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DIE SCHULE – I. TEIL

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Und so wurde Konrad sechs Jahre alt und eingeschult. Die Schule hieß Comeniusschule und war gleich in der Nähe von Konrads Straße. Vor dem Krieg war das die Mädchenschule, was in Stein gemeißelt noch heute dransteht. Ein schöner gelber Klinkerbau mit großen Doppelfenstern und einer Turnhalle.

Es gab auch schon eine bunte Zuckertüte mit Inhalt. Auch eine kleine Feier, bei welcher die Schuldirektorin, ein Fräulein, uns Kinder beglückwünschte, dass wir jetzt in den Kreis der Schulkinder aufgenommen würden. Danach stellte sie den Neulingen ihre zukünftige Klassenlehrerin vor, ein Fräulein … Damals waren viele Lehrerinnen aus alten Zeiten, wo diese noch unverheiratet sein mussten, angestellt. Jedenfalls war die Klassenlehrerin Konrads sehr freundlich. Auch sie redete ein paar Worte und die Feier war beendet. Am kommenden Montag sollte es losgehen, der erste Schultag.

Vorerst ließ sich Konrad erst einmal den Inhalt der Zuckertüte schmecken. Im engsten Familienkreis fand dann auch eine kleine Feier statt. Oma und Opa väterlicherseits waren auch aus der Nachbarstadt, der Geburtsstadt von Konrads Vater, rübergekommen. Meist war es umgekehrt, Konrads Familie besuchte regelmäßig, meist an Sonntagen die Großeltern. Diese wohnten in einem der dreckigsten Orte Deutschlands, einem Industriemoloch. Hier war fast die gesamte Chemieindustrie der DDR ansässig, welche natürlich aus der Vorkriegszeit stammte, nach Kriegsende von den Russen demontiert und anschließend unter russischer Führung wieder aufgebaut wurde.

Wenn man mit dem Zug in diesem Ort ankam, empfing einen eine gestankgeschwängerte dicke Luft. Kleine Kohlepartikel flogen durch die Luft und vor allem in die Augen der Menschen. Diese Partikel sorgten dafür, dass die ganze Stadt schwarz war. Alle Häuser, Straßen, Plätze – alles war schwarz, einschließlich der Menschen, die dort lebten, wie Konrads Großeltern. Sein Vater wurde hier geboren, in der Wohnung, wo die Großeltern noch wohnten. Die Wohnung befand sich in einem hässlichen Nebengebäude auf dem Hof eines an der Straße stehenden, recht ansehnlichen Wohn- und Geschäftshauses, in welchem die Grundstückseigentümer, die auch ein Ladengeschäft betrieben, wohnten.

Eine steile Treppe, mehr Hühnerleiter als Treppe, führte zu dieser Wohnung. Sie bestand aus einem winzigen Korridor, einer kleinen Küche von zirka sechs Quadratmetern, einem Wohnzimmer von zirka vierzehn Quadratmetern und einer Schlafkammer, in welcher die Betten der Großeltern hintereinander standen, so schmal war das Zimmer. Die gesamte Wohnung hatte vielleicht eine Grundfläche von dreißig Quadratmetern. Zu dieser Zeit wohnte noch die jüngste Schwester von Konrads Vater bei ihren Eltern. Der Großvater war Schichtarbeiter im Kraftwerk, sodass seine Tochter abwechselnd in seinem Bett oder auf dem alten Sofa schlafen musste.

Auch sie war im Schichtbetrieb in der Chemie beschäftigt. Die Oma war behindert, sie hatte eine schwere Verletzung am Bein erlitten und hinkte jetzt ziemlich stark. Sie war Hausfrau und damit die wichtigste Person in der Familie, alles hörte auf ihr Kommando, auch ihr Ehemann. Obwohl sie kaum aus ihrer Wohnung kam, war sie auf dem Hof, wo nur arme Arbeiter wohnten, eine Respektsperson. Die Kommunikation wurde über das Küchenfenster geführt, irgendeiner war immer bereit, entweder einzukaufen, sonstige Wege zu erledigen oder Kohlen hochzutragen. Die jüngste Tochter machte nicht viel, sie saß bloß immer da und rauchte, dabei stieß sie den Qualm immer aus den Nasenlöchern aus, wie ein schnaubendes Pferd. Das empfand Konrad als richtig eklig. Auch sonst fürchtete er sich vor ihr. Sie schaute immer böse und sprach mit Konrad kaum ein Wort, wenn er zu Besuch bei der Oma war. Die ersten Jahre mit Eltern und Geschwistern, später dann allein.

Zu Familienfeiern fanden sich auch die übrigen Verwandten, das heißt Konrads weitere Tante mit ihrem Ehemann und deren zwei Söhnen, also Konrads Cousins. Einer war schon fast erwachsen, der andere war etwas jünger als Konrad. Am Tisch herrschte Disziplin, da wurde nicht gequatscht oder rumgealbert beim Essen. Nur die Erwachsenen durften manchmal etwas sagen. Es war ja meist der Kaffeetisch an dem man saß. Erst wenn der trockene Streuselkuchen aufgegessen und der Malzkaffee ausgetrunken war, durften die Kinder aufstehen und hinunter auf den Hof gehen. Nur hier konnten sie sich etwas lockerer bewegen und unterhalten.

Auf dem Hof befanden sich auch die Klosetts für die Bewohner der Nebengebäude. Es gab schon Wasserklosetts, allerdings mit dem Eimer, den man an dem einzigen Wasserhahn füllen musste.

Sonst war der Hof der blanke Kohlenhof, völlig schwarze Erde, kein Pflaster. Wehe es fiel einer beim Haschespielen hin, der musste anschließend in die Vollreinigung an den Wasserhahn im Klo. Da kamen auch dauernd andere, die mal mussten. Dementsprechend waren auch die Düfte in diesem Haus. Als Kind sieht man das alles nicht so verbissen. Alle waren froh, dass sie den Fittichen der gestrengen Oma für eine Weile entgangen waren. Wenn die Abendbrotzeit heran war, hieß es wieder strammsitzen. Konrad war immer froh, wenn die Familienfeiern vorbei waren und alle nach Hause fuhren.

Die Zugstrecke führte an dem riesigen Kohletagebau entlang und das war für Konrad wahnsinnig interessant. Es war auf der Heimfahrt meist schon dunkel, auch im Zug gab es kein Licht, somit konnte man das Schauspiel der tausend Lichter im Tagebau sehen, wie es blitzte, wenn die Züge der Grubenbahn fuhren, wie die riesigen Kettenbagger arbeiteten, eine andere Welt tat sich auf. Viel zu schnell war der Zug an dem Schauspiel vorbeigefahren, bis zum nächsten Mal, freute sich Konrad, dann wurde es finster, draußen und drinnen im Waggon. Erst die spärlichen Lampen am Bahnsteig des Heimatbahnhofs brachten wieder etwas Licht. Der Zug hielt und sie waren wieder zu Hause.

Als Konrad sechs Jahre alt war, fuhr er das erste Mal allein nach Bitterfeld. Mit den entsprechenden Unterweisungen und etwas Geld, entließ die Mutter Konrad zu seiner ersten großen Reise. In der Bahnhofsvorhalle waren immer viele Leute versammelt, die entweder zur Arbeit oder zum Einkaufen in die nahegelegene Bezirkshauptstadt fahren wollten. Konrad wollte in die andere Richtung, in den Industriemoloch. Um eine Fahrkarte zu kaufen, musste er sich in eine Schlange einreihen, denn ohne Anstellen ging in der DDR überhaupt nichts. Nachdem er seine Hin- und Rückfahrkarte erworben hatte, war noch viel Zeit, bis der Zug abfahren sollte. Immer mehr Leute versammelten sich in der Bahnhofshallte. Es roch verstärkt nach Chemie, ein Geruch, den die Chemiearbeiter niemals loswurden. Alles stank nach Chemie: die Menschen, die Bahnhöfe, die Züge und auch die Wohnungen, wie auch die von Konrads Großeltern.

Konrad hatte Zeit, die Menschen zu betrachten. Die meisten Chemiearbeiter konnte man nicht nur am Geruch, sondern auch an ihren grauen Gesichtern erkennen, die genauso waren wie ihre Klamotten. Die Männer trugen meist eine sogenannte Joppe, ein Zwischending zwischen Mantel und Jacke. Sie hatte schräge Taschen, in die die Männer ihre Hände verpacken konnten und gleichzeitig ihre zusammengefaltete Essentasche unter den Arm klemmen konnten. Auf dem Kopf trugen sie meist eine Schirmmütze, die sogenannte „Ernst-Thälmann-Mütze“. Das war die Einheitskleidung der Arbeiter in der DDR und alle waren Arbeiter, auch die Intelligenzler, so nannte man die Studierten.

Plötzlich erschien ein Eisenbahner auf der Bildfläche, begab sich in eins der Häuschen der Sperre und ließ, bei Kontrolle der Fahrkarten, jeden Einzelnen den Bahnsteig betreten. Und das dauerte, wieder eine Schlange, dachte Konrad, dessen Aufregung sich immer mehr steigerte. ‚Der Zug fährt auf Bahnsteig zwei‘, hatte die Mutter gesagt. Da konnte nichts schiefgehen, die Zeit für den Zug ab Bahnsteig zwei in Richtung Industriemoloch war ran und er fuhr auch ein. Die stark aus dem Schornstein qualmende Dampflok empfand Konrad als riesengroß. Konrad stand in entsprechendem Abstand von der Bahnsteinkante und ließ Lokomotive und die ersten Waggons an sich vorbeirollen, bis der Zug zum Stehen kam. Die Türen flogen auf und die Ankommenden, die ihr Ziel erreicht hatten, verließen ihn.

Die Eisenbahnwaggons waren noch aus Kaisers Zeiten, sogenannte Abteilwagen, wo in jedes Abteil von außen einzusteigen war. Drinnen nur Holzbänke, alles nur dritte Klasse – wie Arbeiterklasse, kaum beleuchtet und beheizt. Außen befanden sich lange Trittbretter, auf denen die Menschen, direkt nach dem Krieg, während der Fahrt standen, da alle Züge wahnsinnig überfüllt waren; auch auf den Dächern und dem Tender der Lokomotive saßen sie. Konrad konnte das immer vom Klofenster seines Hauses beobachten, wenn so ein dichtbesetzter Personenzug Richtung Westen vorbeifuhr. Damals wusste er noch nicht, dass dies meist aus ihrer Heimat vertriebene Deutsche waren.

Konrad war ins Zugabteil geklettert und hatte sich einen günstigen Stehplatz an einem Fenster gesichert. Das Abteil war voll, die Türen knallten zu und der Zug fuhr ab. Die Lokomotive schnaufte, dicke Qualmwolken zogen an Konrads Fenster vorbei und der Zug wurde immer schneller. Die Welt bewegte sich vor dem Fenster, ähnlich wie wenn er auf dem Gepäckträger von Mutters Fahrrad saß, nur viel schneller. Obwohl Konrad das schon von den gemeinsamen Familienfahrten mit der Eisenbahn kannte, war er doch bei seiner ersten Soloreise besonders fasziniert. Nach einem Zwischenhalt fuhr der Zug in der Chemiestadt ein. Viel zu kurz war die Fahrt, empfand Konrad. Viele stiegen aus und strebten dem Ausgang des Bahnhofs zu, und Konrad schwamm mit.

Den Weg zur Großmutter kannte er aus dem Effeff. Der Wind stand wieder so ungünstig, dass die Briketts vom naheliegenden Kraftwerk in der Luft umherflogen. Konrad guckte nur aus schmalen Schlitzen, um die Augen zu schützen. Er kannte den Weg so gut, dass er fast blind das Haus der Oma erreichte. Sehr große Freundlichkeit strömte sie beim Empfang Konrads nicht aus. Sie war bloß überrascht, dass er allein war. Eine Voranmeldung gab’s damals nicht, Telefon hatten wir auch nicht. Sie fragte nur, wie es uns ginge, was schon fast alles war. Dann wandte sie sich wieder ihrer Küchenarbeit zu, dem Essenkochen für Opa Wilhelm, der nach vierzehn Uhr zu Hause erwartet wurde, und da musste das Mittagessen auf dem Tisch stehen.

Wenn die Oma an den Herd gebunden war, hatte Konrad Gelegenheit, die kleine Wohnung einmal ganz allein zu inspizieren. Im Wohnzimmer stand in der Mitte der große Esstisch mit sechs Stühlen, an welchem wir immer zu den jeweiligen Familienfeiern saßen, das heißt die Erwachsenen saßen. Sonst war der Tisch an das uralte Plüschsofa gerückt. Die Benutzung dieses Sofas war absolut tabu, nur ein Kissen, auf welchem eine uralte Stoffpuppe thronte, befand sich auf dem Sofa. Auch die Puppe durfte nicht angefasst werden. In der Ecke befand sich ein riesiger Spiegel mit einem kleinen Unterschrank. Der Spiegel war fast blind, machte aber auf Konrad doch großen Eindruck, wenn er sich darin von allen Seiten betrachtete. Eine Kredenz rundete das Bild der Wohnzimmereinrichtung im Großen und Ganzen ab. Interessant fand Konrad vor allem das alte Grammphon, weil er das Gerät nie anfassen durfte. Er konnte nur feststellen, dass das Ding keinen Ton von sich gab, was besonders traurig war, da eine große Anzahl von Schallplatten vorhanden war. Auf Konrads Frage an die Oma, sagte diese nur: „Lass das Ding in Ruhe, das ist kaputt!“ Und es blieb kaputt, so lange Konrad denken konnte.

Aber es gab auch noch andere interessante Dinge in Omas guter Stube, zum Beispiel die Ulanenpfeife vom Opa, welche er nach seiner aktiven Dienstzeit als Ulan in der kaiserlichen Armee erhalten hatte. Alle Wehrpflichtigen bekamen nach ihrer Dienstzeit entweder eine Tabakspfeife oder einen Reservistenkrug. Da Konrads Opa Wilhelm bei den Ulanen gedient hatte, bekam er eine Ulanenpfeife. Die Ulanen waren eine bestimmte Reitertruppe, erkennbar vor allem an ihrem speziellen Helm. Die Ulanenpfeife hatte einen riesigen Porzellanpfeifenkopf, welcher mit farbigen Darstellungen der Ulanen sowie der Namen der jeweiligen Regimentskameraden geschmückt war. Der Pfeifenkopf war an einem langen, ebenfalls verzierten Rohr mit Mundstück befestigt, sodass die Pfeife beim Rauchen bis zum Fußboden reichte und auf diesem Auflag, wobei der Raucher bequem im Sessel sitzen konnte. Auf dem Pferd zu rauchen, war nicht erlaubt.

Jedenfalls hatte es die Pfeife Konrad besonders angetan. Er wusste, dass diese hinter dem Schlafzimmerschrank der Großeltern aufbewahrt wurde, besser gesagt, versteckt wurde, denn alle Enkelkinder waren scharf darauf, die Pfeife zu sehen und anzufassen. Konrad war jetzt allein mit dem Wunsch, sich die Pfeife ansehen zu dürfen. Obwohl er sich selten traute, die Oma um etwas zu bitten, fasste er doch den Mut und bat sie, die Ulanpfeife einmal sehen zu dürfen. Widerwillig verließ sie ihre Küche, begab sich mit Konrad ins Schlafzimmer und holte diese hinter dem Schrank hervor und ließ sie Konrad ein paar Minuten von allen Seiten betrachten, ohne dass er sie anfassen durfte. Anschließend versteckte sie die Pfeife wieder hinter dem Schrank.

Interessant war auch noch ein schönes Bild von Opa als Ulan, was auch an der Wand hing. Des Weiteren ein Ansichtsbild von Koblenz, wie Oma und Opa über „Kraft durch Freude“ zum ersten Mal in ihrem Leben im Urlaub waren.

Es schlummerte aber noch ein großes Geheimnis in der Wohnung – eine Zwanzigdollar-Goldmünze. Konrad hatte das irgendwann bei einer Familienfeier mitbekommen, als die Münze einmal ein Thema war. Gesehen hatte er sie bis heute nicht. Diese legendäre Münze hatte der Opa aus den USA mitgebracht, als er von seiner Auswanderung zurückkam. Oft und viel hat er nicht darüber erzählt, nur so viel, dass er in den zwanziger Jahren, also zur Weltwirtschaftskrise, sich entschlossen hatte, sein Glück in der neuen Welt zu suchen, auszuwandern. Sicher war das ein schwerer Schritt, denn er hatte ja schon Frau und zwei Kinder. In Chicago ist er damals gelandet und hat es nur ein Jahr dort ausgehalten. Ob seine Frau nicht nachkommen wollte oder ob es an ihm lag, blieb immer im Dunkeln. Zumindest hat das Geld, welches er dort verdient hat, für die Heimfahrt und für eine Zwanzigdollar-Goldmünze gereicht.

Erzählt hat er, dass er mit einem Indianer zusammengearbeitet hätte, was für Konrad neu war, denn Indianer waren ihm nur als wilde Kämpfer aus den Karl-May-Büchern bekannt. Das Chicago eine Verbrecherhochburg war, das hat Konrad erst viel später aus Filmen und dem Radio erfahren. Jedenfalls war der Opa wieder zu Hause, wo sich Konrad gerade auf Erkundungsgang befand.

Nicht uninteressant war bei jedem Besuch bei der Oma die Aussicht aus dem Fenster, denn direkt gegenüber, vielleicht zweihundert Meter Luftlinie entfernt, befand sich das städtische Gefängnis, wo man die Gefangenen sehen konnte, wie sie ihre Hände und Arme durch die Gitter streckten. ‚Was mögen sie wohl verbrochen haben?‘, dachte Konrad.

Dann kam der Opa von der Schicht. „Was machst denn du hier?“, fragte er Konrad. „Weiß denn deine Mutter davon oder bist du ausgerissen?“ Konrad konnte ihn beruhigen. Jetzt konnte der Opa sich hinsetzen und sein Mittagessen, welches die Oma immer zur rechten Zeit fertig hatte, verspeisen. Oma hatte wahrscheinlich schon gegessen, das war so eine Mode der Hausfrauen in Preußen, vor allem in Berlin, was Konrad auch später kennenlernte. Also, der Opa aß und wir guckten zu, das heißt Konrad guckte zu, denn die Oma bewegte sich andauernd zwischen dem Tisch und Herd, um dem Opa immer noch etwas nachzureichen. Und das sah gut aus, was der Opa auf dem Teller hatte.

„Der Opa muss schwer arbeiten und muss auch deshalb gut essen“, sagte sie. Konrad lief das Wasser im Munde zusammen. „Hast du auch Hunger?“, fragte die Oma recht unfreundlich. Worauf Konrad eingeschüchtert mit „nein“ antwortete. Da gab’s auch nichts.

Nachdem der Opa gegessen hatte, rauchte er noch einen Stumpen und wollte dann etwas ruhen. Das war für Konrad das Signal zum Aufbruch. Die Zeit war auch ran, welche die Mutter für Konrads Rückreise geplant hatte. Der Zug fuhr noch vor dem einsetzenden Berufsverkehr, bei welchem Konrad untergegangen wäre. Der Zug war trotzdem auch schon voll. Bis dahin musste er erst einmal kommen. Der Chemiestadt-Bahnhof war wesentlich größer als der heimatliche. Ein Menschengewimmel empfing Konrad schon in der Halle. Mehrere Sperren bremsten den Durchgang zu den Bahnsteigen, von denen es viele gab. Von den vielen Reisen mit der Familie wusste er genau, welche Treppe er zum entsprechenden Bahnsteig benutzen musste. Vor allem konnte er schon lesen, worauf er sehr stolz war. Der Bahnsteig füllte sich rasant und der Zug fuhr pünktlich ein. Wieder flogen Türen auf, Massen stiegen aus und Massen stiegen ein. Konrad, der Sechsjährige, kam sich ganz schön verlassen vor. Er kämpfte sich aber tapfer durch und fand wieder einen Stehplatz am Fenster. Türen knallten zu, ein Pfiff und los ging es Richtung Heimat. ‚Wenn der Zug das zweite Mal hält, da steigst du aus‘, hatte die Mutter ihm eingebläut. ‚Und stelle dich nicht an die Tür, die könnte aufgehen und du fällst raus.‘ Ich hab das noch nie gesehen, dachte Konrad.

Derweilen schlich der Zug aus dem Bahnhof hinaus. Nachdem die letzten Ausläufer der Chemiegiganten Konrads Blicken entschwanden, fuhr der Zug immer schneller, sodass Konrad wieder den Eindruck hatte, die Welt drehe sich ihm vorbei, sie drehe sich um ihn, ein tolles Gefühl. Dann kamen wieder die bekannten riesigen Kohletagebaue in Sicht. Mindestens zehn bis fünfzehn Minuten konnte Konrad diese, sich vorbeidrehende spannende Welt bewundern. Wie die riesigen Kettenbagger arbeiteten und die Züge beluden. Alles bewegte sich wie von Zauberhand gesteuert. Die Technik hatte es Konrad angetan, schon als Sechsjähriger, und trotzdem landete er wenig später in einem vollkommen anderen Metier, nämlich der Landwirtschaft und bei den Pferden.

Konrad war nach seiner ersten Alleinreise wohlbehalten wieder zu Hause angekommen. Die Mutter war glücklich und fragte dies und das, vor allem wie es Oma und Opa geht. Schönen Gruß war noch zu bestellen, was Konrad fast vergessen hatte. Bloß gut, dass die Oma wenigstens das Fahrgeld erstattet hat, wo es bei ihr nicht einmal etwas zu essen gab. Deshalb hatte Konrad auch einen Löwenhunger, was die Mutter schon geahnt hatte und ein paar Eier gekocht hatte. Schnell wurden Brotscheiben geschnitten, mit Eischeiben belegt und eine zweite Brotscheibe daraufgelegt – fertig war die sächsische Doppelbemme. Das war Konrads Welt. Heißhungrig verschlang er die Bemme, sodass die Mutter noch eine zweite machen musste, während dessen Konrad seine Reiseabenteuer erzählte, vor allem, dass er von der Oma nichts zu essen bekommen hat, was die Mutter sehr empörte. Sie tröstete Konrad damit, dass der Vater eine Reise mit der gesamten Familie nach Berlin geplant hat. In Berlin-Charlottenburg, also Westberlin, hatte der Vater einen ehemaligen Kriegskameraden wohnen, den er einmal besuchen wollte. Außerdem haben wir auch noch die Tante Klara, eine Schwester von Oma Amanda, die mit ihrer Tochter und deren Ehemann in Ostberlin ein schönes Einfamilienhaus bewohnten.

Die Speckbemme und Konrads Radtouren

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