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Vorwort zur 1. Auflage

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Die Idee, ein „Zivilrecht nach Anspruchsgrundlagen“ zu schreiben, ist nicht neu. Medicus hat sie schon vor 20 Jahren gedacht und für gut befunden (AcP 1974, 313). Neu ist der Versuch, die gute Idee in die Tat umzusetzen. Denn das meisterliche Lehrbuch „Bürgerliches Recht“ von Medicus zielt in eine andere Richtung. Es konzentriert sich voll auf die examenswichtigen Streitfragen des Zivilrechts und setzt deshalb viel voraus. Mein „Zivilrecht nach Anspruchsgrundlagen“ hingegen unternimmt es, den Stoff der ersten beiden Bücher des BGB samt Nebengesetzen von Grund auf systematisch darzustellen. Es setzt wenig voraus und ist so einfach geschrieben, dass schon der Anfänger es versteht. Da es den Stoff vollständig verarbeitet, eignet es sich aber auch zur Vorbereitung auf Prüfung und Praxis. Vor allem die fett gedruckten Passagen sollen zu intensivem, wiederholtem Lernen anregen.

Was Studium und Praxis nottut, ist eine brauchbare Methode der Falllösung, und die liefert nur der Anspruchsaufbau. Das Zivilrecht lässt sich als ein System von Anspruchsgrundlagen und Gegennormen begreifen. Rückgrat dieses Systems ist die Beweislast. Damit kann man methodisch arbeiten. Das juristische Denken in den Kategorien von Anspruchsgrundlagen und Gegennormen beherrscht nicht nur die Prozesspraxis, sondern auch die juristischen Staatsprüfungen. Nur in den Lehrbüchern findet man noch wenig davon. Wichtiger als das Ziel des Buches aber ist der Weg. Er führt vom Besonderen zum Allgemeinen, vom Normalfall zum Störfall, von der Regel zur Ausnahme und von der Rechtsfolge zum Tatbestand. Denn so denkt der Jurist in der Praxis.

Vom Besonderen zum Allgemeinen: Thema des Buches sind die beiden ersten Bücher des BGB, der Allgemeine Teil und das Schuldrecht, das seinerseits aus einem Allgemeinen und einem Besonderen Teil besteht. Nach einem kurzen Vorspann über Recht und Zivilrecht, Anspruch und Beweislast beginnt das Buch nicht mit dem Allgemeinen Teil, etwa der Rechtsfähigkeit oder dem Rechtsgeschäft, auch nicht mit dem Allgemeinen Schuldrecht, etwa dem Schuldverhältnis, sondern mit dem Kauf, der zum Besonderen Schuldrecht gehört. Was ein Kauf ist, weiß in etwa auch der Laie. Der Kaufvertrag ist freilich ein Verpflichtungsvertrag, der ein Schuldverhältnis begründet, und er ist ein Vertrag, der durch Willenserklärungen zustande kommt. Dieser Weg vom Kaufvertrag über den Verpflichtungsvertrag zum Vertrag ist nicht nur leichter zu gehen als der Weg in umgekehrter Richtung, er ist geradezu vorgeschrieben durch den Rechtssatz: lex specialis derogat legi generali. Als Wegweiser dienen auf Schritt und Tritt Klammerhinweise auf die passenden Randnummern.

Vom Normalfall zum Störfall: das Kaufrecht beginnt nicht mit der problemträchtigen Gewährleistung, sondern mit den Ansprüchen auf Vertragserfüllung, die den Kauf zu dem machen, was er ist. Ebenso rangiert im Allgemeinen Schuldrecht die Erfüllung vor der Leistungsstörung und im Allgemeinen Teil das „gesunde“ Rechtsgeschäft vor dem „kranken“.

Der Normalfall bestimmt das juristische Denken, denn jeder Störfall ist eine Abweichung von der gesetzlichen Normalität, die möglichst wiederherzustellen ist.

Von der Regel zur Ausnahme heißt hier: von der Anspruchsgrundlage zur Gegennorm oder vom Anspruch zur Einwendung. Anspruchsgrundlage ist jede vertragliche oder gesetzliche Norm, die einen Anspruch begründet. Während ihr Tatbestand die normalen Anspruchsvoraussetzungen beschreibt, handeln die Gegennormen von anomalen Hindernissen, die den Anspruch ausnahmsweise nicht entstehen lassen, ihn auslöschen oder hemmen. Das juristische Denken in den Kategorien von Regeln, Ausnahmen und Gegenausnahmen macht das Recht überhaupt erst praktikabel.

Von der Rechtsfolge zum Tatbestand: jede vollständige Rechtsnorm, ob Anspruchsgrundlage oder Gegennorm, besteht aus Tatbestand und Rechtsfolge. Rechtsfolge ist ein Anspruch oder eine Einwendung, der Tatbestand die Summe der Anspruchs- oder Einwendungsvoraussetzungen. Der Tatbestand interessiert nur, wenn die Rechtsfolge zur Falllösung passt. Der einzelne Anspruch aber wird durch seinen Gegenstand bestimmt. Deshalb ordnet der Praktiker die Rechtsnormen nach ihren Rechtsfolgen, nicht nach ihren Tatbeständen.

Das Buch folgt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, was gelegentliche Kritik nicht ausschließt, verzichtet dagegen wie schon der „Zivilprozess“ auf Literaturzitate. Rechtsprechung und Rechtswissenschaft stehen nicht mehr auf gleicher Stufe. Anders als im 18. und 19. Jahrhundert gibt nicht mehr die Lehre, sondern die Rechtsprechung den Ton an. Das Recht gilt heute so, wie der Bundesgerichtshof es auslegt und anwendet. Und die Praxis hält sich daran. Ein origineller Instanzrichter, der ohne Not von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht, treibt den Verlierer ins Rechtsmittel und den Sieger in die Kosten. Der Anwalt macht sich gar schadensersatzpflichtig, wenn er an der Rechtsprechung vorbei prozessiert, und es hilft ihm gar nichts, wenn er die komplette Lehre auf seiner Seite hat. Wenn aber der Anwalt vertraglich verpflichtet ist, sich an die höchstrichterliche Rechtsprechung zu halten (BGH NJW 93, 3323 und ständig), kann es nicht falsch sein, den jungen Juristen zuallererst diese Rechtsprechung zu vermitteln, schließlich werden die meisten von ihnen einmal Anwalt werden.

Da systematisches Verständnis schwerer wiegt als Detailwissen, habe ich viel Sorgfalt auf durchsichtige Stoffgliederung und klare Sprache verwendet. Bei allem Respekt vor dem BGH habe ich mich nicht gescheut, die juristischen Zauberformeln, die oft mehr verdunkeln als erhellen, aufzulösen und ins gemeine Deutsch zu übersetzen. Es steht nirgends geschrieben, der Jurist solle sich kompliziert oder gar unverständlich ausdrücken. Der beschreibende Text wird durch zahllose Beispiele aufgelockert, die das abstrakte Gesetz mit der bunten Vielfalt des Lebens konfrontieren und zeigen, wie schwierig es oft ist, beides durch rechtliche Subsumtion in Einklang zu bringen.

Konstanz, im September 1994 Kurt Schellhammer

Schuldrecht nach Anspruchsgrundlagen

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