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Der Vortrag

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»Sei kein Verlierer! Verhalte dich wie ein Gewinner!« Die Worte des Redners klangen wie Peitschenhiebe.

Bevor Lena sich in Gedanken darin vertiefen konnte, wie sie mit der Peitsche in der Hand vor dem über einen Stuhl gebeugten Redner stand, sah sie sich um. Gut 300 Menschen lauschten dem Mann auf der Bühne, ›Deutschlands bestem Mentalcoach*‹, so stand es im Programm. Das Publikum erschien ihr aufmerksam. Gläubig. Man musste sich nur richtig verhalten, dann war man ein Gewinner. Wer ein Verlierer war – in der Welt des Sprechers gab es nur zwei Typen von Menschen –, der war selbst schuld.

»Was aber tun Gewinner?« Den Worten folgte eine kunstvolle Pause, lange genug, dass die Zuschauer noch begieriger wurden, zu erfahren, was sie tun mussten, um zu den Gewinnern zu gehören, endlich die verdiente Beförderung, Gehaltserhöhung, den verzweifelt gesuchten Traumpartner, ein Haus, Kinder, eine schlankere Figur zu bekommen. Die Pause war kurz genug, um die Aufmerksamkeit nicht abreißen zu lassen. Das Licht im Zuschauerraum war gedimmt, was dem Sprecher auf der Bühne eine alles überstrahlende Wirkung verlieh.

Lena war wider Willen von der Inszenierung des Redners fasziniert, musste anerkennen, wie geschickt er mit dem Publikum spielte und dessen tiefe Sehnsüchte erfolgreich zu sein, auf der Gewinnerseite zu stehen, ausnutzte, ebenso wie dessen Angst, zu verlieren. Sie hatte den richtigen Riecher gehabt als sie den Kerl als Keynote-Speaker* für die alljährliche Teambuildingmaßnahme vorgeschlagen hatte. Immerhin würde ihr das Pluspunkte bei ihrem Vorgesetzten einbringen; für sie war der Vortrag also ein Gewinn.

Beim Abendessen später würde sie über diesen Vortrag viel Anerkennendes hören. »Was der gesagt hat, wie inspirierend!«

»Was für ein toller Mann!«

Die einen wären voller guter Vorsätze, wie sie ab sofort ihr Leben verändern und sich wie Gewinner verhalten würden. Die anderen wären erleichtert, weil sie glaubten, bereits das eine oder andere Gewinnerverhalten draufzuhaben.

Der Sprecher setzte erneut an: »Gewinner stehen früh auf.«

Das sollte ein Erfolgsrezept sein? Während der eine oder andere nun sicher schamhaft daran dachte, wie schwer er morgens aus dem Bett kam, wenn der Wecker klingelte, und jene, die morgens vor der Arbeit schon eine Runde joggten, stolz ihre Brust schwellten, stand Lena auf.


Sie näherte sich der Bühne, stieg die zehn Stufen an der Seite hinauf und ging auf den Sprecher zu. Der war irritiert, glaubte aber noch, Herr der Situation zu sein. »Guten Tag, mein Vortrag hat Sie so inspiriert, dass es Sie nicht auf dem Sitz gehalten hat? Aber warten Sie ab, es kommt noch besser.« Bevor er weiterreden konnte, sagte Lena: »Schweig!«, und stellte sich direkt vor ihn. Ihre Gesichter berührten sich fast, während sie ihm in die Augen blickte. Sie sprach nicht laut, aber klar und bestimmt. Der Sprecher hob erstaunt seine Augenbrauen. Und schwieg. Daraufhin hob auch sie ihre Augenbrauen. Bei ihr war es ein Befehl. Den verstand er und senkte seinen Blick. Lena ging einen Schritt zurück.

»Knie nieder!« Der Mann gehorchte und kniete sich vor sie.

»Entblöße deinen Oberkörper!« Er zog Jackett und Hemd aus. Darunter kam ein weißes Rippenunterhemd zum Vorschein.

Lena musste schmunzeln, ihrer Stimme war das aber nicht anzuhören.

»Hände auf den Rücken!«

Bis jetzt hatte es im Publikum leise, aber vernehmliche Unruhe gegeben, Gemurmel war zu hören. Lena setzte sich in Bewegung, ging mit langsamen Schritten um den Mann herum, der nun mit gesenktem Kopf auf den Boden sah. Im Publikum war Stille eingetreten, man hätte die sprichwörtliche Nadel fallen hören können. Lena genoss jeden ihrer Schritte, während sie langsam im Kreis um den Mann herum ging, diesen ausgiebig begutachtete. Er war ihren Blicken ausgesetzt, durfte sie aber nicht erwidern. Dennoch, da war sich Lena sicher, spürte er jeden ihrer Blicke wie einen Nadelstich. Nadelstiche, sie dachte an das Nervenradi in ihrer Handtasche. Sie hatte die Umrundung beendet und wandte sich an das Publikum: »So verhalten sich Gewinner.« Tosender Applaus setzte ein, die Leute standen beim Applaudieren auf.


»Lena!« Sie zuckte unter dem Finger, der ihr auf die Schulter klopfte, zusammen. Es war Rons Finger. Ron war der Projektleiter des heutigen Events, und als er sie nun rauswinkte, war Lena klar, dass es Komplikationen gab. »Wo warst du mit deinen Gedanken?« Ron schien sie nicht nur einmal angesprochen zu haben, erst die Berührung hatte sie ins Hier und Jetzt zurückgeholt. Lena wurde rot. »Mit der Zeitmaschine ganz oben auf der Erfolgsleiter?« Er lachte dabei leicht spöttisch, Lena fühlte sich ertappt. In ihrer Fantasie war sie zwar nicht in einer anderen Zeit, aber in einem anderen Raum gewesen, sozusagen. In einem Raum, in den es sie immer wieder zog, schon seit vielen Jahren.

Sie wusste, dass Ron unter Stress zynisch wurde. Das war keine sympathische Eigenschaft, aber Lena ignorierte sie in der Regel. Erfolg war für Ron sehr wichtig, er wollte ein Gewinner sein. Sie folgte ihm in einen Nebenraum, während der Sprecher erläuterte, dass erfolgreiche Frühaufsteher gleich morgens wichtige Dinge erledigen würden, unter anderem Joggen gehen. Er täte das jeden Morgen um sieben Uhr, bei Wind und Wetter. Lena war froh, diesem blonden Hänfling mit welliger Föhnfrisur zu entkommen. Im Nebenraum, in dem eine Horde von Hilfskräften die Tische für das Essen danach zu Ende eindeckte, zeigte Ron auf den auf einem Podest stehenden Flügel. »Der Pianist hatte auf der Fahrt mit dem Fahrrad hierher einen Unfall und hat sich das Handgelenk gebrochen.«

Der ist wohl zu spät aufgestanden heute, dachte Lena, und dann: Das ist vielleicht eine Chance für Sonja, ihre Freundin Sonja, die zwar Langschläferin war, dafür aber ausgebildete Pianistin und Chansonsängerin. Rons Lippen zuckten. Eine Geste, die er unter Stress zeigte und der durchaus ein Wutanfall folgen konnte. Sie bedeutete Ron mit einer Handbewegung still zu sein, suchte in ihrem Handy die Nummer und rief Sonja an. Die hatte zwar heute Abend ein Date mit einem Typen, den sie über Tinder angefunkt hatte und der ›echt ein Hoffnungsschimmer sein könnte‹, aber Lena dachte, bei Sonjas Händchen für Hoffnungsschimmer könnte dieser Gig sie vor Schlimmerem bewahren.

»Moment,« sprach sie in den Hörer und fragte Ron: »2000?«

Damit war Sonja nicht teurer als der ausgefallene Spieler. Ron schnaufte. Und nickte. Für Sonja war der Preis hoffentlich der Grund, sich eher dem finanziellen als dem männlichen Hoffnungsschimmer zuzuwenden.

Drei Stunden später hatte sich der Kreis der Feiernden verkleinert. Sonja hatte sich zufrieden verabschiedet, und der harte Kern der Feiernden wurde langsam lauter. Lena verabschiedete sich nach kurzer Absprache mit Ron und machte sich auf den Weg nach Hause.

Während der zwanzigminütigen Fahrt in ihrem türkisfarbenen Z3, Baujahr 98, fragte sie sich, warum der Speaker sie so aufgeregt hatte. Auch wenn sie nicht an den Tschakka-Kram glaubte, Selbstdisziplin war wichtig für erfolgreiches Tun, wie auch immer man Erfolg für sich persönlich definierte.

Sie wusste die Antwort. Im Vortrag war auch die Rede von Visionen gewesen, aus denen Ziele würden, für die man brenne. Beruflich war sie erfolgreich, der Job in der HR-Abteilung* des großen IT-Unternehmens* bereitete ihr Freude. Sie erlebte es als sinnvoll, Personalentwicklerin* zu sein, und sie schätzte Kollegen und Vorgesetzte. Zumindest die meisten.

Privat sah es anders aus. Dass sie allein wohnte, störte sie nicht, das hatte sie mitunter auch in Beziehungen getan und entsprach ihrem Drang nach Unabhängigkeit. Auch ihre Kinderlosigkeit war gewollt. Ihre erste lange Beziehung – mit Berta – war nicht zuletzt daran gescheitert. Nach neun gemeinsamen Jahren hatte Berta eine neue Partnerin gefunden, die ihren Kinderwunsch teilte. Einige Jahre später waren die beiden mit Sohn Paul eine glückliche Regenbogenfamilie geworden. Der Sex mit Berta war orgastisch gewesen, immer. Durch Streicheln, Lecken, Reiben. Sie mochte Sex mit Berta. Nur einmal, nach dem Besuch des Frauenschwoofs in der Wuppertaler Börse, wo sie jeden ersten Samstag im Monat tanzen gingen, hatte sie andere Wünsche angesprochen. Im Foyer gab es einen Stand mit Sextoys und Fesseln, um den sich einige Frauen in Lederhosen und Schirmmützen scharten.

Als Lena daran vorbeiging und unauffällig auf das Spielzeug schielte, sprach sie eine große schlanke Frau mit einer dieser Mützen auf dem Kopf und einem dicken blauen Dildo in der Hand an: »Hast du Lust auf ein Spiel mit mir und diesem heißen Ding?« Lena wurde rot, was der Fragenden ein Grinsen entlockte. Schnell drehte Lena sich um und ging weiter.

In Gedanken an die eben gesehene Sammlung von Dildos, Handschellen und Peitschen fragte sie Berta auf der Rückfahrt, vielleicht auch mutig von den Bieren, die sie im Laufe des Abends getrunken hatte: »Darf ich dich mal fesseln?« Berta hatte starr weiter geradeaus auf die Straße geschaut, beide Hände fest am Lenkrad. Und hatte geschwiegen. Lena schaute schnell auch geradeaus, selbst starr geworden.

»Gewalt gehört nicht in Beziehungen, schon gar nicht in lesbische.« Bertas Tonfall war ernst.

»War nur so eine spontane Idee, ich habe nicht nachgedacht.« Lena zog sich in sich zurück, packte ihre Idee sorgfältig ein und weg.

»Das ist höchstens krank. Ich verstehe diese BDSMii-Lesben nicht.«

Lena schwieg. Krank. Das wollte sie nicht sein. Es reichte, dass sie sich nicht als Lesbe bezeichnete, das wurmte Berta schon genug.

Das war ihr erster Versuch gewesen, als Erwachsene mit jemandem über ihre Fantasien von Dominanz und Unterwerfung zu reden. Aber wenn die Person, die sie liebte, nichts damit zu tun haben wollte, dann schwieg sie besser. Dann war es bestenfalls Kinderkram.


Das war es, Kinderkram. Acht Jahre war sie gewesen. Damals hatte sie mit ihrer besten Freundin Ulla ein Spiel gespielt, ein von ihr, Lena, ausgedachtes Spiel. Kackemann, so nannten sie es. Später spielten sie es auch mit Natascha, die in derselben Straße wohnte und mit ihnen in eine Klasse ging. Im Gegensatz zu Doktorspielen, an denen auch Peter und Johann teilnehmen durften und bei denen es ums Anfassen ging – Mädchen bei Jungen, Jungen bei Mädchen, Mädchen bei Mädchen und Jungen bei Jungen –, spielten sie Kackemann nur unter Mädchen. Obwohl das Spiel nur wenig Story hatte und dazu immer dieselbe, spielten sie es mitunter jeden Tag, dann wieder Wochen nicht. Wie sie auf die Idee zu Kackemann gekommen war, wusste sie nicht mehr, aber dass es ihre Idee gewesen war, daran konnte sie sich erinnern. An das Spiel selbst waren ihre Erinnerungen gut. Der Kackemann hatte irgendetwas Böses getan und wurde von der Ortsgemeinschaft bestraft. Sie war die Ortsgemeinschaft und Ulla war der Kackemann, zumindest meistens. Mit Natascha war es komplizierter, denn die wollte auch Kackemann sein und das führte zu Streit. Der Kackemann wurde von der Ortsgemeinschaft in einen Bottich gelegt und dann wurde er unter Ausschimpfen angepisst. Und schließlich auch angekackt. Das war allerdings nur imaginäres Tun gewesen; im Gegensatz zu den Doktorspielen waren sie beim Kackemann angezogen geblieben.

Das Spiel war auch in der Fantasie schon prickelnd genug gewesen. Ulla war die Lust an der Demütigung anzusehen, und sie, sie hatte darüber bestimmt, was passierte. Und wann. Und was Kackemann zu tun hatte: den Blick zu senken, die Pisse auszutrinken.

Ganz schön krass, dachte Lena, deren aktuelle Fantasien nicht ganz so weit gingen. Aber sie brachten sie in dieselbe Stimmung, diese lustvolle Erregung, die den ganzen Körper ausfüllte. Sie fühlte tatsächlich eine Art Ganzkörpererregung, wenn sie sich vorstellte, wie sie einer Frau oder einem Mann die Augen verband, dessen Hände mit einem Seil hinter dem Rücken fesselte und ihr oder ihm dann ganz langsam und in völliger Stille ein Lederhalsband anlegte, an das sie eine Hundekette schloss. Nun konnte sie ihre Dienerin, ihren Diener führen.

Sie sehnte sich danach, wieder so unbedarft – unschuldig war vielleicht das falsche Wort – wie damals mit acht zu sein, als sie, ohne sich oder anderen zu schaden, gespielt hatten. Zwar hatten sie gewusst, dass die Erwachsenen weder von Kackemann noch vom Doktorspiel etwas mitbekommen durften, aber die durften ja auch nicht wissen, wenn sie bei der blöden Frau Wasser drei Häuser weiter heimlich selbst gesammelten getrockneten Kuhdung in den Briefkasten schmissen oder sich aus dem Telefonbuch alle »Nagels« raussuchten, diese anriefen und, sollten sie sich mit Namen melden, mit tiefer Stimme: »Hier ist der Hammer!« riefen, um schnell aufzulegen und sich schlappzulachen. Sie und die anderen Kinder hatten nicht in Kategorien wie Sexualität oder Sex oder dominant und devot oder Natursektiii und Kaviariv gedacht. Sie hatten gespielt, wie sie Lust hatten.

Bis Ullas große Schwester Birgitta sie beim Kackemann beobachtet hatte. Sie hatte wohl schon eine ganze Zeit lang hinter den Himbeersträuchern im Garten gesessen und zugeschaut, bevor sie in die Szene schritt.

Birgitta schrie mit wutentbrannter Stimme: »Hört auf mit den Schweinereien! Das erzähle ich Mama!«

Obwohl Ulla sie anflehte, Letzteres nicht zu tun – Ersteres hatten sie und Ulla ohnehin schon getan –, ließ Birgitta sich nicht beeindrucken und ging schnurstracks ins Haus zu ihrer Mutter.

Die kam wenig später heraus. Ulla und Lena hatten inzwischen beschlossen, sie würden nichts sagen und spielten Gummitwist. Die Mutter war weit weniger aufgeregt als Birgitta. Dennoch bat sie beide Kinder, mit dem Springen aufzuhören und ihr zuzuhören. Angespannt taten sie, wie ihnen gesagt wurde. Sie wüssten vielleicht nicht, was sie täten, aber was Birgitta ihr geschildert habe, sagte die Mutter, ließe sie zu dem Schluss kommen, dass sie das nie, nie wieder tun dürften. Es sei etwas, das sehr böse sei und etwas, was das liebe Jesuskind sehr traurig mache. Ullas Mutter war gläubige Calvinistin und Lena ahnte, dass ihre streng katholische Mutter es genauso drastisch ausgedrückt hätte. Das Ergebnis war dasselbe, ab nun war Kackemann Schmuddelkram, und für das Spiel drohte die ewige Hölle. Ulla fing nach der Ansprache gleich an zu weinen, warf sich ihrer Mutter in die Arme und heulte, dass Lena sie überredet habe und sie selbst nie wieder so was Böses tun wolle. Lena wurde freundlich, aber streng gebeten, für heute nach Hause zu gehen.

Natürlich hatte Ullas Mutter es ihrer Mutter schon am Telefon erzählt, als Lena nach Hause kam. Lena schwieg bei der wütenden Ansprache und gab auch nach der Ohrfeige der Mutter keinen Mucks von sich, obwohl diese höllisch brannte. Bereitwillig ging sie ohne Abendessen auf ihr Zimmer.

Das war das Ende von Kackemann gewesen und auch die Freundschaft zu Ulla hatte einen Knacks bekommen. Nach dem Wechsel auf verschiedene höhere Schulen war die Freundschaft schnell eingeschlafen und Lena hatte Kackemann verdrängt. Doktorspiele waren irgendwann realen Erforschungen des eigenen und anderen Geschlechts gewichen, aber das war etwas anderes, zwar verboten, aber nicht höllenwürdig.


Lena war inzwischen zu Hause angekommen, schloss ihren Z3 ab und ging in ihre Wohnung; zweiter Stock, Altbau, Holzdielen, ein Glücksfall mit 64 Quadratmetern. Sie machte sich bettfertig, schenkte sich einen Portwein ein und fuhr den Laptop hoch. Beim Googlen von BDSM fand sie Links zu Foren, die sie nicht zu betreten wagte. Sie googelte einzelne Praktiken und fand allein über Spankingv Seiten über Seiten; Strafe durch Schlagen auf das bekleidete oder entblößte Gesäß, auch die benachbarten Regionen wie Oberschenkel, den Rücken oder die äußeren Geschlechtsorgane. Die Schläge erfolgten mit der flachen Hand oder mit einem Gegenstand, etwa einem Rohrstock oder einer Peitsche. Lena sah auf die Zahl unten rechts auf ihrem Bildschirm. Zwei Uhr morgens. Verdammt, der Wecker ging um halb sieben. Sie hatte schon viel Schlaf verloren beim Surfen im Internet. Nach der Erfahrung mit Berta hatte sie jegliches Suchen nach allem, was BDSM ähnlich war, gemieden. Im Zeitalter des Internets auch das Surfen danach, zumindest wenn sie in einer Beziehung war. Vor allem die ganzen neun Jahre, die die Beziehung mit Hans gedauert hatte. Sie wollte nicht noch einmal dasselbe wie mit Berta erleben. Dabei war Hans ein gutmütiger Typ. Auch der Sex war okay gewesen, am Anfang. Sie hatte Gefallen an heterosexuellem Geschlechtsverkehr gefunden. Leider war Hans der Sex nicht besonders wichtig gewesen. Nach drei Jahren war ihr Sexleben quasi auf null runtergefahren. Lena hatte sich arrangiert, sich auf Alltagsharmonie – die letzten drei Jahre sogar gemeinsam in Hans Reihenhäuschen – eingelassen. Auf ihrem 45. Geburtstag, als gerade Just can’t get enough von Depeche Mode lief, Hans’ Lieblingssong, stellte sie fest: Diese Beziehung ist Stagnation geworden. Lena wollte noch anderes erleben.

Drei Monate vorher hatte sie bei einem Bummel über einen Flohmarkt ein Buch entdeckt. Die Geschichte der O.vi Fünfzehn Euro hatte es gekostet. »Etwas für Kenner«, hatte der Verkäufer gesagt und Lena hatte schnell gezahlt. Sie war schon vorher rot geworden, denn sie hatte das Buch aufgeschlagen und hineingelesen. Wenn sie mit Hans schon keinen Sex mehr hatte, dann wollte sie wenigstens Kopfkino für sich. Sie hatte das Buch heimlich gelesen und dann in ihrem Nachttisch versteckt. Die Geschichte der totalen sexuellen Unterwerfung der O. faszinierte sie ebenso, wie es sie abstieß. Monate später war sie nach Hause gekommen, das war kurz vor ihrem 45. Geburtstag gewesen, und Hans hatte am Esstisch gesessen. Schweigend. Vor ihm lag ein geschlossenes Buch. Die Geschichte der O. Er sah sie an. »Was soll das?«

»Was?« Mehr war ihr nicht eingefallen, ihre glühenden Wangen sprachen für sich. »Das ist ekelhaft.« Ekelhaft. Das Buch? Sie, die Leserin? Schweigend nahm sie das Buch, ging nach oben und steckte es in eine ihrer Handtaschen im Kleiderschrank. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie Hans nicht mal gefragt hatte, was er in ihrem Nachttisch gesucht hatte. Weitere vier Monate später hatte sie die Beziehung beendet. Denn nach diesem Vorfall war ihre Alltagsharmonie Alltagsschweigen gewichen. Hans sagte auch nicht viel, als sie sich trennte und auszog. Bis sie ihre Altbauwohnung gefunden hatte, fand sie Unterschlupf bei ihrer Freundin Sonja in deren Gästezimmer. Die hatte ihr zwei Monate später berichtet, dass Hans eine Neue habe, über eine Partnervermittlung im Internet hätten die zwei sich kennengelernt.

Lena wusste zwar, dass es andere gab, die Fantasien hatten wie sie, das sah sie im Netz und das hatten ihr damals die BDSM-Lesben auf dem Wuppertaler Frauenschwoof gezeigt, aber Internetforen wie das Sklavenportal schienen ihr genau so weit weg zu sein wie damals der Stand mit den Fesselseilen. Und schon der Name, Sklavenportal. Sklaverei war doch kein Spiel. Vielleicht war sie wirklich krank, denn was Ullas Mutter damals als böse beschrieben hatte, das hatte ihre Freundin Berta als krank bezeichnet und Hans als ekelhaft. War krank besser als böse oder ekelhaft?

Sie wollte gerade ihren Laptop zuschlagen, hatte nur noch das Wort Kinkyvii gegoogelt, das in einem Text über Lederoutfitsviii aufgetaucht war, als sie spontan Kinky Party eingab, dahinter den Namen ihrer Stadt. Auf ihrem Bildschirm erschien: Kinky Kat. Die Party. Nächster Termin: Samstag in zwei Wochen, Beginn 22 Uhr im Hafenclub. Das würde ihr Gewinn werden.

Es war schon nach drei, als sie vollgesogen mit vielen Kinky Eindrücken ins Bett fiel.

Dominante Leidenschaft

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