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Wissen ist Macht. Was macht man mit dem Wissen?

Das Gesundheitswesen befindet sich in einer politischen, sozialen und finanziellen sowie, was schlimmer noch ist, in einer intellektuellen Krise. In Letzterer ist die Ärzteschaft tief involviert. Die über 1 Milliarde Euro, die die Gesellschaft seit 1 ½ Jahren täglich für das Gesundheitswesen ausgibt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es an Effizienz mangelt. In allen Bereichen chronischer Erkrankungen liegt die BRD innerhalb der EU bestenfalls im Mittelfeld, obwohl sehr viel mehr Geld zur Verfügung steht als in den anderen Mitgliedsstaaten. Wollten wir die wachsende Zahl an Demenz erkrankten Menschen in Zukunft so betreuen, wie es das Menschenbild unserer Verfassung vorgibt, würden wir allein dadurch die Grenzen der personellen und ökonomischen Möglichkeiten erreichen. Für 2018 werden für Deutschland 1.534.170 Mio. Demenzkranke genannt (Deutsche Alzheimer Gesellschaft). Bis 2060 wird ein Anstieg auf 2,3 Mio. erwartet. Das entspricht 34% der über 65jährigen (Statista: Dosier Demenzerkrankung 2020). Eine funktionierende Primärprävention ist so gut wie nicht existent. Sie würde auch den Markt des Geschäfts mit der Krankheit verderben. Es gibt zwei sehr unterschiedliche Lösungswege: den macht- und ordnungspolitischen oder den inhalts- und strukturanalytischen.

Im Gesundheitswesen werden Entscheidungen in der Regel machtpolitisch getroffen. Die Vorgehensweise ist dabei reduktionistisch. Die Methoden werden so gewählt, dass das anvisierte Ziel erreicht werden kann, ja erreicht werden muss. Leicht findet man die notwendigen Experten. Nichts lässt sich besser kalkulieren als die Expertenmeinung, die man sich passend zum gesetzten Ziel aussuchen und einkaufen kann. Damit ist nicht Bestechlichkeit gemeint. Diese ist ein zusätzliches Problem. Gemeint ist die Position „Wes Geld ich nehm, des Lied ich sing“. So bedient sich die Politik scheinbarer seriöser Meinungsbildung und kann vermeintlich nicht anders handeln, als sie es tut. Ihre Gutachter werden als besonders qualifizierte Gutachter angesehen, da sich eine politische Institution oder der Staat ja ihrer bedient. Jede andere Meinung rutscht in ein hierarchisches Gefälle und gilt als weniger kompetent. Wie siamesische Zwillinge wachsen Politik und Experten miteinander heran. Bei der Meinungsbildung und der Informationspolitik zu COVID-19 wird es überdeutlich. Man muss in diesem Zusammenhang sogar von Zensur sprechen, die mit den digitalen Medien nicht etwa schwerer, sondern bedarfsweise viel leichter funktioniert. Es spricht nicht gegen diese Feststellung, wenn Meinung grundsätzlich leichter dargestellt werden kann. Wenn aber Beiträge jederzeit entfernt werden können oder die Tatsache der Präsentation in diesen Medien bereits als ein Qualitätsmangel angesehen wird, ist eine Diskussion auf Augenhöhe nicht zu erwarten.

In dem von mir unmittelbar miterlebten Feld kann die Studie des Umweltbundesamts (UBA) zur Untersuchung der Eigenschaften der Multiplen Chemikalien Sensitivität (MCS) exemplarisch herangezogen werden, die durch das Robert Koch-Institut (RKI) durchgeführt wurde einer Institution, der man eine besondere Bedeutung infolge des unabhängigen und neutralen Gebrauchs von Wissen und Wissenschaft gibt.

Es handelt sich bei MCS um Patienten, die eine starke und rasch einsetzende Überempfindlichkeit gegenüber alltäglich vorkommenden Chemikalien entwickelt haben, welche sie zuvor als Gesunde problemlos vertragen haben. Die Mechanismen sind nur teilweise geklärt. Sie sind nicht toxischer oder allergischer Natur. Vielmehr kommt es auf der Grundlage genetischer und epigenetischer Variabilität zu einer komplexen Störung physikalischer, biochemischer und immunologischer Effekte. In den Bereichen, in die ich im Laufe vieler Jahre Einblick in die Arbeit des RKI nehmen konnte, kann ich eine Neutralität und stringente Wissenschaftlichkeit nicht bestätigen. Der Vertreter des UBA stellte bei der angesprochenen Studie bereits bei der Eingangskonferenz zum Thema fest, dass sie kein anderes Resultat zeigen kann, als dass es sich um eine psychische oder psychosomatische Erkrankung handelt. Warum hatte man dieses Ziel?

Die Prosperität der BRD wurde über lange Zeit stärker durch die Leistungsfähigkeit der chemischen Industrie als durch die Autoindustrie bestimmt. Ein Viertel der weltweiten Produktion chemischer Substanzen fand damals auf westdeutschem Boden statt. Es fiel auch ein Viertel der unerwünschten gasförmigen, an Partikel gebundenen und festen Abfallstoffe an und sie wurden über dieses kleine Land in der Luft verteilt, in das Wasser geleitet oder sorglos in den Boden vergraben. Es bestand ein gemeinsames Interesse von Industrie und Staat, die Erkennung des Risikos gering zu halten. Zwei Disziplinen der Medizin sind dabei hilfreiche Assistenten: die Toxikologie und die Psychiatrie. Warum? Die Toxikologie untersucht die Giftigkeit von einzelnen Stoffen in kurzen Zeiträumen. Damit wird ein künstliches Szenario geschaffen, das allenfalls bei (beruflichen) Unglücken eine Rolle spielt. Die Realität der Situation der Bevölkerung besteht darin, dass Langzeitexpositionen von niedrigen Mengen, dafür aber sehr komplexen Schadstoffgemischen vorliegen, die oftmals eine lange Speicherdauer aufweisen. Sie reichern sich deshalb stetig im Körper an. Ein Sachverhalt, dem im Kapitel der COVID-19 Pandemie noch besonderes Augenmerk geschenkt wird. Die Toxikologie untersucht diesen Sachverhalt nicht und berücksichtigt die Unterschiedlichkeit der Toleranz einzelner Personen (Suszeptibilität) auch nicht. Sie informiert auch nicht über die Grenzen ihrer Möglichkeiten, sondern suggeriert, dass unterhalb einer so ermittelten Schwellendosis nichts passieren könne. Die Institutionen signalisieren auf dieser Basis der Bevölkerung eine Wissenschaftlichkeit, die nicht existiert. Erst jüngst hat Straub in einem exzellenten, international beachteten Buch dargestellt, dass sich chronische Krankheiten über lange Zeiträume durch das Zusammenwirken genetischer Gegebenheiten und ständiger Einflüsse aus der Umwelt entwickeln. Wie auch anders – die gesamt Evolution hat sich dieses Wegs bedient. Die eigene Überschätzung der Menschen führt zu einer Unterschätzung der Macht der Natur. Die chemische Industrie der Nachkriegszeit hatte ein großes Interesse daran, Zusammenhänge von Krankheit und Exposition mit Chemikalien ungeklärt zu lassen. So wundert es nicht, dass für das Studienkonzept des RKI ausschließlich psychiatrische Aspekte gewählt wurden. Funktionelle Analysen, die in der wissenschaftlichen Literatur bereits publiziert waren, wurden nicht berücksichtig. Auf diesen Sachverhalt wird im nächsten Kapitel genauer eingegangen.

Wie geht man vor, einer Position internationale Bedeutung zu geben? Man holt sich eine renommierte Institution an die Seite. Die Welt-Gesundheitsorganisation (WHO) ist eine solche Institution, mit deren Hilfe man der eigenen vertretenen Meinung mehr Gewicht verleihen kann, wenn diese Organisation mit dieser übereinstimmt. Auf Betreiben der chemischen Industrie kam es zu einem Treffen in Berlin. Die chemische Industrie erwartete eine Änderung der Diagnose Multiple Chemikalien Sensitivität (Multiple Chemical Sensitivity, MCS) in Idiopathische Umwelt Intoleranz (Idiopathic Environmental Intolerance; IEI), um den Begriff Chemikalien aus der Diagnose zu entfernen, da dieser Zusammenhang nicht bewiesen sei. Es waren u. a. Vertreter der chemischen Industrie, der nationalen Behörden, zwei amerikanische Wissenschaftler und ein Mitglied der WHO eingeladen worden. Ich hatte als damaliger Vorstandsvorsitzender und Gründungspräsident des Deutschen Berufsverbands der Umweltmediziner (dbu) keine Einladung erhalten, obwohl die Ärzte des dbu die einzigen waren, die solche Patienten auch in nennenswerter Zahl betreuten. Der Öffentlichkeit wurde später in einer Pressekonferenz das Treffen als eine Konferenz der Welt-Gesundheitsorganisation (WHO) dargestellt, auf der beschlossen worden sei, dass MCS in IEI umzubenennen sei. Die Industrie hatte vermeintlich ihr Ziel erreicht. Diese Strategie hatten sich mit der Industrie kooperierende Personen ausgedacht, denen wir als Beamte von Behörden eine besondere Sicherheit ihrer Existenz aus unserem Steueraufkommen bieten und denen wir besonders vertrauen. Der WHO-Vertreter stellte hernach klar, dass es eine Konferenz der WHO in diesem Zusammenhang nie gab (s. nächstes Kapitel) und dass er als WHO-Repräsentant lediglich Gast dieser Veranstaltung war. Fachliche Inkompetenz, strategisches Geschick und Verlogenheit wurden zu Lasten der Kranken und der Gesellschaft eingesetzt. Sie wurden von denen umgesetzt, zu denen wir auf Grund der Zugehörigkeit zu scheinbar neutralen, vom Bürger finanzierten Institutionen ein besonderes Vertrauen haben. Das wiederholt sich bei COVID-19 und 5G erneut.

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