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Elia betrat den großen, verglasten Konferenzraum, den er selbst mit einem riesigen Monitor an der Stirnseite und einer dazugehörenden PC-Station ausgerüstet hatte. Agnus, sein Chef, saß wie immer am Kopfende des riesigen Konferenztisches. Mit Sicherheit hätte jeder Außenstehende ihn sofort als Chef erkannt, obwohl alle in der Runde harte Jungs waren. Elia war überzeugt, dass das nicht an seiner Größe von fast zwei Metern lag oder dem 120 Kilogramm schweren, fettfreien Körper, sondern an seiner Ausstrahlung. Sein Chef war der Typ, hinter dem man sich als Kind vertrauensvoll vor bösen Leuten verstecken würde, und gleichzeitig der, mit dem kein Mann jemals wagen würde, einen Streit anzufangen.

„Wie geht’s John?“, fragte er als Erstes.

„Alva hat ihm sofort eine Infusion mit Eigenblut gegeben. Ich hoffe nur, sie hat genug eingelagert, du hast ihn ja gesehen.“ Elia wusste ebenso wie Agnus, dass im Augenblick kein Spender zur Verfügung stand, und menschliches Blut musste im wahrsten Sinne des Wortes quellfrisch sein. Alle Frauen, die im Hauptquartier wohnten, lebten in einer symbiotischen Beziehung mit einem Vampir. Das Gesetz schützte diese intime Lebensgemeinschaft und erlaubte nur dem jeweiligen Gefährten, ihr Blut zu trinken.

„Okay, setzt euch, wir fangen an“, begann Agnus.

„Und wo bleibt Scott?“, fragte Ambi.

„Der sitzt im Flieger nach Asien. Ich hab ihn heute Nacht losgeschickt, um Jack zu unterstützen. Es steckt wohl eine ganze Organisation dahinter und nicht nur ein Einzelner, wie wir erst vermuteten. Ach, und bevor ich es vergesse – Ben lässt euch aus der Karibik schön grüßen. Er genießt seine Flitterwochen und hat mit Toms Jacht gestern bei Curaçao angelegt.“

„Der Glückliche“, flüsterte Ara leise und strahlte dabei ihren Mann Vinz an. „Wer hätte gedacht, dass unser Brad-Pitt-Double jemals diese traumatisierte Schönheit aus dem königlichen Harem ins Leben lockt?“

„Ich hätte nicht darauf gewettet, immerhin hat er sie fast zweimal verloren“, kommentierte Ambi augenzwinkernd. „Dreimal, wenn du den Tiger mitrechnest“, ergänzte Ara.

Ein Blick seines Chefs reichte.

„Schon gut, schon gut, ich bin ja still“, grinste sie.

„So, zur Sache – Elia, klär uns auf.“

Er berichtete, wie und unter welchen Umständen sie John und Lara gefunden hatten.

„Aber warum? Was ist da passiert?“

„Die Frau war völlig durchnässt“, fügte Quint hinzu. „Ich denke, er hat sie aus dem Wasser gezogen. Auf dem Rückweg sind wir ein Stück flussaufwärts unter einer Eisenbahnbrücke durchgeflogen.“

Ambi hob grinsend eine Augenbraue „Unter?“

„Ja, verdammt, ich hätte mir in die Hose gemacht, wenn ich das könnte. Weißt du, wie eng die Pfeiler zusammenstehen?“

Ambis Grinsen wurde breiter. „Ich hab’s euch von Anfang an gesagt, in Sarah steckt viel mehr, als ihr alle denkt. Sie ist absolute Spitze.“

Elia war verdammt stolz auf seine Frau und gab sich keine Mühe, sein Grinsen zu verbergen. Agnus knurrte aber schon ungeduldig, deshalb fuhr Quint fort, anstatt sich weiter über ihren temperamentvollen Flugstil auszulassen.

„Wer weiß, vielleicht ist die Verrückte ja von der Brücke gesprungen. Sie wird wohl nicht tief in der Nacht mit so einem komischen Kleidchen im kalten, reißenden Fluss schwimmen gewesen sein.“

Elia sah, wie böse Arabella Quint mit ihren Augen anfunkelte. Wäre sie ein Vampir, hätte sie ihn jetzt vermutlich drohend angeknurrt. Elia lehnte sich zurück, um das kleine Schauspiel zu genießen.

„Wir wissen alle, dass du keine Frauen magst, aber deshalb musst du noch lange keine Witzchen über so eine ernste Sache machen!“

„Nein, das ist kein Witzchen, Ara! Wegen dieser ohnehin sterblichen Frau wäre John fast draufgegangen!“

„Schluss jetzt!“

Schade, dass Agnus’ grimmiger Blick die zwei verstummen ließ. Dafür betrat seine Sarah nun das Konferenzzimmer. Merkwürdig, denn sie wollte eigentlich Alva auf der Krankenstation helfen. Doch er bemerkte den Brief in ihrer Hand, als sie sich neben ihn setzte, und ihre geröteten Augen.

Agnus deutete auf den geöffneten Brief. „Sarah?“

„Entschuldigt, dass ich so hereinplatze. Aber ich habe diesen Abschiedsbrief bei der Frau gefunden. Und da wir nicht wissen, was passiert ist …“

„Schon gut, Sarah, je mehr wir wissen, desto besser. Also?“

Als Sarah anfing zu zittern, spürte er das sofort und legte seinen Arm um ihre Schultern.

„Dieser Abschiedsbrief ist weder depressiv noch sonst irgendwie typisch für einen Selbstmörder. Diese Zeilen stammen von einer Frau, die Mut und Lebenskraft besaß, alles Wichtige nach ihrem Tod zu regeln.“

„Wen interessiert das schon? Gib uns einfach die Informationen“, maulte Quint.

„Lass meine Frau gefälligst ausreden!“ Er ahnte, welche Erinnerungen in Sarah wachgerufen wurden. Noch ein blödes Wort von Quint, und er würde über den Tisch springen.

„Gib uns einfach eine Zusammenfassung, Sarah“, meinte Agnus beschwichtigend.

„Natürlich, Entschuldigung. Die Frau heißt Lara O’Brian. Sie schreibt, dass sie unter einem inoperablen Hirntumor leidet und im Vollbesitz ihrer geistigen Fähigkeiten ihr Leben selbst beenden will, bevor …“

Die Stimme von Sarah versagte. Tränen liefen aus ihren blassblauen Augen und jeder im Raum wusste, warum. Selbst er konnte ihre Vergangenheit nicht ungeschehen machen, zog sie einfach nur liebevoll an sich und streichelte tröstend ihre Hand. Alles an ihr war so zart, ihre blass-rosa Lippen zitterten. Elia konnte die irrationale Angst nicht abschütteln, sie würde gleich zerbrechen.

Im Raum war es totenstill geworden.


Genau wie er wussten auch alle anderen im Raum von Sarahs eigenem Brief, mit dem sie das Tribunal um ihren Tod ersucht hatte. An diesem Tag, vor einigen Hundert Jahren, hatte er, der Schreiber des Tribunals, sie kennengelernt.

Lucius, ein junger, aber mächtiger Vampir hatte Sarah nach anfänglicher Verliebtheit zur Heirat gezwungen und hielt sie anschließend wie eine Gefangene. In immer neuen Versuchen, die völlig verängstigte Sarah, zur Liebe zu zwingen, quälte er sie und nahm ihr sogar jede Möglichkeit, ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen.

Er hätte diesen Lucius am liebsten eigenhändig umgebracht. Aber er war ja nur der Schreiber, von kleinerer Gestalt und im Schwertkampf chancenlos gegen einen wie ihn. Am Ende tötete William, Quints Vater, diesen Vampir im Zweikampf, weil er seine Gefährtin und Quints spätere Mutter angegriffen hatte. Sarah wurde dadurch aus ihrer furchtbaren Lage befreit, aber diese leidvolle Zeit hatte Narben bei ihr hinterlassen – von der Sorte, die man nicht sehen kann.

Seine Sarah hatte sich wieder gefasst und fuhr trotz ihrer stillen Tränen fort.

„Auf diesem Briefpapier steht übrigens auch ihr Künstlername: Lara Livingstone.“

Arabella, die neben Sarah saß, meinte überrascht: „Die Lara Livingstone? Die Autorin? Die ist ziemlich bekannt. Ich habe zwei ihrer historischen Romane gelesen. Den, der von der Rokokoepoche handelt, und ihren Neuesten über die Ritterzeit …“

Agnus stöhnte und hob beschwichtigend seine Hand.

„Bitte nicht jetzt, wir verschieben die Autogrammstunde und kehren zu den wichtigen Tatsachen zurück. Fährst du bitte fort, Sarah? Was wissen wir noch?“

„Sie macht in dem Brief Angaben über ihr Testament und gibt die Adresse eines Anwalts an. Hier steht auch, dass sie eine E‑Mail über ihr Ableben verfasst hat, die er automatisch nach einer Woche bekommen wird. Sie hat sogar notiert, wo sie den Jeep bei der Eisenbahnbrücke abgestellt hat und wo der Schlüssel ist. Und in ihrer Wohnung liegen Briefe für alle Freunde und einen Verleger, die als Kopie ebenfalls per E‑Mail gesendet werden. Ihre Anschrift und E‑Mail-Adresse stehen hier im Briefkopf.“

Mit zitternden Händen übergab Sarah den Brief an Agnus.

Der überflog ihn nur flüchtig und schob ihn dann mit Schwung zu ihm. „Elia, kannst du das überprüfen und diese E‑Mails aufhalten?“

„Mit Vergnügen, wie immer.“

Er musste grinsen, denn er hackte sich in alles, was sich ihm in den Weg stellte – mittlerweile schon mehr ein Spaß denn eine Herausforderung. Und als Agnus einmal anerkennend meinte, das Internet sei das Schlachtfeld, auf dem er für die Wächter kämpfe, kam ihm das wie ein Ritterschlag vor, denn bis dahin war er immer nur der Schreiber gewesen.

„Anscheinend war sich die Frau selbst nicht sicher, ob sie sterben will“, sagte Agnus nebenbei und er spürte den Ruck, der durch Sarah ging, so als wäre sie wegen dieses Kommentars beinahe vom Stuhl gesprungen.

„Nein! Diese Lara war entschlossen, sich umzubringen, und ist auf Nummer sicher gegangen, glaub mir!“

Er strich beruhigend über ihre Schulter. „Schon gut, Sarah, Agnus hat diese Brücke nicht gesehen, sonst wäre ihm das klar.“

Sein Chef blickte zu seiner Frau und deutete mit dem Kopf eine Verbeugung an. Sie kannten sich schon so lange, dass Sarah diese wortlose, aber aufrichtige Entschuldigung wahrnahm und mit einem Kopfnicken akzeptierte.

Die stille Geste war vorbei und Agnus ging wieder zur Routine über: „Elia, denk daran, keine Spur darf zu uns führen! Kümmer dich darum. Rose und Ara, da draußen heller Tag ist, werdet ihr die Fahrzeuge der beiden diskret einsammeln. Wir werden nicht riskieren, dass jemand wegen der Autos Nachforschungen anstellt.“

Genau wie ihm war auch allen anderen klar, dass die Welt der Vampire unter allen Umständen vor den Menschen verborgen bleiben musste, und den Standort des Hauptquartiers durften bis auf ein paar Eingeweihte selbst Vampire nicht wissen. Elia erinnerte sich daran, dass früher jeder Vampir die Heimatburg der Wächter kannte und sie für die Gesetzlosen ein Tabu war – bis zu dem Tag, als der Tod von Agnus’ jungen Söhnen ihnen allen das Gegenteil bewies.

„Was diese ganze Sache angeht, würde ich John gerne den Arsch aufreißen“, brummte Agnus, „aber dafür muss es ihm erst mal besser gehen.“

„Meine Worte, Elia“, murmelte Quint und sah ihn dabei scharf an. Leider erinnerte das seinen Chef daran, dass er ebenfalls in dieser Sache drinsteckte, und der nahm ihn auch sofort ins Visier.

„Elia, wie konntest du die Frau nur mit zu uns nehmen?! Du weißt doch, dass keine Menschen ins Hauptquartier gebracht werden dürfen! Du bringst uns damit in Gefahr – und sie auch!“

Elia hatte das Gefühl, eine Druckwelle würde ihn gleich niederwalzen. Bleib hart wie eine Mauer, sagte er sich und blieb still sitzen, sammelte aber seine ganze Energie und wappnete sich.

Der Ton von Agnus wurde schärfer: „Elia! Gerade du kennst unsere Gesetze und Regeln wie kein Zweiter!“ Sein Anführer fluchte und schlug mit der Faust auf den Tisch, sodass alles wackelte und seine Sarah zusammenzuckte.

Seine Sarah! Er hatte das Gefühl, etwas in ihm würde explodieren, und plötzlich stand er mit geballten Fäusten da. Nur undeutlich nahm er wahr, dass sein Stuhl nach hinten umkippte und alle ihn anstarrten. Er hörte sein eigenes, drohendes Knurren in dem totenstillen Raum, als würde es einem anderen gehören.

Noch nie hatte er sich Agnus auf diese Weise entgegengestellt und kaum ein anderer Wächter hatte das je gewagt. Von ihm sagten alle, er hätte stets eine freundliche Ausstrahlung und ein Gute-Laune-Gesicht. Vermutlich wirkte das auf die anderen wie David gegen Goliath, da er nicht annähernd Agnus’ Größe oder Gewicht besaß, aber das alles war ihm jetzt völlig egal.

Zwischen ihnen befand sich nur noch der Tisch.


Unsterblich geliebt

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