Читать книгу Das was man Leben nennt - Lara Licollin - Страница 5
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ОглавлениеIch wache in meinem Bett auf. Wie immer.
Ich öffne die Augen. Wie immer.
Ich sehe meine braune Holzdecke. Nein, nicht wie immer. Ich liege nicht in meinem Zimmer, nicht in meinem Bett. Ich starre auf eine weiße Decke.
Schnell drehe ich mich zur Seite und mein Blick fällt auf einen Holztisch, genau auf meiner Augenhöhe. Auf dem Tisch stehen ein Glas Wasser und ein Apfel. Genau vor meinem Gesicht.
Ich bin verwirrt und reibe mir erst einmal die Augen. Dann richte ich mich langsam auf und blicke auf die orangefarbene Decke, mit der ich zugedeckt bin.
Wo bin ich?
Ich sehe mich weiter um.
Vor mir steht ein Tisch, auf dem tatsächlich nichts weiter steht als ein Glas Wasser und ein Apfel. Ich merke, wie mein Magen beginnt, zu knurren. Wann habe ich das letzte Mal etwas gegessen?
Rechts von der Couch, auf der ich sitze, ist ein großes Fenster. Davor hängt ein langer weißer Vorhang. Das Fenster reicht bis zum Boden; dahinter erkenne ich einen Balkon.
Geradeaus an der Wand steht ein großer Schrank, daneben, von mir aus links, ist eine Tür.
Ganz links an der Wand steht ein großes Bücherregal. Es ist voll mit Büchern. Anscheinend muss derjenige, der hier wohnt, ziemlich gerne lesen.
Ich reibe mir noch einmal die Augen und strecke mich. Als ich wieder aufsehe, steht ein Mann vor mir.
Er hat ein schmales, längliches Gesicht und ist nicht allzu groß, muss aber um die 40 sein. Zwischen seinen dunkelbraunen Haaren sprießen schon einige graue hervor.
Der Mann trägt einen beigefarbenen Pullover und eine dunkelblaue Jeans.
Ich sehe ihn an, aber nicht mit großen Augen, aus Furcht, sondern einfach nur so. Ich habe keine Angst, aber warum weiß ich auch nicht.
Er sieht mich ebenfalls nur an, erst nach einer Weile beginnt er zu sprechen.
„Wie geht es Ihnen?“
Wie soll es mir schon gehen? Was meint er damit?
Warum bin ich überhaupt in seiner Wohnung?
Ich sehe ihn fragend an.
Er nickt langsam, presst die Lippen aufeinander und meint: „Können Sie sich noch an irgendetwas von gestern Abend erinnern?“
Ich löse meinen Blick von ihm und starre auf den Tisch.
Gestern Abend. Was ist da passiert?
Ich schließe die Augen und denke nach.
Ich war zu Hause, wie immer. Ich saß über meinen Büchern, wie immer. Und dann …
Plötzlich flammt eine Erinnerung in meinem Gedächtnis auf. Die Brücke. Ich stand auf der Brücke. Es war windig.
Warum stand ich dort?
Ich sehe auf. Der Mann setzt sich neben mich und unwillkürlich rücke ich ein Stück von ihm ab.
Er sieht mich von der Seite an.
„Können Sie sich erinnern?“
Ich muss den Kopf schütteln, traue mich aber nicht zu sagen, dass ich mich an Stücke von gestern Abend erinnern kann.
Er mustert mich weiterhin.
„An gar nichts?“
Er will, dass ich etwas sage. Vielleicht hat er sogar schon bemerkt, dass ich nicht alles, aber ein bisschen etwas weiß.
„Ich war auf der Brücke“, sage ich leise und meine Stimme klingt so leise, dass ich fürchte, er hat mich nicht gehört.
Aber er nickt und ich fahre fort.
„Ich … Ich glaube ich stand …“ Ich breche ab und knete meine Hände.
„Wo standen Sie?“, fragt der Mann.
„Ich bin mir nicht sicher.“ Ich fahre mir durch das Gesicht und traue mich nicht, ihn anzusehen.
„Denken Sie nach“, fordert er mich auf und ich versuche es.
Das Wasser. Das Wasser der Elbe unter mir. Ich muss einfach nur springen. Ich breite die Arme aus, könnte fliegen wie ein Vogel …
Ich sehe den Mann neben mir an. Er sieht nicht ungeduldig aus, also gebe ich mir noch etwas Zeit.
Ich stand also auf der Brücke. Nein, auf dem Geländer. Weil … Ich schlucke und sehe erneut zu dem Mann. Es scheint, als wüsste er, was ich denke.
„Ich stand auf dem Geländer der Brücke, auf dieser Mauer, weil …“
Ich sehe in seine braunen Augen, als ich die folgenden Worte sage.
„Weil ich mich umbringen wollte.“
„Möchten Sie einen Tee oder lieber einen Kaffee?“
Ich sitze immer noch mit denselben Klamotten auf dem Sofa, die Decke auf meinem Schoß, das Glas Wasser und der Apfel vor mir.
Ich konnte mich nicht dazu aufraffen, ihn zu essen, obwohl ich Hunger habe.
„Tee“, rufe ich zurück.
Der Mann, dessen Name ich immer noch nicht kenne, ist in die Küche gegangen, um uns einen Tee – oder einen Kaffee – zu machen und Kekse zu holen, da er der Meinung war, das würde ich eher wollen, als diesen roten Apfel. Vielleicht hat er damit auch recht.
Nach einer Weile, in der ich einfach nur dasaß, kehrt er mit einem Tablett zurück, auf dem zwei Tassen Tee und eine Schale Kekse stehen.
„Danke“, sage ich, als er eine der Tassen vor mir abstellt.
Dann setzt er sich neben mich.
„Also. Beginnen wir mal von vorne.“ Er nimmt einen Schluck von seinem Tee und verzieht dann das Gesicht.
„Ich glaube, Sie sollten noch einen Moment warten, bevor Sie den trinken.“ Er zeigt auf meine Tasse, während er seine wieder zurück auf den Tisch stellt. Ich muss lächeln.
„Also“, sagt er wieder. „Wie heißen Sie?“
Ich brauche eine Sekunde, bis es mir wieder einfällt.
„Zoe.“
Er lächelt.
„Schöner Name, gefällt mir. Darf ich Sie von nun an bei diesem Namen nennen?“
Ich nicke schwach lächelnd.
Dann schweigen wir eine Weile, bis er wieder zu mir sieht und meint: „Ich heiße übrigens Ben.“
Wieder lächle ich und probiere dann vorsichtig von dem Tee. Als ich einen Schluck getrunken habe, fragt er mich verblüfft: „Was, ist er jetzt schon abgekühlt?“
Er nimmt seine eigene Tasse in die Hand und nimmt einen Schluck. Wieder verzieht er das Gesicht.
„Mensch Zoe, lüg mich doch nicht so an, der ist noch total heiß!“
Ich muss grinsen und es ist ein sehr seltsames Gefühl, die Mundwinkel nach oben zu ziehen und die Zähne zu zeigen. Ich habe es schon lange nicht mehr getan.
Ben stellt seine Tasse wieder zurück auf den Tisch.
„Na gut, dann muss ich dich wohl so lange weiter ausfragen, bis ich meinen Tee trinken kann, ohne mich zu verbrennen.“ Er grinst und denkt nach. Dann fragt er: „Wie alt bist du?“
Das fällt mir schneller ein.
„19.“
Er sieht erstaunt aus.
„Was ist?“, frage ich grinsend. So oft hintereinander habe ich das ja noch nie getan!
„Du kamst mir älter vor“, sagt er.
Ich sehe verlegen auf den Tisch, warum, weiß ich auch nicht. Vielleicht, weil jeder immer dachte, ich sei 15.
Ohne länger darüber nachzudenken, frage ich Ben, wie alt er ist.
„Oh“, er räuspert sich und fährt sich durch die Haare. „Etwa, wenn nicht zu sagen genau, 20 Jahre älter.“
Wieder grinse ich und muss sagen, es fühlt sich so gut an.
Ich mustere ihn. „So alt sieht du nicht aus.“
Er grinst ebenfalls und bedankt sich.
Als wir nach einer Weile unseren Tee getrunken haben, fragt er mich, ob ich gerne duschen würde.
„Gerne“, sage ich voreilig, doch dann frage ich mich, ob das eine gute Idee ist. Ich kenne ihn nicht. Was soll ich hier überhaupt noch?
Aber er steht schon auf und meint, er hole mir noch schnell ein Handtuch.
Nachdem ich zwei Kekse gegessen habe, kehrt er zurück und meint: „Das Badezimmer steht Ihnen nun zur Verfügung.“
Er macht sogar einen Knicks, sodass ich kichern muss.
Langsam stehe ich auf und bemerke erst jetzt, dass ich gar keine Socken und nur T-Shirt und Hose trage. Das war mir zuvor gar nicht aufgefallen. Aber in der Wohnung ist es auch so warm, dass es mir gar nicht auffallen konnte.
Ben zeigt mir, wo das Bad ist und lässt mich dann alleine.
Nach dem Duschen fühle ich mich schon viel besser, obwohl ich wieder dieselben dreckigen Kleider anziehen muss und keine Socken habe.
Als ich zurück ins Wohnzimmer gehe, sehe ich jedoch ein Paar auf der Couch liegen. Wo Ben ist, weiß ich nicht.
Ich setze mich auf die Couch und ziehe die viel zu großen Socken an. Wenigstens sind sie schön weich.
Als ich schon langsam unruhig werde und mir vornehme, in fünf Minuten zu gehen, wenn er nicht kommt, höre ich Schlüsselgeklapper und dann, wie die Haustür aufgeht. Er muss wohl, während ich geduscht habe, weg gewesen sein.
Ich höre das Geraschel von Tüten und einen Moment später steht er im Türrahmen.
„Ich war einkaufen“, sagt er und lächelt mich an. „Ich war nicht darauf vorbereitet, Besuch zu bekommen. Eigentlich habe ich nämlich nicht so viel zu Hause, da ich die meiste Zeit arbeiten bin.“
„Musst du heute nicht arbeiten?“, frage ich ohne mich zuerst zu fragen, ob heute nicht vielleicht Samstag oder Sonntag ist.
Ben schüttelt den Kopf und meint: „Ich habe mir freigenommen.“
Dann verschwindet er wieder und ich bleibe etwas verwirrt zurück.
Warum hat er sich freigenommen? Wegen mir? Warum?
Warum schickt er mich nicht wieder nach Hause?
Während ich noch darüber nachdenke, erscheint Ben schon wieder im Zimmer.
„Möchtest du wirklich nichts essen?“
Ich will schon den Kopf schütteln, aber bei dem Gedanken an Essen beginnt mein Magen plötzlich zu knurren und Ben meint grinsend: „Das war Antwort genug, glaube ich.“
Erst als er schon wieder in Richtung Küche geht, lächle ich.
Doch warum tut er das?
Und warum bin ich immer noch hier?
Wieder denke ich an gestern Abend. Warum wollte ich mich umbringen?
Keine Minute später fällt es mir ein: weil sich niemand um mich kümmert.
Jetzt wird es auch niemanden interessieren, dass ich nicht in der Schule bin. Wahrscheinlich bemerken sie es gar nicht.
Okay, vielleicht bemerken es die Lehrer, wenn sie die Anwesenheit überprüfen. Aber sonst?
„Es ist zwar erst zwölf Uhr, aber möchtest du lieber Nudel oder Reis zum Mittagessen?“
Ich sehe auf. Er will für mich kochen?
Da ich deshalb erneut ziemlich verwirrt bin, dauert es, bis ich antworte.
„Mir egal“, rufe ich zurück.
„Egal gibt es nicht.“ Meine Mundwinkel zucken und ich versuche, ein Grinsen zu unterdrücken.
„Dann Nudeln.“
„Okay“, ruft Ben.
Ich will nicht, dass er sich wegen mir freinimmt. Und kocht. Das tut er bestimmt nie. Er meinte ja selbst, dass er sonst die ganze Zeit nur im Geschäft sei.
Doch jetzt ist er schon dabei, zu kochen.
Ich beschließe, ihm eine Freude zu machen, indem ich bleibe und mit ihm esse, mich dann aber dankbar zu verabschieden.
Weil ich nicht einfach herumsitzen will, stehe ich auf und suche die Küche.
In dem kleinen Raum finde ich Ben am Herd stehend vor, auf dem zwei unterschiedlich große Töpfe mit kochendem Wasser stehen. Links an der Wand befindet sich ein kleiner Tisch, auf dem eine Schale mit Obst steht.
„Kann ich helfen?“, frage ich und er da bemerkt er mich.
„Äh, nein, nein, ist schon okay.“
„Ich würde dir aber gerne helfen“, sage ich.
„Musst du aber nicht. Du solltest dich sowieso besser ausruhen.“
„Warum? Ich bin hellwach.“ Ich lächle ihn an.
Er sieht mich einen Moment lang an, seufzt schließlich und nickt.
„Okay, von mir aus. Kannst du bitte eine Pfanne aus dem Schrank dahinten holen?“
Nachdem ich das getan und festgestellt habe, dass er schon dabei ist, Nudeln in den Topf zu geben, frage ich: „Ist die Pfanne für das Fleisch?“
Er nickt.
„Was für?“
„Es gibt Hackfleisch.“
„Aber das braucht doch länger als die Nudeln!“, rufe ich und er stutzt.
„Ups.“
Ich lache und frage ihn, wo ich das Fleisch finden kann.
„Im Kühlschrank“, meint Ben.
„Oh, ja klar“, sage ich daraufhin lachend und helfe ihm dann weiter beim Kochen.
Wir essen im Wohnzimmer auf der Couch, weil der kleine Tisch in der Küche nur für eine Person Platz bietet.
Die Nudeln sind fast verkocht, aber das Essen schmeckt besser als die Gerichte, die es in der Schulkantine gibt und da ich am Wochenende lieber nichts esse, als zu kochen, ist das das beste Gericht, das ich seit Langem gegessen habe.
Als wir fertig sind, tragen wir die Teller und das Besteck zurück in die Küche, und weil Ben keine Spülmaschine besitzt, da er sie sowieso nie benutzen würde, spülen wir gemeinsam ab. Wobei ich spüle und er abtrocknet.
„Und am Wochenende? Kochst du da auch nichts?“, frage ich nach, während ich gerade einen Teller im Spülbecken säubere.
„Nein, da hole ich mir oft nur ein belegtes Brötchen vom Bäcker nebenan.“
„Und sonntags?“
„Esse ich, was noch da ist.“
Ich nicke und lächle, weil er anscheinend auch keine Lust hat, für sich alleine zu kochen.
Nachdem wir fertig sind, sieht er mich besorgt von der Seite an und scheint sich anscheinend nicht zu trauen, etwas zu sagen.
Also schweigen wir lange, bis er sich räuspert und meint: „Zoe, dir ist klar, dass ich dich jetzt nicht einfach gehen lassen kann, oder?“
Ich sehe auf den Tisch vor mir und zucke mit den Schultern.
„Ich meine, das gestern Abend …“ Er mustert mich immer noch, während er sich durch die Haare fährt und nach Worten sucht. „Das ist kein Spaß. Das war auch kein Scherz von dir, das weiß ich.“
Ich sage nichts.
„Zoe“, beginnt er wieder. „Ich weiß, dass du erwachsen bist und tun kannst, was du willst, aber es wäre wirklich besser, wenn wir vielleicht …“
„Ich gehe zu keinem Therapeuten!“, rufe ich und starre ihn an. „Niemals! Das kannst du nicht tun!“
Er schluckt, wendet den Blick aber nicht ab.
„Aber … Du hast ein ernsthaftes Problem, wenn du …“
„Vielleicht“, sage ich laut. „Aber das ist meins und nicht deins!“
„Ich weiß“, sagt er wieder. „Doch diese Situation ...“ Er bricht ab.
Ich schweige und sehe weg.
„Du musst mir nicht sagen, warum du es getan hast, aber wenn ich dir irgendwie helfen kann … “
Ich fahre mir stöhnend durch die Haare und sehe Ben schließlich wieder an.
„Das ist wirklich sehr nett von dir, aber nein danke, ich komme schon zurecht.“
Er sieht mich etwas verwirrt an, wahrscheinlich, weil es sich nun fragt, ob das gestern tatsächlich passiert ist.
Ich kann ihn verstehen, denn ich weiß, dass ich unter starken Stimmungsschwankungen leide und ihm gerade wie der selbstbewussteste Mensch überhaupt vorkommen muss.
„Ich habe dir sowieso schon viel zu viel Arbeit bereitet“, sage ich. „Deshalb sollte ich jetzt langsam wieder gehen.“
Er schüttelt den Kopf. „Nein, gar nicht. Du hast mir keine Arbeit gemacht.“
Ich stehe nicht auf, sondern sehe ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Nein, ehrlich“, meint er. „Wegen dir weiß ich jetzt wenigstens, dass Hackfleisch braten ziemlich lange dauert.“
Ich grinse, aber Ben sieht sofort wieder ernst aus.
„Nein ganz im Ernst, Zoe. Bleib. Von mir aus gehen wir zu keinem Therapeuten. Ich verspreche es dir. Aber bitte geh jetzt nicht.“
Ich schüttle den Kopf und will aufstehen, doch Ben packt mein Handgelenk und ich sehe ihn an.
„Ich lass dich nicht gehen.“
Ich versuche, meinen Arm zu befreien, aber sein Griff ist einfach zu fest.
Wieder flammt eine Erinnerung in meinem Gedächtnis auf. Eine Erinnerung an gestern Abend.
Ben, wie er versucht, mich davon abzuhalten, zu springen. Wie ich zapple und strample.
„Lass mich sofort los“, schrie ich, aber er ließ nicht los.
Ich starre Ben an.
„Lass mich los“, sage ich auch jetzt, aber er schüttelt den Kopf. „Hast du Angst, dass ich wieder versuche, mich umzubringen, oder was?“, frage ich gereizt.
Statt zu antworten sieht er mich nur an.
Weil ich weiß, dass ich keine andere Wahl habe, setze ich mich wieder seufzend neben ihn.
„Warum?“, frage ich.
„Warum was?“ Immer noch hält er mich fest.
„Warum lässt du mich nicht gehen? Du hast mich gerettet, schön, und jetzt kannst du mich gehen lassen.“
„Nein.“
„Warum?“
Er schweigt.
Weil ich die Antwort weiß.
Seiner Meinung nach brauche ich Hilfe.
„Du kannst mich nicht aufhalten. Es ist meine Entscheidung.“
„In einem solchen Fall ist das nicht deine Entscheidung. Es ist meine Pflicht, mich um dich zu kümmern.“
„Nein.“
„Doch.“
„Du bist nicht mein Vater!“
„Aber deine letzte Rettung!“
Wir starren uns an und schweigen.
So lange, bis Ben sagt: „Ich bitte dich, überleg es dir. Geh nicht. Es ist besser für dich. Und für mich.“
„Warum?“, frage ich wieder.
„Weil ich Angst um dich habe.“
„Warum?“ Ich sehe ihn immer noch an.
Ben wird wieder lauter. „Weil du dich umbringen wolltest, verdammte scheiße!“
Er stoppt und scheint überrascht zu sein über seine eigene Ausdrucksweise.
Ben spricht etwas leiser weiter und sieht mich dabei an. „Du bist zu jung, um dein ganzes Leben einfach …“ Er bricht wieder ab und sieht weg. Schließlich lässt er meine Hand los.
„Von mir aus geh“, sagt er plötzlich und ich bin verwirrt. „Geh, du hast recht, ich kann dich nicht aufhalten. Aber bitte tu nichts Unüberlegtes.“
Ich sehe ihn an, sehe ihm in die Augen und stelle fest, dass er sich tatsächlich Sorgen macht. Um mich.
Eine Weile sitze ich einfach nur da und denke nach.
Wenn ich jetzt diese Wohnung verlasse, wohin soll ich dann gehen? Nach Hause?
Ich fasse mir an die Oberschenkel.
Schlüssel. Ich habe keine Schlüssel.
„Shit“, sage ich und lehne mich zurück, sehe zur Decke.
„Was?“, fragt Ben und ich fahre mir durch die Haare, bevor ich ihm antworte.
„Ich habe keine Schlüssel mitgenommen.“