Читать книгу Der Eistaucher - Lars Andersson - Страница 11
ОглавлениеIn derselben Woche, in der Buch-Viktors Antiquariat unter den in Uppsala üblichen mysteriösen Umständen abbrannte, fuhr ich mit dem Nachtzug nach Trondheim, um mich am nächsten Tag zu Namdalens Volkshochschule in Grong, Nord-Trøndelag, zu begeben, wo mein Freund A. als Lehrer arbeitete. Morgens im Buffetwagen, unterwegs an den Ufern des Storsjön und des Indalsälven, die Fensterscheibe voll mit Wald und Fjäll und wogenden Wiesen, wo Heuharfen wie abgenagte Skelette einer von Trollen verschleppten Rinderherde auf gespreizten Beinen balancierten, regte die Kellnerin sich über einen Mann auf, der beim Durchgehen stur die Zigarette im Maul behielt. Ich kannte sie von früheren Reisen, kannte ihre Thermosflaschen und ihre gigantischen, in Plastikfolie eingepackten Stullen. Jedesmal aufs neue pries sie ihre Butterbrote an. Als der Schaffner vorbeikam, machte sie ihm heftige Vorwürfe, daß er sich diesen Mann nicht vornehme, der in ihrem Caféwagen Zigaretten rauchte.
»Wäre es Strömlund gewesen, der hätte ihn aus dem Zug geworfen, soviel ist sicher. Du bist einfach zu gutmütig!«
Der Schaffner stand eine Weile da und dachte darüber nach, sein Gewicht von einem Fuß auf den andern verlagernd, und sagte dann:
»Ich war doch nicht hier, als er durchging.«
»Nein, nein, das stimmt ja. Nein, das ist klar.«
Und als hätte diese Feststellung einen ganzen Akkord von Versöhnlichkeit und Selbsterforschung angeschlagen, fuhr die Kellnerin noch lange fort, mit einem der Passagiere über den Mann mit der Zigarette zu diskutieren: womöglich war er krank, womöglich war es eine Asthmazigarette, die er rauchte?
»Solche Leute können einem leid tun«, stellte sie fest.
Der Passagier, mit dem sie sprach, war ein Mann aus Skåne, der noch nie nördlich des Dalälven gewesen war. Das machte die Kellnerin vollkommen glücklich. Sie führte jetzt die Landschaft vor dem Fenster vor, als sei es ihre schönste Stickerei, wies auf das Behindertenhotel des Reichsverbands der Behinderten hin, als wir uns Åre näherten, »kostet 200 Kronen pro Nacht«.
Und ich, der ich da vor meinem Kaffee saß und den Blick zwischen einer Seite in Ulf Lundells »Winter im Paradies« und dem ansteigenden Fjällpanorama vor dem Fenster hinund herwandern ließ, ich merkte, daß ich anfing, den Kopf zu verdrehen und fast einen Knoten in den Hals machte, um zu sehen, worauf sie zeigte; ihre Stimme lenkte meinen trägen Kopf wie das sanfte Klatschen eines Laubbündels die Kuh am Feldrain auf dem Weg nach Hause.
Ich war ein bißchen schläfrig. War es das Paradies, worauf sie gerade deutete? War sie mein Vergil? Lag in einem Bastkorb, den sie hinter der Theke stehen hatte, die Taschenbuchausgabe von einem meiner alten Bücher? Hatte dieser dunkel humusbraune, warme Duft des Kaffees eine geheimnisvolle Heilkraft?
Vermutlich nicht.
In Trondheim stieg ich aus und mußte mir sieben Stunden vertreiben, bis ein Zug nach Grong ging. Ich stellte die Tasche in ein Schließfach und überquerte auf der Jernbanebrücke den breiten, melancholischen Nidelva mit seinen leise zitternden Spiegelbildern von alten Vorratshäusern auf Holzpfählen, erwog kurz einen Abstecher, um die alte Holzbebauung in den östlichen Stadtteilen wiederzusehen, merkte aber, daß ich dringend etwas essen mußte.
Trondheim. Wo ich mich so fühlen konnte, als sei die Stadt ein natürliches Biotop. Wohin ich und Ragnhild vor fünf Jahren schon so gut wie übergesiedelt waren, lange Briefwechsel mit einem verdutzten Fakultätsangestellten, Studienplätze gesichert, ein Freund, der für uns eine Wohnung suchte . . . Trondheim mit einer gutmütig militanten, agrarmaoistischen Gegenkultur, Isenkram und Vømmøls Spielmannsgruppe, und mit seiner mächtigen, gotischen Feldsteinkathedrale, die ich schon so oft hatte besichtigen wollen und stets verschlossen fand. Trondheim mit seinem Horizont von Meer und zottig bewaldeten Bergrücken, mit dem grotesk phallischen Standbild von Olav Trygvason auf dem Marktplatz, mit den Suppen des Sentrumcafés, mit der Universität, dem Krankenhaus, einer Nervenklinik, in deren Park einer meiner besten Freunde sich in einer Sommernacht auf der Jagd nach der Königin der Fjorde auf allen Vieren kriechend fand, ohne zu wissen, wo er war.
Hierher führten die Pilgerpfade, nicht zuletzt von Värmland, vom Vänersee hinauf durchs Klarälvtal hierher, nach Nidaros. Und vielleicht war es eine Pilgerreise, auf der ich mich befand. Doch ich hatte niemanden mehr in der Stadt zu besuchen, und außerdem war ich hungrig; ich nahm den Weg am Dom vorbei eigentlich nur, um das Mißlingen bestätigt zu bekommen, und wurde an der Tür von einer Kustodin empfangen, die freundlich erklärte, daß die Kirche in diesem Moment geschlossen werde und ab halb zwei wieder geöffnet sei.
Nun gut. Das Hotel Phoenix am Trygvasonstandbild hatte sein Straßencafé geöffnet, doch die Preise waren horrend. Ich ging einen Block weiter, ins Restaurant des Missionshotels, aß für billiges Geld Schmorfleisch und gedünsteten Weißkohl nach Art des Hauses und ging zurück zum Phoenix, um die Mahlzeit mit einem Bier abzurunden.
Und dann waren es immer noch viele Stunden, ich bummelte durch die Stadt, machte wieder den obligatorischen Abstecher zum Dom und stellte fest, daß er gerade wieder geschlossen war, es war drei Uhr, ich kaufte eine Nummer der Adresseavisa und las, daß Hugos Tivoli in Lade gastierte und den Auftritt der Zigeunersängerin Raya ankündigte.
Håkon Ladejarl war einer von denen, die gegen Ende des 10. Jahrhunderts in dieser Gegend mit Olav Trygvason um die Macht gekämpft hatten. Im Sklavenpulk des Jarls war einer, der Tormod Kark hieß; in Gauldahl mußten sie sich zusammen in einem Schweinetrog verstecken, als aufrührerische Bauern zu den Waffen griffen.
Und Kark sein Messer zog
im dunklen, tiefen Grab.
Da brachte er Jarl Håkon um
und schnitt den Jarlkopf ab.
Auf Lade gab’s ein Fest
als Kark den Kopf hinschafft,
denn da saß Olav Trygvason
so fromm und tugendhaft.
Der Sklave ward belohnt
auf königliche Art;
das Königsschwert, das schnitt so scharf,
daß Kark den Kopf losward.
Doch jetzt war es Hugos Tivoli, das in Lade hofhielt.
Es war ein ziemlich wehmütiges Tivoli, nicht viel anders als Axels Tivoli, das auf einem Kiesplatz am Rävåshügel in Karlskoga zu kampieren pflegte, als ich klein war, genau dort, wo später die Nobelhalle gebaut wurde. Ein Tivoli ist ein wenig wie ein Kollektivroman, es muß wenigstens einen echt Verrückten geben, einen Symptomträger und maniac, womöglich an der Peripherie, aber einen, der durchgedreht ist und den Schaum der anderen vorm Mund hat und alles in seiner Umgebung zum Schweigen bringt. Ein Tivoli muß zunächst eine wirklich ausgefeilte tragische Metapher haben.
Gleichaltrige Mitschüler haben mit eigenen Augen die Motorradfahrer gesehen, die noch Anfang der sechziger Jahre in der Provinz im Tivoli auftraten; sie fuhren auf einer kleinen, mit einer Art Holzzarge verkleideten Arena im Kreis herum, ungefähr wie in einer Tonne, und wenn sie richtig in Fahrt waren, gaben sie der Maschine einen Ruck und fuhren plötzlich an der Innenwand der Tonne, das Motorrad in waagerechter Lage, immer im Kreis herum, und die Zentrifugalkraft hielt sie an der Wand fest. Die Geschickteren lenkten die Maschine während der Runden in Sinuskurven die Wand hinauf und hinunter. Der schwierigste Moment war, zur Landung herunterzukommen. Eine harte Branche, komplizierte Frakturen; zumal wenn der Fahrer etwas verkatert war, konnte die Landung eine heikle Sache werden.
Hugos Tivoli in Lade fehlte ein solcher Clou. Es waren die üblichen Schiffschaukeln, ein bißchen Pfeilwerfen, Luftgewehre, bizarre Spielautomaten, wo man sich im Saloonmilieu ein Duell mit einem Hologramm lieferte, ein Kraftmesser in der Form eines Balls, auf den man hauen mußte – die Skala war als Bildfolge gestaltet, wo bei Stufe 1 eine Frau mit Sternchen auf Brüsten und Schoß sagte: »Sublime! You’re unbeatable!«, während sie stufenweise immer mehr anhatte, um bei Stufe 4, der schlechtesten, in Rock und Pullover zu sagen: »You are a mess!« Zentrifugalgeräte, eine Geisterbahn, Losbuden. Ringwerfen nach einer Champagnerflasche, die sich beim näheren Hinsehen als gewöhnlicher Schaumwein erwies.
Doch dann betrat Raya die Bühne, mit ihrem norwegischen Ehemann und Impresario und zwei Gitarristen, den Brüdern Les Gitanes Ivanovitch, sowie einem Ziehharmonikaspieler, der nordischer Meister im »Trekkspill« gewesen war. Sie sang, sie tanzte, sich routiniert darbietend, prachtvoll, schimpfte in den Pausen darüber, daß man nicht gescheit genug war, die Karusselle abzustellen, und versetzte mit ihrem Gesang die stillstehende Nachmittagsluft in balkanische Schwingungen. Und im Publikum wurde plötzlich einem riesigen, imposant betrunkenen Norweger Platz gemacht, mit naß gekämmtem Haar und einer ungeheuren Fleischwunde im Gesicht. Er war bis zu den Schultern hinauf tätowiert und tanzte im Kies, wie wohl noch keiner zuvor in Lade bei Trondheim getanzt hat. Er drehte sich im Kreis, er tastete mit den Händen zur Bühne hinauf, um Rayas Rocksaum zu berühren, sie glitt mit kleinen, souveränen Schritten zur Seite und lächelte und sang weiter, und die Tonleitern des Trekkspillmeisters flossen wie glänzendes Quecksilber aus den tonverzerrenden Lautsprechern.
Nach Grong hinauf verwandelte sich die Landschaft, vertiefte sich in gewaltigen, von Flüssen durchschnittenen Schluchten. Die Abendsonne strich gelb über den Schnee der Fjällrücken. Gerade als ich aus dem Zug stieg, kam A. vor dem Bahnhof in seinem unbeschreiblichen meergrünen Taunus angeschlittert.
Namdals Volkshochschule liegt auf einer Klippenstufe in der Fjällkette oberhalb von Namsen, genau dort, wo die Klippe nach Westen zurückweicht, als habe sie das Meer gewittert. Einige ältere Holzgebäude, einige neugebaute Baracken, ein großer Sportplatz, den die motorisierten Jugendlichen dieser Gegend abends umkreisen, um mit den Mädchen der Abschlußklassen ins Gespräch zu kommen. Hier hat Anfang des Jahrhunderts für kurze Zeit Kristofer Uppdal studiert, der Schienenleger, der Vorsitzende des Tunnelarbeitervereins von Rjukan, der Verfasser von Norwegens gewaltigstem Proletarierepos und seiner ersten modernistischen Poesie, der Mann, der eines Tages, nach einem zehnjährigen Aufenthalt in der Heilanstalt von Gaustad, seine Entlassung mit der Begründung verlangte: »Wenn ich länger hierbleibe, werde ich irre!« Hierher schicken die Einheimischen, die selber von ihren Eltern geschickt wurden und diese wiederum von den ihren, ihre Kinder, damit sie sich nach der Grundschule Lebensart und Allgemeinbildung in einem der drei Zweige an der Volkshochschule aneignen: dem sportlichen, dem hauswirtschaftlichen oder dem für Medien und Muttersprache.
Und hier sollte ich am letzten Tag des Schuljahres aus meinem letzten Roman lesen und am Tag darauf der Abschlußfeier beiwohnen.
A. brachte mich zur Wohnung seines Kollegen, bei dem ich übernachten sollte. Der Kollege, der aus Sunnmöret stammte, saß mit zwei Jungen aus dem letzten Jahreskurs zusammen, die eine Plastikflasche zwischen sich hin- und herwandern ließen und den vortrefflichen Wein priesen. Als sie nach einer Weile meinten, wir sollten auch davon probieren, ruckte und zuckte es im Gesicht des Sunnmörers, und dann konnte er nicht umhin, die Jungen darüber aufzuklären, daß sie Saft getrunken hatten. Sie trugen es mit Fassung, blieben aber nicht mehr besonders lange.
Vielleicht hatte der Pilgerpfad mich doch dorthin geführt, wohin ich sollte. Eine Landesschule in Nord-Trøndelag, zwei Landeskinder um die siebzehn, die Saft als Wein tranken!
Wir entkorkten unsererseits eine Flasche Weißwein und redeten uns halbwegs in den Morgen hinein.
Ich lief dort wie ein Beobachter von einem anderen Planeten herum, dessen Position ich vergessen hatte.
Der Schultag begann mit einer Morgenandacht. Kirchenlied von Grundtvig. Der Direktor, einer dieser kleinen, kräftigen, barsch humorvollen Männer, die schon durch ihre Physiognomie viel pädagogisches Kopfzerbrechen überflüssig machen, sprach einige Worte. Dieser Wind, der stets durch eine Versammlung von Fünfzehn-, Sechzehn-, Siebzehnjährigen geht, wie durch einen Laubwald: hier war er klar, knisternd, mehr von Sauerstoff gesättigt als von Sensationen.
Auf dem Fußballplatz feuerten sie ihre Mannschaft zu einem haarscharfen Sieg über die Lehrermannschaft an.
Im Speisesaal konnten sie aufstehen und das Wort ergreifen: irgendwelche Dinge, die abends erledigt werden mußten, das eine oder andere, was mitzuteilen war.
Teils spielerisch, teils unter hitzigen Auseinandersetzungen räumten sie die Baracken des Internats auf. Durch die offenen Fenster donnerte Nina Hagen von der Kassette übers Tal hin.
Einer von den Weintrinkern, ein kleiner blonder Typ mit blaßblauen Augen und muskulösen Händen, suchte mich nach meiner Lesung auf, schnorrte eine Prise Schnupftabak und erkundigte sich, wie es eigentlich käme, daß ich Bücher schrieb. Er wollte sich im Sommer einer Gruppe von Mineralogen anschließen, um Gold zu suchen.
Abends, während die Halbstarken in ihren Amischlitten langsam den Sportplatz umkreisten, spielten wir »Eins, zwei, drei, das letzte Paar vorbei«, solange es noch hell genug war.
Das Unterrichtsniveau sei nicht hoch, sagte A. Es gebe keine literarische Neigung in den Klassen. Einige würden zwar später aufs Gymnasium gehen, die allermeisten jedoch würden eine Berufsausbildung wählen oder Aufgaben in einem Bauernhof übernehmen.
Der Kollege, der Sunnmörer, hatte sich zurückgezogen, um an seiner Schulabschlußrede zu schreiben.
Spät abends machte ich einen einsamen Spaziergang am Fluß hinunter. Der abnehmende Mond tauchte ein zitterndes Licht ins seichte Wasser. Ich war schwer wie ein Stein, verzagt.
Ich ging auf eine schmale Landzunge mit rundgeschliffenen Steinen hinaus, hüpfte auf einigen größeren vorwärts, bis ich auf allen Seiten von Wasser umgeben war. Die Wasseroberfläche war gekräuselt, der Fluß knisterte wie schwarze Seide.
Kühler, schleichender Wind. Ich sah dem Mond ins Auge und blieb regungslos stehen.
Irgendwas passierte mit mir, während ich da stand. Ich habe nie den Versuch gemacht zu erklären, was es war.
Nach geraumer Zeit spürte ich, wie mein Gesicht sich entspannte und gleichsam wieder in seine Form hineinschmolz. Das, was geschehen war, verhallte und verließ den Körper.
Ich ging rasch und still wieder hinauf zu den Menschen.
Der Sunnmörer hatte ein paar Cohen-Texte. Nachts versuchte ich mich an einem davon.
Und wer durch Feuer, wer durch Wasser,
wer im Sonnenschein, wer in der Nacht allein
Wer durch Gottes Fluch, wer durch Richterspruch,
wer in des Frühlings grünem Schwall,
wer durch herbstlichen Zerfall,
und von wem darf ich grüßen?
Wer es im Traume tat, wer durch Barbiturat,
wer beim Liebesspiel, wer als der Kugeln Ziel
Wer im Lawinengrab, wer ohne Stock und Stab,
wer durch seine Gier, wer durch Hunger schier,
und von wem darf ich grüßen?
Wer in der Einsamkeit, wer mutig und bereit,
wer durch ein Ungeschick, wer beim Spiegelblick
Wer durch der Liebe Band, wer durch eigne Hand,
wer von Angst bedroht, wer ganz ohne Not,
und von wem darf ich grüßen?
Der Schulabschluß: die Schüler waren zu Hause gewesen und hatten sich umgezogen, die Mädchen kamen in der Volkstracht, Familie und Verwandtschaft quollen aus dem Auto. Die kleine Aula war voll besetzt. Wieder wurde Grundtvig gesungen. Eine Schülergruppe spielte ein Stück von Molière, im Trondheimschen Dialekt. Die Rede, über der sich mein Gastgeber bis zuletzt die Haare gerauft hatte, war hartgesotten, präzise und sentimental wie ein Brief von Raymond Chandler.
Herzzerreißende, tränenreiche Szenen spielten sich ab, als die Mädchen der Abschlußklassen über den Hof hinausschauten, bevor sie sich in den Autos verstauten.
Die Nacht verstrich mit vielen Flaschen Weißwein.
Am Morgen des nächsten Tages quetschten wir uns in den Taunus und fuhren lange an dem ausgedehnten, silberweißen Snåsavatn-See entlang.
Die Stummheit. Wir waren einen Fjällhang hinaufgeklettert und hatten uns auf einen Stein gesetzt, in den Stunden vor der Abschlußfeier. Direkt unter uns, mitten im Fluß, lag eine eigentümliche, dicht und gleichmäßig hoch bewaldete, absolut elliptisch geformte Insel, und ich hatte träge mit dem Gedanken gespielt, daß dies der richtige Ort wäre, wenn man sich einmal radikal verstecken wollte: schräg stromaufwärts zur Insel hinschwimmen, den Strand hinaufklettern und zwischen den Bäumen verschwinden.
Ich hatte davon gesprochen, daß ich ein Buch über die Stummheit schreiben wollte. Es sollte eine Fortsetzung meines ersten Romans sein, und eine Erzählung von einem Moor sollte auf eine sehr listige Weise hineinverflochten werden, an der ich schon herumzubasteln versucht hatte. A. hatte zum Schnee eines weit entfernten Gipfels hingeblinzelt und war abwartend interessiert gewesen.
»Ich habe auch daran gedacht, ein Buch über dieses Frühjahr zu schreiben«, hatte ich gesagt. »Einfach die Banalitäten, wie sie sich ereignet haben, und die Eintönigkeit, und es soll Arild Andersson 1980 heißen.«
A. hatte plötzlich breit gegrinst und gesagt:
»Nein, verdammt nochmal, das traust du dich nicht.«
Dann waren wir unten bei einem mächtigen Wasserfall gewesen und hatten über dies und jenes geredet, doch es war die Stummheit, über die ich nachgedacht hatte.
Es muß möglich sein, sie auszusprechen, wie man Laute in ein Horn bläst.
Später am Abend bogen wir vor dem Hof von A.s Eltern ein. Wir wollten noch am selben Abend weiter nach Trondheim, tags darauf würden sämtliche Zufahrten wegen des Russefests gesperrt sein, der etwas bizarren norwegischen Abiturientenfeier. Ich war verteufelt melancholisch und zugleich froh, und ich sah den Sommer vor mir.