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Kapitel 7

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„Ich muss hier raus, sofort!“, brüllte Agnus.

Am liebsten hätte er alles kurz und klein geschlagen. Zum Zerreißen gespannt stürmte er aus seinem Büro und rief Elia im Vorbeigehen zu: „Ich bin bei Alva.“

Sein Schreiber wusste ganz genau, dass das hieß: Lass mich bloß in Ruhe!

Einige Zeit später lag er verschwitzt in seinem großen Bett, Arm in Arm mit seiner Gefährtin. Nicht in der Stimmung für Worte, war er wie ein Gewittersturm in sein privates Quartier gedonnert und Alva hatte ihm geholfen, sich auf intensivste Art und Weise zu entspannen.

„Das Tribunal hat John vor die Wahl gestellt und er will bei uns bleiben. Ich habe nichts anderes von ihm erwartet und bin froh darüber. Wir brauchen ihn, aber …“ Ihm blieben die Worte im Hals stecken.

Alva stützte sich auf ihren Ellenbogen.

„Aber?“

„Das wird hässlich werden, Alva.“

Sie fuhr ihm mit einer Hand durch seine wilde Haarpracht. „Wie lautet das Urteil?“

„Du weißt, wir haben keine Gefängnisse oder Strafen wie die Menschen, mal abgesehen von der Todesstrafe. Das Tribunal kann unseresgleichen auch nicht über längere Zeit einsperren, weil wir jagen müssen. Und über eine Geldstrafe würden die meisten sowieso nur lachen.“

„Agnus, hör auf. Du redest um den heißen Brei.“

„Alvalinchen …“ So hatte ihr Vater sie als Kind liebevoll genannt und es gab manchmal Augenblicke, da nannte er sie ebenfalls so. In Augenblicken, in denen er sich wünschte, er könnte jeden Schmerz von ihr fernhalten.

„Es wird eine Art Verbrennung geben.“

Im Laufe seiner Führungszeit hatte er diese drakonische Strafe schon ein paarmal vollstrecken müssen, aber nie bei einem seiner Wächter, sondern nur bei Schwerverbrechern. Und er hatte stets dafür gesorgt, dass Alva zu dieser Zeit unter einem Vorwand weit weg war.

Er liebte sie. Aber sie war Ärztin, mit Leib und Seele.

„Das ist ein furchtbarer Anblick und ich will nicht, dass du dabei bist.“ Das würde er ihr niemals antun.

Alva war erstarrt, alle Farbe aus ihrem Gesicht gewichen.

Ihm blieb nichts, als sanft über ihre Wange zu streichen. „Ich habe alles getan, was in meiner Macht stand, glaub mir.“

„Ich glaube dir. Ich habe von dieser Strafe schon gehört, aber dass sie tatsächlich einmal vollstreckt wird und dazu noch hier bei uns …“

„Ich weiß, Alva.“

„Wie? Wie werdet ihr das durchführen?“

„Alva, bitte.“

Sie setzte sich im Bett auf.

„Ich bin die Ärztin hier, also bitte sag mir, was ich wissen muss.“

Er schloss kurz die Augen. Vielleicht würde sie ihn danach hassen, vielleicht würde sie ihn nie wieder voller Liebe ansehen können.

„John wird im Turm angekettet, sein Kopf und seine Lenden werden mit Tüchern geschützt. Wenn die Sonne im Zenit steht, wird das Dach geöffnet, bis seine oberen Hautschichten komplett verbrannt sind.“

„Oh mein Gott!“

Seine Alva weinte sehr selten. Es entsprach wohl nicht ihrem Naturell, untätig zu weinen, doch in diesem Moment lief ihr eine Träne über die Wange.

„Wir reden hier von John! Agnus, das sind unvorstellbare Schmerzen! Könnten wir nicht wenigstens …“

Er schloss noch einmal die Augen.

„John darf keine Schmerzmittel oder Drogen erhalten, auch nicht hinterher, und das Tribunal wird uns einen Beobachter schicken.“

Als er die Augen wieder öffnete, sah er das Entsetzen und Mitleid in ihren Augen.

„Agnus, bei einer Verbrennung von solchem Ausmaß dauert die Heilung selbst bei einem Vampir …“

„Zwei bis drei Tage. Wenn er Glück hat, ist er die ersten Stunden davon bewusstlos.“

Er wischte mit seinem Daumen sanft eine Träne von ihrer Wange.

„Ich will nicht, dass du im Turm bist, wenn es so weit ist.“

Er sah, wie Alva darum kämpfte, nicht die Fassung zu verlieren.

„Gab es dabei schon mal Todesfälle?“

„Früher. John muss vorher auf die Jagd gehen und anschließend auch viel Blut bekommen.“

Alva schaute ihn forschend an.

„Aber da ist noch etwas anderes, was dir Sorgen macht, richtig?“

Sie kannte ihn eben. Er drehte sich auf den Rücken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

„Diese Sache könnte unser Zusammenleben erschüttern. John hat sich als Wächter eines Gesetzesbruchs schuldig gemacht, deshalb muss jeder der anderen Wächter anwesend sein, wenn die Strafe vollzogen wird – verstehst du?“

„Wenn ich mir vorstelle, ich müsste zusehen, wie meine Freundin …“

Sie hatte sofort das Problem verstanden. Er nickte, legte ihr aber einen Finger auf die Lippen und zog sie dann sanft auf seine Brust.

„Sprich nicht weiter, Alva. Versuch nicht, dir das vorzustellen.“

Zärtlich küsste er sie auf die Stirn.

„Ich bin ihr Anführer. Sie vertrauen mir. Aber jetzt müssen sie zusehen, wie ich selbst den Knopf drücke und einen meiner eigenen Männer, ihren Freund, angekettet der Sonne aussetze. Du kennst Vampire, Alva. Abgesehen von ihren Gefährtinnen sind sie eher Einzelgänger und es war nicht leicht, sie zusammenzuschweißen, um effektiv als Team zu arbeiten.“

„Du fürchtest, dass unsere Gemeinschaft daran zerbrechen könnte.“

Statt einer Antwort zog er sie näher an sich.

„Dann stehen uns schwere Tage bevor.“


Kurz darauf hörte er draußen vor seiner Tür ihre Schritte. Er stöhnte und hielt sich eine Hand über die Augen.

„Das hat mir gerade noch gefehlt!“

„Was ist los, Agnus?“

„Lorelei.“

„Amalia hasst es, wenn du sie so nennst.“

„Ihr Name passt! Sie bringt mich um den Verstand.“

Ein Kampf auf Leben und Tod wäre ihm jetzt lieber.

Leider klopfte sie schon energisch an der Tür seines Quartiers. Vielleicht sollte er sie einfach ignorieren?

„Agnus, ich weiß, dass du da bist! Kommst du jetzt an die Tür oder muss ich erst singen?!“

„Scheiße!“

Alva war auch noch so grausam, hämisch zu grinsen!

„Geh schon, Agnus, sie ist ungeduldig.“

„Danke. Als ob ich das nicht selbst wüsste.“

Widerwillig zog er sich rasch seine schwarze Drillichhose über, marschierte zur Tür und öffnete sie – ein kleines Stück.

„Du hast wirklich ein Gespür für den falschen Augenblick, Lorelei.“

Er gab sich keine Mühe, seinen Unmut zu verbergen.

Mit ihren langen, grauen Haaren und der tadelnd erhobenen Augenbraue wirkte sie auf ihn wie eine Gouvernante und nicht wie die älteste und vermutlich einzige Sirene der Welt.

„Nenn mich nicht Lorelei! Sonst fällt mir ein, wie lange ich schon nicht mehr gesungen habe!“

Du raubst mir auch so den Verstand, dachte er.

„Außerdem war ich vor einer halben Stunde schon einmal vor deiner Tür, wäre dir das lieber gewesen?“

Sie musste ihn und Alva gehört haben, während sie … Entnervt stieß er die Luft aus.

„Nein. Also was gibt’s?“

„Ich habe mit dir zu reden – jetzt!“

Über seine Schulter schaute er zu Alva, die sich gerade einen Morgenmantel überzog.

„Ist schon in Ordnung, Schatz. Ich geh inzwischen duschen.“

Er atmete tief durch und öffnete die Tür ganz.

„Kann ich vorher noch duschen?“

Im Vorübergehen schenkte sie ihm einen flüchtigen Blick.

„Ich bin stinkende Männer gewöhnt, schließlich gibt es warme Duschen noch nicht so lange. Aber du könntest dir etwas mehr anziehen. Und beeil dich, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.“

„Nein, natürlich nicht“, sagte er mehr zu sich selbst und schlenderte zum begehbaren Wandschrank im Schlafzimmer.

Seine Frau kam Lorelei indes auf halbem Weg entgegen und die beiden umarmten sich herzlich.

„Es ist schön, dass Agnus dich an seiner Seite hat, Alva. Auch Männer brauchen Unterstützung und Rückhalt, sie geben das nur nicht gerne zu“, flüsterte die Sirene verschwörerisch. Dabei wusste sie ganz genau, dass er sie mit seinen Vampirohren hören würde.

„Ich weiß, was los ist, deshalb bin ich hier. Das Tribunal hat mich informiert. Ich soll die Vollstreckung beaufsichtigen, weil es einer seiner eigenen Männer ist.“

Das auch noch! Gerade Amalia!

„Verstehe. Darf ich dir etwas anbieten?“

„Nein, meine Liebe, ein anderes Mal gerne, geh ruhig duschen.“

„Fühl dich wie zu Hause, Amalia.“

„Das brauchst du ihr nicht extra zu sagen, das tut sie sowieso schon!“, rief er ihr vom Schlafzimmer aus zu und marschierte dann ins Wohnzimmer, wo Amalia wartete.

Sie saß dort in dem Ohrensessel am Kamin, als wäre es ein Thron. Vermutlich aus Gewohnheit, ganz wie in alten Zeiten.

„Das Tribunal hat also dich beauftragt, die Urteilsvollstreckung zu überwachen.“

Seinen schlecht gelaunten Ton würde sie ertragen müssen.

„So ist es, Agnus. Und jetzt setz dich endlich! Du machst mich mit deinem Auf-und-ab-Laufen ganz nervös!“

Widerwillig gehorsam ließ er sich auf den Sessel ihr gegenüber fallen. Ohne ihre Haltung zu verlieren, beugte sich Amalia etwas in seine Richtung vor und ihre Stimme wurde weicher.

„Ich weiß, wie schwer das für dich sein muss.“

„Ach ja?“

Mit einem Ruck stand Amalia sichtlich erzürnt auf und wandte sich dem Feuer zu.

„Als Frau von Arthus, deinem Großvater, war ich jedes Mal dabei, wenn diese Strafe vollstreckt werden musste. Meinst du etwa, ihm sei das leichtgefallen? Wir haben dieses Urteil jedes einzelne Mal gemeinsam, Seite an Seite durchgestanden. Ich kann mich an die gellenden Schreie, die verbrannten Körper und sogar an den Geruch des angebrannten Fleisches noch sehr gut erinnern.“

Er war zu weit gegangen. Manchmal vergaß er, dass sie aus einer Zeit stammte, in der die Sagen der Helden entstanden waren.

„Verzeih mir meine Respektlosigkeit, Amalia. Ich …“

„Vergiss es.“

Sie hob abwehrend die Hand und drehte sich um.

„Was ich sagen wollte, Agnus – John hat gewählt. Er müsste das nicht über sich ergehen lassen. John steht zu seiner Tat und zu den Konsequenzen, aber es ist notwendig und wichtig, dass auch du dazu stehst. Zu unseren Gesetzen. Viele Vampire sind jahrhundertealt. Woran sollten sie sich sonst orientieren? Im Laufe dieser Zeit hat sich alles ständig verändert: die Gesetze der Menschen, ihre Moralvorstellungen, Königreiche, Landesgrenzen, ja sogar die Größe der Welt.“

Damit spielte Amalia auf die Entdeckung Amerikas an.

„Diese Gesetze regeln die Vampirwelt und erleichtern unser Zusammenleben. Wenn du als Anführer der Wächter nicht zu diesen Gesetzen stehst, über deren Einhaltung ihr ja wacht, dann versinken wir bald im Chaos.“

Amalia fixierte ihn mit ihrem Blick, gerade so, als wollte sie ihn damit stärken und Halt geben.

Deshalb war sie hier, nicht wegen einer Moralpredigt.

„Versuch, das zu verstehen, dann fällt es dir leichter.“

Damit wandte sich Amalia von ihm ab und schritt, majestätisch wie immer, zur Tür. Dabei hielt sie einmal kurz inne, ohne sich umzusehen.

„Wenn du willst, kann ich als Beauftragte des Tribunals natürlich auch die Strafe vollstrecken.“

„Nein.“

Wie von selbst erhob er sich und nahm Haltung an.

„Wie du schon sagtest – ich bin ihr Anführer.“

Amalia nickte ihm flüchtig über die Schulter zu.

„Ich finde allein hinaus.“

Die Art ihres Ganges, ihr langes Kleid, das samt Unterrock ebenso wallte wie ihr leicht gelocktes Haar – ihr Abgang wirkte auf Agnus immer noch wie der einer Königin. Er folgte ihr und öffnete in einer höflichen Geste die Tür.

„Amalia?“

„Ja?“

„Danke.“

Sie schenkte ihm ein angedeutetes Nicken.

„John ist ein guter Mann und einer deiner besten Wächter. Ich wünschte, es hätte eine andere Lösung gegeben.“


Alva kam ihm mit nassen Haaren, in Jeans und T‑Shirt entgegen.

„Ist Amalia schon weg? Das ging aber schnell.“

Er hatte das Bedürfnis, sie jetzt einfach nur in seine Arme zu schließen und eine Weile festzuhalten, und das tat er auch. Denn allein sie so im Arm zu halten, gab ihm tief im Inneren Kraft.

Ein Geheimnis, das er niemandem erzählen würde.

„Wann habe ich dir eigentlich das letzte Mal gesagt, dass ich froh bin, dich an meiner Seite zu haben?“

„Das tust du in diesem Augenblick, Agnus, und es fühlt sich wunderbar an.“

In Zukunft würde er das öfter machen …

„Weißt du, was ich nicht verstehe?“, fragte Alva.

„Was?“

„Warum trägt Amalia immer diese mittelalterlichen Kleider?“

„Sie lebt schon so lange, Alva, und alles verändert sich ständig. Doch ich glaube, im Mittelalter hat sich Amalia am wohlsten gefühlt, dort ist sie verankert. Aber weißt du, was ich nicht verstehe?“

„Nein, aber ich bin neugierig!“

„Warum mögt ihr Frauen Amalia so sehr?“

Alva legte ihren Kopf an seine Brust.

„Unsere Mütter und Väter, unsere Geschwister sind alle tot, Agnus. Sie ist für uns so etwas wie eine Großmutter, unsere gute Seele, an die wir uns in manchen Situationen gerne wenden und von ihr einen Rat einholen. Amalia ist unglaublich weise und hat ein sehr warmes, mitfühlendes Herz.“

Warm? Mitfühlend?

„Na ja, dann bin ich wohl nur bis zu ihrer granitharten Schale vorgedrungen. Sie tritt hier immer so auf, als ob …“

Alva unterbrach ihn. „Weißt du, was euer Problem ist?“

Nur ein Problem? Er seufzte, doch Alva streichelte sanft über seine Wange. Auch gut.

„Ihr seid beide geborene Anführer und lebt auf dem gleichen Territorium, deshalb ist euer Verhältnis so schwierig.“


Unsterblich geliebt

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