Читать книгу Das Zeichen der Eriny - Lara Elaina Whitman - Страница 9
Fieberträume
ОглавлениеEs war schon fast dunkel, als ich wieder zuhause ankam. Ich war nicht durch den Wald gefahren, sondern außen herum, denn wenn dort etwas war, dann würde es vielleicht in der Dämmerung jagen. Davon hatte ich Thomys Mutter nun doch nichts erzählt, denn das hätte ihr jede Hoffnung genommen und so behielt ich es für mich. Außerdem war ich fest davon überzeugt, dass Thomy noch am Leben war. Ich stellte mein Fahrrad ordentlich in der Garage ab und ging nachdenklich ins Haus. Meine Eltern waren nicht da, meine Großmutter saß vor dem Fernseher und schaute sich eine Sendung über Katzen an. Meine Großmutter liebte Katzen.
»Hallo Oma!«, ich gab ihr einen Kuss auf die Wange.
»Hallo, Kleines. Wie war es bei Thomas?«, sie musterte mich kritisch.
Warum hatte ich immer das Gefühl, dass meine Großmutter einen Röntgenblick hatte und immer merkte, wenn es mir nicht gut ging.
»Thomy ist verschwunden. Frau Mahler geht es gar nicht gut«, sagte ich bedrückt.
»Verschwunden? Warum?«, fragte sie überrascht. »Das sieht ihm nicht ähnlich. Armer Junge.«
»Wir verstehen es auch nicht. Ich hoffe es ist ihm nichts passiert. Die Polizei will den Wald absuchen.« Ich sagte das ganz kühl, ohne Emotionen. Meine Großmutter sah mich scharf an. Vielleicht war es besser, wenn ich in Tränen ausbrach, aber ich konnte einfach nicht. Heucheln war noch nie meine Stärke.
»Bist du nicht traurig darüber. Du reagierst so komisch«, kam prompt ihre Reaktion auf mein Verhalten.
»Ich bin fix und fertig, Oma. Geweint habe ich schon genug. Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, dass er wieder nach Hause kommt.« Eine Träne rollte aus meinem Augenwinkel und ich atmete ein paarmal tief durch, um nicht doch noch los zu heulen.
Draußen fuhr ein Auto in die Garage. Das war bestimmt meine Mutter. Ich stand auf. »Möchtest du Tee? Ich mache welchen.« Meine Großmutter nickte zustimmend. Rasch ging ich in die Küche. Ich wollte alleine sein, denn ich musste nachdenken. Ein paar Minuten später kam meine Mutter durch die Seitentür zur Garage herein.
»Hallo ihr Lieben. Ich bin wieder da!«, rief sie. Sie kam in die Küche und stellte eine Tüte ab. »Könntest du das in den Kühlschrank räumen, ma chérie? Hattest du einen schönen Tag mit Thomy?«, fragte sie mich im hinausgehen, ohne mich anzusehen.
Ich antwortete nicht. Offenbar hatte es sich noch nicht herumgesprochen, dass Thomy vermisst wurde. Meine Großmutter nahm es mir ab, sie zu informieren. Bestürzt kam meine Mutter zurück in die Küche und nahm mich in den Arm. »Das ist ja schrecklich«, sagte sie mit einem besorgten Blick in mein Gesicht.
»Ja, ich bin ziemlich fertig. Ich glaube ich gehe nach oben.« Ich nahm meine Tasse. Zum Glück war meine Mutter feinfühlig genug, mich in Ruhe zu lassen. Fragen hätte ich sowieso keine beantworten können, dazu war ich gerade nicht in der Lage.
»Wir essen in einer Stunde«, rief sie mir noch nach.
Ich war mir ziemlich sicher, dass ich nichts essen wollte. In meinem Zimmer war es still. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das das erste Mal an diesem Tag war. Ich ließ mich auf das Bett fallen und starrte eine Weile die Zimmerdecke an. In meinem Kopf drehte sich alles. Das war der zweittraurigste Geburtstag meines Lebens, obwohl er so schön begonnen hatte. Nicht einmal mein neuer PC konnte mich trösten. Mit wem sollte ich jetzt spielen? Alleine machte mir das keinen Spaß. Ohne Thomy! Langsam begriff ich, was das bedeutete. Mein einziger Freund, den ich hier hatte, war verschwunden und ich würde ihn vermutlich niemals wiedersehen. Etwas zog sich schmerzhaft in meinem Herzen zusammen. Es war so selbstverständlich gewesen, dass er immer da war, wenn ich ihn brauchte. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass er auch so vielleicht irgendwann aus meinem Leben verschwunden wäre, spätestens dann, wenn er eine Freundin gehabt hätte. Daran hatte ich noch nie gedacht. Schließlich waren wir kein Liebespaar. Ich mochte ihn, aber da war einfach nicht mehr, so sehr ich mir das auch gewünscht hatte. Wir waren nur Freunde. Es schmerzte trotzdem. Was sollte ich tun? Mein Blick fiel auf den Karton unter meinem Schreibtisch, in dem der zerstörte PC war. Vielleicht konnte ich noch einmal in diesen Tunnel gehen, sofern das Spiel noch funktionierte und nachsehen, ob Thomy irgendwo dort lag. Es könnte ja sein, dass er sich in der Dunkelheit verlaufen hatte. Möglicherweise konnte ich die Platine reparieren? Wollte ich das wirklich? Ein Schauer durchfuhr mich bei dem Gedanken an den fürchterlichen modrigen Tunnel. Ich war zwar mutig, aber so mutig auch wieder nicht. Wer weiß was dort auf mich wartete. Vielleicht diese Eriny? Ob sie Thomy entführt hatten? Und dann noch die Geschichte mit dieser anderen Welt. Ein seltsames Gefühl breitete sich in mir aus, die Wunde in meiner Handinnenfläche begann heftig zu pochen, mir wurde ein wenig übel und es schien dunkel um mich herum zu werden. Ich blinzelte ein paar Mal. Die Beklemmung verschwand und es wurde wieder heller. Was war das denn eben? Plötzlich hatte ich das dringende Bedürfnis nicht alleine sein zu wollen. Hastig sprang ich auf und lief zu meiner Mutter hinunter, die in der Küche hantierte. Stumm nahm ich mir vor den PC wegzuwerfen, auf Thomys Mutter zu hören und alles zu vergessen. Tränen begannen über mein Gesicht zu laufen und ich fand mich in den Armen meiner Großmutter wieder.
»Es wird alles wieder gut!«, flüsterte sie mit ihrer brüchigen, alten Stimme und wiegte mich wie ein kleines Kind. Ich sah nicht, wie sich die beiden über meinen Kopf hinweg Blicke zuwarfen.
Nach dem Essen packte meine Mutter einen Film aus, den wir uns gemeinsam ansahen. Ich war nur halb bei der Sache und unendlich müde, aber ich brachte es nicht über mich nach oben zu gehen. Ich war mir sicher, dass ich kein Auge zutun würde.
»Sarah? Wie wäre es, wenn du doch noch für ein paar Tage nach Carnac zu Tante Claire fahren würdest?«, fragte mich meine Mutter plötzlich.
Ich schüttelte den Kopf, hörte aber sofort wieder damit auf. Meine Kopfschmerzen hatten einen Zahn zugelegt. »Nein, ich kann hier nicht weg. Vielleicht kommt Thomy zurück und ich sollte mich um seine Mutter kümmern. Sie hat doch nun niemanden mehr«, lehnte ich vehement ab. Abrupt setzte ich mich auf, mein Magen drehte sich um und ohne zu wissen wie mir geschah, erbrach ich das Abendessen auf den schönen Teppich im Wohnzimmer. Betreten sah ich auf die Sauerei. »Entschuldigung!«, war das letzte, das ich noch herausbrachte bevor ich umkippte.