Читать книгу Sizilien - Kurt-Heinz Weber - Страница 7

1. Von armen Leuten und großen Herren
Sizilien in der Darstellung seiner Schriftsteller Die elementaren Dinge des Lebens

Оглавление

Einen Mord begeht er, heimtückisch und kaltblütig. Hinter einer Opuntienhecke lauert er seinem Opfer auf und erschießt es. Der, den er umbringt, ist nicht etwa ein Widersacher, ist kein Konkurrent oder Nebenbuhler. Das Opfer ist ein ihm sehr ergebener Knecht. Dieser habe ihn betrogen, glaubt der Herr, betrogen mit seiner Frau; nein, nicht die des Herrn ist gemeint, sondern die des Knechts. Und als sei das nicht schon vertrackt genug, fühlt sich der Herr auch noch im Recht, denn dass der Knecht eine sexuelle Beziehung zur eigenen Ehefrau aufnahm, ist ein Verrat am Herrn – dabei ist noch nicht einmal ausgemacht, ob er das wirklich getan hat. Mit dieser Bluttat beginnt der Roman Der Marchese von Roccaverdina des Luigi Capuana (1839–1915).

So eine Mordgeschichte kann sich nur unter besonderen Bedingungen zutragen. Wir befinden uns im ländlichen Sizilien im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Mag der Feudalismus nach dem Gesetz auch abgeschafft sein, in den Köpfen lebt er weiter, in denen der Herren und in denen der Knechte. Es wird billigend hingenommen, dass ein „großer Herr“ sich eine junge Magd – sie ist sechzehn – ins Haus holt und sie zu seiner Geliebten macht. Dass die Magd ihrem Gebieter gefügig ist, gehört ebenso zu den üblichen Verhaltensweisen; etwas anderes erwartet man gar nicht. Dass die beiden nach den Lehren der Kirche „in Sünde leben“, wissen alle, ebenso, dass selbst für weltliche Moralvorstellungen eine solche Beziehung verwerflich ist. Deswegen wird aber ein mächtiger und vermögender Mann nicht etwa geächtet oder angefeindet, für ihn gelten besondere Konditionen. So war es schließlich schon immer.

Der Marchese ist ein Landedelmann, eine Art Bauernbaron. Das junge Mädchen, das er sich zur Mätresse nimmt, ist ebenso schön wie unterwürfig. Ohne viel Aufhebens zu machen übernimmt sie auch noch die Pflichten der Hausfrau. Dieses Verhältnis hat seine Annehmlichkeiten; zehn Jahre lässt sich der Marchese das Leben mit seiner „Sklavin“ gefallen. Was ihn indessen stört, sind die religiösen und moralischen Bedenken, die er als gehorsamer Sohn der Kirche durchaus teilt. Hinzu kommt noch, dass ihm die Mätresse keinen Erben schenken kann, der könnte nur in einer Ehe gezeugt werden. Also beschließt der Marchese, sich der Frau zu entledigen. Das geschieht am reibungslosesten dadurch, dass er sie verheiratet. Er gibt sie einem seiner Knechte zur Ehefrau. Weder dieser noch das Mädchen widersetzen sich dem Willen, oder besser dem Befehl ihres Herrn.

Aber so einfach ist die Trennung nicht, denn noch immer ist der Marchese empfänglich für die Reize der Schönen, und der Gedanke, dass ein anderer sie besitzen soll, ist ihm unerträglich. Er sinnt auf einen Ausweg: Vor dem Kruzifix müssen sie ihm schwören, dass sie nur eine Scheinehe führen. Als der Marchese zu bemerken glaubt, dass sie den Eid gebrochen haben, tötet er den Knecht. Für den Mord wird er vorerst nicht zur Rechenschaft gezogen. Doch verfolgt die Tat den Marchese und das ist der eigentliche Inhalt des Buches: Qualvoll und nicht enden wollend kreisen seine Gedanken darum. Mit analytischer Schärfe und minutiös beschreibt Capuana diesen inneren Konflikt. Wie die Geschichte ausgeht, soll hier nicht verraten werden, denn man kann sie auch wie einen Krimi lesen. Der wäre dann von der Sorte, bei der der Täter von vornherein feststeht, sodass es nur darum geht, ob und wie er überführt wird.

Es sind vor allem die kleinen Gesten und die Redewendungen, die etwas aufscheinen lassen von der eigentümlichen Atmosphäre Siziliens gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Mit „voscenza benedica“ begrüßen die Bauern ihren Grundherrn, was ungefähr „Euer Exzellenz segne mich“ heißt. Und selbst bei dem Mädchen, das der Baron zu seiner Geliebten macht, bleibt die Distanz erhalten, auch sie redet ihn mit „voscenza“, also „Euer Exzellenz“ an. Doch auch unter den harten klimatischen Bedingungen leiden die Menschen. Eindringlich schildert Capuana das Ausbleiben des Regens, selbst im Herbst will er nicht fallen. Und als es endlich doch regnet, geschieht ein sizilianisches Wunder. Das ausgedörrte, von der Sonne versengte Land, trostlos und öde, verwandelt sich in einen üppig blühenden Garten.

Es war Luigi Capuana, der das literarische Programm des „Verismo“, der italienischen Spielart des Naturalismus, entwickelte. Anregungen holte er sich bei den Franzosen, bei Émile Zola und Paul Bourget. Der Verismus wendete sich der Gegenwart zu, er wollte das Alltagsleben wiedergeben, vor allem das der unteren Volksschichten. Nicht zufällig entstand er in Sizilien, im Süden, denn der konnte von der italienischen Vereinigung wirtschaftlich nicht profitieren. Er blieb ein strukturschwaches Agrarland, das gekennzeichnet war von Armut und Abwanderung. Der Naturalismus wurde jedoch keineswegs einfach auf italienische Verhältnisse übertragen, ebenso wenig wollte die Literatur nur soziale Missstände anprangern. Was die sizilianischen Schriftsteller entdeckten, ist die Eigenart ihrer Heimat, sind die Unterschiede zu anderen Regionen Italiens. Ihre Werke sind auch Akte der Selbstbesinnung. Damit zusammen geht die Erkenntnis, dass das Leben der einfachen Leute auf Sizilien – der Bauern, Hirten und Fischer – literaturfähig ist, das heißt, dass sich in ihm Exemplarisches vollzieht. Es stellt sich dar als eine besondere Modifikation der allgemeinen menschlichen Daseinsbedingungen; es hat seine eigene Schönheit und Tragik, hat seine Passionen und Obsessionen und bringt seine Mythen und Weltsichten hervor. Die neuere sizilianische Literatur entsteht in der geschichtlichen Stunde, in der die Insel den Anschluss an Italien gewinnt und ihre Rolle in dem neu formierten Nationalstaat finden muss.

Dieser Prozess spiegelt sich wider in der Biografie des aus Catania stammenden Giovanni Verga (1840–1922), des wichtigsten Vertreters des Verismus im 19. Jahrhundert. Er teilte das Schicksal nahezu aller sizilianischen Künstler und Intellektuellen. Wie vor ihm sein Freund Capuana und der Komponist Vincenzo Bellini (1801–1835), wie nach ihm der Dramatiker Luigi Pirandello (1867–1936) und der Maler Renato Guttuso (1911–1987) wechselte Verga als junger Mann auf das Festland. Nur so glaubte er Anschluss zu finden an die geistige Entwicklung der Epoche. Er ging nach Florenz, dann nach Mailand. Zunächst befasste er sich mit erotischen und mondänen Themen. Geltung als Schriftsteller erlangte Verga erst, nachdem er begonnen hatte, von seinem Herkunftsland zu erzählen. Später kehrte er zurück nach Sizilien; auch Capuana hatte sich dazu entschlossen.

Es ist die Welt der Bauern und Landarbeiter, der Hirten und Fischer, der Pächter und Fuhrleute, der „Leute, die nicht im Wagen fahren“, von der Verga in seinen Erzählungen ein Bild entwirft. Manche der oft kurzen Novellen sind von einer archaischen Wucht. Sie zeigen Menschen, die von elementaren Leidenschaften, von Liebe, Eifersucht, Habgier und Hass angetrieben werden, mit einer Ausschließlichkeit, die keine anderen Regungen zulässt. Starrköpfig folgen sie einem vorgegebenen Schicksal, unbeirrt noch im sicheren Wissen um das Verhängnis, in das sie verstrickt sind. So handelt das Prosastück Die Wölfin von einer reifen, kraftvollen Frau, die in zerstörerischer Liebe einem jüngeren Mann verfallen ist. Beherrscht wird diese Welt von stummen Weisungen, von althergebrachten Bräuchen, deren Forderungen fraglos und ohne zu zögern nachgekommen wird. Die bekannteste Geschichte von Verga ist zweifellos Cavalleria rusticana (Dörfliche Ehre), bekannt vor allem deswegen, weil sie für Mascagnis gleichnamige Oper die Vorlage abgab. Auch dieses Eifersuchtsdrama hat die für viele von Vergas Novellen charakteristische lakonische Unvermitteltheit. Ohne viele Worte zu verlieren, stechen sich die Nebenbuhler mit dem Messer nieder, beide davon überzeugt, dass dies unausweichlich ist. Vergas bäuerliche Gesellschaft ist in einer archaischen Weise gewalttätig: Gewalt wird nicht als Mittel verwendet, überhaupt hat sie nichts Kalkuliertes – sie wird nicht eingesetzt, um andere zu etwas zu zwingen, um sie zu quälen oder um Macht über sie auszuüben. Die Antwort auf eine bestimmte Handlung, etwa auf eheliche Untreue, kann nur eine Bluttat sein und zwar mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass es nicht einmal der Rede wert ist.

Von urtümlicher Strenge ist auch die Natur, in der diese Menschen leben. Sie lastet auf den Menschen ebenso wie auf dem Vieh. Zwar kennt auch Verga „die schönen Apriltage, wenn der Wind das Gras zu Wellen aufbläst“, kennt die Ölbaumhaine und Orangenpflanzungen, aber seine Landschaft sieht doch anders aus. Da ist die „Ebene von Catania, die unbeweglich bleibt, als laste der Staub auf ihr“, da sind die „verbrannten Stoppeln der endlosen Äcker, die sich in der Schwüle verlieren, fern gegen den dunstigen Ätna hin, wo der Himmel über dem Horizont brütet“. „Endlose weiße Straßen“ durchziehen das Land, über dem „die Sonne kocht“. „Vereinzelt ein paar magere Olivenbäume, hier und da eine verstaubte Kaktee“, das macht die Verlassenheit dieses Landes noch fühlbarer. Es ist die Gegend südwestlich von Vergas Vaterstadt Catania, die den Schauplatz vieler seiner Novellen und des Romans Mastro-Don Gesualdo bildet.

Er ist mit dem Linienbus von Catania aus zu erreichen. Aci Trezza heißt der Ort einige Kilometer nördlich der Provinzhauptstadt. In ihm spielt Vergas erster sizilianischer Roman Die Malavoglia (I Malavoglia). Man nennt diesen Landstrich nach Homers einäugigem Monster, das dort gehaust haben soll, auch die Zyklopenküste. Sie ist wild zerklüftet, schwarz vom Vulkangestein, das sich zu Riffen und Klippen auftürmt und von der Flut glattgewaschene Felsplatten bildet. Dazwischen lässt es kleine Sandbuchten frei. Vor der Küste steigen bizarre Felsformationen aus dem Wasser, und überragt wird die Szenerie vom mächtigen Massiv des Ätna. Von den hier ansässigen Fischern erzählt Verga. Einige gibt es noch, aber die wirken fast verloren an dieser Küste, die mittlerweile von Ausflugslokalen und touristischen Einrichtungen beherrscht wird. Von dem ehemaligen Fischerdorf Aci Trezza ist kaum etwas geblieben. Eine Ahnung davon stellt sich allenfalls ein, wenn man die am Meer entlangführende Straße verlässt und eine der engen steilen Gassen hinaufsteigt. Schwarz gekleidete Fischerfrauen, die in einem Film von Luchino Visconti (1906–1976) ausdruckvoll nach den Booten Ausschau halten, ersetzen dort die Bikinischönheiten, die nichts anderes im Sinn haben, als sich rösten zu lassen. Unter dem Titel La terra trema (Die Erde bebt) hat Visconti Motive von Verga für das Kino umgesetzt. Der Vorgang zeigt, welche Bedeutung Verga für die italienische Kunst hat. Sein Einfluss macht sich auch noch auf die „Neoverismo“ oder Neorealismus genannte Kunstrichtung des 20. Jahrhunderts geltend.

Doch von der grandiosen Landschaft erscheint nichts in Vergas Werk. Wie sollte es auch, denn der Roman nimmt nicht die Sicht der Touristen ein, sondern die der Fischer. Für sie ist das Meer der Arbeitsplatz, und zwar einer, der nicht geheuer ist. Das Meer ist launisch und gefährlich, es ist eine Naturgewalt, der die Fischer ausgeliefert sind. Von ihm beziehen sie ihren Lebensunterhalt und zugleich ist ihr Leben von ihm bedroht. Sie betrachten es nicht nach seiner Schönheit, vielmehr versuchen sie, seine Sprache zu verstehen, so sagen ihnen die unterschiedlichen Farben, die es annimmt, etwas darüber, „wann sie ohne Furcht aufs Wasser gehen können und wann lieber nicht“.

Die Hauptpersonen des Romans sind die Mitglieder einer Fischerfamilie. Sie werden nur „die Malavoglia“ gerufen, nach der Gewohnheit der Sizilianer, allen einen Spitznamen zu geben. Der Name heißt übersetzt „die schlechten Willens sind“ und steht im Widerspruch dazu, dass die Malavoglia angesehene, tüchtige Leute sind, die eines der schönsten Häuser im Dorf bewohnen. Der Niedergang dieser Familie ist der Inhalt des Romans. Aber eigentlich ist das ganze Dorf hineingezogen in die Handlung, denn Vergas Personen haben kein ausgeprägtes Eigenleben. Was sie bewegt in ihrem Denken und Handeln, ist vorgegeben durch die Gemeinschaft, durch die der Familie und die des Dorfes. Und von einem zu reden, heißt immer auch, von den anderen zu reden, von den Angehörigen und von den Nachbarn. Sie sind es, die die Ansichten und Entscheidungen des Einzelnen bestimmen, sodass die Ereignisse des Romans nicht aus der Sicht eines oder mehrerer Helden erscheinen, sondern sich vielmehr in den Reaktionen der Dorfgemeinschaft spiegeln. Neben den Malavoglia selbst führt die dem Roman vorangestellte Liste über vierzig Personen auf, was natürlich auf den Leser zunächst verwirrend wirkt. Es sind also nicht Einzelstimmen zu vernehmen, sondern zu hören ist eine orchestrale Vielstimmigkeit. Darin besteht zu einem guten Teil die Kunst Vergas; sie will das kollektive Leben der einfachen Leute in einem ärmlichen Fischerdorf wiedergeben.

Das Alltag spielt sich hauptsächlich in der Öffentlichkeit ab, am Strand, wo die Boote liegen, die Ausrüstung repariert und der Fang angelandet wird; vor den Häusern, wo die Frauen sich zusammensetzen zu ihren Arbeiten. Hergebrachte Bräuche bestimmen das Dasein der Dorfbewohner. So wird ein Mädchen, wenn es heiratet, von den Frauen des Dorfes „gescheitelt“, das heißt, sie frisieren die Braut in der Art der verheirateten Frauen und nehmen sie damit auf in ihre Gemeinschaft. Auch die Armut kennt soziale Unterschiede. Bei den Fischern haben die Bootsbesitzer den höchsten Rang. Einer, der nur einen Esel hat, um Transporte durchzuführen, ist nur ein Kärrner. Mehr gilt ein Fuhrmann, denn der besitzt wenigstens ein Maultiergespann. Die Armut hat bei Verga nichts Malerisches, sie wird nicht zur folkloristischen Inszenierung. Auch der gerade gegründete Staat Italien verbessert die Lage der kleinen Leute nicht. Er tritt nur dadurch in Erscheinung, dass er als ungerecht empfundene Steuern erhebt und die jungen Männer zum Militärdienst einzieht, den es vorher in Sizilien nicht gab.

Geplant hatte Verga einen fünf Teile umfassenden Romanzyklus, der alle Aspekte des sizilianischen Lebens und alle Schichten erfassen sollte; es sollte „ein phantastischer Reigen des Lebenskampfes“ werden. Als Titel war I Vinti („Die Besiegten“, „Die Geschlagenen“) vorgesehen. Darin spricht sich eine pessimistische Grundhaltung aus, die kennzeichnend ist für die sizilianische Literatur. Aber sein Projekt hat Verga nur teilweise ausgeführt. Ein Buch über den Adel blieb Fragment. Nur der Band über die Armen, Die Malavoglia, liegt vor und das Porträt eines Mannes aus der Klasse der Besitzenden, Mastro-Don Gesualdo.

„Mastro-Don“ ist eine etwas ungewöhnliche Titulierung. Mit „Mastro“, Meister, redete man einen Handwerker an, mit „Don“ einen Herrn oder einen, den man für einen Herrn ausgeben wollte. Die Zusammenziehung der beiden Titel deutet darauf hin, dass der so Angesprochene zwischen den Klassen steht. Das Werk ist allerdings kein Roman über die „Bürgerschicht“. Anders als im übrigen Europa hatte sich ein selbstbewusstes, gebildetes Bürgertum, das der Motor der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung hätte sein können, auf Sizilien kaum formiert; sehr zum Nachteil des Landes, das den überkommenen feudalen Strukturen verhaftet blieb. Verga entwirft das Lebensbild eines Emporkömmlings, eines sehr sizilianischen Neureichen. Gesualdo Motta hat sich hochgearbeitet vom ländlichen Handwerker zum Geschäftsmann und Großgrundbesitzer. Rücksichtslos setzt er seine Interessen durch, er ist besessen vom Streben nach Besitz. Für ihn ist „alles Geschäft“, selbst noch die Hochzeit mit einer Frau aus einem alten, verarmten Adelsgeschlecht. Das verschafft ihm Zutritt zur besseren Gesellschaft. Dem Aufstieg opfert er auch die Geliebte, die Magd Diodata, mit der er zwei Söhne hat. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts gibt den zeitlichen Hintergrund der Geschichte ab. Einen entscheidenden Einschnitt für das Leben der Romanfiguren bedeutet die große Choleraepidemie von 1837. Vor ihr flüchten sie in abgeschiedene ländliche Regionen. Zudem sind die Akteure hineingezogen in die verschiedenen Revolten, die in dem genannten Zeitraum auf Sizilien ausbrechen, in den Jahren 1820/21, 1837 und 1848. Der äußere Anlass ist vor allem das Elend der Landbevölkerung. Mit bissiger Ironie schildert Verga die Aktionen der sizilianischen Revolutionäre, deren Erfolglosigkeit nur durch ihre Theatralik überboten wird. Die Großgrundbesitzer, die hauptsächlich verantwortlich sind für die Misere, verstehen es, die Schuld dem bourbonischen König in Neapel zuzuschieben. Härter als sie trifft der Hass der aufständischen Landarbeiter den Aufsteiger Mastro-Don Gesualdo. Letztlich bleibt er jedoch ungeschoren, denn das Bündnis der Besitzenden schützt auch ihn. Das Ende seines Lebens wird verdüstert durch die Frage, ob sich der entbehrungsreiche Kampf um Besitz und Ansehen ausgezahlt hat.

In den Dreißiger- und Vierzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts hat sich gegenüber Vergas Zeiten nicht viel verändert auf dem Land. Die Landarbeiter führen ein karges Leben, schon die Kinder müssen arbeiten. Früh werden sie aus der Schule genommen. Die Familie, die ein Stück Land bearbeitet, kann davon vertrieben werden, wenn es dem Gutsherrn so passt oder seinem Verwalter. Der eigene Grund, selbst eine kleine Parzelle, erscheint schon als Paradies, ein sehr bescheidenes, sehr irdisches Paradies, aber doch ein Garten, der die Lebensmittel liefert, Korn, Gemüse, Obst. Und wenn man daran zurückdenkt und davon erzählt, werden die Früchte „prall und süß wie sonst nirgends auf der Welt“. Für denjenigen, der diesen Ort verlassen muss, ist das die Vertreibung aus dem Paradies, und wenn er daran selbst Schuld hat, teilt er das Schicksal Adams wie der Vater des Ich-Erzählers – bekanntlich wurde auch Adam vertrieben, weil er sich schuldig gemacht hatte. Wenn man also anfängt zu erzählen, auch vom eigenen kleinen Leben, kommt man unversehens auf die großen Gestalten aus der Bibel oder aus der antiken Sage, kommt auf Hiob, Odysseus oder eben auf Adam zu sprechen.

Der so im Roman Mein Vater Adam von seiner Kindheit und Jugend berichtet, ist der aus Butera stammende Fortunato Pasqualino (1923–2008). Dabei werden nicht irgendwelche Bildungsbrocken bemüht, sondern es wird so erzählt, wie sich einfache Leute ihre Welt erklären: Sie nehmen Bezug auf die exemplarischen Figuren, von denen sie in der Kirche oder bei einem der damals auf Sizilien noch umherziehenden Geschichtenerzähler gehört haben. Pasqualino beschönigt nichts, das Elend, in dem er aufgewachsen ist, wird auch benannt. Er schreibt aus der Sicht der Betroffenen und so kann eine Figur finden, dass es ihr so übel geht wie Hiob. Und dann geschieht etwas Merkwürdiges: Durch die Erzählweise erhält das Düstere etwas Leichtes, fast Heiteres. Man versteht, dass dieses auf die einfachen Dinge reduzierte Dasein seine eigentümliche Poesie hat.

Der Roman gewährt Einblicke in das bäuerliche Jahr. So erfährt man etwas über die Bewässerung der Apfelsinenhaine und darüber, wie der Bursche, der dazu abgestellt ist, den Sommer draußen unter den Bäumen zubringt, abseits der Behausungen. Aufschluss erhält man, wie es zuging bei den Pflückerkolonnen, die von einer Orangenplantage zur nächsten zogen. Der Erzähler beschreibt, wie „Olivenernte, Apfelsinenernte, Mahd und Bewässerung“ seine Jahre als junger Mann kennzeichneten. Und wieder fällt auf, dass zum sizilianischen Leben die Gewalt gehört. Sie hat jetzt einen Namen: Mafia. Wer Zeuge eines ihrer Verbrechen wird, heißt „ein Schmerzhafter“ und muss ihren Zugriff fürchten. Grausam sind ihre Strafen für die, die sich gegen sie stellen. „Er schnitt ihm die Genitalien ab und stopfte sie ihm in den Mund.“

Sizilien

Подняться наверх