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Kapitel 1 Eine Frage der Ehre
ОглавлениеDie Kälte brannte auf meinen Wangen und der Wind blies mir erbarmungslos ins Gesicht. Aber das Wetter würde mich garantiert nicht davon abhalten, zur Lichtung zu reiten! Ich war es nicht anders gewohnt – immerhin war ich im Land des ewigen Schnees geboren. Was mich beunruhigte, waren vielmehr die fünf Reiter, die ich am Ende der weiten Ebene erblickte. Sie bewegten sich direkt in meine Richtung.
»Ho«, flüsterte ich und zog sanft an den Zügeln. Es waren nur noch wenige Meter bis zum Waldrand, und die Chancen standen gut, dass mich noch niemand entdeckt hatte.
Ich glitt aus dem Sattel und stapfte geduckt neben Dalibor durch den Schnee. Das weiße Fell des Hengstes hob sich kaum von der Landschaft ab und der Sattel war mit einem hellen Schaffell überzogen. Nur sein schwarzes Ohr konnte uns verraten. Dalibor schnaubte und schüttelte den Kopf. Ich wusste, dass er viel lieber weiter über die Schneefelder galoppiert wäre. Genau wie ich. Doch die Angst, dass uns jemand erwischen könnte, saß mir beständig im Nacken.
Ich führte mein Pferd hinter eine Reihe dicht gewachsener Tannen und hob die Hand. »Ruhig!«, flüsterte ich, während ich vorsichtig zwischen den Zweigen hindurchspähte.
In der Nacht waren bestimmt zehn Zentimeter Neuschnee gefallen, was das Vergnügen beim Ausreiten nur noch steigerte. Allerdings wuchs dadurch leider auch die Gefahr: Die pudrige Schicht verbarg tückische Felsspitzen und tiefe Mulden, die erst allmählich wieder zum Vorschein kommen würden, wenn die Sonne lange genug vom Himmel schien und Millimeter für Millimeter etwas von dem Land unter dem Schnee zum Vorschein brachte. Abgesehen davon ließen sich die verräterischen Hufspuren natürlich bis in den hintersten Winkel des Waldes verfolgen.
Ich würde meinen Ausflug trotz aller Vorsichtsmaßnahmen also vermutlich auch diesmal nicht vor Novak verheimlichen können.
Vorerst aber war ich wohl gerade noch mal davongekommen. Der kleine Reitertrupp hielt sich zum Glück weiter westlich – auf den sicheren Wegen. Mein einziger Vorteil bei diesem Versteckspiel war, dass sich kaum jemand so gut im Wald und an den Klippen auskannte wie ich. Meistens nutzte ich den Schutz der Dunkelheit zum Reiten, und gerade dann erwies es sich als lebensnotwendig, jeden Stolperstein in der Umgebung auch blind zu finden.
Die Spitze der Reiter führte mein Bruder Jiri an. Er musste immer der Erste sein. Genau genommen war er mein Stiefbruder, aber das Geheimnis meiner Herkunft blieb für den Rest der Welt ebenso sicher hinter den Mauern unseres Hofes verborgen wie die Tatsache, dass ich mich kaum wie ein vollwertiges Familienmitglied fühlte.
Die anderen vier Reiter kannte ich nur vom Sehen. Jiri wechselte seine Freunde so oft, dass ich mir unmöglich alle Namen merken konnte. Unter lautem Gejohle trieben die Jungen ihre Pferde durch den Pulverschnee, der von den Hufen aufgewirbelt durch die Luft stob und die kleine Gruppe in eine glitzernde Wolke aus Schneekristallen hüllte. Der Lärm, den sie dabei veranstalteten, war jedoch weniger beschaulich und übertönte jedes andere Geräusch der Natur. Sonst hätten sie vielleicht den Ruf der Schneeeule gehört, die am Rande des Wäldchens auf einer Tannenspitze saß und mich begrüßte.
Ich drehte den Angebern den Rücken zu und seufzte leise. Wie gerne wäre ich ebenso unbeschwert mit ein paar Freundinnen über die Ebene galoppiert! Aber dazu würde es vermutlich niemals kommen. Ma hatte mich entgegen den strengen Traditionen zwar reiten gelehrt – sie war sogar überzeugt gewesen, dass es nur eine Frage der Zeit sein konnte, bis auch Mädchen die Teilnahme am legendären Eispferde-Rennen erlaubt werden würde. Und bis zu ihrem Tod hatte ich diese Hoffnung auch voller Optimismus geteilt. Aber danach hatte sich alles geändert … Trotzdem hätte mich kein Gesetz der Welt davon abgehalten, heute, an Mas Geburtstag, zur Lichtung zu kommen.
Ich ließ Dalibor zurück und bückte mich unter den Ästen der Nadelbäume hindurch, die ein majestätisches kleines Tor bildeten. Der schmale Trampelpfad führte mich tiefer in den Wald hinein, bis die hohen Tannen kaum noch Licht hindurchließen. Erst als ich mich meinem Ziel näherte, blitzte wieder vereinzelt Helligkeit durch das Grün. Die kleine Lichtung lag wie ein verwunschener Fleck mitten im dichten Wald. Hierhin verirrte sich nie jemand. Mein auserkorener Lieblingsplatz war ebenso einsam wie magisch, weil ich mich Ma nirgendwo so verbunden fühlte wie an diesem Ort.
Ehrfurchtsvoll betrat ich die unberührte Schneefläche und ging hinüber zu dem alten Eschenbaum. Solange ich denken konnte, hatte er nur wenige Monate im Jahr grüne Blätter getragen. Die meiste Zeit über waren seine tief hängenden Äste kahl geblieben, hatten mir aber immer Schutz und Trost gespendet und warteten darauf, im Frühling wieder zu ergrünen. Ich bückte mich und legte den kleinen Kranz, den ich aus Federn und Tannenzapfen gebunden hatte, am Fuß der Esche ab. Ma hatte diesen Ort genauso geliebt wie ich. Wenn es ihre Entscheidung gewesen wäre, würde sie genau hier begraben liegen, und ihre letzte Ruhestätte wäre nicht nur ein unscheinbarer Stein auf dem Dorffriedhof.
Beinahe glaubte ich, ihre Stimme zu hören, so oft hatte sie mir von dem glücklichsten Moment in ihrem Leben erzählt: An einem Frühlingsmorgen im März, vor fast siebzehn Jahren, als die Sonne durch die Zweige der alten Esche brach und die Schneeeule ihren leisen Ruf ausstieß, wurde ich genau hier geboren. Ma war sofort klar, dass ich Ašleah heißen musste – was so viel wie Eschenlichtung bedeutet. Sie glaubte, dass ich mit diesem großartigen Namen bestimmt auch Großes vollbringen würde. Vielleicht ahnte sie aber auch damals schon, dass ihr nicht mehr viel Zeit bleiben würde, meinen Lebensweg zu begleiten, und sie wollte mir einfach nur Mut machen – woher auch immer sie wusste, dass ich ihn brauchen konnte. Mittlerweile dachte niemand mehr an die Eschenlichtung, wenn er meinen Namen rief. Ich hieß für jeden einfach Ash – passend zu der Asche, zu der mein Leben seit Mas Tod zerfallen war.
Die Sonne blinzelte mir ins Gesicht und ich verdrängte die trüben Gedanken. Ich erinnerte mich an Mas lachendes Gesicht und musste selbst lächeln. So oft hatte sie mich hier vor sich aufs Pferd gehoben. Sie ritt wie der Teufel und strahlte wie ein Engel, wenn der Gegenwind ihr die Haare aus dem Gesicht blies, und es hatte sie nie jemand zurückgehalten – selbst Novak nicht.
Die Schneeeule stieß einen gurrenden Ruf aus, der mich daran erinnerte, dass ich nicht ewig Zeit zum Träumen hatte. Ich wandte mich ab und verließ die Lichtung.
Dalibor wartete geduldig am Waldrand auf mich. Die Reiter waren bereits hinter dem großen Schneewall verschwunden, der das Dorf gegen den Nordwind schützte, und ich würde mich beeilen müssen, wenn ich vor Jiri zu Hause auf dem Sturmhof eintreffen wollte. Vielleicht hatte ich Glück und er machte noch einen Abstecher ins Dorf.
Ich pfiff leise durch die Zähne und Dalibor hob sofort den Kopf. Ein warmes Gefühl der Zuneigung durchflutete mich. Der Hengst war mein bester Freund. Ma hatte ihn mir zu meinem fünften Geburtstag geschenkt, weil er genau in der Nacht zuvor geboren worden war. Ihre Stute Juliška hatte ihn zur Welt gebracht, und Ma vermutete, dass sie im Jahr davor mit einem wilden Eishengst zusammen gewesen war. Vielleicht war Dalibor also ebenfalls ein echtes Eispferd. Ich hatte keinerlei Zweifel, dass er beim großen Rennen ganz sicher eines der schnellsten und ausdauerndsten Pferde sein würde. Doch er hatte diesen kleinen, aber entscheidenden Makel: sein schwarzes Ohr. Nur die reinweißen Eispferde durften am Rennen teilnehmen – keiner von uns beiden würde also jemals eine Zulassung zum Start erhalten.
Mit einem Satz schwang ich mich auf Dalibors Rücken und ritt, tief über seinen Hals gebeugt, unter den Zweigen hindurch ins Freie. Die Sonne erhob sich eben hinter den Bergen und tauchte die Schneefläche in sanftes Gold. Ein kurzes Schnalzen und Dalibor verfiel in ruhigen Trab. Erst als die Ebene hinter uns lag, trieb ich ihn an. Der Sturmhof befand sich außerhalb des Ortes. Das letzte Stück zwischen den hohen Hecken, gut geschützt vor den Augen der Dorfbewohner, war ein Teil unserer heimlichen Sprintstrecke. Der Schnee hatte sich bereits festgetreten und bot einen guten Untergrund. Die kleinen Stifte unter Dalibors Hufeisen gruben sich in die Eisschicht und er fegte im Galopp bis zum Stall.
Erhitzt sprang ich aus dem Sattel. Obwohl die Schneekristalle auf meinen Wangen brannten und meine Fingerspitzen in den dünnen Lederhandschuhen vor Kälte taub geworden waren, zählten diese Momente am Morgen zu den schönsten des Tages für mich. Und um nichts auf der Welt hätte ich Mas Reithandschuhe gegen warme Fäustlinge getauscht, wie sie die anderen Mädchen trugen.
Ich führte Dalibor in seine Box, sattelte ihn ab und warf ihm einen Arm voll Heu hin. »Bis heute Abend«, sagte ich zu ihm, »ich habe noch jede Menge zu tun. Es wird bestimmt spät.« Ich klopfte auf sein flauschig weißes Hinterteil und verließ mit einem Lächeln im Gesicht den Stall.
In der Waschkammer zog ich meine Stiefel aus und stellte sie zum Trocknen an den Heizkessel. Jacke und Mütze hängte ich über die Leine daneben. Als ich die Tür zur Küche öffnete, fand ich meine Familie bereits um den Frühstückstisch versammelt.
»Ash!« Trotz des prasselnden Feuers im Kamin umfing mich schlagartig Kälte, als Novaks Stimme ertönte. »Wo warst du?«
Innerlich wappnete ich mich gegen die nun mit Gewissheit folgenden Vorwürfe meines Stiefvaters. »Reiten«, entgegnete ich kurz. Lügen konnte ich nicht ausstehen, obwohl es mir das Leben oft einfacher gemacht hätte.
»Sie lernt es nie.« Jiri fläzte lässig in einem Sessel am Ofen. Er hielt die aufgeschlagene Zeitung vor sich und warf mir einen herablassenden Blick zu. »In drei Wochen finden die Nominierungen für das diesjährige Eispferde-Rennen statt«, las er vor. »Nach alter Tradition erhalten nur die besten Reiter des Landes eine Lizenz zum Start. Bevorzugt werden dabei Empfehlungen namhafter Züchter und Familien.«
Er grinste selbstsicher. Novak war Richter im Dorf, ebenso wie schon sein Vater und Großvater es gewesen waren. Der Name Valenta besaß daher eine fast ebenso lange Tradition wie das legendäre Rennen. Dass auch ich diesen Nachnamen trug, zählte nicht. Ich war nur auf dem Papier eine Valenta.
»Der Prinzenball zu Ehren der jungen Männer«, las Jiri weiter, wobei er das letzte Wort besonders betonte, »die das siebzehnte Lebensjahr vollendet haben, findet wie immer im großen Saal des Rathauses statt …«
»Oh, ich bin schon so aufgeregt«, fiel ihm Julie ins Wort. Sie warf ihr hellblondes Haar schwungvoll zurück und klatschte in die Hände. »Ich kann es kaum erwarten, mit einem der Prinzen zu tanzen.«
Novak lächelte sie nachsichtig an. Als er den Kopf hob und mich ansah, änderte sich sein Ausdruck jedoch abrupt. »Du solltest dir ein Beispiel an deiner Schwester nehmen. Sie verhält sich genau so, wie es ein Mädchen in ihrem Alter tun sollte.«
»Du fändest es besser, wenn ich Jungs hinterherstarren würde?«, fragte ich kühl.
»Ich erwarte, dass du dich an die Regeln hältst, nicht reitest und nicht dauernd im Pferdestall bei diesem Bastard von Gaul rumhängst.«
Jiri grinste breit.
Ich presste die Lippen aufeinander. Unabhängig davon, dass ich die Einzige in unserer Pseudofamilie war, die ganz sicher nicht rumhing, hatte Novak kein Recht dazu, Dalibor zu beleidigen. Keines der anderen Pferde in unserem Stall – Jiris reinrassiges Eispferd Moc eingeschlossen – hatte Dalibors Klasse. Seine Eleganz und Ausdauer waren einzigartig.
»Eine edle Abstammung ist leider keine Garantie für einen edlen Charakter«, sagte ich, mühsam beherrscht. »Weder bei Pferden noch bei Menschen.« Ich drehte mich um und stürmte aus der Küche. Die Tür fiel etwas zu laut hinter mir ins Schloss, und obwohl ich wusste, dass es Ärger geben würde, bereute ich kein einziges Wort. Ich rannte die Treppe hinauf in mein kleines Dachzimmer und verschloss die Tür hinter mir.
Es dauerte nicht lange und ich hörte schwere Schritte auf den Stufen. Meine Familie kam selten zu mir hoch, niemand hatte Lust, sich die schmale Treppe hinauf ins Dachgeschoss zu zwängen, nur um mich zu besuchen. Umso wichtiger musste der Grund diesmal sein.
Jemand rüttelte an der Klinke. Ich rutschte aus dem alten Hängesessel, den ich so vor dem Fenster unter der Dachschräge befestigt hatte, dass ich einen einmaligen Ausblick auf das schneebedeckte Land hatte. Bei gutem Wetter konnte ich bis zum Ende der weiten Ebene sehen, hinter der die Klippen steil in den Abgrund stürzten.
»Mach die Tür auf, Ash!« Novaks Stimme klang ärgerlich.
Ich drehte den Schlüssel im Schloss herum und öffnete einen Spaltbreit. Doch mein Stiefvater schob sich mit grimmigem Brummen ins Zimmer.
»Wir waren noch nicht fertig mit unserer Unterhaltung.«
»Nein? Ich wusste nicht, dass es etwas zu besprechen gab …«
»Dann hör mir zu. Die Ernte ist in den letzten beiden Jahren mager ausgefallen. Wie du weißt, gab es keinen Sieger bei den letzten Rennen, und wir müssen auf die Reserven der Gewächshäuser zurückgreifen.«
Ich runzelte die Stirn. Was sollte das? Jeder wusste, dass die Rennen in den letzten Jahren nicht erfolgreich gewesen waren. Denn erst wenn der Sieger mit einer Blüte des Schneefeuers zurückkehrte, entfaltete sich die Magie der seltenen Blume, die nur an der Grenze zum Tal des Frühlings wuchs und den Schnee in unserem Land zum Schmelzen brachte, sodass der Boden zu fruchtbarem Leben erwachte. Nach der Ernte setzten die Stürme wieder ein und Eis und Frost umschlossen die Dörfer und Höfe. Nach und nach versank das Land des ewigen Schnees wieder unter der weißen Decke, die ihm seinen Namen verliehen hatte.
»Auch die Heupreise sind teurer geworden. Wenn du nichts dazuverdienst, kann ich Dalibor nicht länger mit durchfüttern«, fuhr Novak fort.
»Wie meinst du das?«, stotterte ich, obwohl es eigentlich sonnenklar war.
Novak straffte seine Schultern, wodurch er ein wenig zu wachsen schien – was unter den niedrigen Dachschrägen natürlich kaum möglich war. »Wenn du nicht ab sofort jeden Monat für seine Ration bezahlst, werde ich Dalibor verkaufen.«
Seine Worte schlugen mir wie eine Ohrfeige ins Gesicht. Meine Wangen brannten, obwohl er mich nicht berührt hatte, und mein Hals war so eng, dass keine Worte hindurch kamen. Er wusste genau, dass mir die anfallenden Arbeiten auf unserem Hof keine Zeit ließen, einen bezahlten Job anzunehmen. Da Jiri und Julie nicht mithalfen und Novak sein Amt als Richter ausübte, musste ich alles allein erledigen. Hilflos schüttelte ich den Kopf.
Doch Novak zuckte nur mit den Schultern. »Vielleicht hast du ja Glück und findest unter den Anzeigen eine Putzstelle im Dorf.« Er warf die Tageszeitung auf mein Bett.
Erst als er sich abgewandt hatte und schon halb wieder auf der Treppe war, löste sich meine Schockstarre. »Das kannst du nicht machen!«, stieß ich hervor. »Du hast Ma versprochen, dass ich Dalibor behalten darf.«
Novak hielt inne. Es dauerte einen Moment, bis er sich wieder zu mir umdrehte, doch die Kälte, die in seinem Blick lag, sagte alles. »Die Zeiten ändern sich«, erwiderte er nur und stieg die schmalen Stufen hinunter.
Ich starrte ihm hinterher, auch als er längst verschwunden war. Immer noch konnte ich nicht glauben, was er gerade angedroht hatte. Er wusste, wie viel mir Dalibor bedeutete – und dass die Putzstellen im Dorf sehr begehrt bei den ärmeren Familien und dementsprechend rar waren. Nicht, dass ich mir zu fein dafür gewesen wäre, aber seine Forderung war ebenso gehässig wie aussichtslos. Mit Tränen in den Augen schloss ich meine Zimmertür wieder und ließ mich aufs Bett fallen. Meine Hände zitterten, als ich die Zeitung aufschlug und die Stellenanzeigen überflog. Die meisten Jobs erforderten eine Ausbildung, die Novak niemals bezahlen würde. Eine Putzfrau suchte natürlich keiner. Mein Blick fiel auf den Artikel über das große Rennen.
»Eine Frage der Ehre«, lautete die Überschrift. Und obwohl ich wusste, dass ich danach nur noch trauriger sein würde, konnte ich nicht anders und las weiter.
»Als größter Favorit des Rennens wird in diesem Jahr Jakub Kral gehandelt. Der älteste Sohn des Kralshofs kann hervorragende Trainingszeiten vorweisen, und die reinrassigen Eispferde, die die Familie in langer Tradition züchtet, haben bereits in früheren Jahren mehrere Siege errungen.« Diesen Teil hatte Jiri natürlich nicht vorgelesen. »Da in den beiden vergangenen Jahren keiner der Prinzen das Schneefeuer heimgebracht hat, legt die gesamte Bevölkerung ihre Hoffnung in das diesjährige Rennen.«
Darunter war ein Foto von einem grauhaarigen Mann zu sehen, der etwa in Novaks Alter sein musste. Im Hintergrund war ein hübsches weißes Haus mit rotem Ziegeldach zu erkennen. Neben dem Bild stand klein gedruckt: »Die Reserven sind langsam aufgebraucht, unsere Ressourcen werden knapper. Ein Sieg ist in diesem März so wertvoll wie noch nie, und wir bauen darauf, dass Jakub unserer Familie Ehre bringen wird.« Der Mann musste Herr Kral sein. Ich hatte schon viel von ihm gehört, weil er ein bekannter Pferdezüchter war, doch begegnet war ich ihm nie.
Plötzlich fiel mein Blick auf einen kleinen Kasten unter dem Artikel: »Der Kralshof sucht vor dem Eispferde-Rennen einen tatkräftigen Stallburschen zur Unterstützung.« Es folgte die Adresse des Hofes.
Frustriert warf ich die Zeitung zu Boden und betrachtete das Foto auf meinem Nachttisch, das Mas lachendes Gesicht zeigte. Es wäre die perfekte Stelle für mich gewesen. Wenn die Sache nicht einen Haken gehabt hätte: Der Kralshof suchte einen Stallburschen – aber ich war nun mal ein Mädchen.