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4.

Dieselgate – ein Rückblick in die Zukunft

(überarbeiteter Aufsatz in umg 2018; 30(4): 48-49)

Wenn man als Arzt mehr als viereinhalb Jahrzehnte im Gesundheitswesen tätig ist und sich davon 3 Jahrzehnte mit sehr begrenztem Erfolg bemüht hat, die Rolle der Umwelteinflüsse für die Entwicklung von Krankheiten immer besser zu verstehen und dies in Weiterbildung zu vermitteln und durch Prävention eine humane und kostengünstige Bewahrung der Gesundheit der Gesellschaft zu erreichen, statt symptomatisch und teuer vermeidbare Krankheiten zu therapieren, überrascht einen kaum noch etwas. Nun ist es doch geschehen. Wieso? Der Grund: Die Strategien sind beim Auto auch nicht besser als bei den Menschen, obwohl es (das Auto) unser höchstes Gut ist. Der Diesel hat es aufgedeckt. So führt der Spiegel (2018, Nr. 32, Seite 5) in seiner Titelgeschichte aus: „Dieselgate – Dieselgipfel hat die enge Verquickung zwischen Politik und Autoindustrie offengelegt – Die Bundesregierung ist quasi handlungsunfähig.“ Auf Seite 8 der gleichen Ausgabe schreibt dazu Jakob Augstein unter dem Titel „Große Verlotterung“: „Es (Ergänzung: das Kartell) will die Lüge zur Wahrheit machen! …“ Er fährt fort „… die Autobauer werden viel weniger zahlen müssen, als sie müssten, wenn es mit rechten Dingen zuginge, und stattdessen die Rechnung weiterreichen – an Menschen und Umwelt, die mit ihrer Gesundheit bezahlen müssen.“

Das sind vertraute Abläufe und sie überraschen letztendlich nicht. Es war doch in dem knapp halben Jahrhundert meiner Tätigkeit bei allen umweltrelevanten Themen schon immer so. Die Strukturen waren die gleichen: ein Kartell, die Umwandlung der Lüge zur Wahrheit, schließlich die Verquickung der Interessenvertreter mit der Politik und all den Institutionen, die eigentlich zum Schutz der Bürger eingerichtet worden waren, die sich aber in dieser Gemengelage den Interessen von Lobbyisten unterordnen. Dazu die gut dotierten Gutachter, die ihren Hippokratischen Eid und die Verpflichtung zur Sorgfalt vergaßen. Nicht die Täter waren das Problem, sondern die Frühwarner. Der Begriff Whistleblower wurde letztendlich zum Schimpfwort.

Die humanistisch Gebildeten wissen, dass schon Kassandra mit der Wahrheit Schiffbruch erlitt. In „Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen“ führt Yuval Noah Harari aus, dass sich der Humanismus selbst abschaffe, sobald er eingetreten ist. Diesen Schritt werden alle derzeit Lebenden nicht befürchten müssen. Die Aphorismen, mit denen die Gesellschaft gelenkt wird, sind gleich, nur die Themen variieren. Gerade ist es der Diesel. Wie war es damals noch, als die Holzdecken der Zimmer mit Pentachlorphenol und Lindan gestrichen und die Ständerwände der Fertighäuser darin getaucht wurden. Schulpavillions waren damit ebenso verseucht wie Ledergarnituren, selbst noble, und Textilien. Man schreckte auch nicht davor zurück den Säuglingen und Kindern die Kopfläuse damit zu behandeln. Es konnte in all diesen Fällen gar nichts passieren, da der Referenzwert für die Belastung des Serums schulmedizinisch und von dem Kartell der Produzenten anerkannte Sachverständigen mit 70 µg/gKreatin Serum festgelegt wurde, obwohl man um das besondere Risiko der darin enthaltenen polychlorierten Dioxine und Furane seit den 50er Jahren wusste. Inzwischen ist der Referenzwert auf < 12 µg/gKreat gesenkt worden. Es ist längst nachgewiesen, dass beide Substanzen genotoxisch sind und epigenetische Effekte ausüben. Die auf der Basis von 70 µg/gKreat getroffenen Urteile blieben gültig, die schwer erkrankten und oftmals wirtschaftlich und sozial schwer geschädigten Menschen wurden nie rehabilitiert.

Wer bilanziert die Folgen dieses Fehlgebrauchs? Selbst wenn man es nur ökonomisch sieht, wird man die Frage stellen müssen, wie viel wurde für das Bruttosozialprodukt durch Produktion und gewerbliche und private Nutzung erwirtschaftet und wie viel muss die Gesellschaft jetzt und folgende Generationen künftig für den dadurch erzeugten Schaden aufbringen? Was ist aus den gedungenen Sachverständigen geworden, die die Fehleinschätzung sanktioniert haben? Was aus den Behörden, die die Steigbügel gehalten haben? Hat je ein Richter sich dazu geäußert, wie viel Fehlurteile er auf dem Boden dieser Fehleinschätzungen gefällt hat? Schauen sich die Gerichte seitdem ganz genau an, wer welche Daten liefert? Oder ist die Bereitschaft gewachsen, den Whistleblowern doch genauer zuzuhören? Es interessiert niemanden, nicht die zuständigen Ministerien, nicht die politischen Parteien, auch die Ärzteschaft nicht, die Krankenversicherungen schon gar nicht. Dieselgate gab es schon immer. Eine Änderung ist nicht in Sicht.

Wer nimmt Schaden bei solchen Geschichten? Die Sachverständigen wegen ihrer Fehleinschätzung? Die Beamten in Behörden, die sich die Bürger mit Steuergeldern eigentlich zum eigenen Schutz leisten, die allerdings zu Kooperateuren des Kartells wurden? Die Lenker solcher Kartelle? Die Richter, die immer auf der Seite der Starken zu finden sind, nichts kritisch überdenken und ihre reinigende Kraft für die Funktion einer Demokratie vergessen? Sie alle nicht! Haben sie alle auf Reformen gedrängt, die uns künftig helfen würden, solche Ereignisse unwahrscheinlicher zu machen? Den Preis haben die Mahner bezahlt, die diffamiert wurden, aber Recht hatten und – die Betroffenen. Für sie gibt es anders als bei Dieselgate nicht einmal eine Änderung der geschädigten Hard- und Software.

Dies alles werden einmal historische Bagatellgeschichten sein, wenn das eintritt, was sich in der kritisch forschenden Literatur bereits abzeichnet. Die chronische Einwirkung unphysiologischer elektromagnetischer Felder (EMF) kann all das verursachen, was wir über Jahrzehnte bei den Chemikalien gelernt haben. Es werden chronische Entzündungsprozesse im Körper ausgelöst, immer dann, wenn er sich hilflos immunologisch wehren will. Die chronischen Entzündungsprozesse, die diskret ablaufen und mit alltäglicher Diagnostik nicht zu ermitteln sind, werden zu weitreichenden Veränderungen des Energiehaushalts und des Neurotransmitterstoffwechsels (Botenstoffe des Gehirnstoffwechsels) führen, wobei die Absenkung des Serotonins das Augenfälligste sein wird. Die allenthalben diagnostizierte Depression wird weiter um sich greifen und zu einer weiteren Eskalation des Gebrauchs der Antidepressiva führen, da sich niemand mit den Ursachen befasst. Diesmal wird die umweltmedizinisch so bedeutsame Expositionsmeidung nicht mehr greifen können.

Die Pharmaindustrie wird sich die Hände reiben, die Gewinne werden steigen. Der Hirnstoffwechsel wird durch EMF verändert, wie es vor wenigen Monaten erst publiziert wurde. Der in den USA tätige, deutschstämmige Autor Gunar Heuser hat Jahrzehnte der Erfahrung im Nachweis metabolischer Veränderungen des Gehirns und die durch Umweltnoxen ausgelösten Perfusionsstörungen. Ein Problem, das ich selbst auch im Zusammenhang mit Chemikalien erforscht und zu dem ich mit ihm schon vor zwei Jahrzehnten zusammengearbeitet habe. Die so vom Elektronentransport abhängigen Mitochondrien werden aufgrund der temporeichen Lebensweise unter komplexen Einflüssen taumeln, der Energiebedarf wird steigen, was nur durch ständige Freisetzung von Katecholaminen (Stesshormone) gelebt oder durch Drogen erzeugt werden kann. Die Zahl derer, die zu früh erschöpfen, wird rasant steigen, wie es die letzten beiden AOK-Statistiken bereits klar erkennen lassen. Die Kanzlerin wird die grenzenlose und unüberlegte Digitalisierung der Schulen einfordern, obwohl gerade jüngsten Studien zur Vorsicht mahnen und einzelne Länder mit der Rückentwicklung dieser Strategie begonnen haben.

Dieselgate? Das ist doch diese lächerlich kleine Geschichte um eine Antriebstechnologie für Verbrennungsmotoren! In einem Interview im Ersten Programm des Bayerischen Rundfunks am 08. 10. 2017 meinte ein Zukunftsforscher vielsagend, dass immer noch nicht erkannt sei, wie groß die Adaptationsfähigkeit der Menschen sei und wie ängstlich man auf die Entwicklung der Zukunft schaue. Er hätte damit Recht, wenn er die Millionen Jahre nennen würde, die wir für solche Adaptationsvorgänge tatsächlich brauchen und wenn er das Kleinholz nicht übersehen würde, das am Wegrand dieser Entwicklung liegt: Zunahme der Allergiker von einer Prävalenz von ca. 7 Prozent, als ich mich 1981 niederließ, auf nun weit über 40 Prozent in einer Studie in Lübeck an 230.000 Menschen 2008. Steigerung des Gebrauchs von Psychopharmaka um 300–400 Prozent in den letzten 40 Jahren. Erhebliche Zunahme des Autismus, hohe Prävalenz chronisch entzündlicher, insbesondere autoimmuner Krankheiten. Die künftigen zielgerichteten Immuntherapien von Krebserkrankungen werden pro Behandlungsfall in Abhängigkeit von der Tumorart auf bis zu 450.000 € pro Patient und Jahr geschätzt. Das werden sich nur noch vielfache Millionäre und Milliardäre leisten können. Letztere haben ihren Anteil am Weltkapital während der kurzen Zeit von COVID-19 von über 8 Billionen auf über 12 Billionen US Dollar steigern können. Nicht einmal der wohlhabende, privat versicherte Mittelstand wird Zugang zu solchen Behandlungen mehr haben.

Wahlen in diesem Land thematisieren manches. Dies nicht. Keine der politischen Parteien hat sich für solche dringenden Fragen der Zukunft interessiert. Auch das war schon immer so. Selbst die Grünen haben sich immer mehr für das Überleben der Ulme an der Einfallsstraße am Stadtrand eingesetzt als für tatsächlich relevante Gesundheitsthemen der Gesellschaft. Früher gab es wenigstens in den verschiedenen Parteien einzelne Abgeordnete, die sich für solche Probleme engagierten. Inzwischen gibt es auch die nicht mehr. In einem solchen Labyrinth haben Ärzte früher eine wichtige kritische Position bezogen. Es waren nie die Standesorganisationen, auch bei den Ärzten waren und sind es nur einzelne Personen. Deren Zahl nimmt ständig ab, da sie mehr und mehr aus Altersgründen ausscheiden und es keinen Nachwuchs gibt. Solche Themen sind auch an den Universitäten nicht präsent, das Gebiet der Klinischen Umweltmedizin, das sich damit auseinandersetzt, wird gar nicht erst gelehrt. Wir bilden systematisch Leitlinien konforme Arzneimittel-Verordner heran, was wenig mit der Ausübung des ärztlichen Berufs zu tun hat und durch einen Computer besser geleistet werden könnte. Die Ärzteschaft steht längst vor der existenziellen Frage, was sie künftig sein will. Sie beschäftigt sich nicht damit und hat auch keine Antwort darauf. Es wäre dringend geboten, den Lobbyismus in allen Bereichen, insbesondere dem Gesundheitswesen, transparent zu machen. Die Verhinderung von Lobbyismus ist illusionär. Die einzige Lösung besteht darin ihn gesteuert öffentlich zu machen und ihm feste parlamentarische Zeiten einzuräumen, um die verfolgten Interessen wahrzunehmen. Jede Form von verdecktem Lobbyismus müsste dazu strafbar werden. Solche Korrekturen werden die Lobbyisten allerdings zu verhindern wissen. Dieselgate, der neuer Name einer alten Seuche.

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