zwanglose Unterhaltungen führen, will ich die Gelegenheit unbedingt nutzen.

Ich zieh noch einmal am Strohhalm meiner Cola und nehme all meinen Mut zusammen.

»Wollt ihr mir nicht mal erzählen, warum ihr in der Schule diese Kontaktlinsen tragt? Ist das so eine Art Rollenspiel?«

Augenblicklich verstummen die vier japanischen Schüler und starren mich an, als hätte ich gerade auf einem Veganer-Treffen eine Hühnerkeule ausgepackt.

»Alina-san«, beginnt der Klassensprecher, »wir freuen uns, dich in unsere Klassengemeinschaft aufzunehmen. Aber zu unserer und deiner eigenen Sicherheit, muss Hanae-san dir die Erinnerungen an unsere Augen nehmen.«

Das hübsche Mädchen, das etwas größer ist als ich, steht auf und stellt sich vor mich. Ich runzle die Stirn. Was kommt denn jetzt?

Plötzlich, völlig ohne dass ich darauf vorbereitet war, setzt sie sich auf meinen Schoß. Ich reiße die Augen auf und presse die Lippen zusammen, um nicht zu kichern, während sie eine Hand auf meinen Kopf legt, als würde sie nun mit einem satanischen Ritual beginnen. Oder meine Haare mit imaginärem Shampoo waschen.

»Alina-san, ich nehme dir die Erinnerung an unser Aussehen in der Schule«, sagt Hanae mit ernster Stimme. »Du wirst sie nicht mehr wahrnehmen, wann auch immer du sie siehst. Und nun … schlaf, Alina-san.«

What the fuck? Nicht nur, dass diese Verrückte mir über den Kopf streichelt, als wäre ich ein Kleinkind, sie verengt auch plötzlich die Augen und nähert sich meinem Gesicht.

»Ja, passt schon!!«, rufe ich laut und drücke sie etwas von mir weg. Erschrocken steht sie auf. So ganz unschlüpfrig war das jetzt nicht. »Hat euer LARP eigentlich ein Regelwerk mit einem Levelsystem oder so? Ich würde gerne wissen, mit welchem Skill ich tödliche Knutsch-Attacken abwehren kann.«

Die Stille im Raum und die entsetzten Gesichter meiner Mitschüler werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten. Was ist hier wirklich los? Haben die völlig den Bezug zur Realität verloren??

»Es funktioniert bei ihr nicht«, murmelt Hanae und blickt Akira fragend an. Ich schaue auf den Boden und atme durch. Langsam wird mir das zu viel …

»Vielleicht sollte ich nach hause«, sage ich und greife nach meiner Tasche. Sofort gestikuliert Hanae wild mit den Armen.

»Es tut mir leid, Alina-san! Normalerweise …«

»Ja, bei Jungs klappt das bestimmt auch, aber …«

»Akira-kun!«, ruft Nomi erschrocken.

»Das ist nichts gegen euch«, versichere ich ihnen. Nun steht der Klassensprecher auf und geht einen Schritt auf mich zu.

»Alina-san, wir wollten nur …«

Ein lauter und schriller Ton, der durch den ganzen Raum hallt und die Musik bei weitem übertönt, unterbricht Akira. Ich brauche eine Sekunde, bis ich checke, dass das Geräusch von unseren Smartphones ausgeht. Sofort wühle ich in meiner Tasche herum, um mein Handy herauszuholen. Die anderen tun es mir gleich und suchen hektisch nach ihren Mobiltelefonen. Jedes von ihnen surrt nicht nur wie verrückt, sondern vibriert auch ohne Unterlass.

Gerade wollte ich das Display aktivieren, als ich bemerke, dass dieses schon an ist und den ganzen Bildschirm mit einem Pop-Up überdeckt. In Hiragana-Schrift stehen dort mehrere Fett-gedruckte Wörter.

Katastrophenwarnung der Regierung – Terroranschlag in Shinjuku – Gehen Sie nicht ins Freie.

»Was?«, murmele ich überrascht und spüre, wie mein Herz anfängt, wie wild zu schlagen. Nach nur einem Blick in die Runde wird mir klar, dass auf jedem Smartphone im Raum gerade die gleiche Meldung zu sehen ist. »Was ist das? Ich wusste gar nicht, dass mein Handy so etwas kann.«

»Nomi-chan!«, ruft der Klassensprecher entschlossen. »Bleib du bitte hier bei Alina.«

Ich starre ihn an, wie er zusammen mit Hanae und Shinsuke zur Tür geht. »Was??«

Nomi steht auf und stellt sich dicht neben mich.

»Wo wollt ihr hin?«, frage ich. »Hier steht doch, wir sollen nicht rausgehen.« Aber sie reagieren nicht und sind einen kurzen Moment später verschwunden.

Fuck!

Völlig fertig mit den Nerven lasse ich mich auf das Sofa fallen und minimiere das Pop-Up.

Nomi setzt sich neben mich. »Was hast du vor?«

Ich öffne den mobilen Browser. »Wenn es einen Terroranschlag gibt, dann steht in den Nachrichten vielleicht, was hier los ist.«

»Ah, stimmt«, sagt Nomi. »Gute Idee, Alina-san.«

Kurz denke ich darüber nach, ob ich meinen Vater anrufen soll. Aber bei der Arbeit hat er sein Handy sowieso immer aus. Verdammt. So ein verdammter Mist. Toller erster Schultag in Tokio …

Ich gehe auf eine japanische Nachrichten-Website und starte dort direkt einen Livestream. Über das WLAN der Karaoke-Bar strömen die Bilder direkt auf mein Display und ich sehe in einer Live-Schalte einen jungen Journalisten mit Brille in einem schicken Anzug, der mit einem Mikrofon vor einem großen Gebäude steht. Unter ihm ist eine Laufschrift.

+++ TERRORANSCHLAG IM SHINJUKU EINKAUFSZENTRUM +++

»Ich stehe hier direkt vor dem Shinjuku Einkaufszentrum, gegenüber vom Bahnhof, wo vor wenigen Minuten mehrere unbekannte Angreifer mit Maschinenpistolen um sich geschossen und damit einen Großeinsatz der Polizei ausgelöst haben. Es gibt offenbar mehrere Verletzte.«

Mehrere Krankenwagen und ein Polizeiauto fahren in dem Moment ins Bild.

»Wir haben noch keine Informationen, ob es bei dem Attentat Todesopfer gegeben hat. Die Täter befinden sich noch auf der Flucht. Die Behörden warnen alle Menschen in Shinjuku davor, auf die Straße zu gehen. Es besteht Lebensgefahr!«

Dann friert das Bild ein. Ungeduldig tippe ich auf meinem Display herum, bis eine Fehlermeldung erscheint.

»Oh, verdammte Scheiße!!«, fluche ich auf Deutsch. »Warum ausgerechnet jetzt??«

Ich gehe zurück auf die Startseite der Zeitung und öffne den Artikel mit dem Liveticker. Doch kurz nachdem ich die Seite laden wollte, sehe ich nur einen weiteren Error: »404 Seite konnte nicht gefunden werden.«

»Was zum …«

»Sei bitte nicht böse auf Hanae«, flüstert Nomi mir auf Japanisch zu. »Sie wollte dich bestimmt nicht so erschrecken. Hanae-chan ist manchmal etwas eigen, aber sie ist eine ganz liebe Freundin.«

Das interessiert mich gerade überhaupt nicht.

»Ist schon okay«, sage ich und winke ab.

»Nein!«, ruft Nomi etwas lauter und packt mich am Arm. Ich runzele die Stirn und sehe zu ihr auf. Sie schaut mich eindringlich an. »Ich will nicht, dass du uns wegen dieses Vorfalls jetzt hasst.«

»Es ist okay!«, versichere ich ihr erneut. »Ihr seid ein wenig schräg, aber ich hasse euch doch nicht. Wir kommen schon klar. Jetzt will ich nur herausfinden, was hier los ist und wie ich sicher nach Hause komme.«

Ich öffne eine andere Nachrichtenseite und suche nach Artikeln zu dem Terroranschlag. Kann aber keine finden. Hä? Schnell öffne ich die App Mastodon. So ein Ereignis muss doch in den Trends zu finden sein?

Aber auch wenn ich explizit nach »Anschlag« und »Shinjuku« suche, finde ich absolut gar nichts. Dafür merke ich, wie Nomi mir über die Schulter sieht.

»Tut mir leid«, murmelt sie. »Wir müssen Vorfälle wie diese vertuschen und wir müssen sie auch im Internet verschwinden lassen.«

Mein Herz bleibt für einen Moment stehen. Ganz langsam hebe ich meinen Kopf und drehe ihn zu Nomi. Was hat sie da gerade gesagt? Ein unglaublich mulmiges Gefühl durchströmt meinen Körper.

»Nomi-san, das ist kein Spaß!«

Meine Mitschülerin reißt ihre Augen weit auf und schaut nach oben, ohne den Kopf dabei zu bewegen. Dann pikt sie sich mit Daumen und Zeigefinger in die Augen.

Was zum Teufel??

Ich sehe, wie sie aus dem linken Auge eine dunkelbraune Kontaktlinse herausholt. Darunter ist die Iris rot wie Blut. Sie wiederholt das mit dem rechten Auge.

Ich weiche erschrocken zurück.

»D-d-die roten Augen sind deine echten Augen??«

»Alina-san.«

»ZURÜCK!«, brülle ich, stehe auf und gestikuliere wild mit den Händen. Doch das Albino-Kaninchen folgt mir.

»Aber Alina-san …«

»Was soll das alles?? Erklär mir, was hier los ist!«

Fuck! Sind das doch Vampire oder was??

»Ich möchte dir nicht weh tun.«

Schweiß tropft mir von der Stirn. Was ist los? Habe ich etwa das erste mal in meinem Leben Angst? Nein! Ich habe vor nichts Angst! Vor gar nichts! Auch nicht vor japanischen Vampiren in schlüpfrigen Karaoke-Bars!

»Okay, ihr seid alle echt schräg! Sind das einfach mehrere Kontaktlinsen übereinander oder ist das angeboren? Seid ihr alle miteinander verwandt?« In meinem Kopf rattern Dutzende von Erklärungsversuchen durch.

»Wir sind …«

»STOPP!«, brülle ich laut und merke, wie die Wut in mir hochkommt. »Weißt du eigentlich, wie das für mich gerade ist? Das ist mein erster Schultag auf der anderen Seite der Welt. Ich such Anschluss und Freunde und dann passiert auf einmal ein Terroranschlag und ihr tut so, als wüsstet ihr was los ist, als würdet ihr das Internet kontrollieren und als wäre das alles nur ein Spiel!! Habt ihr alle zu viel gesoffen und glaubt, das ist witzig oder was?? Ist das alles eine riesige Verarsche?«

Ich fange an zu grübeln. Ist das alles vielleicht nur eine Show? Mobbing? Könnte einer von denen technisch versiert genug sein, um mein Handy zu hacken, um so eine Warnmeldung anzuzeigen? Diese Bastarde!

Adrenalin schießt in mir hoch und ich hole weit mit der Hand aus. Ich verpasse Nomi eine so starke Ohrfeige, dass sie auf das Sofa fällt und laut aufschreit vor Schmerzen.

»Ich lass mich nicht von euch verarschen, ihr Wichser!!«, schreie ich auf Deutsch, wohl wissend, dass Nomi kein Wort verstehen kann.

Sofort kauert sich das Mädchen zusammen und zieht die Knie an ihren Kopf. In Embryonalstellung klammert sie sich ans Sofa und wimmert. Tolle Vorstellung, du Schauspielerin des Jahres!

Ich beachte sie nicht weiter und laufe hinaus.

Fear Of The Void Vol. 01

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